Kurzbeschreibung

Die erste Auflage von Hegels Die Vernunft in der Geschichte, seine Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, wurde 1837 nach seinem Tod veröffentlicht. Hegel hat diese Vorlesungen in einem zweijährigen Turnus fünfmal zwischen 1822 und 1831 gehalten. In dem hier wiedergebenden Auszug führt er in die Grundsätze seiner einflussreichen Philosophie der Geschichte ein und bietet einen Überblick der Gänge der Weltgeschichte. Hegel erblickt in seinem eigenen System der Philosophie die Synthese der abendländischen Philosophiegeschichte seit den Griechen. Eines seiner Kernargumente lautet, dass alles, was ist, recht oder von Vernunft geprägt ist und so den Weltgeist verkörpert.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Auszüge aus Die Vernunft in der Geschichte (1837)

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Quelle

[Begonnen] 8. XI. 1830

Meine Herren!

Der Gegenstand dieser Vorlesungen ist die Philosophie der Weltgeschichte.

Was Geschichte, Weltgeschichte ist, darüber brauche ich nichts zu sagen; die allgemeine Vorstellung davon ist genügend, auch etwa stimmen wir in derselben überein. Aber daß es eine Philosophie der Weltgeschichte ist, die wir betrachten, daß wir die Geschichte philosophisch behandeln wollen, dies ist es, was gleich bei dem Titel dieser Vorlesungen auffallen kann und was wohl einer Erläuterung oder wohl vielmehr einer Rechtfertigung zu bedürfen scheinen muß.

Jedoch ist die Philosophie der Geschichte nichts anderes als die denkende Betrachtung derselben; und das Denken einmal können wir nirgend unterlassen. Denn der Mensch ist denkend; dadurch unterscheidet er sich von dem Tier. Alles, was menschlich ist, Empfindung, Kenntnis und Erkenntnis, Trieb und Wille – insofern es menschlich ist und nicht tierisch, ist ein Denken darin, hiemit auch in jeder Beschäftigung mit Geschichte. Allein diese Berufung auf den allgemeinen Anteil des Denkens an allem Menschlichen wie an der Geschichte kann darum ungenügend erscheinen, weil wir dafür halten, daß das Denken dem Seienden, Gegebenen untergeordnet ist, dasselbe zu seiner Grundlage hat und davon geleitet wird. Der Philosophie aber werden eigene Gedanken zugeschrieben, welche die Spekulation aus sich selbst ohne Rücksicht auf das, was ist, hervorbringe und mit solchen an die Geschichte gehe, sie als ein Material behandle, sie nicht lasse, wie sie ist, sondern sie nach dem Gedanken einrichte, eine Geschichte a priori konstruiere.

Die Geschichte bezieht sich auf solches, was geschehen ist. Ihrer Betrachtung scheint der Begriff entgegen zu sein, der wesentlich aus sich selbst sich bestimmt. Man kann freilich die Begebenheiten so zusammenbringen, daß man sich vorstellt, das Geschehene liege uns unmittelbar vor. Zwar ist es auch dann um die Verbindung der Begebenheiten zu tun, um das, was man pragmatisch nennt, also darum, die Ursachen und Gründe für das Geschehene aufzufinden. Aber dazu, kann man sich vorstellen, ist der Begriff notwendig, ohne daß damit das Begreifen in ein sich entgegengesetztes Verhältnis tritt. Allein auf solche Weise sind es immer die Begebenheiten, die zum Grunde liegen, und die Tätigkeit des Begriffs wird auf den formellen, allgemeinen Inhalt dessen beschränkt, was vorliegt, auf Prinzipien, Regeln, Grundsätze. Für das, was so aus der Geschichte deduziert wird, erkennt man das logische Denken, als notwendig an; aber das, was die Berechtigung dazu gibt, soll aus der Erfahrung herkommen. Was dagegen die Philosophie unter Begriff versteht, ist etwas anderes; hier ist Begreifen die Tätigkeit des Begriffs selbst, kein Konkurrieren von Stoff und Form, die anderswoher kommen. Solche Verbrüderung wie in der pragmatischen Geschichte genügt dem Begriffe in der Philosophie nicht; er nimmt wesentlich seinen Stoff und Inhalt aus sich selbst. In dieser Rücksicht bleibt also auch jener angegebenen Verbindung ungeachtet noch derselbe Unterschied, daß sich das Geschehene und die Selbständigkeit des Begriffs einander gegenüberstehen.

Indessen bietet sich uns dasselbe Verhältnis [noch ganz abgesehen von der Philosophie bereits] innerhalb der Geschichtsbetrachtung dar, sobald wir hier einen höheren Standpunkt einnehmen. Erstens sehen wir in der Geschichte Ingredienzien, Naturbedingungen, die von dem Begriff entfernt liegen, mannigfache menschliche Willkür, äußerliche Notwendigkeit. Anderseits stellen wir alledem den Gedanken einer höheren Notwendigkeit, einer ewigen Gerechtigkeit und Liebe gegenüber, den absoluten Endzweck, der Wahrheit an und für sich ist. Dieses Entgegengesetzte beruht auf den abstrakten Elementen im Gegensatze des natürlichen Seins, auf der Freiheit und Notwendigkeit des Begriffs. Es ist ein Gegensatz, der uns in vielfacher Gestalt interessiert, und der auch in der Idee der Weltgeschichte unser Interesse beschäftigt. Ihn in der Weltgeschichte als an und für sich gelöst aufzuzeigen, ist unser Zweck.

