Kurzbeschreibung

Dieser Auszug aus Ludwig von Rohdens Geschichte der Rheinischen Missions-Gesellschaft beschreibt die Missionstätigkeit der „Erweckten“, einer Bewegung wiedergeborener Christen, unter „Heiden“ und Juden in den westdeutschen Industriestädten Elberfeld und Barmen, wo diese Art protestantischer Frömmigkeit aus bescheidenen Anfängen kräftig aufblühte. Die Erweckungsbewegung stellte die biblische Offenbarung über die menschliche Vernunft und verwarf den rationalistischen Protestantismus ebenso wie das Gedankengut der Französischen Revolution.

Ludwig von Rohden, Auszüge aus Geschichte der Rheinischen Missions-Gesellschaft (1857)

  • L. von Rohden

Quelle

Erster Abschnitt.
Die Missions-Gesellschaft in der Heimath.

Vorgeschichte.

Wie der deutsche Weserstrom Dasein und Namen empfängt durch den Zusammenfluß der beiden Ströme, die bei Münden ihre Wasser vermischen, so verdankt die Rheinische Missions-Gesellschaft ihre Entstehung dem Zusammentritte zweier bedeutender Local-Missions-Vereine, die, verstärkt durch mehrere Nebenvereine, i. J. 1828 ihre Kräfte und Gaben vereinigten, um fortan ein gemeinsames Werk im Namen Gottes zu beginnen. Es waren das die Elberfelder und die Barmer Missions-Gesellschaft. Die erste hatte bereits eine lange Reihe von Jahren hinter sich, denn sie war schon 1799 begründet; die andere, bedeutend jünger, bestand erst seit 1818. Sehen wir uns die Geschichte beider Gesellschaften etwas näher an.

Die Anfänge der Elberfelder Missions-Gesellschaft liegen in einer öden und stürmischen Zeit, in welcher der Glaube weit und breit erstorben und die Liebe erkaltet war, während die Revolutionsstürme von Frankreich her unser deutsches Vaterland mit giftigem Hauche erfüllten. In der evangelischen Kirche Deutschlands herrschte der starre Tod. In den untersten Schichten des Bürger- und Bauernstandes fand sich wohl noch eine ehrenfeste Frömmigkeit, aber die Vornehmen waren meist aufgeklärte Leute, die über den veralteten Aberglauben lächelten. Da faßte zuerst der Senior Dr. Urlsperger zu Augsburg den Gedanken einer Verbindung aller zerstreuten Kinder Gottes zu einer „deutschen Christenthumsgesellschaft.“ Die erste Erscheinung eines freien christlichen Vereins auf deutschem Boden, welcher über alle Schranken der Kirchen, Confessionen und Parochialgrenzen hinaus sich die Hand reicht, um einen gemeinsamen Zweck ohne Vermittelung der angestellten Geistlichen und Kirchenbehörden zu verfolgen. Wie viele christliche Vereine sind nach diesem Muster später gegründet, zum Theil aus ihm hervorgegangen! Die Aufgabe, welche die Christenthumsgesellschaft sich stellte, war die Erhaltung der reinen Lehre und eines christlichen Lebenswandels. Die Mitglieder sollten sich gegenseitig stärken im Glauben und Bekenntniß, sie verbanden sich zu regelmäßigem Gebet, gewissenhafter Heilighaltung des Sonntags, zur Aufrechthaltung des häuslichen Gottesdienstes, zur strengen Zucht und Selbstprüfung. Wo nur immer Personen sich fänden, „die Freude an dem Evangelium Jesu haben, ihn als ihren Gott und Herrn, einigen Mittler und Seligmacher anerkennen, ihm anhangen, folgen und durch ihn selig werden wollen, und die sich gern mit wahren Christen verbinden möchten, die Reinigkeit der Lehre und die Gottseligkeit des Lebens zu erhalten“, die sollten in dieser Gesellschaft Aufnahme finden können. In London und Basel fand dieser Plan sofort Beifall. An beiden Orten errichtete man einen engeren Ausschuß, der sich am Anfang jeden Monats versammelte, die eingelaufenen Briefe und Aufsätze durchging, über wichtige Wahrheiten sich unterhielt, und alles Merkwürdige der Session den übrigen Mitgliedern in einem Protokoll mittheilte. In vielen deutschen Städten – von Stuttgart bis nach Magdeburg und Berlin hin – wurden gleiche Gesellschaften errichtet. Alle standen unter einander und mit Basel als ihrem Mittelpunkt in enger Verbindung. Dorthin schickten sie ihre Berichte und Protokolle, und von dort wurde der umfassende allgemeine Bericht oder das Hauptprotokoll wiederum allen einzelnen Gesellschaften mitgetheilt.

