Kurzbeschreibung

Das Programm der 1861 in Preußen gegründeten Deutschen Fortschrittspartei umriss die Grundprinzipien liberaler Politik mit einer Betonung von nationalstaatlicher Einheit, Rechtsstaatlichkeit und nicht zuletzt einer unabhängigen Rechtsprechung. Weitere Programmpunkte waren größere Befugnisse und Erweiterung der gewählten 2. Kammer des preußischen Abgeordnetenhauses gegenüber der mit Aristokraten besetzten 1. Kammer und der Regierung, öffentliche Schulbildung sowie die Trennung von Staat und Kirche.

Die Liberalen: Gründungsprogramm der Deutschen Fortschrittspartei (9. Juni 1861)

Quelle

Wir sind einig in der Treue für den König und in der festen Überzeugung, daß die Verfassung das unlösbare Band ist, welches Fürst und Volk zusammenhält.

Bei den großen und tiefgreifenden Umwälzungen in dem Staatensysteme Europas haben wir aber nicht minder die klare Einsicht gewonnen, daß die Existenz und die Größe Preußens abhängt von einer festen Einigung Deutschlands, die ohne eine starke Zentralgewalt in den Händen Preußens und ohne gemeinsame deutsche Volksvertretung nicht gedacht werden kann.

Für unsere inneren Einrichtungen verlangen wir eine feste liberale Regierung, welche ihre Stärke in der Achtung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger sieht, es versteht, ihren Grundsätzen in allen Schichten der Beamtenwelt unnachsichtlich Geltung zu verschaffen, und uns auf diesem Wege die Achtung der übrigen deutschen Stämme erringt und erhält.

In der Gesetzgebung scheint uns die strenge und konsequente Verwirklichung des verfassungsmäßigen Rechtsstaats eine erste und unbedingte Notwendigkeit. Wir verlangen daher insbesondere Schutz des Rechtes durch wirklich unabhängige Richter und diesen Schutz für jedermann gleich zugänglich, demnach Beseitigung des Anklagemonopols einer abhängigen Staatsanwaltschaft, Aufhebung des Gesetzes v. 8. April 1847 über das Verfahren bei Kompetenzkonflikten, Aufhebung des Gesetzes vom 15. Februar 1854, betreffend die Konflikte bei gerichtlichen Verfolgungen wegen Amts- und Diensthandlungen, überhaupt wirkliche Verantwortlichkeit der Beamten, endlich Wiederherstellung der Kompetenz der Geschworenen für politische und Preßvergehen.

Wir verlangen dann weiter endlichen Erlaß des in Art. 61 der Verfassung in Aussicht gestellten Gesetzes über Verantwortlichkeit der Minister.

Nicht minder notwendig erscheint uns zu Preußens Ehre und zum Ausbau der Verfassung die Herstellung einer auf den Grundsätzen der Gleichberechtigung und der Selbstverwaltung gestützten Gemeinde-, Kreis- und Provinzialverfassungen unter Aufhebung des ständischen Prinzips und der gutsherrlichen Polizei.

Die in Art. 12 der Verfassung gewährleistete Gleichberechtigung aller Religionsgenossenschaften muß mit Nachdruck gewahrt werden. Die Hebung des Unterrichtswesens in der Volksschule sowie in den Realschulen und den Gymnasien kann nur durch den endlichen Erlaß des Unterrichtsgesetzes nach Beseitigung der ministeriellen verfassungswidrigen Regulative und Normalvorschriften erfolgen. In diesem Unterrichtsgesetze sowie bei der dringenden Ehegesetzgebung muß, bei letzterer durch die Annahme der obligatorischen Zivilehe, die Trennung des Staates von der Kirche festgehalten und vervollständigt werden.

Die unerwartet großen Lasten, die in der vergangenen Legislaturperiode dem Lande auferlegt sind, fordern unbedingt, daß die wirtschaftlichen Kräfte des Landes gleichzeitig entfesselt werden, somit, daß eine Revision der Gewerbegesetzgebung, wie sie bereits vom gegenwärtigen Abgeordnetenhause in seinen Resolutionen niedergelegt ist, ins Leben trete.

Für die Ehre und die Machtstellung unseres Vaterlandes, wenn diese Güter durch einen Krieg gewahrt oder erlangt werden müssen, wird uns niemals ein Opfer zu groß sein; im Interesse einer nachhaltigen Kriegsführung aber erscheint uns die größte Sparsamkeit für den Militäretat im Frieden geboten. Wir hegen die Überzeugung, daß die Aufrechterhaltung der Landwehr, die allgemein einzuführende körperliche Ausbildung der Jugend, die erhöhte Aushebung der waffenfähigen Mannschaft, bei zweijähriger Dienstzeit für die vollständige Kriegstüchtigkeit des preußischen Volkes in Waffen Bürgschaft leistet.

Die Erreichung dieser Ziele wird aber [] ein frommer Wunsch bleiben, solange nicht auf verfassungsmäßigem Wege eine durchgreifende Reform des gegenwärtigen Herrenhauses erfolgt ist. Diese muß daher als der Anfang aller Reformen vor allem mit Energie angestrebt werden [ . . . . ]

Quelle: Wolfgang Treue, Deutsche Parteiprogramme seit 1861, vierte Auflage. Göttingen: Muster-Schmidt Verlag, 1968, S. 62– 63. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung der Muster-Schmidt Verlagsgesellschaft, Göttingen.