Kurzbeschreibung

Der Pietist Johann Christian Wallmann (1811–1865) lehrte am Seminar der 1828 gegründeten Rheinischen Missionsgesellschaft in Barmen (heute ein Stadtteil von Wuppertal) und war dort von 1848 bis 1857 Missionsinspektor. In der vorliegenden Passage aus Leiden und Freuden rheinischer Missionare berichtet Wallmann aus der Frühphase der deutschen Missionstätigkeit im Land der Herero und Nama, das später zur Kolonie Deutsch-Südwestafrika wurde (heute Namibia). Bemerkenswert ist, dass die Missionare die Sprachen der indigenen Völker, die sie missionieren wollten, zu erlernen suchten, damit sie ihnen das Evangelium in deren Muttersprache predigen und in gedruckter Form vermitteln konnten. Die Missionare hatten außerdem die Hoffnung, Bekehrte als „eingeborene“ Missionare einsetzen zu können, sobald sie durch die entsprechende Unterweisung mit der christlichen Lehre hinreichend vertraut wären. Von zentraler Bedeutung waren die Beziehungen zu indigenen Führungsfiguren – im vorliegenden Fall zu Jonker Afrikaner, dem Stammesführer der von Niederländern und Nama abstammenden Orlam-Afrikaner, die in diesem Text als „Orlam-Hottentotten“ bezeichnet werden und als Erste dort siedelten, wo sich heute die namibische Hauptstadt Windhuk befindet. Beachtung verdienen auch die narrativen Strategien, mit denen der Verfasser die Missionare zu Helden stilisiert und einen Eindruck von den Belastungen und Schwierigkeiten vermittelt, mit denen sie aufgrund des widrigen Klimas und der feindlich gesonnenen Bevölkerung konfrontiert waren. Diese Erzähltechniken dienten zugleich als Mittel, um bei den Lesern Begeisterung zu wecken und sie in ihrem Glauben zu bestärken; heute geben sie zudem Aufschluss über die von der Erweckungsbewegung geprägten theologischen Überzeugungen und die Geschichtsbilder der Missionare.

Johann Christian Wallmann, Leiden und Freuden rheinischer Missionare (1856)

Quelle

[]

Neun Jahre im Hererólande.

Am 20. Mai 1844 wurde der Grund zum ersten Hause im Hererólande in Südafrika gelegt; bis dahin war noch kein Europäer im Lande gewesen, noch weniger hatte einer daran gedacht, sich dort ein Haus zu bauen, und die Hereró waren Nomaden; die bauen keine Häuser. Das Haus bauete Hugo Hahn mit Kleinschmidt’s getreuer Hülfe. Beide wohnten damals noch auf dem einige Tagereisen südlich liegenden Platze Jonkers, aber Hahn verlangte fort von den Orlam-Hottentotten zu den Hereró, wohin sein Beruf lautete, den er hier in Barmen bei seiner Ordination bekommen hatte und machte in diesen Maitagen ernstlich Anstalt zum Beginne seines Werkes. Es wohnten damals noch mächtige Häuptlinge der Hereró in diesem südlichen Theile des Landes, namentlich der ritterliche Kahitjené, „der Blitz” genannt, denn Jonker hatte noch nicht seine Raubzüge begonnen und es war Friede zwischen den gelben und schwarzen Nachbaren. Der Platz wo Hahn bauete, war von ihm „Schmelens Verwachting” genannt; die Eingeborenen hießen ihn Okahangá.