Nach diesem Muster ist auch die Elberfelder, und in ihrer weiteren Gliederung die gesammte Rheinische Missions-Gesellschaft eingerichtet worden. Statuten, Ausschuß, monatliche Zusammenkünfte, Protokollführung, zusammenfassende Berichte, die jedem Mitgliede mitgetheilt werden, das sind ja die bekannten Formen unseres Vereinslebens. Lange Zeit stand Elberfeld mit der Baseler Christenthumsgesellschaft im regen Verkehr, Aber der eigentliche Anstoß zur Gründung eines Missionsvereins in Elberfeld kam nicht aus Basel, sondern aus England. Dort war im letzten Jahrzehend des vorigen Jahrhunderts der Missionseifer in überraschender Weise erwacht, und über alle kirchlichen Partheien verbreitet. [] Schon die Wahrnehmung, daß doch noch gläubige und eifrige Christen existirten, welche ein so großes Vertrauen zu den göttlichen Verheißungen hatten, daß sie sich in ein solch‘ ungewöhnliches und schwieriges Unternehmen einließen, wirkte wie ein elektrischer Funke auf die erstarrten Glieder der deutschevangelischen Kirche. Auch in Elberfeld war Tod und Erstarrung genug zu finden. Zwar fehlte es nicht an ausgezeichneten altehrwürdigen Christen, mächtigen Betern, voll Opferfreudigkeit für die Bedürfnisse der Gemeinde, tief gegründet in der heiligen Schrift, in all ihrem Wandel ehrenhaft, aber sie liebten es in kleinem Freundeskreise sich abzuschließen, mit wenigen Auserwählten erbaulich zu reden und zu beten, statt durch öffentliches Hervortreten auf die ganze Gemeinde einzuwirken. In dieser Weise trat auch der Elberfelder Missionsverein zusammen. Während heutigen Tages bei Gründung eines Vereins das erste ist, so viel Mitglieder als möglich heranzuziehen, durch Wort und Schrift die Zwecke des Vereins Jedermann darzulegen, die Thätigkeit und Erfolge vor die größtmögliche Oeffentlichkeit zu bringen, gelobten sich die Gründer des ersten Missionsvereins die strengste Verschwiegenheit, und daß nie mehr als 12 Mitglieder aufgenommen werden sollten. Ganz nach der Art der Conventikel begannen die Versammlungen der kleinen Schaar von Missionsfreunden, am 3. Juni, am Pfingstmontag des Jahres 1799 in dem Hause des ehrwürdigen Ball in Elberfeld, des werthen Greises, dessen Name in weiteren Kreisen durch seine Söhne bekannt geworden ist. Es waren ihrer Anfangs nur 9, alles Laien, nur ein Prediger unter ihnen, der reformirte Pastor Wever. Später trat auch sein jüngerer College Nourney mit ein und noch zwei Bürger. Was thaten nun diese werthen Alten? Jeden ersten Montag im Monat, Abends 8 Uhr, kamen sie zusammen und beteten, lasen mit einander die eingelaufenen Missionsberichte, und die Briefe, die etwa von den christlichen Freunden in England, Holland, Ostfriesland, Frankfurt, Basel eingegangen waren, beriethen und entwarfen die Antwort, redeten mit einander von geistlichen, lieblichen Dingen, legten beliebige Beiträge in eine Büchse, und gingen betend wieder heim. „Es waren jedesmal Festtage, sagt ein Zeuge der Versammlungen, worauf sich das ganze Haus tagelang rüstete und freute. In jenen Tagen tiefster Erniedrigung und des Umsturzes aller Reiche dieser Welt sammelten sie sich meist trübe und gedrückt um den einfachen Tisch, aber fröhlich und erquickt verließen sie in später Abendstunde das Gemach, denn sie hatten sich getröstet an dem Reich, dessen Herrlichkeit ihnen aus den großen Thaten Gottes in der Heidenwelt entgegenstrahlte.“

