Kurzbeschreibung

In einem Memorandum vom April 1866 zu einem möglichen Krieg zwischen Preußen und Österreich beschreibt Helmuth von Moltke (1800–1891) wie man am effizientesten Truppenteile an die Front verlagert und erläutert, wie durch den strategischen Einsatz der Eisenbahn die unterlegene preußische Truppenstärke ausgeglichen werden könne. Der Textabschnitt betont die Notwendigkeit vergrößerter Transportkapazitäten und weist auf die Wirkungen schneller Mobilisierung hin—Faktoren, die tatsächlich im folgenden Sommer zum preußischen Sieg beitrugen.

Helmuth von Moltke, Memorandum zu einem möglichen Krieg zwischen Preußen und Österreich (1866)

  • Helmut von Moltke

Quelle

Denkschrift. Berlin, den 2. April 1866.

Der Krieg gegen Oesterreich, seine Wahrscheinlichkeit oder Unvermeidlichkeit, liegt als politische Frage außerhalb meiner Beurtheilung. Von meinem Standpunkt aus glaube ich aber die Ueberzeugung aussprechen zu müssen, daß das Gelingen oder Mißlingen dieses Kriegs wesentlich davon abhängt, daß der Entschluß dazu früher hier als in Wien und wenn möglich schon jetzt gefaßt wird.

Ein nicht hoch genug zu veranschlagender Vortheil liegt für uns darin, daß wir unsere Armee auf fünf Bahnlinien heranführen und sie dadurch in 25 Tagen an der Sächsisch-Böhmischen Grenze im Wesentlichen konzentrirt haben können.

Oesterreich hat nur eine Bahn nach Böhmen und braucht, um nach Abzug der schon dort und noch in Galizien vorhandenen Truppen, ferner unter Annahme, daß seine Kavallerie sich bereits auf dem Fußmarsch befindet, — um zunächst überhaupt 200 000 Mann zu versammeln, 45 Tage.

Hält nun Bayern zu Oesterreich, so ist es weit weniger seine Armee als die Benutzung seiner Bahn Regensburg-Pilsen-Prag, welche uns nachtheilig wird, da solche die eben angeführte Oesterreichische Konzentration um etwa 15 Tage abkürzt.

Wird schon jetzt die Mobilmachung der Preußischen Armee befohlen, so ist das für den Krieg so wenig vorbereitete Bayern mit Rüstung, Mobilmachung und Konzentration seiner ungefähr 40 000 Mann etwa bei Bamberg aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht fertig, wenn schon die erste Schlacht zwischen Oesterreich und Preußen geschlagen wird. Die Aufstellung der Bayerischen Streitkräfte hat auch wohl weit weniger den Zweck, Coblenz und Cöln oder selbst nur Erfurt zu belagern und sich Preußischen Gebiets zu bemächtigen, als vielmehr den Erfolg abzuwarten und dann als gerüstete Macht auf die Seite des Siegers zu treten.

Für uns kommt es darauf an, nur den einen Feind Oesterreich niederzuwerfen, dafür müssen wir alle Kräfte aufbieten, und nach meiner unvorgreiflichen Meinung wird nicht nur das VII., sondern auch das VIII. Armeekorps dafür heranzuziehen sein.

Setzen wir uns, wie dann nothwendig, in den Besitz von Mainz, so haben wir in diesem Platz, in Coblenz, Cöln und Erfurt solche wesentlich durch Landwehr zu behauptenden Stützpunkte, daß selbst die unwahrscheinliche Invasion der Rheinprovinz oder Thüringens durch die Süddeutschen keine Folge haben kann, sobald wir nur mit Oesterreich fertig werden. Ueberdies bedrohen das VII. und VIII. Armeekorps München näher, wenn sie bis Prag vordringen, als wenn sie am Mainz konzentrirt würden.

Ist bei der militärischen Lage Bayerns wenigstens so viel zu erreichen, daß die Benutzung der Regensburger Bahn für Oesterreichische Transporte nicht zugegeben wird (was geradezu eine feindselige Maßregel gegen uns wäre), so sind wir bei sofortiger Mobilmachung der Armee noch heute entschieden im Vortheil der Initiative.

Will Oesterreich das Bündniß mit Sachsen, so kann es sich der Anforderung nicht entziehen, zur Vertheidigung des Landes mitzuwirken; das Dresdener Kabinet würde sonst im letzten Augenblick noch einen Separatfrieden suchen. Wir erreichen Dresden mit dem IV., VII., VIII. und Gardekorps am 31. Tage mit über . . . . . . . . . 100 000 Mann.

Ginge Alles, was jetzt in Böhmen verfügbar ist, zur Unterstützung nach Sachsen vor, so würden wir dort doch nur . . . . . . 74 000 Mann vorfinden. Denn auf nur einer Bahn würde es bis zu dem bezeichneten Zeitpunkt nicht möglich sein, mehr als noch 100 000 Oesterreicher aus dem Generalat, aus Ungarn und Galizien zu versammeln, und diese müßten nothwendig Front machen gegen unser I., II., III., V. und VI. Korps, über 150 000 Mann.

Wir hätten also die Aussicht, sowohl in Sachsen wie in Böhmen die ersten Schläge mit bedeutender Ueberlegenheit zu führen.

Wird dagegen die Benutzung der Bayerischen Bahnlinie den Oesterreichern gestattet, so können an dem bezeichneten 31. Tage

aus Ungarn und Oesterreich

164 000

[+] aus Galizien

18 000

[=]

182 000 Mann

[+] Verstärkungen zu den vorhandenen

50 000 Mann

[+] herangezogen und einschließ[lich] Sachsen

24 000 Mann

[=] die gesammte Streitmacht bereits auf

256 000 Mann

[–] und nach Abzug der Festungsbesatzungen, etwa

16 000 Mann

[=] die schon früher als Maximum veranschlagten verfügbar sein.

240 000 Mann

Ob Finanzrücksichten, innere Verwicklungen oder politische Gründe Oesterreich eine solche Machtentwicklung möglicherweise gar nicht gestatten werden, ist eine Frage, die hier unentschieden bleiben muß. Der militärische Kalkül kann nur mit gegebenen Größen, mit den normalen Ziffern des Kriegsetats und der Leistungsfähigkeit der Transportmittel rechnen. Das Resultat ist aber nicht bloß von der Größe der Truppenkörper abhängig, sondern auch von der Zeit, binnen welcher diese von beiden Seiten zur Geltung gebracht werden können, und eben in dieser wichtigen Beziehung tritt, wie eben gezeigt, das Verhalten Bayerns sehr wesentlich in Betracht, weit weniger wegen der event. Rüstungen der Süddeutschen.

[]

Quelle: Helmuth von Moltke, Moltkes militärische Werke, herausgegeben von dem Großen Generalstabe. Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, 1896–1912, Band 1, S. 74–76.