Kurzbeschreibung

Die österreichische Forschungsreisende und Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer, geb. Reyer (1797–1858), kam in Wien zur Welt und heiratete dort. Sie genoss eine überdurchschnittliche Ausbildung und träumte davon, ferne Länder zu sehen. 1846 brach Ida Pfeiffer, nachdem sie bereits Berichte über ihre Reisen in den vorderen Orient und nach Skandinavien veröffentlicht hatte, zu einer ehrgeizigen Weltumrundung auf. Sie kehrte 1848 zurück und veröffentlichte 1850 Eine Frauenfahrt um die Welt. In dem folgenden Auszug schildert sie ihre Eindrücke von Rio de Janeiro und insbesondere ihre ambivalente Reaktion auf Menschen afrikanischer Abstammung und auf die Institution der Sklaverei. Die meisten Gebildeten im deutschsprachigen Raum waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Tradition Alexander von Humboldts (1769–1859) Gegner des Sklavenhandels; sie waren von der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen überzeugt und verhältnismäßig aufgeschlossen gegenüber Menschen anderer Rassen und Ethnien. Pfeiffer teilte offenkundig viele dieser Überzeugungen, artikulierte aber mit Blick auf ihre direkten Begegnungen mit afrikanischstämmigen Menschen in Brasilien ausgesprochen rassistische Reaktionen und Befindlichkeiten. Ihre Rassenansichten und -erfahrungen zu entwirren, ist eine schwierige, aber womöglich aufschlussreiche Aufgabe.

Ida Pfeiffer, Eine Frauenfahrt um die Welt (1850)

Quelle

Ankunft und Aufenthalt in Rio de Janeiro.

Ich hielt mich, die kürzeren und längeren Ausflüge in das Innere des Landes abgerechnet, über zwei Monate in Rio de Janeiro auf; will aber meine Leser durchaus nicht mit einem vollständigen Verzeichnisse aller geringfügigen, alltäglichen Ereignisse ermüden, sondern ihnen nur im Allgemeinen das Hervorragende der Stadt, und der Sitten und Gebräuche ihrer Einwohner erzählen, wie ich Gelegenheit hatte es während meines Aufenthaltes kennen zu lernen; die Beschreibung meiner Ausflüge werde ich in der Form eines Anhanges folgen lassen, und erst dann wieder den Faden meines Tagebuches ergreifen.

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Die Häuser sind nach europäischer Art gebaut, aber klein und unansehnlich; die meisten haben nur ein Erdgeschoß, oder ein Stockwerk, — zwei Stockwerke sind eine etwas seltene Sache. Auch findet man hier nicht, wie in andern heißen Ländern, Terrassen und Veranden mit schönen Geländern und Blumen geziert. Geschmacklose und kleine Balkone hängen an den Wänden, und plumpe hölzerne Läden schließen die Fenster, um der Sonne jeden Blick in die Zimmer zu verwehren. Man sitzt beinahe in vollkommener Dunkelheit, was übrigens den brasilianischen Damen, die sich im Arbeiten oder Lesen gewiß nie übernehmen, höchst gleichgültig ist.

Die Stadt bietet also an Plätzen, Straßen und Gebäuden dem Fremden durchaus nichts anziehendes; wahrhaft abschreckend sind aber die Menschen, welchen man begegnet — beinahe durchgehends nur Neger und Negerinnen mit den plattgedrückten, häßlichen Nasen, den wulstigen Lippen und kurz gekrausten Haaren. Dazu sind sie meist noch halb nackt, mit elenden Lumpen bedeckt, oder sie stecken in europäisch geformten, abgetragenen Kleidungsstücken ihrer Herren. Auf 4 – 5 solcher Schwarzen kommt dann ein Mulatte, und nur hie und da leuchtet ein Weißer hervor.