[] Die einzige bescheidene Thätigkeit, mit welcher sie öffentlich hervortraten, war die Herausgabe kleiner Schriften, besonders der „Nachrichten von der Ausbreitung des Reiches Jesu,“ welche in zwanglosen Heften erschienen und von dem ehrwürdigen Peltzer, dem Präsidenten des Vereins, der zu diesem Zweck noch in seinem 66. Jahre die englische Sprache lernte, aus englischen Missionsjournalen übersetzt wurden. Natürlich fand diese Schrift bei dem damaligen geringen Interesse für die Mission nur sehr unbedeutenden Absatz. Dagegen wurden die kleinen Traktate, Predigten, Reden, Lieder, welche der Verein von Zeit zu Zeit herausgab, schneller vergriffen, besonders eine Reihe sogenannter Dorfgespräche, die mehrmals neu aufgelegt wurden. Außerdem vereinigten sich die Mitglieder des kleinen Vereins im Jahre 1802 jährlich nach Weise der Londoner Societät eine Anzahl neuer Testamente und Gesangbücher zur Vertheilung an dürftige Corfirmanden anzuschaffen: „damit auch auf diese Weise unter denen, die uns am nächsten sind, das Wort Gottes ausgebreitet werde." Das fand großen Beifall, und es blieb nicht bei der Vertheilung an Confirmanden; Prediger, Schullehrer, Familienväter bestellten und erhielten Bibeln; bis in‘s Hessische und Lippische, nach Schlesien, ja nach Oesterreich und Ungarn wurden Bibeln gesandt, und zu gleicher Zeit fanden die „Nachrichten vom Reiche Jesu“ ihren Weg bis nach Dänemark und Nord-Amerika. Das war im Jahr 1805. Damals stand der Verein der 12 Männer in seiner höchsten Blüthe. Und doch wie klein und gering war alles. Die Einnahme betrug nur 345 Thaler, wovon ⅔ der Missionskasse, ⅓ der Bibelkasse angehörte. Aber nun kam das schreckliche Jahr 1806, welches alle Wirksamkeit nach außen hin lähmte; es kamen die noch schwereren Jahre 1809-1812, und die Mitglieder des Vereins, von außen ohne Unterstützung gelassen, selbst unter schweren Sorgen dahingehend, durch die Noth des Augenblicks oft selbst am Besuch der Versammlungen gehindert, konnten jetzt nichts anders mehr thun, als, wozu sie gleich anfangs vorzugsweise sich vereinigt hatten, beten, und immer brünstiger beten um die Ausbreitung des Reiches Gottes. Das haben sie denn aber auch mit seltener Treue gethan. Unter allen Kriegesunruhen und Regentenwechsel (wie schnell folgten sich auf dem Herzogstuhl des Bergischen Landes erst aus dem Baierischen Hause Karl Theodor von Pfalz Neuburg, Max Joseph von Zweibrücken, Herzog Wilhelm von Baiern, dann Joachim Murat, Louis Napoleon, dann russische Generalgouverneure, endlich Preußens Friedrich Wilhelm) sehen wir diese herrlichen Alten regelmäßig zu der immer erneuerten Bitte zusammentreten: Herr, laß dein Reich kommen! In ihre friedlichen Versammlungen darf das Getümmel des Krieges nicht dringen; die schlimmen Zeitungsberichte, die eigenen traurigen Erlebnisse drängen nur zu desto anhaltenderem und eifrigerem Bitten, daß aus all‘ diesem Elend und Wirrwarr heraus der Herr möge Seiner Sache und Seinem Volke zum Siege helfen. Und hat nicht solch‘ gläubiges Gebet eine herrliche Erhörung gefunden?

