Quelle
V. Ueber die Dampfschifffahrtsverbindung zwischen deutschen und nordamerikanischen Häfen. (Mit Bezugnahme auf die Vergrößerung der Flotte Preußens und der deutschen Küstenstaaten.)
Es sind etwa 40 Jahre verflossen, seit der geniale Fulton sein erstes Dampfboot mit anfänglich ungünstigem Erfolge unter den beleidigenden Scherzen zweifelnder oder neidischer Zuschauer auf dem Hudson versuchte – und schon sehen wir eine Concurrenz der Dampfschifffahrt auf den Wogen des Oceans entstehen. Welch ein Sieg des Genies! Möchte es doch stets mit gleichem Erfolge Beschränktheit, Mißgunst und Neid überwinden, wie Fulton’s Erfindung, die mit Vogels Schnelle uns von einem Welttheile zum andern führt und alte Zaubermärchen wahr zu machen scheint.
Zeigt uns die Geschichte der Civilisation, daß geistiger Fortschritt überall da am schnellsten und gesundesten sich entfalte, wo der Verkehr mit andern Völkern am leichtesten war, wie vor Zeiten in Griechenland; so dehnt nun die Dampfkraft die Vortheile solchen Verkehrs weithin aus über alle Theile der Welt und begünstigt die neuere Civilisation auf eine den verflossenen Jahrhunderten unbekannte Weise. Man darf behaupten, daß die Gewalt des Dampfes auf die Schifffahrt angewandt, gleich einem Herkules, schon in ihrer Kindheit Wunder verrichtet hat. Sie bringt weit entlegene Continente in die nächste Berührung und rückt dieselben einander gleichsam so nahe, daß die Entfernung fast vernichtet erscheint. Während bisher die europäischen Staaten eine Staatenfamilie bildeten, ist zu ihnen die neue Welt mit ihrer jugendlichen großartigen Entwickelung so nahe herangetreten, daß die Gegenseitigkeit der Einflüsse unvermeidlich ist; die Cultur der civilisirten alten und neuen Welt tritt dadurch auf eine neue Entwickelungsstufe.
Nachdem die Dampfschifffahrtsverbindung leichtere Gelegenheiten bietet, um durch persönliche Beobachtung und Bekanntschaften in fremden Ländern die Kenntnisse zu erweitern, und nachdem diese Gelegenheit von vielen Tausenden von Reisenden benutzt wird, verbreitet sich stets allgemeiner eine von Vorurtheilen freie Bildung. Diese wird sich sicher als eine gesunde und praktisch besonnene bewähren, denn durch scharfe Auffassung und Beurtheilung der Contraste, welche sich im Leben verschiedener Völker zeigen, wird die Erforschung der Wahrheit erleichtert; der menschliche Geist gewinnt in demselben Maße an Klarheit und Mannigfaltigkeit der Eindrücke, als er sich mit dem Geiste, den Künsten und Wissenschaften und den Einrichtungen fremder Nationen befreundet.
Mit den Fortschritten der Civilisation steht bekanntlich die Entfaltung der Industrie in innigster Verbindung, deren Richtung, um wohlthätig und gewinnbringend zu sein, Hand in Hand gehen muß mit dem Geschmack und der Bildung der civilisirtesten Nationen. So finden wir das geistig und materiell Nützliche in inniger Verbindung, und beide auf gleiche Weise begünstigt durch die Dampfschifffahrtsverbindung zwischen Deutschland und dem Continent Amerikas. Die Gründung dieser Dampfschifffahrtsverbindung von Seiten der Vereinigten Staaten hat sie von dem monopolisirenden Einflusse Englands befreit und ist eine wiederholte praktische Unabhängigkeitserklärung.
Ich werde zunächst einige Mittheilungen über die bereits gegründete Dampfschifffahrtsverbindung machen und daran, als an eine gewonnene Basis, einige Andeutungen über die Verwendung der Dampfschiffe knüpfen, um zu zeigen, daß auch im Frieden die Neubildung und Erhaltung einer Flotte Preußens und des durch die norddeutschen Küstenstaaten erweiterten Zollvereins ein Segen und nicht eine Last des gemeinsamen Vaterlandes sein kann.