Noch widerlicher wird das Bild durch die häufigen Gebrechen, die man überall gewahrt, und worunter ganz besonders die Elephantiasis in schreckliche Klumpfüße ausartet; an Blindheit und andern Uebeln ist auch kein Mangel vorhanden. Ja sogar auf Hunde und Katzen, die in großer Anzahl in den Gassen umher laufen, erstreckt sich die allgemeine Häßlichkeit — auch diese sind meißt schäbig, oder voll Wunden und Räuden.

Hierher möchte ich jeden Reisenden zaubern, der vor dem Betreten der Gassen Konstantinopels zurückschreckt, der von dieser Stadt behauptet, der Anblick des Innern zerstöre den Eindruck des Aeußern.

Es ist wahr, daß das Innere Konstantinopels auch höchst unrein ist, daß die vielen kleinen Häuser, die engen Gassen und holprigen Wege, die garstigen Hunde u.s.w. dem Beschauer nicht sehr malerisch erscheinen; — doch bald stößt er wieder auf herrliche Bauten maurischer und römischer Zeiten, auf wundervolle Moscheen und majestätische Palläste, und setzt seine Wanderungen fort durch unermeßliche Friedhöfe und träumerische Cypressen-Wälder. Er tritt ausweichend zur Seite vor einem Pascha oder hohen Priester, der auf stolzem Rosse reitet und von glänzender Dienerschaft umgeben ist, — er begegnet Türken, in edle Tracht gehüllt, Türkinnnen, deren Feueraugen durch den Schleier glänzen, — er sieht Perser mit hohen Mützen, Araber mit edlen Gesichtsbildungen, dazwischen Derwische mit Narrenmützen und gefalteten Weiberröcken, und von Zeit zu Zeit herrlich bemalte, vergoldete Wagen, von prächtig geschirrten Ochsen gezogen. — Dies Alles sind Erscheinungen, die reichlich entschädigen für das Häßliche, das man hie und da erschaut. Dagegen findet man im Innern Rio de Janeiro’s nichts, das erfreuen und entschädigen kann, sondern überall tritt hier nur Ekelhaftes und Widerliches vor die Augen.

Erst, nachdem ich manche Woche hier verbracht hatte, war ich in etwas an den Anblick der Schwarzen und Mulatten gewöhnt, und ich fand dann auch unter den jungen Negerinnen artige Gestalten, und unter den etwas dunkelgefärbten Brasilianerinnen und Portugiesinnen hübsche, ausdrucksvolle Gesichter; minder scheint die Gabe der Schönheit dem männlichen Geschlechte verliehen zu sein.

Die Lebhaftigkeit auf den Straßen ist bei weitem nicht so groß, als man nach so vielen Beschreibungen vermuthen würde, und durchaus nicht mit jener in Neapel oder Messina zu vergleichen. Den meißten Lärm machen die lasttragenden Neger, und darunter besonders Jene, welche die Kaffeesäcke an Bord der Schiffe schleppen, sie stimmen dabei einen eintönigen Gesang an, der ihnen zum Takte dient, um gleichen Schritt zu halten, übrigens sehr widrig klingt; doch hat er das Gute, daß der Fußgänger dadurch aufmerksam gemacht wird, und bei Zeiten aus dem Wege gehen kann.

In Brasilien werden alle schweren und unreinen Arbeiten in und außer dem Hause durch Schwarze verrichtet, die hier überhaupt die Stelle des niederen Volkes vertreten. Doch lernen auch viele Handwerke, und manche derselben sind dabei den geschicktesten Europäern gleichzustellen. Ich sah in den elegantesten Werkstätten Schwarze mit Verfertigung von Kleidern, Schuhen, Tapezier-, Gold-, Silber-Arbeiten u.s.w. beschäftigt, und traf manch zierlich gekleidetes Negermädchen, am feinsten Damenputze, an den zartesten Stickereien arbeitend. Ich glaubte fürwahr oft zu träumen, wenn ich diese armen Geschöpfe, die ich mir als freie Wilde in ihren heimathlichen Wäldern vorstellte, in den Läden und Zimmern solch’ feine Geschäfte vollbringen sah! Und dennoch scheint es ihnen nicht so schwer zu fallen, als man glauben sollte. Sie verrichteten stets scherzend und munter ihre Arbeiten.