Das Haus wurde piseegebaut und die Mauern wollten nicht trocknen; ohne den Bau vollendet zu haben, verließ Hahn nach 14 Tagen den Platz wieder und kehrte mit Kleinschmidt nach Jonker zurück. Da wurde vier Monate lang das Haus vergessen. Unglückliche Streitigkeiten, welche unsere Missionare mit den wesleyanischen hatten, welche auch zu Jonker gekommen waren, nahmen sie ganz in Anspruch und endeten damit, daß Hahn und Kleinschmidt Anfangs Octobers d. J. Jonkers Platz verließen und ihrem Hause ohne Dach zuzogen. Von ihren treusten Leuten verlassen, kamen sie am 9. October auf Schmelens Verwachting an und hier beginnt eigentlich unsere Mission unter den Hereró. Sie beginnt mit Seufzen und den Streit unter Brüdern hat sie zu ihrem Angebinde bekommen. Auch hatte sie sofort den Fluch des Landes, die Dürre und den Wassermangel, zu fühlen, denn die Quelle des Platzes fanden die Brüder fast ganz versiegt und waren froh, als sie Jonker besuchte, der von einer Reise unter den Hereró zurückkehrte und ihnen eine Quelle nannte, zwei Tagereisen mit dem Wagen fern, welche weit mehr sich zu einer Niederlassung eignete. Dahin zogen sie denn auch am 31. October, nach Otjikangó an die heiße Quelle und nannten die Stätte Neu-Barmen. Es war kein Paradies, in welches sie kamen. Der Platz ließ manches zu wünschen übrig, aber er hatte Wasser und Menschen waren genug da. Die Brüder machten sich an die äußere Arbeit, wurden Tag aus Tag ein von den wilden Bestien geplagt und die Menschen waren noch schlimmer als die Bestien. Sie waren ganz zufrieden, daß die Fremdlinge sich bei ihnen niederließen, aber Mord, Diebstahl, Unzucht, freche Lügen, die unverschämteste Bettelei gingen bei ihnen ohne Unterlaß im Schwange und was das Schlimmste war: man konnte mit ihnen gar nicht oder nur sehr unvollkommen reden, über geistliche Dinge nun gewiß nicht und ein Dolmetscher war in der ersten Zeit gar nicht zu bekommen. Den armen Brüdern machte die Sprache unsägliche Noth. Dabei waren die Menschen auf dem Platze sehr wechselnd; sie kamen und gingen, wie das die Nomaden so machen. Indessen zog doch schon nach einem Vierteljahre ein kleiner Stamm von etwa sechs Familienhäuptern dauernd auf den Platz. Es waren ganz arme Leute, die von ihrem eigenen Volke um all das Ihre gebracht waren. Die schlossen sich dem Missionar als ihrem Häuptling an; sie wurden seine Menschen und bildeten so den Grundstock der späteren seßhaften Bevölkerung von Neu-Barmen.

Hahn war kaum ein halbes Jahr auf der Station, so kamen ihm zwei neue Brüder zu Hilfe, Rath und Scheppmann. Gleich nach ihrer Ankunft verließ Kleinschmidt das Land und begab sich unter die Namaqua zurück, unter denen er Rehoboth anlegte. Die Freude Hahns, zwei neue Mitarbeiter erhalten zu haben, wurde bald getrübt. Scheppmann war kaum 8 Wochen da, so wurde er ausgeschickt, einen bessern Wagenweg nach der Walfischbai aufzusuchen, denn man wußte damals noch gar wenig Bescheid in dem wilden Lande und machte große Umwege auf den ohnehin schon höchst beschwerlichen Reisen. Bei dieser Gelegenheit schoß sich Scheppmann beim Herabrutschen von einem Berge so gefährlich durch das Bein, daß Hahn ihn halb verblutet nach Barmen holte, woselbst er 10 Wochen brauchte, bevor er wieder einigermaßen in Thätigkeit treten konnte. Und kaum war er ganz wieder hergestellt, so wurde beschlossen, ihn nach der Walfischbai zu senden, um dort eine Station anzulegen, denn das hatte man damals schon richtig erkannt, daß es für das äußere Bestehen der Mission im Innern durchaus nöthig sei, an der Bai einen festen Punkt zu haben, durch welchen die nöthige Verbindung mit der See vermittelt werden konnte. Schon im September verließ Scheppmann das Land und begab sich nach der Bai, woselbst er später das jetzige Scheppmannsdorf unter den Namaqua anlegte, welches für die Hererómission als Stapelplatz von ungemeiner Bedeutung geworden ist. Hahn und Rath waren nun mit einigen treuen Leuten aus dem Klein-Namaqualande allein und hatten mit vielen äußern Arbeiten und mit der Sprache vollauf zu thun. Ich finde in ihrem Tagebuche vom 31. October 1845, also grade ein Jahr nach der Gründung der Station, Folgendes verzeichnet, welches in wenigen Zügen ein Bild des damaligen Werkes giebt: „Die armen Hereró, welche sich hier niederließen, haben uns aus Dankbarkeit eine unserer Kühe im Felde geschlachtet und des Nachts in ihren Hütten fast ganz verzehrt. Samuel und Franz fanden es nach der Spur heraus. Was sollten wir ihnen thun? Wir ließen sie laufen und nahmen des betheiligten Wächters und eines Andern Speer und den irdenen Kochtopf eines Dritten. Viele reiche Hereró waren grade hier und dachten, das sei eine gute Gelegenheit, ihren Haß an den Armen auszulassen. In einem Augenblick waren die Hütten ausgeplündert und Speere und Keulen waren bereit, zu Thätlichkeiten überzugehen. Da half kein Sprechen und Vorstellen von unserer Seite. Endlich griffen Daniel, Samuel, Franz und Marcus zu den Gewehren und erst der Anblick derselben brachte die Reichen in Ordnung und nöthigte sie, das Geraubte wieder herauszugeben. Diesem Gewaltmittel verdankten die Armen ihr Leben und ihre geringe Habe. Ein Schaaf haben sie auch des Nachts aus der Hürde geholt und geschachtet. – Etwa 17 der Armen haben sich mit unserer Hilfe Gärten gemacht. Unsere Station zählte jetzt 30 Hütten und ist noch immer am Zunehmen. – Mit der Sprache geht es langsam, aber doch vorwärts; an Predigen (ohne Dolmetscher) können wir noch nicht denken. Vielleicht beginnen wir binnen Kurzem eine Schule, obwohl wir selbst dann das Abc schreiben oder zeichnen müssen.”

