Quelle
Joachim Naumann
geb. 1929, Dr. phil., Diplomstaatswissenschaftler, 1953–90 im MfAA, u.a. 1962–63 Bevollmächtigter der Regierung der DDR in Laos, 1967–73 Botschafter in Kuba, 1974–82 Leiter der Abt. Lateinamerika, 1983–88 Botschafter in Mexiko und 1989–90 in Venezuela.
Mehr als zwanzig Jahre währte der Kampf der DDR um die internationale Anerkennung. Man kann ihn, grob vereinfacht, in zwei Richtungen einteilen: Einmal in Richtung der eigenen Verbündeten im sich entwickelnden „sozialistischen Weltsystem“. Hier standen vor allem der Ausbau und die Vertiefung der Beziehungen im Mittelpunkt der außenpolitischen Bemühungen. Die zweite Richtung hatte die Durchlöcherung der Hallstein-Doktrin zum Ziel. Die meisten Kollegen in unserem Kreis haben diese Zeit am Beginn ihrer diplomatischen Laufbahn aktiv miterlebt.
Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion 1955 erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer vor dem Bundestag, daß die Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR durch Drittstaaten, mit denen sie offizielle Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen werde, der geeignet sei, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen. Mit dieser Formel, nach einem der Mitautoren Hallstein-Doktrin genannt, hatte sich die BRD ein Instrument geschaffen, mit dem sie ihren Alleinvertretungsanspruch außenpolitisch umsetzen konnte. Die Drohung mit dem Abbruch ihrer Beziehungen im Falle der Anerkennung der DDR verhinderte bis 1972 die Aufnahme normaler Beziehungen der DDR zu den Ländern der westlichen Welt und zur Mehrzahl der Entwicklungsländer, eine gleichberechtigte Mitarbeit in internationalen Gremien wie den Vereinten Nationen und deren Unterorganisationen. So wurde das Durchbrechen der Hallstein-Doktrin, die Normalisierung der bilateralen wie der internationalen Beziehungen, die Herstellung der diplomatischen Beziehungen und der UNO-Mitgliedschaft zu einem Grundinteresse der DDR, weil Voraussetzung für eine erfolgreiche Außenpolitik.
Die Hauptfelder der Auseinandersetzung um die Hallstein-Doktrin lagen Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren in den Ländern der Dritten Welt; vor allem im arabischen und südostasiatischen Raum sowie in Afrika. Dort unterhielt die Bundesrepublik bereits ein umfangreiches Netz diplomatischer Vertretungen. Die DDR erhoffte sich aus dem antikolonialen Kampf der Befreiungsbewegungen Anknüpfungspunkte für die Aufnahme von Beziehungen. Bonn wie Berlin haben diesen Kampf kompromißlos, mit dem Einsatz umfangreicher materieller Mittel und der Bindung von personellen Ressourcen geführt, bis er Anfang der siebziger Jahre nicht mehr in die internationale Landschaft paßte. Damals entwickelten sich zwischen Moskau und Washington erste Vorstellungen einer politischen Entspannung, in deren Gefolge in Bonn die „neue Ostpolitik“ ausgearbeitet wurde. Befördert wurde letzteres durch die Erkenntnis, daß die Fortsetzung der Hallstein-Doktrin langfristig die Glaubwürdigkeit der Außenpolitik der Bundesrepublik gegenüber den Entwicklungsländern untergrabe, die die Handhabung dieses Instruments zunehmend als Erpressung empfanden. Mit dem Abschluß des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD eröffnete sich 1972/73 für die DDR der Weg zur internationalen Anerkennung, zur Teilnahme am KSZE-Prozeß und zur Aufnahme als Mitglied in die UNO.
Meine eigenen Erfahrungen aus dieser ersten Etappe bis Anfang der siebziger Jahre habe ich hauptsächlich in und mit Lateinamerika gesammelt. Dort ging es damals, abgesehen von Kuba, insbesondere um die schrittweise Aufwertung des Status unserer Vertretungen bis an die Schwelle der diplomatischen Beziehungen, um die völkerrechtliche Legitimierung der DDR, um die Darstellung der DDR als eine gesellschaftliche Alternative zur BRD und als gleichberechtigter bilateraler und internationaler Partner sowie um die Schaffung von Lobbies zur Unterstützung der Arbeit für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, von Parlamentsbeziehungen bis hin zur Gründung von Freundschaftsgesellschaften. Rückblickend möchte ich sagen, auch wenn ich vielleicht Widerspruch ernte: Diese Zeit bis zum Anfang der siebziger Jahre, als wir um die diplomatische Anerkennung der DDR in den meisten Ländern der Welt kämpfen mußten, scheint mir, vom Erfahrungsschatz, den sie uns gebracht hat, fast wichtiger als die nachfolgenden knapp zwanzig Jahre der normalen diplomatischen Arbeit.
