Kurzbeschreibung

Der Wissenschaftler und Geograf Alexander von Humboldt (1769–1859) ist vor allem durch die Forschungsreisen berühmt, die er zwischen 1799 und 1804 nach Süd- und Mittelamerika unternahm. Im späteren Verlauf seiner Karriere folgte er der Einladung des russischen Zaren Nikolaus I. zu einer Expedition nach Sibirien und Mittelasien, von der das Russische Reich ebenso profitierte wie die Wissenschaft. Nachdem Humboldt Lateinamerika gemeinsam mit dem französischen Botaniker Aimé Bonpland bereist hatte, wurde er auf seiner Expedition nach Sibirien von zwei preußischen Universitätsprofessoren begleitet: dem Mineralogen Gustav Rose und dem bekannten Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg. Humboldts Korrespondenzpartner in dem Briefwechsel, der hier in Auszügen präsentiert wird, war der russische Finanzminister und Salinendirektor Graf Georg von Cancrin (1774–1845). Dieser war selbst ein Beispiel für einen Deutsch-Europäer mit grenzüberschreitender Biografie, da er einer hessischen Adelsfamilie entstammte, später jedoch in Diensten der Regierung des Russischen Reiches Karriere machte. Ihr Austausch berührt wissenschaftlich und politisch interessante Fragen: Welche Erkenntnisse wollten Humboldt und die russische Regierung gewinnen? Wie weit hätte Humboldt mit sozialkritischen Kommentaren zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in Russland gehen dürfen? Auch die zwischenmenschliche Dynamik, die sich in den Briefen entfaltet, ist faszinierend: Humboldt zeigt seine Anerkennung für die Stellung des Grafen und der Gräfin von Cancrin und für ihre Protektion, während diese dem berühmten Reisenden für seine Prominenz Respekt zollen. Der Briefwechsel zwischen Humboldt und Cancrin entstand zwischen 1827 und 1832; die hier ausgewählten Briefe datieren von 1829. Die Korrespondenz der beiden wurde später zusammengetragen und 1869 publiziert – zehn Jahre nach Humboldts und 25 Jahre nach Cancrins Tod.

Alexander von Humboldt, Auszüge aus den Briefen von seiner Reise nach Sibirien, Im Ural und Altei (1829)

