Kurzbeschreibung

Joseph von Hammer (1774–1856, ab 1835 Joseph von Hammer-Purgstall) war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der wichtigsten Orientalisten in Europa. Er studierte in Wien orientalische Sprachen, bevor er 1799 in den diplomatischen Dienst der Habsburgermonarchie eintrat und als Übersetzer nach Istanbul ging. Der Verfasser zahlreicher Werke über die Literatur und Geschichte des Vorderen Orients und der islamischen Welt war auch ein überaus produktiver Übersetzer und übertrug vor allem Werke aus dem Arabischen, Persischen und Türkischen ins Deutsche, aber zum Beispiel auch Mark Aurel ins Persische. Besonders berühmt wurde Hammers Übersetzung des Diwan des persischen Dichters Hafis aus dem 14. Jahrhundert (1812–1813), weil sie Goethe als Inspirationsquelle für seinen späten lyrischen Zyklus West-östlicher Divan (1819) diente. Anerkennung erwarb Hammer sich auch als einer der ersten europäischen Historiker des Osmanischen Reiches, der sich für seine erzählenden Darstellungen auf handschriftliche Quellen und staatliche Archivalien stützte. In den folgenden Passagen aus dem neunten und letzten Band seiner Geschichte des Osmanischen Reiches, grossentheils aus bisher unbenützten Handschriften und Archiven stellt Hammer Überlegungen zum Wesen der Geschichtsschreibung und den Problemen der Erforschung der zeitgenössischen Geschichte an. Außerdem äußert er seine Meinungen über türkische und islamische Regierungsführung sowie über das politische Denken und die Kultur in der Region. Hammer liefert eine ausgewogene Beurteilung der Leistungen des Osmanischen Reiches. Dabei bemüht er zwar das eine oder andere Stereotyp über die Türken und den Islam, zeichnet aber andererseits ein differenziertes Bild vor allem der säkularen Dimensionen der osmanischen Politik und Kultur.

Joseph von Hammer, Geschichte des Osmanischen Reiches, Band 9 (1833)

Quelle

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Schlussrede.