Die Geschichte hat nur das rein aufzufassen, was ist, was gewesen ist, die Begebenheiten und Taten. Sie ist um so wahrer, je mehr sie sich nur an das Gegebene hält und – indem dies zwar nicht so unmittelbar darliegt, sondern mannigfalte, auch mit Denken verbundene Forschungen erfordert – je mehr sie dabei nur das Geschehene zum Zwecke hat. Mit diesem Zwecke scheint das Treiben der Philosophie im Widerspruche zu stehen; und über diesen Widerspruch, über den Vorwurf, welcher der Philosophie wegen der Gedanken [gemacht wird], die sie zur Geschichte mitbringe und diese nach denselben behandle, ist es, daß ich mich in der Einleitung erklären will. Das heißt, es ist die allgemeine Bestimmung der Philosophie der Weltgeschichte zuerst anzugeben und die nächsten Folgen, die damit zusammenhängen, bemerklich zu machen. Es wird damit das Verhältnis von dem Gedanken und vom Geschehenen von selbst in das richtige Licht gestellt werden[1], und schon darum, wie auch um in der Einleitung nicht zu weitläufig zu werden, da uns in der Weltgeschichte ein so reicher Stoff bevorsteht, bedarf es nicht, daß ich mich in Widerlegungen und Berichtigungen der unendlich vielen spezielleren schiefen Vorstellungen und Reflexionen einlasse, die über die Gesichtspunkte, Grundsätze, Ansichten über den Zweck, die Interessen der Behandlung des Geschichtlichen, und dann insbesondere über das Verhältnis des Begriffs und der Philosophie zum Geschichtlichen im Gange sind, oder immer wieder neu erfunden werden.[2] Ich kann sie im ganzen übergehen oder nur beiläufig etwas darüber erinnern.

A[3]
[IHR ALLGEMEINER BEGRIFF]

Ich will über den vorläufigen Begriff der Philosophie der Weltgeschichte zunächst dies bemerken, daß, wie ich gesagt, man in erster Linie der Philosophie den Vorwurf macht, daß sie mit Gedanken an die Geschichte gehe und diese nach Gedanken betrachte. Der einzige Gedanke, den sie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrscht, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen ist.[4] Diese Überzeugung und Einsicht ist eine Voraussetzung in Ansehung der Geschichte als solcher überhaupt. In der Philosophie selbst ist dies keine Voraussetzung; in ihr wird es durch die spekulative Erkenntnis erwiesen, daß die Vernunft, – bei diesem Ausdrucke können wir hier stehen bleiben, ohne die Beziehung und das Verhältnis zu Gott näher zu erörtern, – die Substanz, wie die unendliche Macht, sich selbst der unendliche Stoff alles natürlichen und geistigen Lebens, wie die unendliche Form, die Betätigung dieses ihres Inhaltes ist; – die Substanz, das, wodurch und worin all Wirklichkeit ihr Sein und Bestehen hat, – die unendliche Macht, daß die Vernunft nicht so unmächtig ist, um es nur bis zum Ideal, bis zum Sollen zu bringen und nur außerhalb der Wirklichkeit, wer weiß wo, wohl nur als etwas Besonderes in den Köpfen einiger Menschen vorhanden zu sein, – der unendliche Inhalt, alle Wesenheit und Wahrheit, und ihr selbst ihr Stoff, den sie ihrer Tätigkeit zu verarbeiten gibt. Sie bedarf nicht wie endliches Tun der Bedingungen äußerlichen Materials, gegebener Mittel, aus denen sie Nahrung und Gegenstände ihrer Tätigkeit empfinge; sie zehrt aus sich und ist sich selbst das Material, das sie verarbeitet. Wie sie sich nur ihre eigene Voraussetzung, ihr Zweck der absolute Endzweck ist, so ist sie selbst dessen Betätigung und Hervorbringen aus dem Innern in die Erscheinung nicht nur des natürlichen Universums, sondern auch des geistigen, – in der Weltgeschichte. Daß nun solche Idee das Wahre, das Ewige, das schlechtin Mächtige ist, daß sie sich in der Welt offenbart und nichts in ihr sich offenbart als sie, ihre Herrlichkeit und Ehre, dies ist es, was, wie gesagt, in der Philosophie bewiesen und hier so als bewiesen vorausgesetzt wird.

Die philosophische Betrachtung hat keine andere Absicht, als das Zufällige zu entfernen. Zufälligkeit ist dasselbe wie äußerliche Notwendigkeit, d.h. eine Notwendigkeit, die auf Ursachen zurückgeht, die selbst nur äußerliche Umstände sind. Wir müssen in der Geschichte einen allgemeinen Zweck aufsuchen, den Endzweck der Welt, nicht einen besonderen des subjektiven Geistes oder des Gemüts, ihn müssen wir durch die Vernunft erfassen, die keinen besonderen endlichen Zweck zu ihrem Interesse machen kann, sondern nur den absoluten. Dieser ist ein Inhalt, der Zeugnis von sich selber gibt und in sich selbst trägt und in dem alles, was der Mensch zu seinem Interesse machen kann, seinen Halt hat. Das Vernünftige ist das an und für sich Seiende, wodurch alles seinen Wert hat. Es gibt sich verschiedene Gestalten; in keiner ist es deutlicher Zweck als in der, wie der Geist sich in den vielförmigen Gestalten, die wir Völker nennen, selbst expliziert und manifestiert. Den Glauben und Gedanken muß man zur Geschichte bringen, daß die Welt des Wollens nicht dem Zufall anheimgegeben ist. Daß in den Begebenheiten der Völker ein letzter Zweck das Herrschende, daß Vernunft in der Weltgeschichte ist, – nicht die Vernunft eines besondern Subjekts, sondern die göttliche, absolute Vernunft, – ist eine Wahrheit, die wir voraussetzen; ihr Beweis ist die Abhandlung der Weltgeschichte selbst: sie ist das Bild und die Tat der Vernunft. Vielmehr aber liegt der eigentliche Beweis in der Erkenntnis der Vernunft selber; in der Weltgeschichte erweist sie sich nur. Die Weltgeschichte ist nur die Erscheinung dieser einen Vernunft, eine der besondern Gestalten, in denen sie sich offenbart, ein Abbild des Urbildes, das sich in einem besondern Elemente, in den Völkern, darstellt.