Quelle

I. Humboldt an Cancrin
Katharinenburg, 5/17. Juli 1829.

Ew. Excellenz

eile ich von unserer, auf morgen bevorstehenden Abreise von Katharinenburg nach Tobolsk, wie von unserer glüklich beendigten Untersuchung des nördlichen Theils des Urals ganz gehorsamst Nachricht zu geben.—Es ist nun ein voller Monath seitdem wir in diesem schönen Gebirge sind und ich kann versichern, daß wir für alle Beschwerden, welche auch bei den trefflichsten Anstalten und der rühmlichsten Zuvorkommenheit aller Behörden, in diesen oft unwegsamen, morastigen Waldgegenden nicht ganz zu vermeiden sind, durch den Anblick des industrieusen Gewerbes und der großen Mannichfaltigkeit der Gebirgsarten überreichlich belohnt worden sind. Da wir den ganzen Tag in freier Luft zubringen, ja bisweilen erst Abends 9 Uhr in den Gruben anfahren, um Zeit zu gewinnen, so glauben wir recht vollständig alle wichtigen Punkte der Gruben, Steinbrüche, Gold- und Platina-Wäschen und die etwas einförmigen Sawod’s untersucht zu haben. Es giebt gewisse Seiten, in denen die wissenschaftliche Geognosie mit der verständigen Aufsuchung und Benuzung der Mineralien, also mit dem eigentlichen praktischen Bergbau, in genauen Contact tritt. Dazu dienen besonders allgemeine Ansichten der Formation, der Lagerung, der Analogie mit andern viel untersuchten Gebirgs-Gegenden. Solcher Ansichten denke ich besonders einige in einem Aufsatze (gleich nach meiner Rükkunft in Berlin) mit nochmaliger Prüfung der gesammelten Gebirgsarten, nächsten Winter zusammenzustellen und Ew. Excellenz zu überreichen. Ich weiß wohl, daß Sie (auch dem rein Wissenschaftlichen hold) geben, ohne abzunehmen; aber da ich täglich empfange, so denke auch ich ernsthaft darauf, für so viel Güte und Auszeichnung etwas zu erstatten.—Meine noch nicht ganz publicirte Reise nach der Tropen-Gegend des Neuen Continents, eine neue Bearbeitung meines Werks über Schichtung und Lagerung der Gebirgsarten, zu der mir der Ural viel Materialien liefern wird, die Herausgabe meines Collegiums über physische Weltbeschreibung, zwingen mich, nur das Allgemeine, die größeren Ansichten enthaltend, zusammenzudrängen, zugleich aber werde ich, da eine specielle Charakterisirung und Analyse der Fossilien von einem Manne von ausgezeichnetem Rufe Ew. Excellenz doch angenehm seyn wird, Prof. Rose auffordern, das Einzelne der Localitäts-Verhältnisse und der chemischen Untersuchung des Gruben- und Wasch-Goldes und anderer Metalle in einer besondern Schrift auszuarbeiten.—Es versteht sich von selbst, daß wir uns beide nur auf die todte Natur beschränken und alles vermeiden was sich auf Menschen-Einrichtungen, Verhältnisse der untern Volksklassen bezieht: was Fremde, der Sprache unkundige, darüber in die Welt bringen, ist immer gewagt, unrichtig und bei einer so complicirten Maschine, als die Verhältnisse und einmal erworbenen Rechte der höhern Stände und die Pflichten der untern darbieten, aufreizend ohne auf irgend eine Weise zu nützen! Die wissenschaftliche Ausbeute von Barometer-Messungen, Beobachtungen der magnetischen Inclination und astronomischen Kräfte, astronomischen Ortsbestimmungen, brauche ich kaum zu erwähnen, da Ew. Excellenz meine Vorliebe für diese Arbeiten kennen. Der arme arbeitsame Prof. Ehrenberg klagt noch immer über die Berlinische Vegetation, die wir nicht abstreifen können. Unter 300 Pflanzen kaum 40 sibirische. Wir hoffen auf den Obern Irtysch, wenn ich etwa bis Semipalatna und Buchtorma komme. In Flußconchylien sind wir glücklicher gewesen. Nach der Excursion in die Turtschaninowschen Besizungen von Goumechewsky (Quelle der herrlichen Malachite, aber ein heilloser Grubenbau!) und Polewski, wo wir an Hrn. Solomirski einen sehr thätigen, unterrichteten Ew. Excellenz zu empfehlenden Mann gefunden haben, reisten wir am 13. Junius über die reichen Goldwäschen von Werchneturinsk, Neviansk, Nishni Taglisk, (wir waren 3 Tage in den Platina-Alluvionen, die, ohne Mengung mit Goldsand, alle auf dem europäischen westlichen Abfall des Urals gegen den Fluß Utka frei liegen!) Kuschwa mit dem Magnetberg Blagodat (ein Kron-Sawod, dessen Ordnung und reinliche Arbeit nicht genug zu rühmen ist) nach Bogoslowsk. Bei N. Tagilsk ritten wir durch einen dikken Wald, mit tausenden von umgefallenen halbabgebrannten Baumstämmen, nach der Belaya Gora, den wir bestiegen. Er ist an 400 Toisen hoch. Der Intendant von Bogoslowsk, ein sehr verständiger, tüchtiger, praktischer Bergmann, Hr. Hüttenverwalter Völkner in Beresow, der uns viel im Gebirge begleitet und der Assessor Helm allhier, gehören zu den ausgezeichnetsten Menschen, die wir hier gesehen. Bogoslowsk wird von großer großer Wichtigkeit für Goldsand. Ueberall bei Pawdinski und Petropawlowski ja noch nördlicher bei Saoferski macht man die wichtigsten Goldentdekkungen. Bogoslowski wird vielleicht in 2 Jahren 18 – 25 Pud[1] Gold geben können. Ueberhaupt scheint mir die Goldausbeute des Urals noch auf lange gesichert. An Händen fehlt es freilich, aber dieser Mangel liegt an der schlechten Vertheilung und Anwendung der menschlichen Kräfte, bei den Privat-Sawod’s in den Verhältnissen der Krepostnoys und Masterowoys… Um 150,000 Pud Eisen hervorzubringen in 1 Jahre, braucht man in England und Deutschland nicht so viele Tausende von Menschen. Aber ½ Jahrhundert würde wohl nicht hinreichen, solche Uebel, die in der Lage der untern Volksklassen gegründet sind, in der Nicht-Absonderung der Beschäftigungen (da 1 Mann Gußwaare macht, Bäume fällt, Gold wäscht), zu zerstöhren. Eben so complicirt ist alles was sich auf Forstcultur bezieht! Wie wahr habe ich alles gefunden, was Ew. Excellenz mir über einreißenden Holzmangel sagten. Wie selten sind große Stämme und welche Verwüstungen richtet das Feuer an! Dem Eisenbetriebe droht Gefahr und alles was man mir als Steinkohlen am Ural gezeigt (ich nehme den östlichen von Solikamsk aus), ist Braunkohle mit Braunstein. Unsere Rükreise von Bogoslowsk haben wir bei beständigem Gewitterregen über Merchoturje, Alopajewsk, und die Beryll-, Topas- und Amethyst-Gruben von Mursinsk und Schaitansk gemacht. Die Qual der Mükken verfolgte uns hier bis in die Schächte! Die hiesigen Münzen und besonders das schöne Goldschmelzen unter Mund und Maitz (der einen recht lebendigen Talentvollen Bruder in der Kanzlei hat), sind in der besten Ordnung; die Maschinerie ist freilich sehr veraltet, aber sie funktioniert, wie man es verlangt. Bei dem Berginspector habe ich noch immer über den Kranken (die ersoffene Beresower Grube) conferirt.