In Lateinamerika hatte die DDR in den meisten Ländern in diesem Zeitraum die Voraussetzungen für einen möglichst nahtlosen Übergang zu Botschaften geschaffen. Es existierten relativ gute Ausgangspositionen in den politischen, kulturellen und parlamentarischen Kreisen. Wir hatten günstige Bedingungen für eine bilaterale Zusammenarbeit und für den Aufbau eines Vertragssystems erreicht. Seit Mitte der sechziger Jahre, beginnend mit einer regelmäßigen Ausbildung in Havanna, hatte das Außenministerium eine ganze Reihe qualifizierter Regionalkader herangebildet. Trotzdem ging es uns in Lateinamerika ähnlich wie kurze Zeit später nach der KSZE-Konferenz von Helsinki: Wir waren nicht genügend vorbereitet und auch nicht in der Lage, den neuen personellen, materiellen und finanziellen Anforderungen gerecht zu werden. Die weltweite Anerkennung der DDR war vielleicht der größte außenpolitische Erfolg. Sowie wir die Anerkennung hatten, fiel sie uns aber auch auf die Füße, weil wir nicht in der Lage waren, die Möglichkeiten, die sich eröffneten, umfassend und gezielt im Sinne unserer Politik zu nutzen. Das gilt, wenn auch mit Unterschieden in einzelnen Ländern des Subkontinents und mit Unterschieden in bestimmten Zeitabschnitten, eigentlich für die gesamte Periode bis 1989.
Die Erwartungen, die wir in den Jahren vor der diplomatischen Anerkennung bei den Partnern geweckt hatten, konnten wir dann im kulturell-wissenschaftlichen Bereich, in der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit, auf dem Gebiet der Ausbildung und des Sports nicht erfüllen. Im politisch-diplomatischen Bereich ist die DDR zum Beispiel in Lateinamerika nie über die Ebene der Außenminister hinaus gekommen, wenn man von dem Besuch Erich Honeckers 1982 in Mexiko absieht. Es gab zwar eine Reihe von formellen Vereinbarungen über diplomatische Konsultationen, die aber im eigentlichen Sinne keine Konsultationen oder Beratungen waren, sondern ein Austausch von Positionen. […]
Nachdem die DDR das Grundinteresse an den diplomatischen Beziehungen mit Lateinamerika bis etwa 1974, die letzten waren Venezuela, befriedigt hatte, stieß sie beim praktischen Ausbau der bilateralen Beziehungen an ihre Grenzen. Sie konzentrierte sich auf „Schwerpunktländer“, und wir arbeiteten fast immer unterhalb der Grenze des Erreichbaren. Das gilt im übrigen auch, mit einer kurzen Ausnahme gegenüber Brasilien, für den Handel.
[…]
Norbert Jaeschke
geb. 1927, Schlosser, Diplomjurist, 1952–90 im MfAA, u.a. 1958–61 stellv. Leiter der DDR- Vertretung in Burma, 1964–68 Generalkonsul im Irak, 1974–79 Botschafter in der Türkei, 1983–88 Botschafter in Dänemark und 1989–90 in der Türkei.
Die Perioden, die wir gerade skizziert haben, haben sich nach meinen Erfahrungen auch im Verhalten der Diplomaten der beiden deutschen Staaten zueinander widergespiegelt. In der ersten Zeit haben wir uns im Grunde genommen zueinander verhalten wie Diplomaten zweier kriegführender Parteien. Es dauerte relativ lange, so habe ich es in Burma erlebt, bis wir uns in einer zweiten Periode wenigstens „Guten Tag“ gesagt haben. Wenn ein westdeutscher Diplomat in einen Gesprächskreis hineingekommen war, haben wir nach und nach den Rückzug angetreten. Und umgekehrt war es nicht anders. Nach Herstellung der diplomatischen Beziehungen gab es dann die Linie, die BRD-Diplomaten zu behandeln wie die aller anderen Staaten. Man ging normal miteinander um, ohne sich gegenseitig anzunähern.
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Wolfgang Bator
geb. 1927, Dr. Phil., Maurer, Romanist, 1959–90 im MfAA, (1968–1979 Mitarbeiter in der Abt. IV des ZK der SED), u.a. 1964–67 stellv. Leiter der DDR-Vertretung in Marokko, 1980–85 Botschafter in Lybien und 1987–90 im Iran.