Die Vernunft ist in sich ruhend und hat ihren Zweck in sich selbst; sie bringt sich selbst zum Dasein hervor und führt sich aus. Das Denken muß sich dieses Zweckes der Vernunft bewußt werden. Die philosophische Weise kann anfangs etwas Auffallendes haben; sie kann aus der schlechten Gewohnheit der Vorstellung auch selbst für zufällig, für einen Einfall gehalten werden. Wem nicht der Gedanke als einzig Wahres, als das Höchste gilt, der kann die philosophische Weise gar nicht beurteilen.

Diejenigen unter Ihnen, meine Herren, welche mit der Philosophie noch nicht bekannt sind, könnte ich nun etwa darum ansprechen, mit dem Glauben an die Vernunft, mit dem Durst nach ihrer Erkenntnis zu diesem Vortrage der Weltgeschichte hinzutreten; – und es ist allerdings das Verlangen nach vernünftiger Einsicht, nach Erkenntnis, nicht bloß nach einer Sammlung von Kenntnissen, was als subjektives Bedürfnis bei dem Studium der Wissenschaften vorauszusetzen ist. In der Tat aber habe ich solchen Glauben nicht zum Voraus in Anspruch zu nehmen.[5] Was ich vorläufig gesagt und noch sagen werde, ist nicht bloß – auch in Rücksicht unserer Wissenschaft nicht – als Voraussetzung, sondern als Übersicht des Ganzen zu nehmen, als das Resultat der von uns anzustellenden Betrachtung, – ein Resultat, das mir bekannt ist, weil mir bereits das Ganze bekannt ist. Es hat sich also erst und es wird sich aus der Betrachtung der Weltgeschichte selbst ergeben, daß es vernünftig in ihr zugegangen, daß sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen, der die Substanz der Geschichte [ist], der eine Geist, dessen Natur eine und immer dieselbe ist, und der in dem Weltdasein diese seine eine Natur expliziert. (Der Weltgeist ist der Geist überhaupt.)[6] Dies muß, wie gesagt, das Ergebnis der Geschichte selbst sein. Die Geschichte aber haben wir zu nehmen, wie sie ist; wir haben historisch, empirisch zu verfahren. Under anderem auch müssen wir uns nicht durch Historiker vom Fache verführen lassen; denn wenigstens unter den deutschen Historikern, sogar solche, die eine große Autorität besitzen, auf das sogenannte Quellenstudium sich alles zugute tun, gibt es solche, die das tun, was sie den Philosophen vorwerfen, nämlich apriorische Erdichtungen in der Geschichte zu machen. Um ein Beispiel anzuführen, so ist es eine weitbreitete Erdichtung, daß ein erstes und ältestes Volk gewesen, das, unmittelbar von Gott belehrt, in vollkommener Einsicht und Weisheit gelebt, in durchdringender Kenntnis aller Naturgesetze und geistiger Wahrheit gewesen sei, – oder daß es diese und jene Priestervölker gegeben, oder – um etwas Spezielleres anzuführen – daß es ein römisches Epos gegeben, aus welchem die römischen Geschichtschreiber die ältere Geschichte geschöpft haben, usf. – Dergleichen Aprioritäten wollen wir den geistreichen Historikern von Fach überlassen, unter denen sie bei uns nicht ungewöhnlich sind.

Als die erste Bedingung[7] konnten wir somit aussprechen, daß wir das Historische getreu auffassen; allein in solchen allgemeinen Ausdrücken wie treu und auffassen liegt die Zweideutigkeit. Auch der gewöhnliche und mittelmäßige Geschichtsschreiber, der etwa meint und vorgibt, er verhalte sich nur aufnehmend, nur dem Gegebenen sich hingebend, ist nicht passiv mit seinem Denken; er[8] bringt seine Kategorien mit und sieht durch sie das Vorhandene. Das Wahrhafte liegt nicht auf der sinnlichen Oberfläche; bei allem insbesondere, was wissenschaftlich sein soll, darf die Vernunft nicht schlafen und muß Nachdenken angewendet werden. Wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht sie auch venünftig an; beides ist in Wechselbestimmung.

Wenn man sagt, der Zweck der Welt soll aus der Wahrnehmung hervorgehen, so hat das seine Richtigkeit. Um aber das Allgemeine, das Vernünftige zu erkennen, muß man die Vernunft mitbringen. Die Gegenstände sind Reizmittel für das Nachdenken; sonst findet man es in der Welt so, wie man sie betrachtet. Geht man nur mit Subjektivität an die Welt, dann wird man es so finden, wie man selbst beschaffen ist, man wird überall alles besser wissen, sehen, wie es habe gemacht werden müssen, wie es hätte gehen sollen. Der große Inhalt der Weltgeschichte ist aber vernünftig und muß vernünftig sein; ein göttlicher Wille herrscht mächtig in der Welt und ist nicht so ohnmächtig, um nicht den großen Inhalt zu bestimmen. Diese Substanzielle zu erkennen, muß unser Zweck sein; und das zu erkennen muß man das Bewußtsein der Vernunft mitbringen, keine physischen Augen, keinen endlichen Verstand, sondern das Auge des Begriffs, der Vernunft, das die Oberfläche durchdringt und sich durch die Mannigfaltigkeit des bunten Gewühls der Begebenheiten hindurchdringt. Nun sagt man, wenn man so mit der Geschichte verfahre, so sei dies ein apriorisches Verfahren und schon an und für sich unrecht. Ob man so spricht, ist der Philosophie gleichgültig. Um das Substanzielle zu erkennen, muß man selber mit der Vernunft daran gehen. Allerdings darf man nicht mit einseitigen Reflexionen kommen; denn die verunstalten die Geschichte und entstehen aus falschen subjektiven Ansichten. Mit solchen aber hat es die Philosophie nicht zu tun; sie wird in der Gewißheit, daß die Vernunft das Regierende ist, überzeugt sein, daß das Geschehene sich dem Begriffe einfügen wird, und wird nicht die Wahrheit so verkehren, wie es heute besonders bei den Philologen Mode ist, die in die Geschichte mit sogenannten Scharfsinn lauter Apriorisches eintragen.[9] Die Philosophie geht zwar auch a priori zu Werke, insofern sie die Idee voraussetzt. Diese ist aber gewiß da; das ist die Überzeugung der Vernunft.