Mit dieser Hoffnung sollte es jedoch sobald nichts werden. Es folgte das zweite Jahr dieser Mission, welches viele und große Noth brachte. Das ganze Jahr 1846 über war Hahn allein auf der Station, mehrere Wochen lang war auch seine treue Gehilfin nach Rehoboth gezogen. Es war ihnen nämlich der Proviant ausgegangen, so daß sie Monate lang von der Büchse leben mußten. Da ging Rath auf die Reise nach dem Cap, um Lebensmittel zu holen. Im Anfange 1846 reiste er ab und als eben das Jahr im Scheiden war, kam er erst zurück. Was aber besonders die Noth mehrte, war daß in diesem Jahre von Jonker der Friede mit den Hereró gebrochen wurde. Jetzt begannen seine Raubzüge. Gleich der erste im Anfange 1846 setzte das ganze Land in Schrecken. Die Reichen flohen nach dem Norden und die Gefahr, daß man an Hahn, den man in Verbindung mit Jonker glaubte, Rache nehmen würde, war sehr nahe. Doch hat ihn der treue Gott in Gnaden beschirmt. Da er aber gegen Jonker wegen der begangenen Ungerechtigkeiten nicht schweigen konnte, so bekam er von jetzt ab diesen zum Widersacher und da der Verfall des Jonkerschen Stammes schon groß war, so war von ihm alles zu besorgen. Eine Reise, welche Hahn damals tiefer in das Land zu unternehmen gedachte, denn er stand ja eben nur an dem äußersten Südrande desselben und hätte sich gern etwas weiter umgesehen, hinderte Jonker ohne Weiteres dadurch, daß er Hahns Reitochsen in Beschlag nahm. Daß es mit dem eigentlichen Missionswerke auf Barmen in diesem elenden Jahre nicht voranging, kann man sich leicht denken. Man mußte froh sein, wenn man sich noch auf dem Platze hielt; doch richtete damals schon die thätige Frau Hahn eine kleine Nähschule mit einigen Mädchen der Station ein.

Das Jahr 1847 brachte mehr Frucht. Das Landesfieber und die Augenkrankheit waren zwar in diesem Jahre ganz besonders herrschend und bösartig; Hahn mit seiner ganzen Familie litt an beiden Krankheiten schwer und wurde dadurch viel in seiner Wirksamkeit gehindert; es war das Jahr, in welchem der selige Scheppmann heimging und Kleinschmidt auf den Tod krank lag; allein die Perlen wachsen nun einmal in gesalzner Fluth. Rath war munter vom Cap zurückgekommen und hatte ein Buchstabirbuch für seine Hereró mitgebracht, was er in der Capstadt hatte drucken lassen. Ein Buchstabirbuch ist bei uns ein unbedeutendes Ding und nicht der Rede werth. Dort im Lande waren diese Paar Blätter das Erste, was im Hereró gedruckt war und ein wahres Ereigniß. Die Leute auf der Station fragten freilich gar nichts danach, denn sie verstanden nichts vom Lesen; aber das Büchlein sollte eben das Mittel werden, sie in eine Kunst einzuführen, welche unter allen Völkern auf eine so wunderbare Weise den Fortschritt der Gesittung fördert. Mit Recht erkannten jedoch unsere Missionare, daß sie nicht durch Bücher, sondern vor allem durch lebendige Rede auf ihr Volk wirken müssten und Hahn faßte zuerst den Muth, eine Predigt in des Volkes Sprache zu halten. Es war am 24. Jan. 1847, als die erste Predigt im Hereró ohne Dolmetscher durch einen weißen Mann gehalten wurde. Das war ein großer Fortschritt und der Herr gab den Brüdern Verstand, daß sie, wenn auch langsam und unter vielen Schwierigkeiten, doch voran kamen. Man kann erst seit dieser Zeit den eigentlichen Beginn der wahren Missionsthätigkeit unter den Hereró datiren. Trotz der Krankheiten und mancher Unterbrechungen ging man auch an den Bau eines Kirchleins auf Barmen und an Leuten, denen gepredigt werden konnte, fehlte es nie; es zogen immer mehr Arme auf den Platz, auch gab der Herr in dem ganzen Jahre die Gnade, daß Jonker sich ruhig verhielt. Es schien sogar, als ob er sich unsern Missionaren freundlich nähern wollte; wenigstens gab er ihnen manchen Beweis von Zuneigung und half ihnen bald hier bald da. Als der erste Januar ins Land kam, konnte man das Kirchlein auf Otjikangó einweihen und Gottesdienst darin halten. „Ach daß vielen Hereró in dieser Kirche das Herz aufgethan würde!” seufzte Hahn, als er diese Notiz in sein Tagebuch schrieb und wenige Tage darauf kam die frohe Botschaft von der Bai her, daß ein neuer Arbeiter für die Mission da sei. Man hatte von der Colonie aus unsern Missionar Kolbe geschickt, als man die Nachricht von Scheppmanns Tode und von der Krankheit der andern Brüder erfuhr; er brachte auch eine Gehilfin für Rath mit.

