Kurzbeschreibung

Zu Beginn der Industrialisierung und Städtebildung in Deutschland zwischen 1815 und 1866 spielte der Umweltschutz im Sinne einer Bewegung zur Erhaltung der Natur noch keine Rolle. Die Passagen eines Briefwechsels aus dem Zeitraum 1830 bis 1850 zu Anrainerbeschwerden gegen eine westfälische Chemiefabrik zeigen jedoch, dass solche Probleme existierten und die Behörden scharf reagierten; dennoch verbesserte sich die Lage meistens kaum, es sei denn, eine Fabrik wurde, wie in diesem Fall von 1853, schließlich stillgelegt.

Verschmutzung durch eine Chemiefabrik in der westfälischen Stadt Iserlohn (1839–52)

  • Königliche Regierung, Abtheilung des Innern Arnsberg
  • Ludwig Stark

Quelle

I. Brief der Königlichen Regierung Arnsberg vom März 1839

An den Königlichen Landrat
Herrn Schütte
Hochwohlgeboren zu Iserlohn

Auf den Bericht vom 18ten Februar cr. die Beschwerde des Eickmann und Mitbetheiligte wegen der chemischen Fabrik des Materialisten L. Stark daselbst betreffend, eröffnen wir Eurer Hochwohlgeboren bei Rückgabe der Anlagen desselben, daß nach dem Gutachten des Medizinalraths unseres Collegii, die bei der Fabrikation von Schwefel-Salpeter und Salzsäuren sich entwickelnden und verbreitenden Dämpfe und Dünste für die Gesundheit der Menschen gefährlich und für die Vegetation der Gewächse nachtheilig sind, auch diesen Übelständen durch die von dem Kreis-Physikus Dr. Ploettner in dem Gutachten vom 9t September v.J. vorgeschlagene Aufrichtung einer Mauer nicht genügend abgehalten werden kann, weshalb der Betrieb der gedachten Fabrik nicht ferner zulässig ist.

Die vorbesagte Säure gehört zu denjenigen Fabrikaten, deren Bereitung nach § 693 Tit. 20 Tl 2 des A.L.R. nur mit landespolizeilicher Erlaubnis erfolgen darf. Es muß uns daher um so mehr befremden, daß die Orts-Polizei-Behörde den Betrieb der in Rede stehenden Fabrik ohne nähere Genehmigung gestattet hat, als wir die Schließung derselben bereits unterm 20t August 1830 ausdrücklich verfügt haben. Wir weisen Sie deshalb an, nicht nur den dortigen Magistrat zur Verantwortung hierüber aufzufordern und dessen Erklärung binnen 4 Wochen einzureichen, sondern auch dem Stark fortab den Betrieb seiner chemischen Fabrik bei einer Strafe von 50 Thalern zu untersagen, und denselben wegen seiner gesetzwidrigen Handlung nach § 694 Tit. 20 Tl 2 des A.L.R. zur Untersuchung und Bestrafung ziehen zu lassen. Über die Ausführung dieser Verfügung sehen wir Ihrem Berichte binnen der vorbemerkten Frist entgegen und überlassen Ihnen hiernach, die Beschwerdeführer auf die Vorstellung vom 18t Januar zu bescheiden.

Arnsberg, den 24ten März 1839
Königliche Regierung, Abtheilung des Innern.

II. Schreiben der Königlichen Regierung Arnsberg vom Mai 1852

Die im August v. Jahres abgehaltene sachverständige Untersuchung der, von Ihren Nachbarn über die nachtheiligen Folgen Ihrer chemischen Fabrik erhobenen, Beschwerden hat außer Zweifel gestellt, daß weder die Einrichtungen noch die Betriebsweise der Fabrik von der Art sind, daß die Umgegend von erheblichen Nachtheilen und Belästigungen gesichert wäre.

Nicht allein, daß die Vegetation der umschließenden Gärten unverkennbar unter der Einwirkung saurer Dämpfe bedeutend gelitten hätte und in ihrer Entwicklung gestört war, so fand sich auch am Tage der Revision ein so erstickender salpetersaurer Dunstkreis in den Fabrikräumen und deren Umgebung verbreitet, daß es unvermeidlich war, das Untersuchungs-Geschäft einstweilen abzubrechen.

Um diesen Übelständen endlich durchgreifend zu begegnen, finden wir uns veranlaßt, in Verfolg der Verfügungen vom 12ten April und 11ten Oktober 1850 den Fortbetrieb Ihrer Fabrik von der genauen Erfüllung folgender Bedingungen, welche theilweise schon früher als räthlich befunden, jedoch auf Ihre Bitte bis zu weiteren Erfahrungen hinaus geschoben waren, abhängig zu stellen.

Es ist für einen, den Nachbarn ungefährlichen, Fortbestand der Anlage vor Allem unerläßlich, nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß die sauren Gase und Dämpfe verdichtet und vor Entweichung bewahrt, die unvermeidlich entweichenden aber einer hohen Luftregion zugeführt werden.

Zu diesem Behufe sind folgende Einrichtungen nöthig.

1, Die Räume, in welchen
a, der Schwefelverbrennungsofen sich befindet,
b, die Salzsäure destilliert,
c, die Schwefelsäure abgedampft und destilliert wird,
müssen eine den Gutachten des Herrn Grothe vom 2ten März 1850 und des Herren Dieckmann vom 31ten Januar d. J. vollständig entsprechende, trichterförmige und dichte Überdachung erhalten, weshalb sowohl die gebrochentrichterförmige Gestalt der Überdachung des Destillations-Raums für die Salpetersäure, wie der theilweise oder gänzliche Mangel des vorgeschriebenen Lehmüberzuges nicht ferner zu dulden sind.