Der Friede kehrte wieder 1814, dann noch gesicherter 1815. Jetzt that eine neue Bahn des Handelns und Wirkens für alle Freunde des Reiches Gottes sich auf. Nun mußte auch der alte Beterbund eine neue Gestalt annehmen. Die ganzen ersten 14 Jahren waren es immer dieselben 12 treuen Knechte Gottes gewesen, welche mit seltenen Unterbrechungen jeden Monat in demselben Lokal sich zum Gebet um Ausgießung des heiligen Geistes und das Kommen des Reiches Jesu vereinigt hatten. Jetzt aber riß der Tod schnell eine Lücke nach der andern in die eng verschlungene Kette, und etliche Mitglieder mußten fortziehn. Die bisher fast alleinige Thätigkeit des Vereins, die Vertheilung von Bibeln und Traktaten, wurde von der im Jahre 1814 neu gestifteten Bergischen Bibelgesellschaft und Wupperthaler Traktatgesellschaft übernommen und in umfassenderer Weise fortgeführt. Sie waren beide geistliche Töchter der kleinen Missionsgesellschaft, und nahmen beide ihren Antheil an dem Gebetskapital, das die Mutter aufgehäuft hatte, mit sich hinweg. Das konnte man merken an ihrem gesegnetem Anfang und gesegnetem Fortgang. Die Missionsgesellschaft selbst blieb zwar, so lange der Altvater Peltzer noch lebte – bis 1817 – trotz der Veränderung fast des ganzen Personals, noch wesentlich in den alten Geleisen. Das Gebet war noch immer die Hauptsache, die Herausgabe einzelner Hefte „Nachrichten von der Ausbreitung des Reiches Jesu“ dauerte noch fort; aber man schaute doch schon fleißig aus, besonders die neu eingetretenen jüngeren Mitglieder, (die Zwölfzahl war bereits überschritten) ob der Herr nicht noch andere Arbeit für sie habe, und sie zu unmittelbarer Theilnahme am Missionswerk berufen wolle. Da meldete sich der erste Jüngling, der sich durch Vermittelung des Elberfelder Vereins zum Missionsdienst wollte ausbilden lassen. Man kann denken, mit welchem freudigen Dank gegen den Herrn er angenommen ward. Seine Prüfung und Ausbildung, seine Sendung nach Berlin, um dort zum Heidenboten ausgebildet zu werden, galt den Freunden als erstes Unterpfand, daß der Herr ihren Gebeten dereinst noch die Möglichkeit zur selbstständigen Aussendung von Missionaren eröffnen werde. Der 84jährige Präsident Peltzer sah wie Moses vom Berge Nebo noch hinüber in das Land der Verheißung, sah im Glauben schon aus dem Wupperthal die Friedensboten hinausziehen in die Heidenwelt. Dann starb er. Nun waren nur noch zwei aus jenem alten Beterbunde der Zwölf übrig. Ein Josua und Kaleb ragten sie noch hinein in die neue Entwickelung der Missions-Gesellschaft, die noch erst durch viel Kampf und viel Schwanken gehen sollte, ehe sie wirklich zu dem ersehnten und erflehten Ziele gelangte.

Es trat zunächst nach 1817 eine Zeit ein, wo die neu eingetretenen jungen Kräfte erst sich üben sollten. An vielen Orten erhoben sich neue Missionsvereine, und forderten den alten Elberfelder Verein zum Wetteifer auf. An Thatkraft und gutem Willen fehlte es ihm auch nicht, wenn ihm nur erst einmal ein wohl begrenztes, klar erkennbares Arbeitsfeld angewiesen würde. Da wurden mehrere Mitglieder in ganz besonderer Weise zu einer Wirksamkeit unter den Juden in ihrer nächsten Umgebung veranlaßt, und dies gab den Antrieb, daß der Verein, ohne die Heidenmission aus den Augen zu verlieren, sich für einige Zeit fast ausschließlich die Verbreitung des Evangeliums unter den Juden angelegen sein ließ. Nun ist aber die Judenmission bekanntlich eine höchst schwierige Aufgabe, reich an Täuschungen und bitteren Erfahrungen. Und noch dazu hatte sich unsere Gesellschaft den allermißlichsten Theil der Judenmission ausgesucht, nämlich die Proselytenpflege.