Der Gesichtspunkt der philosophischen Weltgeschichte ist also nicht einer von vielen allgemeinen Gesichtspunkten, abstrakt herausgehoben, so daß von den andern abgesehen würde. Ihr geistiges Prinzip ist die Totalität aller Gesichtspunkte. Sie betrachtet das konkrete, geistige Prinzip der Völker und seine Geschichte und beschäftigt sich nicht mit einzelnen Situationen, sondern mit einem allgemeinen Gedanken, der sich durch das Ganze hindurchzieht. Dies Allgemeine gehört nicht der zufälligen Erscheinung an; die Menge der Besonderheiten ist hier in eins zu fassen. Die Geschichte hat vor sich den konkretesten Gegenstand, der all verschiedenen Seiten der Existenz in sich zusammenfaßt; ihr Individuum ist der Weltgeist. Indem also die Philosophie sich mit der Geschichte beschäftigt, macht sie sich das zum Gegenstande, was der konkrete Gegenstand in seiner konkreten Gestalt ist, und betrachtet seine notwendige Entwickelung. Darum sind für sie das Erste nicht die Schicksale, Leidenschaften, die Energie der Völker, neben denen sich dann die Begebenheiten hervordrängen. Sondern der Geist der Begebenheiten, der sie hervortreibt, ist das Erste; er ist der Merkur, der Führer der Völker. Das Allgemeine, das die philosophische Weltgeschichte zum Gegenstande hat, ist demnach nicht als eine Seite, sie sei noch so wichtig, zu fassen, neben der auf der andern Seite andere Bestimmungen vorhanden wären. Sondern dies Allgemeine ist das unendlich Konkrete, das alles in sich faßt, das überall gegenwärtig ist, weil der Geist ewig bei sich ist, für das keine Vergangenheit ist, das immer dasselbe, in seiner Kraft und Gewalt bleibt.

Die Geschichte muß überhaupt mit dem Verstande betrachtet, Ursache und Wirkung müssen uns begreiflich gemacht werden. Das Wesentliche an der Weltgeschichte wollen wir auf diese Weise betrachten mit Übergehung des Unwesentlichen. Der Verstand hebt das Wichtige und an sich Bedeutende hervor. Das Wesentliche und Unwesentliche bestimmt er sich nach dem Zwecke, den er bei Behandlung der Geschichte verfolgt. Diese Zwecke können von der größten Mannigfaltigkeit sein. Sogleich beim Aufstellen eines Zweckes tun sich mehr Berücksichtigungen kund; es gibt da Haupt- und Nebenzwecke. Wenn wir dann das in der Geschichte Gegebene mit den Zwecken des Geistes vergleichen, so werden wir auf das alles verzichten, was sonst interessant ist, und an das Wesentliche uns halten. So bietet sich der Vernunft ein Inhalt dar, der nicht einfach auf derselben Linie steht mit dem, was sich überhaupt zugetragen hat, – Zwecke, die den Geist, das Gemüt wesentlich interessieren und schon bei der Lektüre uns zur Trauer, Bewunderung oder Freude hinziehen.

Aber die unterschiedlichen Weisen des Nachdenkens, der Gesichtspunkte, der Beurteilung auszuführen schon über bloße Wichtigkeit und Unwichtigkeit, welches die am nächsten liegenden Kategorien sind, über das, worauf wir unter dem unermeßlichen Material, das vor uns liegt, [das Hauptgewicht legen]. Gehört nicht hierher.

[Dagegen sind die Kategorien kurz anzugeben, in denen sich die Ansicht der Geschichte allgemein dem Gedanken darstellt.] Die erste Kategorie ergibt sich aus dem Anblick des Wechsels von Individuen, Völkern und Staaten, die eine Weile sind und unser Interesse auf sich ziehen und dann verschwinden. Es ist die Kategorie der Veränderung.

Wir sehen ein ungeheures Gemälde von Begebenheiten und Taten, von unendlichen mannigfalten Gestaltungen der Völker, Staaten, Individuen, in rastloser Aufeinanderfolge. Alles, was in das Gemüt des Menschen eintreten und ihn interessieren kann, alle Empfindungen des Guten, Schönen, Großen wird in Anspruch genommen, allenthalben werden Zwecke gefaßt, betrieben, die wir anerkennen, deren Ausführung wir wünschen; wir hoffen und fürchten für sie. In allen diesen Begebenheiten und Zufällen sehen wir menschliches Tun und Leiden obenauf, überall Unsriges und darum überall Neigung unsres Interesses dafür und dawider. Bald zieht uns Schönheit, Freiheit und Reichtum an, bald reizt Energie, wodurch selbst das Laster sich bedeutend zu machen weiß. Bald sehen wir die umfassendere Masse eines allgemeinen Interesses sich schwerer fortbewegen und, indem sie einer unendlichen Komplexion kleiner Verhältnisse preisgeben wird, zerstäuben, dann aus ungeheurem Aufgebot von Kräften Kleines hervorgebracht werden, aus unbedeutend Scheinendem Ungeheures hervorgehen, – überall das bunteste Gedränge, das uns in sein Interesse hineinzieht, und wenn das eine entflieht, tritt das andre sogleich an seine Stelle.

