Kurzbeschreibung

Der Artikel „Deutschlands Vereinigung“ aus der Düsseldorfer Zeitung (3. und 5. September 1843) kritisiert den bestehenden Deutschen Bund. Er führt ökonomische Argumente für einen geeinten deutschen Nationalstaat an, insbesondere die Notwendigkeit einer einheitlichen Gewerbegesetzgebung sowie der Beseitigung von Handelsschranken.

„Deutschlands Vereinigung“ (1843)

Quelle

Wie schmerzlich wir bei dem Rückblick auf das entschwundene Jahrtausend die von Deutschland abgerissenen Stücke vermissen, und wie sehr wir ihre Wiedervereinigung ersehnen, so ist doch für Deutschland, wie es ist, eine innigere innere Verbindung jedenfalls von viel größerer Wichtigkeit, und in diesem Gefühl liegt es begründet, daß die Stimme der Zeit, wie sie gegen Frankreich nur die Negative des status quo aufgestellt, die Einheit Deutschlands als positives Wahrzeichen erhoben hat.

Und worin könnte diese Einheit anders liegen, als in innigerer politischer Vereinigung? Alles andere, was man zur Vereinigung Deutschlands benutzen will: Gemeinschaftliche Monumente, gleiche Münzen, Maße, Gewichte und Wagenspur, selbst ein allgemeiner Zollverband verhält sich nur als Mittel zum Zweck oder würde als natürliche Folge der politischen Einheit Deutschlands von selbst ins Leben treten, wenn diese erst erreicht wäre. Die natürliche Schwäche des dermaligen Zentralpunktes im Konflikte mit dem Nationalwunsche bewirkt diese sonderbaren Zuckungen und Ideenverwechselungen; dies Hysteron-Proteron der gutmütigen Volkspolitik und die Faseleien über eine von hinten anzufangende deutsche Einheit bringen die Sache selbst am Ende in Mißkredit oder lassen sie als einen utopischen Traum erscheinen, der es doch nicht ist.

Nein, Deutschlands Einheit ist kein utopischer Traum, sie muß so gewiß erreicht werden, als es auf die Dauer unmöglich ist, etwas als notwendig Gefühltes zu unterlassen, und die Idee selbst wird ihrer Verwirklichung um so näher stehen, je unerträglicher der Vergleich wird des Zustandes, in dem man lebt, mit jenem herrlichen, in dem man leben könnte, je rascher die Zeit im allgemeinen auf massenhafte Vereinigung hinarbeitet, und je mehr am Ende Momente innerer oder äußerer Not sich häufen, die das schläfrige deutsche Bewußtsein zum Handeln aufrütteln. Aber es gibt vor allem ein Übergehen aus dem Zustand eines unbestimmten Gefühls in den einer klaren Erkenntnis, eines festen Beharrens auf dem Wege des Rechts, dann aber auch der konsequenten Richtung aller Mittel, wie sie sich darbieten, auf das fest bestimmte Ziel.

Dieses Ziel ist ein kräftiger, politischer Zentralpunkt, dessen Form vorläufig ganz dahingestellt bleiben mag. Aber die natürliche Schwäche des jetzigen Vereinigungspunktes liegt darin, daß wir überall nur einen diplomatischen, keinen politischen Vereinigungspunkt, einen Staatenbund statt eines Bundesstaates haben. So haben wir denn statt eines einzigen Deutschlands 38 deutsche Länder, ebenso viele Regierungen, fast ebenso viele Höfe, so und so viele Ständeversammlungen, 38 verschiedene Gesetze und Administrationen, Gesandtschaften und Konsulate. Welche enorme Ersparung würde es sein, wenn das alles bei einer Zentralregierung besorgt würde; welche Ersparung an Geld und an Mannschaft würde erwachsen, wenn Deutschland eine einzige Armee erhielte! Aber weit schlimmer als die dermalige Kostenverschwendung ist, daß bei den 38 verschiedenen Staaten ebenso viele Sonderinteressen obwalten, die sich bis in das kleinste Detail tagtäglichen Verkehrs hinein benachteiligen und aufheben. Da kann keine Post beschleunigt, kein Porto erleichtert werden, oder es erfordert Konventionen, da kommt keine Eisenbahn in Vorschlag, die nicht jeder möglichst lange in seinem Lande zu behalten wünschte, und was hilft es, daß die Bundesakte die Freiheit, aus einem deutschen Staate in den andern zu ziehen, gestattet, wenn dieser andere Staat den armen Auswanderer strenge zurückweiset. Und wie ein Staat gegen den andern, so sperrt sich dann eine Gemeinde gegen die andere ab, und so ist es mit Deutschlands Domizilgesetzen bereits soweit gekommen, daß die alte glebae adscriptio, die man als unwürdig gesetzlich aufgehoben, unter anderer Form faktisch wieder vorhanden ist.