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Sehen wir uns die kurze Geschichte der Barmer Missions-Gesellschaft auch etwas näher an. Es hatte lange gedauert, ehe Barmen sich entschloß, sich ebenfalls an dem Missionswerk zu betheiligen. Als im Anfange des Jahrhunderts die Elberfelder Missions-Gesellschaft die Freunde in Barmen einmal zur Theilnahme eingeladen hatte, war ihnen eine zurückweisende Antwort gegeben worden. Es war eben alles noch unklar und im Werden. Aber als nach der Ueberwindung der fremden Unterdrücker ein neues Frühlingswehen durch die deutschen Gauen ging, als unter der milden und gerechten Herrschaft der Hohenzollerschen Könige alle Kräfte sich zu regen begannen, und ein Gefühl der Sicherheit und des Wohlseins alles durchdrang, da huben auch in Barmen die verschüchterten Freunde des Reiches Gottes ihr Haupt empor. Ihren Mittelpunkt fanden die neuen Regungen an einem jungen eifrigen Prediger, dessen Andenken als des eigentlichen Stifters der Barmer und später auch der Rheinischen Missions-Gesellschaft unter uns und allen seinen zahlreichen Freunden in Segen bleiben wird. Es war der Pfarrer Leipoldt, anfangs Hülfsprediger in Wichlinghausen, nachher Pastor an der vereinigten Gemeinde Unterbarmen. Schon länger hatte derselbe daran gearbeitet, einen Verein von Bibel- und Missionsfreunden, ähnlich dem Elberfelder, zu Stande zu bringen; aber die Sache war den Gemeindegliedern noch zu fremd, und dazu war alles eben in einer gewissen religiösen Gährung, aus welcher sich ein neues frisches Gemeindeleben erst gestalten sollte. Da half ein Besuch des Pastor Blumhardt über die ersten Schwierigkeiten hinweg. Dieser, Inspector der neu gegründeten Missions-Gesellschaft zu Basel, suchte auch in hiesiger Gegend Hülfsvereine für Basel zu gründen. Er fand den Boden in Barmen jedoch noch so wenig vorbereitet, daß er anfangs nur mit der Bibelsache hervorzutreten wagte. Als er dann aber auf vertrauliches Befragen sich weitläufig über den Zweck der Baseler Gesellschaft und die Fortschritte der Heidenmission ausließ, wurde sofort eine neue Versammlung beschlossen, und am 8. September 1818 hielt Blumhardt vor einer ziemlich zahlreichen Versammlung einen Vortrag, welcher zündete. Mit dem jungen Leipoldt hatte er bereits vorher ganz Barmen durchlaufen, um die tauglichsten und wärmsten Männer persönlich aufzusuchen und heranzuziehn. Von diesen ging dann der Beschluß aus, sich zu einem Hülfsverein für die Baseler Missionsgesellschaft zu constituiren, und zunächst einen der dortigen Missionszöglinge durch hiesige Beiträge zu unterhalten. Der Lehrer Roßhoff wurde Präsident, Herr Abr. Siebel wurde Cassenführer, Leipoldt übernahm das bescheidene Amt eines Secretairs, war aber in der That die Seele des Ganzen. Ganz Barmen wurde jetzt in eine Anzahl Rotten oder Districte getheilt, und die Mitglieder oder Directoren der Gesellschaft übernahmen es, eine jährliche Hauscollecte in jedem District abzuhalten. Durch eine besondere Einladungsschrift wurden die Freunde in den benachbarten Städten aufgefordert, sich dem Barmer Verein anzuschließen, es wurden sogenannte auswärtige Directoren ernannt, und bald mehrten sich die eingehenden Gaben und Geschenke so bedeutend, daß statt des einen gleich 3 Baseler Missionszöglinge von hier aus unterhalten werden konnten, unter ihnen der junge Saltet aus Cöln, der später eine gesegnete Wirksamkeit in Grusien am Kaukasus gehabt hat. Und auch nachdem die erforderliche Summe nach Basel abgesandt war, blieb gleich in den ersten Jahren noch immer ein so hübscher Rest in der Kasse, daß auch der Brüdergemeinde, der Halleschen Missionsanstalt, dem Jänicke‘schen Seminare noch ansehnliche Geschenke gemacht werden konnten. Der aufstrebende, unternehmende Sinn des emporblühenden Barmen, der Kampfesmuth und die fröhliche Siegeshoffnung der aus langem Druck und Schlummer wieder erwachenden Gemeinden war auch in dem kleinen Verein so vorherrschend, die jugendlichen Kräfte der vorzüglichsten Mitglieder so begierig nach selbstthätiger Wirksamkeit, daß man sich hier mit Sammlung und Versendung von Beiträgen, mit regelmäßigen Sitzungen und Verbreitung von Missionsschriften nicht begnügen konnte. Nachdem im Herbst 1823 der treffliche Präsident gestorben und der damals in der frischesten Jugendkraft stehende Pastor Sander an seine Stelle getreten war, wurden sofort Missionsbetstunden begonnen, es wurden kleinere Vereine von Mädchen und Dienstboten, Jünglingen und Jungfrauen gegründet, durch deren bescheidene Beiträge die Einnahme bald fast verdoppelt wurde, und 1824 wagte die Gesellschaft sogar mit der Feier eines öffentlichen Missionsfestes hervorzutreten – damals eine ganz unerhörte Neuerung, wegen der sich das Comittee bei den Freunden fast entschuldigen zu müssen glaubte.