Die negative Seite an diesem Gedanken der Veränderung weckt unsere Trauer. Was uns niederdrücken kann, ist dies, daß die reichste Gestaltung, das schönste Leben in der Geschichte den Untergang finden, daß wir da unter Trümmern des Vortrefflichen wandeln. Von dem Edelsten, Schönsten, für das wir uns interessieren, reißt uns die Geschichte los: die Leidenschaften haben es zugrunde gerichtet; es ist vergänglich. Alles scheint zu vergehen, nichts zu bleiben. Jeder Reisende hat diese Melancholie empfunden. Wer hätte unter den Ruinen von Karthago, Palmyra, Persepolis, Rom gestanden, ohne zu Betrachtungen über die Vergänglichkeit der Reiche und Menschen, zur Trauer über ein ehemaliges, kraftvolles und reiches Leben veranlaßt zu werden ? – Zu einer Trauer, die nicht am Grabe lieber Menschen bei persönlichen Verlusten und der Vergänglichkeit der eigenen Zwecke verweilt, sondern uninteressierte Trauer ist über den Untergang glänzenden und gebildeten Menschenlebens.

[]

2. Die Einteilung der Weltgeschichte

Die Einteilung der Weltgeschichte bietet eine allgemeine Übersicht, die zugleich den Zweck hat, den Zusammenhang auch nach der Idee, nach der innern Notwendigkeit, als begriffen bemerklich zu machen.

In der geographischen Übersicht ist uns schon im allgemeinen der Zug angegeben worden, den die Weltgeschichte nimmt. Die Sonne geht im Morgenlande auf. Die Sonne ist Licht; und das Licht ist die allgemeine einfache Beziehung auf sich selbst und damit das in sich selbst Allgemeine. Dies in sich selbst allgemeine Licht ist in der Sonne ein Individuum, ein Subjekt. Man hat oft vorstellig gemacht, wie ein Mensch den Morgen abrechen, das Licht hervortreten und die Sonne in ihrer Majestät emporsteigen sehe. Solche Schilderung wird hervorheben das Entzücktsein, Anstaunen, unendliche Vergessen seiner selbst in dieser Klarheit. Doch wenn die Sonne einige Zeit heraufgestiegen, wird das Staunen gemäßigt werden, der Blick mehr auf die Natur und auf sich die Aufmerksamkeit zu richten genötigt sein; er wird so in seiner eigenen Helle sehen, zum Bewußtsein seiner selbst übergehen, aus der ersten staunenden Untätigkeit der Bewunderung weitergehen zur Tat, zum Bilden aus sich selbst. Um am Abend wird er ein Gebäude vollendet haben, eine innere Sonne, die Sonne seines Bewußtseins, die er durch seine Arbeit hervorgebracht hat; und diese wird er höher schätzen als die äußerliche Sonne und wird in seinem Gebäude sich dies erschaffen haben, zum Geist in dem Verhältnis zu stehen, in dem er zuerst zu der äußerlichen Sonne stand, vielmehr aber in einem freien Verhältnis: denn dieser zweite Gegenstand ist sein eigener Geist. Hierin liegt eigentlich enthalten der Gang der ganzen Weltgeschichte, der große Tage des Geistes, sein Tagewerk, das er in der Weltgeschichte vollbringt.

Die Weltgeschichte geht von Osten nach Westen; denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang. Für die Weltgeschichte ist ein Osten vorhanden, während der Osten für sich etwas ganz Relatives ist, denn obgleich die Erde eine Kugel bildet, so macht die Geschichte doch keinen Kreis um sie herum, sondern sie hat vielmehr einen bestimmten Osten, und das ist Asien. Hier geht die äußerliche physische Sonne auf, und im Westen geht sie unter: dafür steigt aber hier die innere Sonne des Selbstbewußtseins auf, die einen höhern Glanz verbreitet. Die Weltgeschichte ist die Zucht von der Unbändigkeit des natürlichen Willens zum Allgemeinen und zur subjektiven Freiheit.

Das, was in der Erscheinung unser Gegenstand als solcher ist, ist der Staat. Da er die allgemeine Idee, das allgemeine geistige Leben ist, zu dem die Individuen durch die Geburt sich mit Zutrauen und Gewohnheit verhalten, und in dem sie ihr Wesen und ihre Wirklichkeit, ihr Wissen und Wollen haben, sich darin Wert geben und sich dadurch erhalten, so kommt es auf zwei Grundbestimmungen an, erstens die allgemeine Substanz des Staates, den an sich gediegenen einen Geist, die absolute Macht, den selbständigen Geist des Volkes, und zweitens die Individualität als solche, die subjektive Freiheit. Der Unterschied ist, ob das wirkliche Leben der Individuen die reflexionslose Gewohnheit und Sitte jener Einheit ist, oder ob die Individuen reflektierende und persönliche, für sich seiende Subjekte sind. In dieser Beziehung ist es, daß die substanzielle Freiheit von der subjektiven Freiheit zu unterscheiden ist. Die substanzielle Freiheit ist die an sich Vernunft des Willens, welche sich dann im Staate entwickelt. Bei dieser Bestimmung der Vernunft ist aber noch nicht die eigene Einsicht und das eigene Wollen, d.h. die subjektive Freiheit vorhanden, welche erst in dem Individuum sich selbst bestimmt und das Reflektieren des Individuums in seinem Gewissen ausmacht. Bei der bloß substanziellen Freiheit sind die Gebote und Gesetze ein an und für sich Festes, wogegen sich die Subjekte in vollkommener Dienstbarkeit verhalten. Diese Gesetze brauchen nun dem eigenen Willen gar nicht zu entsprechen, und es befinden sich die Subjekte somit den Kindern gleich, die ohne eigenen Willen und ohne eigene Einsicht den Eltern gehorchen. Wie aber die subjektive Freiheit aufkommt und der Mensch aus der äußern Wirklichkeit in seinen Geist heruntersteigt, so tritt der Gegensatz der Reflexionen ein, welcher in sich die Negation der Wirklichkeit in seinen Geist heruntersteigt, so tritt der Gegensatz der Reflexionen ein, welcher in sich die Negation der Wirklichkeit enthält. Das Zurückziehen nämlich von der Gegenwart bildet schon in sich einen Gegensatz, dessen eine Seite Gott, das Göttliche, die andere aber das Subjekt als Besonderes ist. Es handelt sich in der Weltgeschichte um nichts als um das Verhältnis hervorzubringen, worin diese beiden Seiten in absoluter Einigkeit, wahrhafter Versöhnung sind, einer Versöhnung, in der das freie Subjekt nicht untergeht in der objektiven Weise des Geistes, sondern zu seinem selbständigen Rechte kommt, wo aber ebensosehr der absolute Geist, die objektive gediegene Einigkeit ihr absolutes Recht erlangt hat. Im unmittelbaren Bewußtsein des Orients ist beides ungetrennt. Das Substanzielle unterscheidet sich auch gegen das Einzelne, aber der Gegenstand ist noch nicht in den Geist gelegt.