Ich möchte das, was Achim Naumann über die unmittelbaren Folgen der Anerkennungswelle gesagt hat, auch für den arabischen Raum unterstreichen. Der Rahmen, den wir erkämpft hatten, war plötzlich zu groß geworden. Wir waren nicht imstande, die Hoffnungen, die wir bei vielen Kräften, die uns wohlgesonnen waren, geweckt hatten, nun auch auszufüllen. Im arabischen Raum spielte der Handel eine größere Rolle in den Beziehungen. Da wir den außenpolitischen Rahmen nicht ausfüllen konnten, erhielten plötzlich parteipolitische Beziehungen eine Größenordnung in den außenpolitischen Beziehungen, die mitunter nicht zu vertreten war. Das kam natürlich auch daher, weil etliche Parteien, mit denen die SED Kontakte pflegte, an der Macht waren, wie in Syrien oder im Libanon.
Auf dem Gebiet der kulturellen und der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit hätte es vor Ort viele Möglichkeiten gegeben, aber wir waren nicht in der Lage, dies materiell und personell abzudecken. Ein Teil der Partner, die mit uns zusammengearbeitet hatten, sind bitter von uns enttäuscht worden. Sie hatten damit gerechnet, daß die DDR nach der Anerkennung „groß einsteigen“ werde.
Wir sind im arabischen Raum über bilaterale Politik mit den einzelnen Ländern nicht hinausgekommen und haben nie ein Wort mitgeredet in der Nahost-Politik. Wir haben auch keine ausgewogene Politik oder Linie gegenüber der Nahost-Problematik gehabt.
Siegfried Bock
geb. 1926, Prof. Dr. jur., Jurist, 1951–90 im MfAA, u.a. 1953–57 Leiter der Rechts- und Vertragsabteilung, 1967–77 Leiter der Hauptabteilung Grundsatzfragen und Planung und zugleich seit 1972 Leiter der DDR-Delegation bei den KSZE-Verhandlungen, 1977–84 Botschafter in Rumänien, 1984–88 Leiter der Abt. Südosteuropa, 1988–90 Botschafter in der SFRJ, seit 1993 Präsident des Verbandes für Internationale Politik und Völkerrecht e.V.
Ich glaube schon, daß die Normalisierung der Beziehungen, die Aufnahme von bilateralen Beziehungen der bedeutendste und der sichtbarste Erfolg der Außenpolitik der DDR war. Das entsprach auch der Interessenlage der DDR, obwohl wir uns in dieser und jener Hinsicht einfach übernommen haben. Wir mußten uns übernehmen, wir mußten es angesichts der Kräftekonstellation, die hinter dieser Politik stand. Für die DDR war eine möglichst große Zahl bilateraler Beziehungen ein entscheidender Faktor für die eigene Profilierung und ihr internationales Image, unabhängig davon, was man dann im einzelnen entsprechend der jeweiligen Konstellation daraus machen konnte. Und in gewisser Weise, vielleicht haben wir das damals und in der Folgezeit etwas überschätzt, enthielt die Anerkennung auch eine Absage an die Problematik der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und der Rückkehr zu territorialen Strukturen aus der Zeit vor 1945.
Allerdings wurde im Verlauf dieser Politik vieles dem Zufall beziehungsweise dem Lauf der Dinge überlassen. Die Beziehungen wurden hergestellt, wie und wo sie sich gerade anboten. Es gab offensichtlich keine strategische Orientierung, die besagte, wo die Schwerpunkte lagen, mit wem man die Beziehungen schneller herstellen sollte und wo man sich durchaus Zeit lassen konnte. […]
Insgesamt möchte ich die These meiner Vorredner unterstützen: Wir waren in einer Reihe von Fragen nicht genügend vorbereitet. Personell war das sicher schwierig. Aber wir waren auch konzeptionell, sowohl was die einzelnen Regionen als auch die einzelnen Länder betraf, nicht so vorbereitet, daß wir hätten sagen können: Wenn wir Beziehungen aufnehmen, dann stehen gegenüber diesem Land diese und jene Fragen an, die man zu lösen versuchen sollte. Und wenn die sich nicht im ersten Atemzug lösen lassen, dann muß man auch einen etwas längeren Atem haben.
[…]
Quelle: Siegfried Bock, Ingrid Muth, Hermann Schwiesau, Hrsg., DDR-Außenpolitik im Rückspiegel. Diplomaten im Gespräch. Politikwissenschaft Band 106. Münster: LIT Verlag, 2004, S. 82–93, 344–45.