Wie nun der Herr die Gesellschaft in allen diesen Dingen sichtlich segnete und förderte, da that sie in fröhlichem Vertrauen auf seinen ferneren Segen noch kräftigere Schritte vorwärts, und faßte im Jahr 1825 den Plan zu 2 Unternehmungen, deren Frucht wir noch heute genießen. Sie gründete nämlich das Barmer Missionsblatt, welches mit Anfang 1826 zuerst erschien, und noch in demselben Jahre in 6000 Exemplaren verbreitet, im folgenden schon in 12,000, später in 21,000 Exemplaren gedruckt worden ist. Wer hätte solchen Erfolg sich damals träumen lassen, als man in dem kleinen Verein zuerst über die großen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens rathschlagte, und es schon für bedenklich hielt, auf den Absatz von mehr als 1000 Exemplaren zu rechnen. Damals machte man sich auf große pecuniäre Verluste gefaßt, und wie viel Tausende von Thalern hat seitdem das Blatt eingetragen, welcher Segen ist durch dasselbe unter uns und bis in weite Ferne hinein gestiftet! Und wie auf das Missionsblatt, so legte der Herr seinen reichsten Segen auch auf das zweite Unternehmen, welches die Barmer Gesellschaft in demselben Jahr 1825 begann, die Gründung einer Missionsschule. Wie klein, wie nichtssagend waren auch diese Anfänge, wie weit entfernt war man von allen weit aussehenden Entwürfen. Es war nichts, als daß sich etliche Prediger des Thales und etliche Lehrer verabredeten, ein Paar Mal in der Woche solchen jungen Handwerkern einigen Unterricht zu ertheilen, die einen Trieb zum Missionsdienst fühlten, es aber doch nicht wagten und wünschten, auf‘s Ungewisse hin nach Basel oder Berlin zu gehn, und zu versuchen, ob sie dort aufgenommen würden. Zu diesem Schritt waren die hiesigen Freunde gleichsam gedrängt. Man vergegenwärtige sich nur die geistliche Physiognomie des Thales in den ersten zwanziger Jahren, besonders seit dem Jahr 1823. Es waren die Tage, „da durch das schon längere Zeit von den begabten und begeisterten Predigern mit gewaltiger Kraft geschwungene Schwert des Geistes eine neue Lebensregung durch alle Gemeinden ging. Die Gotteshäuser faßten die sich herzudrängenden Hörermassen nicht mehr, die Wochengottesdienste wurden nicht minder stark besucht, als die sonntäglichen. Die Wälder umher erklangen namentlich an den Sonntagabenden von geistlichen Gesängen, wie an den Wochentagen die Häuser und Werkstätten. Das religiöse Interesse verschlang bei Tausenden jedes andere. Die gesellige Unterhaltung drehte sich meist um kirchliche Vorgänge oder um Wahrheiten der heiligen Schrift. Eine erwartungsvolle Heiterkeit bildete den Grundton in der Stimmung aller Gläubigen, und ein lebhaftes Bedürfniß nach Herzensergießung und Gedankenaustausch führte die Erweckten täglich nach gethaner Arbeit zu unzähligen trauten Brüderkreisen zusammen.“ So schilderte ein Augenzeuge und selbst reich begabter Knecht Gottes jene gesegnete Zeit. Was Wunder, daß sehr viele Jünglinge, namentlich die von außen her nach Barmen oder Elberfeld gekommen waren, mit hineingezogen in den so mächtig durch das Thal fluthenden Lebensstrom, in dem Feuer der ersten Liebe sich selbst ganz und gar dem Herrn zum Opfer weihen wollten, und sich zum Dienste unter den Heiden meldeten.

Quelle: Geschichte der Rheinischen Missions-Gesellschaft (1857). Aus den Quellen mitgetheilt von L. v. Rohden, Zweitem Inspector am Rheinischen Missionsseminar. Zweite umgearbeitete und vervollständigte Ausgabe. Barmen: Druck von J. F. Steinhaus, 1871, S. 1–6, 8–11. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10703950-7