Die erste Gestalt des Geistes ist daher die orientalische. Dieser Welt liegt das unmittelbare Bewußtsein, die substanzielle Geistigkeit zugrunde, das Wissen nicht mehr der besondern Willkür, sondern das Aufgehen der Sonne, das Wissen eines wesentlichen Willens, der für sich selbständig, unabhängig ist und zu dem sich die subjektive Willkür zunächst als Glaube, Zutrauen, Gehorsam verhält. Konkreter gefaßt, ist es das patriarchalische Verhältnis. In der Familie ist das Indviduum ein Ganzes und ist zugleich ein Moment jenes Ganzen, lebt darin in einem gemeinsamen Zweck, der zugleich als gemeinsamer seine eigentümliche Existenz hat und darin auch Gegenstand für das Bewußtsein der Individuen ist. Dies Bewußtsein ist vorhanden in dem Chef der Familie, der der Wille ist, das Wirken für den gemeinsamen Zweck, der für die Individuen sorgt, ihr Tun auf diesen Zweck richtet, sie erzieht und in der Angemessenheit des allgemeinen Zweckes erhält. Sie wissen und wollen nicht über diesen Zweck und über seine Präsenz in dem Chef und dessen Willen hinaus. Dies ist notwendig die erste Weise des Bewußtseins eines Volkes.

[]

Die zweite Gestalt könnte mit dem Jünglingsalter verglichen werden; sie umfaßt die griechische Welt. Charakteristisch an ihr ist, daß hier eine Menge von Staaten sich hervortun. Es ist das Reich der schönen Freiheit; die unmittelbare Sittlichkeit ist es, in der sich hier die Individualität entwickelt. Das Prinzip der Individualität geht hier auf, die subjektive Freiheit, aber eingebettet in die substanzielle Einheit. Das Sittliche ist wie in Asien Prinzip, aber es ist die Sittlichkeit, welche der Individualität eingeprägt ist und somit das freie Wollen der Individuen bedeutet. Die beiden Extreme der orientalischen Welt sind hier vereint: subjektive Freiheit und Substanzialität; das Reich der Freiheit ist vorhanden, nicht der ungebundenen, natürlichen, sondern der sittlichen Freiheit, die einen allgemeinen Zweck hat, nicht die Willkür, das Besondere, sondern den allgemeinen Zweck des Volkes selbst sich vorsetzt, ihn will, von ihm weiß. Aber es ist nur das Reich der schönen Freiheit, die mit dem substanziellem Zweck in natürlicher, unbefangener Einheit ist. Es ist die Vereinigung des Sittlichen und des subjektiven Willens so, daß die Idee mit einer plastischen Gestalt vereinigt ist: sie ist noch nicht abstrakt für sich auf der einen Seite, sondern unmittelbar mit dem Wirklichen verbunden, wie in einem schönen Kunstwerke das Sinnliche das Gepräge und den Ausdruck des Geistigen trägt. Es ist die unbefangene Sittlichkeit, noch nicht Moralität; sondern der individuelle Wille des Subjekts steht in der unmittelbaren Sitte und Gewohnheit des Rechten und der Gesetze. Das Individuum ist daher in unbefangener Einheit mit dem allgemeinen Zweck. Dieses Reich ist demnach wahre Harmonie, die Welt der anmutigsten, aber vergänglichen, schnell vorübereilenden Blüte, die heiterste, aber in sich unruhigste Gestalt, indem sie selbst durch die Reflexion ihre Gediegenheit verkehren muß; es ist, weil jene beiden Prinzipien nur in unmittelbarer Einheit sind, der höchste Widerspruch in sich selbst. Im Orient ist der Widerspruch an die Extreme verteilt, die in Konflikt miteinander kommen. In Griechenland sind sie vereint; aber so wie sie in Griechenland sich zeigt, kann ihre Vereinigung nicht bestehen. Denn die schöne Sittlichkeit ist nicht die wahrhafte, ist nicht aus dem Kampfe der subjektiven Freiheit herausgeboren, die sich wiedergeboren hätte, sondern ist die erste subjektive Freiheit und hat also noch den Charakter natürlicher Sittlichkeit, statt daß sie heraufgeboren wäre zu der höhern, reinern Gestalt allgemeiner Sittlichkeit. Diese Sittlichkeit wird so die Unruhe sein, die sich durch sich zerstreut; und die Reflexion dieser Extreme in sich wird den Untergang dieses Reiches herbeiführen. So folgt die Herausbildung einer weitern höhern Form, die die dritte Gestalt ausmacht. In der griechischen Welt ist die beginnende Innerlichkeit, die Reflexion überhaupt als ein Moment vorhanden; und das nächste ist, daß diese innere Reflexion, der Gedanke, die Wirksamkeit des Gedankens sich Luft macht, hervordringt und ein Reich eines allgemeinen Zweckes schafft.

Dies ist das Prinzip der dritten Gestalt: die Allgemeinheit, ein Zweck, der als solcher ist, aber in abstrakter Allgemeinheit; es ist die Gestalt des römischen Reichs. Ein Staat als solcher ist Zweck, der den Individuen voransteht, für den sie alles tun. Dies kann als das Mannesalter der Geschichte angesehen werden. Der Mann lebt weder in der Willkür des Herrn, noch in der eigenen schönen Willkür; sein ist die saure Arbeit, daß er im Dienste lebt und nicht in froher Freiheit seines Zweckes. Der Zweck ist ihm zwar ein Allgemeines, aber zugleich ein Starres, dem er sich widmen muß. Ein Staat, Gesetze, Verfassungen sind Zwecke, und solchen dient das Individuum: es geht in ihnen unter und erreicht seinen eigenen Zweck nur als in dem allgemeinen. (Ein solches Reich scheint für die Ewigkeit zu sein, besonders wenn es auch noch das Prinzip der subjektiven Befriedigung so wie in der Religion in sich trägt, wenn es heiliges römisches Reich wird. Dies ist aber vor zwei Jahrzehnten untergegangen.)