2, Alle entweichenden Gase sowohl
a, von dem Schwefelverbrennungsofen
als b, von den Bleikammern
als c, von den Salpetersäure-Retorten,
endlich d, von dem Konzentrationsraume der Schwefel-Säure
müssen durch Abzugsröhren einem oder mehreren Kondensatoren zugeleitet und zuletzt

3, in die gemeinschaftliche Esse, welcher ausreichend Zug zu verschaffen ist, abgeführt werden.

4, Die Verbindungsröhre zwischen den einzelnen zur Aufnahme und Verdichtung der ausgetriebenen Salpetersäure dienenden Ballons müssen, statt mit Wasser, mit einem die Gase nicht durchlassenden Körper abgesperrt werden.

5, Das Abkühlen, Umgießen und Mischen der Salpetersäure darf nur in dem Raume der Salpetersäurebereitung oder in einem sonstigen Lokale stattfinden, welches trichterförmig bedeckt und mit einem Kondensator und demnächst mit der Esse in Verbindung stehen muß.

Hieran schließen sich noch folgende allgemeine Bedingungen:

6, Es darf keine Veränderung in den bestehenden Vorrichtungen oder in der gegenwärtigen Betriebsweise der Fabrik ohne vorgängige diesseitige Genehmigung stattfinden.

7, Sie bleiben verpflichtet mit allem Fleiße für einen geregelten Fabrikbetrieb, für den sorgfältigsten Verschluß aller Apparate und für die schleunigste Ausführung jeder erforderlich werdenden Reparatur einzustehen und jeden erweislich in Folge Ihrer Fabrik einem Dritten entstehenden Schaden zu ersetzen.

8, Alle in Zukunft sich noch als notwendig ergebenden Vorkehrungen zur Beseitigung nachtheiliger Einflüsse Ihrer Fabrik bleiben vorbehalten.

Diesen Bedingungen haben Sie sich schriftlich zu unterwerfen und die Erfüllung der von 1 bis 5 einschließlich aufgeführten binnen der vom Herrn Landrath Ihnen zu bestimmenden Frist durch ein Zeugnis des Herrn Wegebaumeisters Dieckmann, von welchem Sie sich für die Ausführung nähere Anleitung erbitten können, nachzuweisen, widrigenfalls ohne Verzug Ihre Fabrik im Verwaltungswege geschlossen werden müßte, vorbehaltlich des aus § 177 der Allgemeinen Gewerbeordnung vom 17ten Januar 1845 hervorgehenden gerichtlichen Strafverfahrens.

Da die Ergebnisse der neusten Revision wiederum zu Ihrem Nachtheile ausgefallen sind, so müssen Sie die Kosten für dieselben ebenso, wie für die früheren tragen.

Arnsberg, den 5ten Mai 1852.
Königliche Regierung, Abtheilung des Inneren

III. Schreiben des Landrats vom Juni 1852

Iserlohn, den 5. Juni 1852
Betrifft die Starksche Chemiefabrik auf der Bleiche hierselbst

Auf Veranlassung erschien der Herr Fabrikbesitzer Ludwig Stark von hier, und gab, in Verfolg seiner Vernehmlassung vom 27. v. Mts. auf hiesigem Kreisbüreau, folgende Erklärung ab:

1. Ich verpflichtete mich hierdurch, meine Chemikalienfabrik bis zum 1. April künftigen Jahres von der Bleiche vollständig weg zu verlagern und mit dem gedachten 1. April jede Chemikalien-Fabrikation in der jetzigen Lokalität auf der Bleiche gänzlich und definitiv einzustellen.

2. Ferner verpflichte ich mich, den bisher durch meine Fabrik entstandenen und künftig durch dieselbe etwa noch entstehenden Schaden vollständig zu ersetzen; auch die Fabrikation mit aller möglichen Vorsicht zu betreiben, namentlich die für die Behandlung der Salpeter-Säure von Königlicher Regierung geforderten Vorsichtsmaßregeln genau zu beachten, so wie es sich von selbst versteht, daß ich kein Fabrikat produzieren werde, wozu ich nicht die Erlaubnis habe. Mit den Vorbereitungen zur Verlegung werde ich sofort beginnen, sobald ich die nachgesuchte Conzession besitze, auch diese Vorbereitungen nachhaltig fortsetzen.

Sollte aber die gedachte Conzession, wider Erwarten, abgeschlagen werden, so versteht es sich von selbst, daß meine oben ad 1 gemachte Erklärung . . . , in dem ich dann kein Lokal zu finden weiß, wohin ich die Fabrik verlegen könnte, und würde in diesem Falle die hohe Regierungsverfügung vom 5. v. Mts. wieder in Kraft treten und zur Ausführung kommen müssen.

Ich bitte meine obige Auslassung den Herren Beschwerdeführern zur Erklärung vorzulegen und solche demnächst an Königl. Regierung zu befördern.

Vorgelesen, genehmigt u. vollzogen
gez. Ludwig Stark
gez. Schütte, Landrat

Quelle: StAM Kreis Iserlohn, Landratsamt 242; abgedruckt in Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher, Blauer Himmel über der Ruhr: Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet 1840–1990. Essen: Klartext, 1992, S.125–28. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Klartext Verlags, Essen.

Verschmutzung durch eine Chemiefabrik in der westfälischen Stadt Iserlohn (1839–52), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/vom-vormaerz-bis-zur-preussischen-vorherrschaft-1815-1866/ghdi:document-389> [23.04.2024].