Durch eine Congreßacte vom 3. März 1845 ward der Generalpostmeister der Vereinigten Staaten autorisirt, Contracte abzuschließen für die Beförderung der Briefpost zwischen irgend einem Hafen der Vereinigten Staaten und einem oder mehreren Häfen der fremden Mächte, wo immer hierdurch nach seiner Meinung das öffentliche Interesse befördert werden würde. Der Generalpostmeister erklärte, daß er zur Ausführung dieses Gesetzes einen Contract mit demjenigen machen wolle, welcher die annehmbarsten Bedingungen böte, und bevorwortete, daß die Verbindung mit nur einem europäischen Hafen hergestellt werden würde. Der Contract ward mit Herrn Mills in New-York abgeschlossen. Ueber die Wahl des europäischen Hafens herrschte lange Zeit Streit, indem jeder Staat einen seiner Häfen gewählt zu sehen wünschte. Am meisten bemühten sich in dieser Beziehung gegen das deutsche Interesse England und Belgien. Es giebt in Deutschland manche Staatsmänner, welche glauben, daß in Folge des Vertrags des Zollvereins mit Belgien letzteres unsere Handelsinteressen im Auslande vertreten würde; die Angelegenheit lieferte einen schlagenden Beweis, wie unbegründet eine solche Ansicht ist.
Es gelang diesen Schwierigkeiten gegenüber dem Herrn Gevekoht, welcher zu dieser Zeit von Bremen nach Washington geschickt war, dem preußischen Minister-Präsidenten, Herrn v. Gerolt, und dem Verfasser dieser Schrift, die einflußreichen Staatsmänner der Union davon zu überzeugen, daß es am zweckmäßigsten sein werde, folgenden Weg den Dampfschiffen vorzuschreiben: sie von New-York auslaufen, in Cowes auf der Insel Wight an der hübschen Küste von England anlegen und in Bremen landen zu lassen. Dieser Weg wurde denn auch für dieselben durch den Generalpostmeister und die Administration festgestellt.[1]
Die Angelegenheit ward durch das Comité des Postwesens vor das Repräsentantenhaus gebracht; der Bericht war günstig und die Gelder wurden sofort bewilligt; auch der Senat gab ohne Opposition seine Zustimmung. Nur ward im Senat der Vorschlag gemacht, auch eine Dampfschifffahrtsverbindung mit Liverpool herzustellen; dieser ward jedoch später aufgegeben.
Als es den englischen Bemühungen nicht gelang, durchzusetzen, daß Liverpool zum Endpunkt für diese Dampfschifffahrtsverbindung gemacht wurde, ergriff man von Seiten Englands die Maßregel, durch wöchentliche Absendung eines Dampfschiffes von Liverpool aus eine Concurrenz in der atlantischen Dampfschifffahrt zu erzeugen, welche die amerikanisch-deutsche im Entstehen ertödten sollte. Dies ist jedoch bekanntlich nicht gelungen.
Die Gründe, welche ergaben, daß die Dampfschifffahrtsverbindung zwischen New-York und Bremen via Cowes die zweckmäßigste sei, waren folgende: es war bekannt, daß das Einkommen für die Briefpost auf den englischen Dampfschiffen die Geldunterstützung vergütete, welche England jenen Schiffen gewährt, und es fragte sich, ob auf ähnliche Weise ein großer Theil der Kosten der beabsichtigten Dampfschifffahrtsverbindung gedeckt werden könne.
Es war zu vermuthen, daß dies der Fall sein werde; denn die neuen Dampfschiffe sind im Stande, die Correspondenz zwischen allen europäischen Staaten zu vermitteln. Cowes, wo die Dampfschiffe anlegen, ist London näher als Liverpool; man kann von dem erstern nach dem letztern Orte auf der Eisenbahn in drei Stunden reisen. Aehnlich verhält es sich mit dem ganzen Süden Englands. Cowes liegt außerdem sehr günstig im Verhältniß zum südwestlichen Continente von Europa und täglich fahren Dampfschiffe zwischen jenem Platze und den nächsten Häfen des Continents. Von Cowes geht die Post in weniger als 9 Stunden nach Havre und in noch kürzerer Zeit nach Belgien und Holland. Die amerikanischen Dampfschiffe, welche von dort nach Bremen gehen, nehmen außerdem von New-York aus die Correspondenz für den nordöstlichen Theil von Europa mit. Von Bremen aus vertheilen sich diese Briefe mittelst der Dampfschiffe und Eisenbahnen nach allen Richtungen. Die deutschen Nordseehäfen liegen im Mittelpunkte des commerziellen Europas und bieten deshalb große Vortheile als Landungsplätze für die transatlantischen Dampfboote. Auf der Rückfahrt von Bremen können die transatlantischen Dampfschiffe alle Briefe der mittlern und nördlichen Staaten Europas nebst den über Triest gehenden, und von Cowes die Briefe aus England, Frankreich, Belgien u.s.w. mitnehmen.