[]

Das Reich der sich wissenden Subjektivität ist Aufgang des wirklichen Geistes; damit tritt das vierte Reich ein, nach der natürlichen Seite das Greisenalter des Geistes. Das natürliche Greisenalter ist Schwäche; das Greisenalter des Geistes aber ist seine vollkommene Reife, in der er zur Einheit zurückgeht, aber als Geist. Der Geist als unendliche Kraft erhält die Momente der früheren Entwicklung in sich und erreicht dadurch seine Totalität.

Es ist also die Geistigkeit und die geistige Versöhnung, die aufgegangen ist; und diese geistige Versöhnung ist das Prinzip der vierten Gestalt. Der Geist ist zu dem Bewußtsein gekommen, daß der Geist das Wahrhafte ist. Der Geist ist hier für den Gedanken. Diese vierte Gestalt ist notwendig selbst gedoppelt: der Geist als Bewußtsein einer innerlichen Welt, der Geist, der gewußt wird als das Wesen, als das Bewußtsein des Höchsten durch den Gedanken, das Wollen des Geistes ist einerseits selbst wieder abstrakt und beharrend in der Abstraktion des Geistigen. Insofern das Bewußtsein so beharrt, so ist die Weltlichkeit wieder sich selbst, der Roheit, Wildheit überlassen, neben der die vollkommene Gleichgültigkeit gegen die Weltlichkeit einhergeht; sie ist damit verbunden, daß es nicht zu einer vernünftigen Organisation im Bewußtsein kommt. Dies macht die mohammedanische Welt aus, die höchste Verklärung des orientalischen Prinzips, die höchste Anschauung des Einen. Sie ist zwar spätern Ursprungs als das Christentum; aber daß diese eine Weltgestalt wurde, ist die Arbeit langer Jahrhunderte gewesen und erst duch Karl den Großen vollbracht worden. Daß dagegen der Mohammedanismus Weltreich wurde, ist wegen der Abstraktion des Prinzips schnell gegangen; es ist ein früheres Weltregiment als das christliche.

Die zweite Gestalt dieser geistigen Welt ist dann eben darin vorhanden, daß sich das Prinzip des Geistes konkret zu einer Welt gebildet hat. Es ist das Bewußtsein, Wollen der Subjektivität als einer göttlichen Persönlichkeit, das in der Welt zunächst in einem einzelnen Subjekt erscheint. Aber es ist zu einem Reiche des wirklichen Geistes ausgebildet worden. Diese Gestalt kann als die germanische Welt bezeichnet, die Nationen, denen der Weltgeist dies sein wahrhaftes Prinzip aufgetragen hat, können germanische genannt werden. Das Reich des wirklichen Geistes hat das Prinzip der absoluten Versöhnung der für sich seienden Subjektivität mit der an und für sich seienden Gottheit, mit dem Wahren, Substanziellen, daß das Subjekt frei für sich ist und nur insofern frei, als es selbst dem Allgemeinen angemessen ist, im Wesen steht: das Reich der konkreten Freiheit.

Von jetzt an wird weltliches und geistliches Reich sich gegenüberstehen. Das Prinzip des Geistes, der für sich ist, ist in seiner Eigentümlichkeit Freiheit, einerseits Subjektivität. Das eigene Gemüt will bei dem sein, wofür es Respekt haben soll. Dies eigene Gemüt aber soll kein zufälliges sein, sondern das Gemüt nach seinem Wesen, nach seiner geistigen Wahrheit. Dies offenbart uns Christus in seiner Religion; seine eigene Wahrheit, die die des Gemüts ist, ist, die Versöhnung an und für sich vollbracht. Weil sie aber erst in sich vollbracht ist, so beginnt wegen ihrer Unmittelbarkeit diese Stufe mit einem Gegensatz.

Zwar beginnt sie geschichtlich mit der im Christentume geschehenen Versöhnung; aber weil diese selbst erst beginnt, für das Bewußtsein nur an sich vollbracht ist, zeigt sich zuerst der ungeheuerste Gegensatz, der dann aber als Unrecht und als aufzuheben erscheint. Es ist der Gegensatz des geistigen, religiösen Prinzips, dem das weltliche Reich gegenübersteht. Das weltliche Reich ist aber nicht mehr das vorherige, sondern das christliche, das daher der Wahrheit angemessen sein müßte. Das geistige Reich aber muß auch dahin kommen, anzuerkennen, daß das Geistige im Weltlichen realisiert sei. Insofern beide unmittelbar sind, hat aber das weltliche Reich die willkürliche Subjektivität noch nicht abgestreift, ebenso andererseits das geistliche noch nicht das weltliche anerkannt; so stehen beide im Kampf. Der Fortgang ist deswegen nicht ruhige, widerstandslose Entwickelung; der Geist geht nicht ruhig zu seiner Verwirklichung fort. Sondern die Geschichte ist diese, daß beide Seiten ihre Einseitigkeit, diese unwahrhafte Form, abtun. Auf der einen Seite ist die hohle Wirklichkeit, die dem Geist angemessen sein soll, aber noch nicht angemessen ist; deshalb muß sie untegehen. Auf der andern Seite ist das geistige Reich zunächst ein geistliches, das sich in die äußere Weltlichkeit versenkt; und wie die weltliche Macht äußerlich unterdrückt wird, so verdirbt die geistliche. Dies macht den Standpunkt der Barbarei aus.