Mit innigster Verehrung
Ew. Excellenz ganz gehorsamster Al. Humboldt.

Meinen freundschaftlichsten Respekt Ihrer Excellenz der liebenswürdigen Frau Ministerin! Wie soll ich Ihnen genugsam für die uns bis Bogoslowsk sorgsam nachgesandten Berliner Zeitungen danken! Der Kaiser hat sich in meiner Familie in Berlin auf das huldreichste über mich und meine Reise nach Sibirien ausgedrükt. (Mein Vater, Ew. Excellenz wünschen es zu wissen, hieß Georg Alexander.) Wir haben hier von Ihrer gütigen Erlaubniß Gebrauch gemacht, unsere Sammlungen dem Hrn. Intendanten zur Besorgung nach Petersburg (vor dem 10. October) zu übergeben. Ew Excellenz lassen diese Kisten wohl an die Gesandschaft abgeben. Von allen Gebirgsarten, die wir gesammelt (nicht von Erzen und Gangstükken, die Ihr Kabinett viel herrlicher besitzt) haben wir die Hälfte für Ew. Excellenz bestimmt. Prof. Rose hat diese Gebirgssammlung in 1 Kiste zusammengepackt (es sind 252 von uns sorgfältig benannte Stükke), welche, um sie von den unsrigen zu unterscheiden eine eigene Aufschrift auf Blech führt. Unter diesen Gebirgsarten findet sich der vulkanische Porphyr, den Prof. Rose in Bogoslowsk entdekt, und welcher den körnigen Kalkstein in der Berührung in eine Jaspisartige Masse verwandelt hat.

II. Cancrin an Humboldt
St. Petersburg, 19/31. Juli 1829.

Ew. Exzellenz mir so werthes Schreiben vom 5/17. Juli habe ich vor einigen Tagen erhalten und bringe dafür meinen herzlichen Dank.