Unter der hiesigen sogenannten gebildeten Klasse sind manche, die, nach all’ den Beweisen mechanischer Geschicklichkeit und auch geistiger Auffassung, welche die Schwarzen häufig entwickeln, noch immer behaupten, dieselben ständen an Geisteskraft so tief unter den Weißen, daß man sie nur als einen Uebergang vom Affen- zum Menschengeschlechte betrachten könnte. Ich gebe zu, daß sie einigermaßen entfernt von der geistigen Bildung der Weißen sind; finde aber die Ursache nicht in dem Mangel an Verstand, sondern in dem gänzlichen Mangel an Erziehung. Für sie ist keine Schule errichtet, sie bekommen keinen Unterricht, — kurz es geschieht nicht das Geringste, ihre geistigen Fähigkeiten zu entwickeln. Man hält ihren Geist wie in alten despotischen Staaten vorsätzlich in Fesseln, denn das Erwachen dieses Volkes dürfte den Weißen fürchterlich sein. An Zahl ist es ihnen um das Vierfache (Man rechnet durchgehends auf 4 Schwarze einen Weißen.) überlegen, und käme es zu dem Bewußtsein dieser Ueberlegenheit, dann könnten leicht die Weißen in jenen Zustand versetzt werden, in welchem sich bisher die unglücklichen Schwarzen befanden.

Aber ich versteige mich in Vermuthungen und Abhandlungen, die wohl gelehrten Männern zukommen, nicht aber mir, die ich die dazu nöthige Bildung durchaus nicht besitze; mein Zweck ist: nur einfach meine Anschauungen darzulegen.

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Uebrigens ist das Loos der Sclaven nicht gar so schlecht, als viele Europäer glauben; sie werden in Brasilien im Durchschnitte ziemlich gut behandelt, man überhäuft sie nicht mit Arbeit, sie haben eine gute, kräftige Kost, und die Strafen sind weder gar so häufig noch strenge; nur das Entlaufen wird hart geahndet. Außer einer tüchtigen Tracht Schläge bekommen sie noch Hals- und Fußeisen, die sie ziemlich lange tragen müssen. Eine andere Art Strafe ist das Tragen von Blechlarven, die rückwärts durch ein Schloß gesperrt sind. Es werden damit die Säufer und die Erd- oder Kalkfresser bestraft. Während meines langen Aufenthaltes in Brasilien kam mir ein einziger Neger vor, der mit einer solchen Larve umher ging. Ich möchte beinah zu behaupten wagen, daß das Loos der Sclaven im Ganzen minder schlecht ist, als jenes der russischen, polnischen oder ägyptischen Bauern, die man nicht Sclaven nennt.

Interessant war es mir, daß ich einst von einem Neger zur Pathin gebeten wurde, dabei aber weder einer Taufe noch einer Firmung beiwohnte. Es herrscht hier nämlich die Sitte, daß ein Sclave, der irgend etwas gethan hat, wofür er einer Züchtigung gewärtig ist, zu einem Freunde seines Besitzers zu fliehen sucht, und selben um ein Briefchen bittet, worin um Nachlaß der Strafe angesucht wird. Der Aussteller eines solchen Briefes erhält den Titel eines Pathen, und es würde für die größte Unart angesehen werden, die Bitte des Pathen nicht zu erfüllen. Ich war so glücklich, auf diese Art einen Sclaven von einer Strafe zu retten.

Quelle: Ida Pfeiffer, Eine Frauenfahrt um die Welt. Reise von Wien nach Brasilien, Chili, Otahaiti, China, Ost-Indien, Persien und Kleinasien. Erster Band. Wien: Verlag von Carl Gerold, 1850, S. 29, 32–37. Online verfügbar unter: https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/pfeiffer_frauenfahrt01_1850