Die Versöhnung ist, wie schon bemerkt worden, zunächst an sich vollbracht, aber damit muß sie auch für sich vollbracht werden. Deswegen muß das Prinzip mit dem ungeheuersten Gegensatz anfangen; weil die Versöhnung absolut ist, muß es der abstrakteste Gegensatz sein. Dieser Gegensatz hat zu einer Seite, wie wir gesehen haben, das geistige Prinzip zunächst als geistliches, auf der andern Seite die rohe, wilde Weltlichkeit. Die erste Geschichte ist die Feindschaft beider, die zugleich zusammengebunden sind, so daß das geistliche Prinzip von der Weltlichkeit anerkannt und diese dennoch ihm nicht angemessen ist, während sie doch eingestandenermaßen ihm angemessen sein soll. Die zunächst geistverlassene Weltlichkeit wird von der geistlichen Macht unterdrückt; und die erste Form der Obrigkeit des geistigen Reiches ist so, daß es selbst in die Weltlichkeit übergeht, damit seine geistige Bestimmung, aber nun auch seine Macht verliert. Aus dem Verderben beider Seiten geht dann das Verschwinden der Barbarei hervor, und der Geist findet die höhere Form, die allgemein seiner würdig ist, die Vernünftigkeit, die Form des vernünftigen, des freien Gedankens. Der in sich zurückgedrängte Geist faßt sein Prinzip und produziert es in sich in seiner freien Form, in der Form des Gedankens, in denkender Gestalt, und so ist er dann fähig, mit der äußerlichen Wirklichkeit überhaupt zusammenzugehen, in dieser sich zu insinuieren und aus der Weltlichkeit heraus das Prinzip des Vernünftigen zu realisieren.

Das geistige Prinzip kann nur, indem es seine objektive Form, die denkende, gewonnen hat, über die äußerliche Wirklichkeit wahrhaft übergreifen; nur so kann der Zweck des Geistigen an dem Weltlichen realisiert werden. Es ist die Form des Gedankens, was die gründliche Versöhnung zustande bringt: die Tiefe des Gedankens ist die Versöhnerin. Diese Tiefe des Gedankens wird dann in der Weltlichkeit zum Vorschein kommen, weil diese die einzelne Subjektivität der Erscheinung zu ihrem Felde hat, in dieser Subjektivität aber das Wissen hervorgeht, und die Erscheinung in die Existenz fällt. So ist also das Prinzip der Versöhnung von Kirche und Staat aufgetreten, in dem die Geistlichkeit in der Weltlichkeit ihren Begriff und ihre Vernünftigkeit hat und findet. So verschwindet der Gegensatz von Kirche und sogenanntem Staat; dieser steht der Kirche nicht mehr nach und ist ihr nicht mehr untergeordnet, und die Kirche behält kein Vorrecht; das Geistige ist dem Staate nicht mehr fremd. Die Freiheit hat die Handhabe gefunden, ihren Begriff wie ihre Wahrheit zu realisieren. So ist es geschehen, daß durch die Wirksamkeit des Gedankens, allgemeiner Gedankenbestimmungen, die dieses konkrete Prinzip, die Natur des Geistes, zu ihrer Substanz haben, das Reich der Wirklichkeit, dieser konkrete Gedanke, der substanziellen Wahrheit gemäß herausgebildet worden ist. Die Freiheit findet in der Wirklichkeit ihren Begriff und hat die Weltlichkeit zu einem objektiven System eines in sich organisch gewordenen Dieses ausgebildet. Der Gang dieser Überwindung macht das Interesse der Geschichte aus, und der Punkt des Fürsichseins der Versöhnung ist dann im Wissen: hier ist die Wirklichkeit umgebildet und rekonstruiert. Dies ist das Ziel der Weltgeschichte, daß der Geist sich zu einer Natur, einer Welt ausbilde, die ihm angemessen ist, so daß das Subjekt seinen Begriff von Geist in dieser zweiten Natur, in dieser durch den Begriff des Geistes erzeugten Wirklichkeit findet und in dieser Objektivität das Bewußtsein seiner subjektiven Freiheit und Vernünftigkeit hat. Das ist der Fortschritt der Idee überhaupt; und dieser Standpunkt muß für uns in der Geschichte das Letzte sein. Das Nähere, daß es überhaupt vollführt ist, das ist die Geschichte; daß noch Arbeit vorhanden ist, gehört der empirischen Seite an. Wir haben in der Betrachtung der Weltgeschichte den langen Weg zu machen, der eben übersichtlich angegeben ist und auf dem sie ihr Ziel realisiert. Doch Länge der Zeit ist etwas durchaus Relatives, und der Geist gehört der Ewigkeit an. Eine eigentliche Länge gibt es für ihn nicht. Dies ist die fernere Arbeit, daß dieses Prinzip sich entwickle, sich ausbilde, daß der Geist zu seiner Wirklichkeit komme, zum Bewußtsein seiner in der Wirklichkeit.

[]

Anmerkungen

[1] Ms. st. d.: richtige Verhältnis stellen.
[2] Am Rande: Jede neue Vorrede einer Geschichte – und dann wieder die Einleitungen in den Rezensionen einer solcher Geschichte [bringen eine] neue Theorie.
[3] Am Rande: α) allg. Begriff, β) bestimmt, γ) Art der Entwicklung.
[4] Am Rande: α) Vernunft.
[5] Am Rande: β) Glaube – Übersicht, Bes.
[6] Am Rande: γ) historisch verfahren.
[7] Am Rande: δ) Treu auffassen
[8] Ms. st. d.: Denken und
[9] z.B. Niebuhr, seine Priesterregierung in der Römischen Geschichte, so auch [Karl Ottfried] Müller in seiner „Doriern“ [2. Bde. 1824].

Quelle: Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, herausgegeben von Johannes Hoffmeister. Fünfte, abermals verbesserte Aufgabe. Hamburg: Verlag von Felix Meiner, 1955, S. 25–35, 242–44, 249–51, 253–57. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Felix Meiner Verlags, Hamburg.