Den Lesern, welche fragen dürften, warum diese Geschichte schon mit dem Frieden von Kainardsche ende, warum dieselbe, wenn nicht bis auf den Friedensschluss von Adrianopel, doch wenigstens bis auf den von Sistow oder Jassy, warum dieselbe, wenn nicht bis auf den griechischen Volksaufstand und die Janitscharenvertilgung, doch wenigstens bis auf die neuen Einrichtungen unter S. Selim’s III. Regierung heruntergeführt worden, gebührt die folgende Antwort und Rechenschaft, welche dieses lange und mühevolle Werk, Gott sey Dank! endlich beschliesst. Derselbe Beweggrund, welcher dem Verfasser dreyssig Jahre lang verwehret, die Schreibung dieser Geschichte zu beginnen, verbiethet ihm, dieselbe auch nur dreyssig Jahre, d. i. bis zum ägyptischen Feldzuge, den er doch selbst mitgemacht, weiter zu führen, und dieselbe Ursache, welche ihn bewogen, die Feder so spät zu ergreifen, bestimmet ihn auch hauptsächlich, dieselbe so früh niederzulegen, nämlich: Mangel des vollständigen Zusammenflusses aller nöthigen Quellen, und besonders der einheimischen. Wenn es ihm früher gelungen, die bis dahin in Europa vorhandene bibliographische Kenntniss von etwa zwanzig einheimischen Quellen osmanischer Geschichte auf zweyhundert zu erweitern, und sich diese mit grossem Aufwande von Zeit und Geld zu verschaffen: so sind im Gegentheile seine vieljährigen unablässigen, mit jeder türkischen Post erneuten Bemühungen, sich die ihm wohl bekannte Folge der osmanischen Reichsgeschichtschreiber und anderer Quellen, von der Regierung S. Abdulhamid’s an bis zu der S. Mahmud’s II., vollständig anzueignen, ohne Erfolg geblieben. Einzelne derselben, welche anzukaufen geglückt, haben nur dazu gedient, den Mangel der anderen desto fühlbarer zu machen, und allenfalls, durch den Gegensatz des Späteren mit dem Früheren, dieses besser zu beleuchten. Die Fortsetzung dieser Geschichte hätte also, in Vergleich mit den vorhergehenden zwey und siebzig Büchern derselben, und in Bezug auf die Benützung der Urquellen, nur höchst mangelhaft gerathen können, und gerathener war es, von der Tafel die Hand abzuziehen, als noch mehrere Bücher zu schreiben, welche durch die Natur der Dinge minder vollständig und auch minder unparteyisch. Die politischen Verwicklungen und Ränke russischer Minister unmittelbar nach dem Frieden von Kainardsche, die Begebenheiten des österreichischen Türkenkrieges hätten schwer besiegbare Schwierigkeiten dargebothen; halbe Wahrheit, leise Andeutungen, scheue Winke, die nur dem schon Halbunterrichteten verständlich, mildernde Ausdrücke, wie dieselben von politischen Tagesblättern gefordert und zu Tage gefördert werden, erschienen dem Verfasser von jeher historischen Kieles unwürdig; aber auch ohne Erwägung solcher, durch besondere Lage und Verhältnisse bedingter Hindernisse vollständiger und freyer historischer Geschichtschreibung bleibt wünschenswerthe Vollständigkeit und Unparteylichkeit jedem, der die Begebenheiten seiner eigenen Zeit schreibt, unerreichbar. Die Quellen der Zeitgeschichte fliessen, wie die der Erde, lang unter derselben verborgen, ehe sie ans Licht brechen; die auf dieselben gesetzten Wünschelruthen schlagen nicht immer an, und der Blick ins Freye beirren Heerrauch und politische Wasserspiegelung. Xenophon und Cäsar, Thucydides und Tacitus haben zwar die Geschichte ihrer Zeit, wovon ihr Leben selbst ein grosser Bestandtheil, der Nachwelt überliefert; aber zur richtigen Würdigung ihrer Wahrheit fehlen uns die Erzählungen persischer Reichshistoriographen, die Ueberlieferungen brittischer Barden und gallischer Druiden. Mit Wahrnehmung obiger Schwierigkeiten haben die drey grossen englischen Geschichtschreiber und Joannes v. Müller den Stoff ihrer Geschichten in der Vorzeit gewählt, und Karamsin hat die seinige nur bis auf den Beginn des regierenden Herrscherhauses geführt. Wer Hebel oder Zeuge merkwürdiger Begebenheiten gewesen, mag dieselben als Denkwürdigkeiten aufzeichnen; aus denselben unparteyische Geschichte zu schreiben, bleibe den Nachkommen vorbehalten. Von dieser Ansicht geleitet, konnte der Verfasser, auch ohne das unbesiegbare Hinderniss der vollständigen Herbeyschaffung der Quellen, seine Geschichte nicht füglicher schliessen, als mit der für das osmanische Reich so entscheidenden Epoche des Friedens von Kainardsche, welche in das Jahr seiner Geburt fällt.