Blicken wir auf die Gewerbegesetze! Hier Bann und Zunftzwang, dort absolute Gewerbefreiheit, zwischen beiden ein Konzessionssystem! Der geschickteste Handwerker wird von der Zunft zurückgewiesen, bloß weil er unter einem andern Systeme sein Gewerbe erlernt hat, und der zünftige Geselle, der wandern soll, ist verlegen wohin, weil jeder deutsche Staat die Einwohner der anderen 37 Staaten als Auswärtige mit Mißtrauen behandelt. Sonst hieß es „deutsche Hand geht durch alle Land"; jetzt werden große Parteien (Frankreich, die Schweiz) in ängstlicher Sorge des geteilten Reiches ausgenommen. Von den Leiden des Handelsverkehrs will ich gar nicht reden — die machen sich selbst mit kräftiger Stimme bekannt; doch ist es ein Jammer zu sehen, wie die hier erstrebte wohltätige Vereinigung, bei dem Mangel eines geeigneten politischen Zentralpunktes, mit den Sonderinteressen einzelner Teile fortwährend zu kämpfen hat. Aber das muß man eben bedenken, daß sich ein einzelner Teil nicht leicht aus dem ganzen System herausreißen läßt, und jeder Staat mag allerdings wohl erwägen, wie er, teils mit seinen Finanzen, teils und besonders aber mit seinen Gewerbetreibenden zurechtkomme, solange nicht über das Ganze eine ordnende Hand waltet. Diese Sonderinteressen sind es hauptsächlich, die, indem sie der strebenden Kraft alles Terrain entziehen, den Pauperismus befördern, der mit seinem ganzen traurigen Gefolge von Immoralität Deutschlands Gaue immer stärker überzieht, und diese Zersplitterung Deutschlands ist es, welche die Abhilfe hindert. Warum haben wir nicht auswärtige Kolonien, in denen deutsche Art und Weise erhalten bleibt, Anstalten für Auswanderer, für die Unverbesserlichen Deportation? Auch die geistige Kultur leidet unter dieser Zersplitterung. Man hat dies am längsten leugnen wollen und vielmehr behauptet, daß die verschiedenen Höfe, Universitäten und wissenschaftlichen Anstalten ebensoviele Herde seien, von denen die Bildung, in kleineren Kreisen verbreitet, allgemein werde. Das enthält allerdings viel Wahres, und Deutschland hat namentlich gottlob die besten Volksschulen auf der ganzen Welt. Aber der eigentliche Grund davon liegt weit mehr im ganzen deutschen Charakter als in der politischen Zersplitterung. Es brauchte bei einer politischen Vereinigung keine einzige bestehende Anstalt für Kunst und Wissenschaft einzugehen, wohl aber würde die kleine Eifersüchtelei, daß Landeskinder vorzugsweise die Landesuniversität besuchen sollen, aufhören; wohl würde mit einem großen politischen Zentralpunkte sich auch ein großer literarischer Vereinigungspunkt bilden, der der deutschen Literatur ihre Einseitigkeit und Kleinstädterei nähme; wohl würde sich in der ganzen Nation ein Aufschwung bilden, der die deutsche Stubengelehrsamkeit hinausführte in das praktische Leben, der eine Blüte in Kunst und Wissenschaft hervorrufen würde, von der wir jetzt kaum eine Ahnung haben können.

Denkt man nun vollends noch an die Stellung, die das vereinigte Deutschland dem Auslande gegenüber annehmen würde, so scheint es unmöglich, daß sich irgend jemand gegen die allseitigen Vorteile der Vereinigung verstocken könnte, und man muß sich nur wundern, daß diese Einheit nicht längst zustande gekommen, daß sie jemals aufgehoben worden ist.

Diese letztere Erscheinung beantwortet leider die Geschichte des Deutschen Reiches; Erblichkeit der Lehne und der deutsche Korporationsgeist waren die ursprünglichen Gründe, denen später die religiöse Trennung sich beigesellte, von Deutschlands Feinden eifrig benutzt. Aber aller Korporationsgeist ist an sich ein so vortrefflicher Geist, daß er nur einer richtigen Leitung bedarf, um das Höchste zu leisten, und selbst die Erblichkeit der großen Lehne würde nicht zur Zersplitterung des Reichs geführt haben, wenn die Staatskunst und das Staatsrecht jener Zeiten hinreichend ausgebildet gewesen wäre, um zu unterscheiden, was ein unveräußerlicher Bestandteil der Souveränetät, was Amt, und was Eigentum und Besitz ist und sein kann.

Fragen wir aber, warum die deutsche Einheit nicht längst wieder zustande gekommen sei, so kommen wir leider zunächst wieder auf den Wiener Kongreß; auf die Eifersucht der auswärtigen Mächte, die ein einiges Deutschland fürchten, gegenüber den schwachen deutschen Staatsmännern und gegenüber freilich auch einer Masse von Sonderinteressen, die lieber im Kleinen sich wichtig machen, als in der Unterordnung unter ein großes Ganze ihre naturgemäße Stellung einnehmen wollten.

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Quelle: Düsseldorfer Zeitung, 3. und 5. September 1843, Nr. 244, 246; abgedruckt in Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850, gesammelt und herausgegeben von Joseph Hansen, Band I, 1830–1845. Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde XXXVI Bd. 1, 1919; S. 589–92.