Höchst wichtig für die Geschäfts- und Privatcorrespondenz war es, daß das Porto für alle Briefe, welche mit den amerikanischen Dampfschiffen geschickt werden, bedeutend herabgesetzt wurde, und man erwartete in Folge dieser Herabsetzung eine bedeutende Vermehrung in der Zahl der Briefe. Das Porto für alle Briefe und Packete von nicht mehr als ½ Loth Gewicht ward für England und den Continent auf 25 Cents, ungefähr 10 Sgr. gesetzt. Vorher kostete ein Brief mit den englischen Dampfschiffen 42 ⅔ Cents und falls man nicht Bekanntschaften mit Kaufleuten in New-York oder Boston hatte, kostete jeder Brief durch Vermittelung der dafür bestimmten Bureaus einen Dollar. Eine gewöhnliche Zeitung kostete 61 Cents. Diese hohen Postbeträge erklärten sich daraus, daß England, so lange es das Monopol der Dampfschiffe genoß, sich für Briefe, welche durch seine Vermittlung nach dem Continent gingen, eine sehr hohe Monopolabgabe bezahlen ließ, wie England dies in allen Dingen thut, wo es irgend ein Monopol übt. Es handelte sich darum, dieses Monopol zu brechen; dies ist gelungen und die correspondirende Welt hat dabei bedeutend gewonnen. Alle die hinreichend bekannten Gründe, welche für mäßiges Porto sprechen, waren Argumente zu Gunsten der directen Dampfschifffahrtsverbindung. Was hierbei namentlich Deutschland angeht, so ist zu beachten, daß die zahlreichen Deutschen in den Vereinigten Staaten in Folge der deutschen Erziehung fast alle lesen und schreiben können. Diese, welche bisher, mit Ausnahme der Reichen, von dem Gebrauch der englischen Dampfschiffe zu Folge des hohen Portos ausgeschlossen waren, haben durch die Dampfschifffahrtsverbindung zwischen New-York und Bremen eine wohlfeile und directe Briefsendung erhalten. Ihre ganze Correspondenz sucht jetzt den Weg mittelst der neuen Dampfschiffe.
Diese neue Verbindung ist aber nicht allein wichtig für die unmittelbare Verbindung zum Reisen und für die Correspondenz, sondern auch für die Mittheilungen mittelst der Presse. Das Porto, welches bisher die englischen Dampfschiffe für eine gewöhnliche Zeitung forderten, betrug, wie oben gesagt, 61 Cent, also fast 1 Thlr. Schwerere monatliche Publicationen zahlten im Verhältniß mehr. Ein solches Porto wirkte in der Praxis gleich einem Verbot des gegenseitigen Verkaufs aller periodischen Schriften beider Continente. Diese wurden dadurch von dem Verkauf in Europa ausgeschlossen, und ebenso wurden die periodischen Schriften des Continents von Europa dem amerikanischen Leser vorenthalten. Die englische Presse monopolisirte die Neuigkeiten beider Continente, theilte diese beiden in einem solchen Lichte und in einer solchen Weise mit, als sie es in ihrem Interesse fand, und nöthigte beide Continente, einander durch englische Augen zu betrachten.
Dies war offenbar nicht der beste Weg, um vorurtheilsfrei mit einander und mit den eigenthümlichen gegenseitigen Interessen bekannt zu werden. Wurden bisher periodische Schriften auf wohlfeilere aber langsamere Weise mit deutschen Segelschiffen gesandt, so kamen sie gemeiniglich zu einer Zeit an, wo sie den Reiz der Neuheit längst verloren hatten.
Die amerikanische Presse sowohl als die der Länder von Europa war daher bei dem Erfolg der amerikanischen Dampfschiffe mehr interessirt, als man es bis jetzt noch einzusehen und zu benutzen scheint. Ihre Wirkung wird allmälig dahin führen, eine gerechtere Würdigung der guten Eigenschaften der Nationen auf beiden Continenten, wie eine genauere Kenntniß ihrer geistigen und commerziellen Verhältnisse zu erleichtern und einen schnellern Austausch der Verbesserungen und Entdeckungen im Felde der Wissenschaften und der Industrie herbeizuführen.
[…]
Anmerkungen
Quelle: Beiträge zur Nationalökonomie und Handelspolitik. Von J. L. Tellkampf, ordentlichem Professor an der Universität zu Breslau. Zweites Heft. Leipzig: Verlagsbuchhandlung von I. I. Weber, 1853, S. 139–46. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10388645-1