Ausserdem, dass die Urquellen osmanischer Reichsgeschichte von dem Frieden von Kainardsche an, womit die bisher in Druck erschienene Folge derselben schliesst, noch nicht alle zugänglich, fliessen von dieser Epoche an auch die bisher so reich strömenden der Archive minder ergiebig; nicht weil die venezianischen und österreichischen Gesandtschaftsberichte minder zur Benützung offen, als die der früheren Zeit, sondern aus anderer Doppelursache: erstens schwindet der Gehalt der venezianischen in dem Masse, als die Macht Venedig’s selbst sank, und die Bailo nicht mehr die wirksamen Agenten einer thatkräftigen, machtrüstigen, in Krieg und Frieden entscheidend eingreifenden Gränzmacht erster Größe, sondern nur die ruhigen Zuschauer der in den Lagunen des Aristokratismus versumpfenden Republik; zweytens erschlafften nach dem Frieden von Kainarsche, oder vielmehr schon seit dem Congresse von Fokschan, die Bande des innigsten Einverständnisses zwischen Oesterreich und Russland, welche seit dem mit Peter dem Grossen eingegangenen heiligen Bunde, und noch mehr seit dem i. J. 1726 abgeschlossenen, und zwanzig Jahre später erneuten Schutz- und Trutzbündnisse durch der beyden Höfe an der Pforte gemeinsames Interesse, auch gemeinsame Schritte und unverhohlene Mittheilung der wichtigsten Ereignisse veranlasst hatten. Diese politische Innigkeit war nur durch kurze Zeit, während der Regierung Peter’s II. unterbrochen, dann wieder bey Annäherung des russischen Türkenkrieges vom J. 1768 erneuert, und durch die Theilung Pohlen’s befestiget worden; in dem zwischen dem Frieden von Kainardsche und Adrianopel liegenden halben Jahrhunderte aber, dessen Begebenheiten den nächsten Zeitraum der osmanischen Geschichte füllen, dauerte die innigste Verbindung beyder Mächte durch gemeinsames Interesse nur während des gemeinsam geführten türkischen und französischen Krieges fort. Um die osmanische Geschichte des letztverflossenen halben Jahrhundertes mit gleicher Kenntniss der an der Pforte vorgefallenen wichtigsten Ereignisse und diplomatischen Verhandlungen zu beschreiben, müssten dem Fortsetzer dieser Geschichte, nicht minder als die österreichischen, die russischen Archive geöffnet seyn, indem nur aus diesen manches Dunkel der neuesten osmanischen Geschichte aufgehellt werden kann. Bis zum heiligen Bunde vor dem Carlowiczer Frieden waren Oesterreich und Venedig die beyden ersten Vorfechter des Christenthumes wider den Islam, und Pohlen und Russland, wiewohl auch Gränzmächte, waren von minderem Einflusse; im Laufe des achtzehnten Jahrhundertes trat Pohlen in demselben Verhältnisse in den Hintergrund, in welchem Russland vortrat und das osmanische Reich sank. Die erste Theilung des ersten mag als Vorläuferinn der letzten Theilung des letzten betrachtet werden. Vom Frieden von Kainardsche an bis auf den von Adrianopel, war Russland Stimmangeberinn der diplomatischen Verhandlungen an der Pforte, die Herbeyführerinn von Krieg und Frieden, die Schlichterinn der wichtigsten Geschäfte des Reiches; Frankreich und England sind, den ägyptischen Krieg und die Durchfahrt der Dardanellen abgerechnet, so wie früher Holland und später Preussen, immer nur vermittelnd und für Momente wirksam eingeschritten; Oesterreich hat sich auf die Erhaltung des wiederhergestellten Friedens und freundschaftlichen Rath beschränkt; Russland allein ist, seit dem Frieden von Kainardsche bis auf den von Adrianopel, im osmanischen Reiche mit dictatorischem Fusse aufgetreten, und nur aus den osmanischen Reichsgeschichten und aus russischen Archiven mag künftighin die osmanische Geschichte des Zeitraums des eben verflossenen halben Jahrhundertes, vom Frieden von Kainardsche bis auf den von Adrianopel, eben so vollständig geschrieben werden, als die der früheren Zeiträume, vom Carlowiczer Frieden bis auf den von Belgrad, und von diesem bis auf den von Kainardsche, in dieser Geschichte beschrieben worden ist.

Nach dieser, wie zu hoffen steht, genügenden Rechenschaft über das Aufhören mit dem Frieden von Kainardsche, sey ein Rückblick auf den Geist und Gehalt des nun beschlossenen Geschichtswerkes gegönnt. Die Arten der Geschichtschreibung sind eben so mannigfaltig, als die Gesichtspuncte, aus welchen der innere Zusammenhang merkwürdiger Weltbegebenheiten betrachtet werden kann, und es wäre eine thörichte Mühe, den an verschiedene Arten der Geschichtsschreibung gestellten Forderungen in Einem Werke zugleich entsprechen zu wollen. Anderes hat ein Lesebuch und kurzer Ueberblick, Anderes hat eine ausführliche Geschichte zu leisten, ein Anderes sind philosophische Betrachtungen über die Geschichte, und ein Anderes die pragmatische Darstellung derselben. Das vorgesteckte Ziel war, eine ausführliche pragmatische Geschichte des osmanischen Reiches aus den vordem noch unbenützten Urquellen der Reichsgeschichten und diplomatischen Archiven zu liefern, und dieses Ziel glaubt der Verfasser erreicht zu haben, wie vor ihm kein anderer Schreiber osmanischer Geschichte.

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Der Nahme Türke ist ein Schimpfnahme, sowohl im Munde des Europäers, als des Osmanen, und, beym Lichte besehen, aus demselben Grunde. Dem Osmanen ist der Türke der ungeschlachte, aller Cultur und Sittigung fremd gebliebene Sohn der Steppe, dem Europäer der in seinen Reichs- und Glaubensformen eingerostete, asiatische Barbar. Der Osmane schilt den rohen Turkmanen, der Europäer den Osmanen Türke. In diesem Sinne leidet der Nahme Türke noch weitere Ausdehnung, von dem Bosporos bis an die gaditanische Meerenge. Wenn das osmanische Reich schon längst kein eroberndes mehr, schon längst in die Gränzen der Donau und des Kubans im Norden, des ägyptischen Gestades im Süden, des Euphrats und Tigris im Osten gebannt ist, so ist der Grund kein anderer, als weil dasselbe nicht fortgeschritten, sondern stehen geblieben, wie der lebendige Strom, wenn er zu fliessen aufhört, zum Sumpf wird, mit einem Worte, weil die Türken Türken.