Sie werden unterdessen längst den Uebergang über den Balkan, das Vordringen bis jenseit Kornabat, und östlich, die Einnahme von Erzerum, nicht fern von den wichtigen Kupfer- und Silber-Gruben Gumisch-Chane (in der Richtung von Trabisont) erfahren haben. Unser Publikum ist natürlich auf’s Höchste mit diesen angenehmen Nachrichten beschäftigt, und wie billig. Ueberhaupt macht das Zerstörende immer einen viel mächtigeren Eindruck auf den Menschen. Wir kennen den Zerstörer des delphischen Tempels, seinen Erbauer, wenn ich nicht irre, nicht.

Ich habe die unvermeidlichen Beschwerden, von denen Sie schreiben, vorhergesehen. Ich fürchte, daß der Herbst noch mit größeren hereinbrechen wird.

Ich hoffe etwas gewiß sehr Nutzbares von den Ansichten Ew. Excellenz. Kritik des Einzelnen habe ich nicht erwartet. Die Arbeit des Herrn Professor Rose wird mir sehr willkommen sein. Ich empfehle mich ihm, so wie Herrn Professor Ehrenberg, dem ich eine recht antiberlinische Flora wünschen möchte.

Man hat hierher von einem merkwürdigen Stück Serpentin mit Gold eingesprengt geschrieben, welches neuerlich aufgefunden worden und das erste seiner Art sein soll.

Ich bin ganz Ihrer Meinung, wenn Sie sich nur wenig mit den politischen Verhältnissen der Ural-Bewohner beschäftigen wollen, nicht sowohl wegen der Schwierigkeit der Art und Unart solcher althistorischer Verhältnisse zu erforschen, als wegen der Kläglichkeit der menschlichen Dinge, wo die Masse immer der Gewalt, der List oder dem Geld hörig ist. Laute Klagen führen daher zu Nichts; man muß in der Stille wirken, so viel thunlich, den Menschenzustand zu bessern. Doch muß ich mir ergebenst vorbehalten, daß mir Ew. Exzellenz gelegentlich alles das mittheilen möchten, was diesen wichtigen Gegenstand anbelangt.

[]

Sehr freut mich die Idee, welche Sie von der Fortdauer der Goldgewinne haben. Nach den letzten Nachrichten sind in Bogoslowsk Goldsände in Massen entdeckt worden, welche 8 Solotnik in 100 Pud Sand, enthalten.

Ich werde die von Ew. Excellenz empfohlenen Personen im Auge halten.

Die bösen Aussichten des Waldwesens haben mich zu einer Erweiterung der Forstschule bewogen, um gelernte Forstmänner auf die Bergwerke zu schicken. Leider geht das Gute mit Schneckenschritt, das Uebel fliegt.

Es ist schon der Vorschlag im Werke, in Katharinenburg eine neue Münze zu bauen.

Tausend Empfehlungen von meiner Frau.

Gleich nach Eingehen der abgegebenen Kisten mit Mineralien sollen sie besorgt werden. Vorläufig meinen vollen Dank.

Ich wünsche Ihnen, verehrungswürdiger Freund, eine glückliche und Ausbeutereiche Fortsetzung Ihrer Reise und bin mit unwandelbarer Hochachtung

Ew. Excellenz ganz ergebenster Diener
C.

Anmerkungen

[1] Pud = Maßeinheit im zaristischen Russland für eine Masse von 16,38 Kilogramm Gewicht.

Quelle: Im Ural und Altei. Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Graf Georg von Cancrin aus den Jahren 1827–1832. Leipzig: F. U. Brockhaus, 1869, S. 7380. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10467085-1

Alexander von Humboldt, Auszüge aus den Briefen von seiner Reise nach Sibirien, Im Ural und Altei (1829), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/vom-vormaerz-bis-zur-preussischen-vorherrschaft-1815-1866/ghdi:document-5026> [24.04.2024].