Quelle
Als nun gedachter maßen durch den General Pappenheim1 eine
ziemliche Anzahl Volkes auf den Wall bei der Reustadt und da herum in
die Gassen der Stadt gebracht, auch der von Falckenberg2 erschossen
und das Feuer an allen Enden eingelegt worden, da ist es mit der Stadt
geschehen und alle Resistenz zu spät und vergebens gewesen. Denn ob sich
gleich von Bürgern und Soldaten an etlichen Orten etwas wieder gesetzt
und zur Wehr gestellt, haben doch die Kaiserlichen indessen immer mehr
und mehr Volkes, auch Reiterei genug – weil der Graben auf der Spitze
dieses Bollwerks noch nicht ausgearbeitet und der neue Wall sehr flach,
also daß sie auch darüber in die Stadt reiten können – zu Hilfe
gekriegt, endlich das Kröckenthor eröffnet und also die ganze Armee der
kaiserlichen und katholischen Liga von Hungarn, Croaten, Polacken,
Heyducken, Italianern, Hispaniarden, Franzosen, Wallonen, Nieder- und
Oberdeutschen etc. hier eingelassen. Da ist es geschehen, daß die Stadt
mit allen ihren Einwohnern in die Hände und Gewaltsamkeit ihrer Feinde
gerathen – die denn alle heftig und grausam, theils aus gemeinem Haß
gegen die augsburgischen Confessions-Verwandten, theils daß man mit
Drathkugeln geschossen und sonst etwa von den Wällen, wie es zu gehen
pflegt, geschmählet3, erzürnt und erbittert gewesen. – Da ist nichts
als Morden, Brennen, Plündern, Peinigen, Prügeln gewesen. Insonderheit
hat ein Jeder von den Feinden nach vieler und großer Beute gefraget.
Wenn dann eine solche Partei in ein Haus gekommen, und der Herr etwas zu
geben vermocht gehabt, hat er sich und die Seinigen so lang salviren und
erhalten können, bis eine andere, die auch was haben wollen, wieder
angekommen. Endlich aber, wenn es alles hingegeben und nichts mehr
vorhanden gewesen, alsdann ist die Noth erst angegangen. Da haben sie
angefangen zu prügeln, ängstigen, gedrohet zu erschießen, spießen,
henken etc., daß, wenn’s gleich unter die Erde vergraben oder in tausend
Schlössern verschlossen gewesen, die Leute dennoch hervorsuchen und
herausgeben müssen. Unter welcher währenden Wütherei dann, und da diese
so herrliche, große Stadt, die gleichsam eine Fürstinn im ganzen Lande
war, in voller brennender Gluth und solchem großen Jammer und
unaussprechlicher Noth und Herzeleid gestanden, sind mit gräulichem
ängstlichen Mord- und Zetergeschrei viel tausend unschuldige Menschen,
Weiber und Kinder kläglich ermordet und auf vielerhand Weise erbärmlich
hingerichtet worden, also daß es mit Worten nicht genugsam kann
beschrieben und mit Thränen beweint werden.
Es hat aber diese trübselige Zeit nicht viel über zwei Stunden lang in der Stadt gewähret, indem durch den unversehens zustoßenden Wind das Feuer – so zwar anfangs der Graf von Pappenheim, den Bürgern und Einwohnern zur Perturbation und Schrecken einzulegen solle befohlen, nachmals aber die gemeine Soldatesque hierin keine Discretion und Aufhören gewußt haben – dergestalt überhand genommen, daß um 10 Uhr Vormittags alles im Feuer gestanden, und um 10 Uhr gegen die Nacht die ganze Stadt, zusammt dem schönen Rathhause und allen Kirchen und Klöstern, völlig in der Aschen und Steinhaufen gelegen. Daher denn das kaiserliche Kriegesvolk, wenn es nicht selbst verbrennen wollen, wiederum aus der Stadt entweichen und sich in ihre Feldlager retiriren müssen.
Also hat man diese weitberühmte, vornehme Stadt und Zierde des
ganzen Landes in einem Tage in Feuer und Rauch aufgehen und ihre übrig
gebliebenen Einwohner mit Weib und Kindern gefangen vor dem Feinde
hintreiben gesehen, daß das Geschrei, Weinen und Heulen gar weit ist
gehört und die Lohe und Asche von der Stadt bis in Wanzleben, Egeln und
weitere Orte durch den Wind verführet worden. […]
Mit den Weibern, Jungfrauen, Töchtern und Mägden aber die keine Männer, Eltern oder Verwandten gehabt, so ihrenthalber Ranzion erlegen, noch bei hohen Officieren Hilfe oder Rath suchen können, ist es mit vielen fast übel abgelaufen, sind theils genothzüchtigt und geschändet, theils zu Concubinen behalten worden. […]
Belangend die Anzahl der Erschlagenen und Umgekommenen in der Stadt, weil nicht allein das Schwert, sondern auch das Feuer viel Menschen aufgefressen, kann man dieselbe nicht eigentlich wissen, denn nicht allein bald nach dieser erbärmlichen Einäscherung der General Tilly4 die verbrannten Leichname und sonst Erschlagenen von den Gassen, Wällen und andern Plätzen auf Wagen laden und in’s Wasser der Elbe fahren lassen, sondern man hat auch fast ein ganzes Jahr lang nach der Zeit in den verfallenen Kellern viel todte Körper zu 5, 6, 8, 10 und mehr, die darin erstickt und befallen gewesen, gefunden und weil die, so auf den Gassen gelegen, sehr vom Feuer verzehrt und von den einfallenden Gebäuden zerschmettert gewesen, also daß man oft die Stücken mit Mistgabeln aufladen müssen, wird Niemand die eigentliche Summam benennen können. Insgemein aber hält man dafür, daß mit eingeschlossen die beiden Vorstädte und was von der kaiserlichen Soldatesque – als von denen nicht allein im Sturm hin und wieder viel geblieben, sondern sich auch mancher verspätet, im Keller oder Hause zu lange gesucht oder sonst verirrt gehabt – umgekommen und verbrannt, es auf 20 000 Menschen, klein und groß, gewesen, die bei solchem grausamen Zustande ihr Leben enden oder sonst am Leibe Schaden leiden müssen. Die abgestorbenen Leichname, so vor das Wasserthor hinaus in die Elbe geführt worden, haben, weil an dem Orte alle Wege ein Kräusel oder Wirbel ist, nicht bald hinwegfließen können oder wollen, also daß viele da lange herumgeschwommen, die theils die Köpfe aus dem Wasser gehabt, theils die Hände gleichsam gen Himmel gereckt und dem Anschauer ein fast grausam Spectakel gegeben haben, davon denn viel Geschwätzes gemacht worden, gleich als hätten solche todte Leute noch gebetet, gesungen und zu Gott um Rache geschrieen, wie denn ebenermaßen man von vielen Gesichtern, Gespenstern und dergleichen Dingen zwar sagen, aber von Niemand im Grunde der Wahrheit bejahet werden wollen.
Anmerkungen
Quelle: Friedrich Wilhelm Hoffmann, Geschichte der Belagerung, Eroberung und Zerstörung Magdeburg’s von Otto von Guericke, Churfürstlich-Brandenburgischem Rath und Bürgermeister besagter Stadt. Magdeburg: Baensch, 1860, S. 82-87; abgedruckt in Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 4. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 296-301.