Die Aeusserung, dass die Türken Türken, soll uns jedoch zu keinem ungerechten Urtheile über den Charakter des Volkes verleiten, welchem im osmanischen Reiche weniger als irgend wo anders das Verderbniss der Regierung angeschuldiget werden darf; eben so wenig zu einem unbilligen Urtheile über die Regierung selbst, so lange dieselbe die alte Reichsverfassung noch in voller Kraft aufrecht zu erhalten im Stande war. Um den Türken aus historischem Gesichtspuncte billig zu beurtheilen, vergesse man ja nicht, dass er die Fesseln des Islams trägt, welcher, dem Geiste seiner Satzungen nach, die unduldsamste aller Religionen, nach Weltherrschaft, und folglich nach steter Eroberung strebt.[1] Die Fetwa des cyprischen und persischen Krieges erklären laut die Rechtmässigkeit des Friedensbruches, sobald derselbe vortheilhaft. Vier Jahrhunderte lang gewährten die Osmanen den Ungläubigen bloss Capitulation und keinen beständigen Frieden, und die Verewigung desselben fand so vielen Widerspruch, weil sie ausdrücklich wider den Sinn des Gesetzes. Aus diesem Gesichtspuncte betrachtet, haben die Osmanen, durch die erste Einrichtung stehender Heere, durch vervollkommnete Kriegszucht, und vorzüglich durch die Knabenlese der Janitscharen-Recruten, in verfeinerter aber unmenschlicher Staatskunst islamitischen Despotismus bey weitem die Perser und selbst die Araber übertroffen, denen ihr Montesquien, Ibn Chaldun, mit Recht die Unstätigkeit ihrer Staatseinrichtungen vorwirft. Das Steuerruder der Regierung führten selten eingeborne Türken, meistens ursprüngliche Christenknaben, Griechen, Illyrier, Albaneser, Servier, Croaten, auch Ungarn und Deutsche, durch die Knabenlese zu Recruten und Pagen, zu blinden Werkzeugen der Herrschaft auserwählt, mit Entfernung von allen Banden des Blutes und des Glaubens der Väter. Unter Suleiman Kanuni blühte die Herrschaft des Gesetzes und auch die Macht des Reiches. Die Regierungskunst nennt der Türke, Perser und Araber Riaset[2], d. i. die Schiffsleitung, von dem natürlichen Bilde der Führung des Staatsruders durch die Wogen des Volkes und der Zeit, aber dieselbe erscheint diesen drey Völkern unvollständig, ohne die Handhabung nothwendiger Strenge, welche Siaset heisst, nach dem von der Führung des Pferdes hergenommenen arabischen Worte[3]. Mittel und Ziel dieser Doppelkunst, das Staatsschiff sicher zu lenken, und den Volksgaul straff am Zaume zu halten, ist die Beobachtung des Gesetzes, so dass auch hier, wie in jedem wohlgeordneten Staate, der höchste Zweck desselben, der Sieg des Rechtes, erreichbar ist. Der Begriff politischer Freyheit fehlt dem Vorder-Asiaten, er kennt nur die bürgerliche des Freygelassenen oder Freygeborenen Sclaven; der Perser kannte die religiose Freyheit der Lehre Serduscht’s, deren Symbol die freye Cypresse und die freye Lilie; der Araber kennt nur die Freyheit des Beduinen, d. i. des rohen Naturzustandes des Wilden, dessen Hand gegen Jedermann, und Jedermanns Hand gegen ihn; der Osmane, als er in der Hälfte des achtzehnten Jahrhundertes sich mit der Freyheit der Pohlen und der Unabhängigkeit der Tataren der Krim bekannt machen musste, fand dafür kein anderes Wort, als das der Kopfgebundenheit[4], weil dem Sclaven das Recht untersagt ist, den Kopf zu umwinden, wie schon bey den Römern nur der Freye den Hut tragen durfte. Nicht so fremd sind dem Osmanen die Begriffe der Humanität und des Gemeinwesens; das Wort Republic findet sich sogar in dem stehenden Amtstitel der Wesire. Die musterhafteste von allen osmanischen Staatseinrichtungen ist ganz gewiss die von S. Mohammed II. gegründete, von S. Suleiman I. vervollkommnete Hierarchie der Ulema, dieser aristokratischen Innung des Lehrfaches und des Richteramtes, welche, eine Art von gesetzgebendem Körper, den Herdschaften der Truppen das Gleichgewicht, und