Das Jahr 1848 brachte aber nicht, was man gehofft hatte. Wie anderwärts, so war auch dort zu Lande der Teufel los. Gleich in den ersten Tagen brach nicht allein Jonker, sondern auch das rothe Volk ins Land und raubten und mordeten. Die Flucht aller reichen Hereró, welche sich im vorigen Jahre wieder dem Süden genähert hatten, war auch jetzt die nächste Folge und man hörte von Jonkers Platze aus Gerüchte, daß die Orlam damit umgingen, die Missionare aus dem Lande zu treiben oder sie dadurch zum Rückzuge zu nöthigen, daß man alles Volk von der Station verscheuchte. Eines Tages schickte Hahn seinen getreuen Daniel mit etlichen Hereró auf Jonkers Platz, um geraubtes Vieh zurückzufordern. Da erklärte der alte Bruder des bekannten Christian Afrikaner, Titus mit Namen, der Aufenthalt der Missionare im Hererólande würde sie nicht vom Rauben und Morden abhalten; sie würden unter den Augen der Missionare die Leute morden. Mit verächtlicher Miene fragte der alte Graukopf die Hereró, was denn die Missionare bei ihnen machten, ob sie sie denn unterrichteten. Ja wohl thun sie das, war die Antwort der Schwarzen. „Habt ihr denn das Wort auch angenommen?” fragte Titus weiter. „Wir haben es fast angenommen,“ antwortete man. „Nun was lehren sie euch denn?” – Daniel erschrak bei der Frage, denn der Hereró, der geantwortet hatte, war noch nie in einem Gottesdienst gewesen, weil er weit abwohnte. Der Schwarze antwortete aber: „Sie lehren uns, nicht zu rauben, nicht zu stehlen, nicht zu tödten, nicht zu lügen, die Ehe nicht zu brechen.” Damit war der Frager aufs Maul geschlagen und wenn der Heide auch bislang nur vom Gesetz etwas gefaßt hatte, so war es doch einem Abtrünnigen gegenüber, wie der alte Titus war, eine gute Predigt. – Zu diesem Kriegslärm gesellte sich bei Hahn körperliche Leiden, mit hervorgerufen durch die stete Aufregung, in welcher man sich in dieser Zeit befand und er sah sich im Mai dieses Jahres genöthigt, mit Frau und Kindern zu seiner Erholung, die er, wie auch seine Frau, dringend nöthig hatte, nach dem Cap zu reisen; zugleich gedachte er, als Frucht seiner Arbeiten in der Sprache und zum Unterricht in der Schule, ein Lesebuch im Hereró dort drucken zu lassen. So verließ er um jene Zeit das Land und kehrte erst in den letzten Tagen des Jahres wieder heim. Unter der Weile hatten Rath und Kolbe gemeinsam auf Barmen langsam voran gearbeitet und sich auch auf eine kleine Reise in das Innere nach dem Norden hinausgewagt, denn man ging damals schon mit dem Gedanken um, neue Stationen zu gründen. Der Herr stärkte das Herz seiner Knechte, daß sie trotz aller Hindernisse, welche der Teufel in den Weg legte, dennoch bei gutem Muthe waren. []

Quelle: Leiden und Freuden rheinischer Missionare. Von I. C. Wallmann, Inspector der rheinischen Missionsanstalt. Halle: Verlag von Julius Fricke, 1856, S. 13–18.