selbst den Despotismus im Zaume hielt; kein Erbadel, aber eine Kammer des Verdienstadels der Wissenschaft des Gesetzes, eine Aristokratie von Gottes- und Rechtsgelehrten, von Richtern und Professoren, deren Stätigkeit hauptsächlich das Schiff des Staates aus so vielen Stürmen des Despotismus und der Anarchie, welche dasselbe zu verschlingen gedroht, gerettet. Die Professoren in der Türkey sind besser besoldet und höher geachtet als in Deutschland und in anderen Ländern, England und Frankreich ausgenommen. Wiewohl die einträglichen Stellen der Muderris und Richter, des Hofarztes und Hofastronomen, welche zu den Würden der Oberstlandrichter und zur höchsten, des Mufti, führen, nur auf die beyden Zweige der Gesetzwissenschaften, die Theologie und Jurisprudenz, beschränkt sind, in welchen eine Legion von Ulema Nahmhaftes geleistet, so wurde durch diese ernsten Brotstudien doch die Entwickelung höherer Bildung mittelst ethischer, historischer, philologischer, medizinischer und mathematischer Studien, und mittelst der schönen, durch das Gesetz erlaubten Künste, nämlich: Poesie, Tonkunst, Redekunst, Baukunst und Schönschreibekunst nicht verhindert, sondern befördert; nur Mahlerey und Bildhauerey gingen, als verbothene, leer aus, dafür blühten von mechanischen Künsten so viele, deren Stoffe und Farben der Neid und Wettpreis des Abendlandes: die mannigfarbigsten seidenen Stoffe von Haleb, die Sammtkissen von Brusa, die Shallons von Angora, die weissen Zottenmäntel der Barbarey, und die schwarzen Schiffskapote von Smyrna, die Damascener, das rothe Wollengespinnst, die Seife und das Rosenöhl von Adrianopel, die Hemden des Archipels (die vormahligen koischen Gewänder), die zottigen Handtücher und Badeschürzen, die gestickten Hand- und Kopftücher, die nachgeahmten Shawle von Bagdad, die Arbeiten der Golddrahtzieher und Siegelstecher von Constantinopel u. s. w.; die Musik des türkischen Heeres haben alle europäischen, so wie von den türkischen Belagerungen die Minentrommel und Minenschläuche aufgenommen. Die Meisterstücke osmanischer Baukunst (die Baumeister waren aber meistens Griechen) erstaunen den Europäer in den Moscheen Constantinopel’s und Adrianopel’s, am Ufer des Bosporos und des Dschemna. In der Schönschreibekunst, vorzüglich in Taalik, dem unstreitig schönsten, genialsten und zartesten aller abendländischen und morgenländischen Schriftzüge, wetteiferten die Osmanen mit den Persern, den ersten Meistern desselben; das Humajunname, d. i. die berühmte Uebersetzung der sogenannten Fabeln Bidpai’s, übertrifft an rednerischem Glanze und Schmucke bey weitem das arabische und persische Vorbild, ein wahres Musterwerk orientalischer Redekunst in glühender Farbenpracht; noch Grösseres leistete ihre Poesie.

[…]

Anmerkungen

[1] Sehr wahr sagt der als Staatsmann und Schriftsteller gleich um den brittischen Orient verdiente Raffles: The merit and plundering the infidels, an abominable tenet, which has tended more then all the rest of the Aleoran to the propagation of this robber religion. Memoir of the life and public services of Sir Thomas Stanford Raffles. London 1830, p. 78; so auch Mackintosh in seiner Geschichte: The avowed principle of all Mahometans that they are intitled to universal monarchy p. 123.
[2] Reis, d.i. das Haupt, heisst insgemein der Schiffscapitän.
[3] Seis, der Stallknecht.
[4] Serbestijet.

Quelle: Joseph von Hammer, Geschichte des Osmanischen Reiches, grossentheils aus bisher unbenützten Handschriften und Archiven. Neunter Band. Schlussrede und Übersichten I-X. Pest: C.A. Hartleben, 1833, S. V–XLIII.

Joseph von Hammer, Geschichte des Osmanischen Reiches, Band 9 (1833), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/vom-vormaerz-bis-zur-preussischen-vorherrschaft-1815-1866/ghdi:document-5024> [22.04.2024].