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Beziehungen zwischen SPD und SED. Interview mit Dr. Erhard Eppler im Deutschlandfunk
von Karl Wilhelm Fricke
DLF: Gegenstand dieses Interviews sollen die Beziehungen von SPD und SED sein. Ausgangspunkt ist jenes Grundsatzpapier, das SPD und SED, genauer gesagt: die Grundwerte-Kommission der SPD und die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED gemeinsam ausgearbeitet und vor einem Jahr veröffentlicht haben. Der Titel „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“. Sie, Herr Dr. Eppler, haben entscheidend an diesem Papier mitgearbeitet. Würden Sie nach den politischen Erfahrungen des zurückliegenden Jahres Ihre Unterschrift heute wieder daruntersetzen?
Eppler: Wenn ich mir das genau überlege, sage ich nach kurzem Zögern ja. Ich würde das noch einmal tun, obwohl manche Hoffnungen, die wir mit diesem Papier verbunden haben, sich bislang nicht erfüllt haben.
DLF: Der Grundgedanke des Dokuments, wenn ich das in meinen Worten wiedergeben darf, besteht in der Erkenntnis, daß der Frieden im nuklearen Zeitalter nicht mehr gegeneinander errüstet, sondern nur noch miteinander vereinbart werden kann. Daraus ergibt sich für die beiden Partner die Folgerung, daß das gemeinsame Ringen um Frieden auch neue Formen der politischen Auseinandersetzung bedingt: Dialogbereitschaft, Kultur des ideologischen Streits, wobei jede Seite der anderen Existenzberechtigung, Friedensfähigkeit, Reformfähigkeit zubilligt. Haben nicht aber, und das ist meine Frage, Äußerungen führender Ideologen und Politiker der SED, ihre nachträglichen Uminterpretationen, diesen Konsens grundsätzlich in Frage gestellt?
Eppler: Herr Fricke, Sie haben in wenigen Sätzen tatsächlich das Wichtigste an diesem Papier noch einmal rekapituliert. Uns war von Anfang an klar, daß es in diesem Papier Stellen gibt, die einem geschulten Marxisten-Leninisten einiges Bauchgrimmen verursachen mußten. Wir können feststellen, daß das Politbüro der SED dieses Papier gebilligt, seine Veröffentlichung im „Neuen Deutschland«“ veranlaßt hat. Daß inzwischen alle möglichen Interpretationen gelaufen sind, solche, die wir als legitim hinnehmen konnten, und solche, die wir nicht als legitim hinnehmen konnten . . .
DLF: Zum Beispiel die eine Äußerung von Kurt Hager . . .
Eppler: Ja, gerade die über die Friedensfähigkeit. Sie war wahrscheinlich besser gemeint, als sie angekommen ist. Daß es hier Schwierigkeiten geben würde, daß es hier Interpretationen hin und her geben würde, hat uns auch nicht überrascht. Mein Eindruck ist, daß, gerade was die Interpretationen angeht, hier noch vieles in der SED im Gange ist und wir wahrscheinlich noch ein, zwei Jahre warten müssen, was dabei herauskommt. Was mich eigentlich viel mehr beunruhigt als die manchmal etwas verkrampften Interpretationsversuche, das ist die Verkürzung des Papiers in den Medien, in der öffentlichen Wahrnehmung der DDR, nämlich die Verkürzung auf das Thema Frieden. Frieden ist schließlich das wichtigste, alles andere hat sich dem Frieden unterzuordnen. Das alles ist ja auch nicht falsch. Aber dabei kommen natürlich die Hauptthemen, zum Beispiel die Zugestehung von Friedensfähigkeit, Reformfähigkeit, Existenzberechtigung nach beiden Seiten, die Verknüpfung des äußeren Dialogs, also etwa zwischen SPD und SED oder auch der SED und anderen politischen Gruppierungen in der Bundesrepublik oder in Westeuropa auf der einen Seite und des inneren Dialogs, innerhalb der Gesellschaften bei uns und dort im Augenblick, wesentlich zu kurz. Aber das heißt nicht, daß man dem abgeschworen hat, sondern daß man sich offenbar im Augenblick noch nicht in der Lage sieht, diesem Teil des Papiers voll gerecht zu werden. Gut, wir haben einigermaßen Geduld und müssen vielleicht noch hinzufügen, was die Friedenspolitik angeht, die Bereitschaft, in Sicherheitsfragen mit westlichen Kräften, auch der SPD, konstruktiv zusammenzuarbeiten, da haben wir eigentlich keine Enttäuschungen erlebt, sondern das geht in der DDR gut weiter. Die Schwierigkeit liegt zur Zeit in der Umsetzung des Papiers nach innen.
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DLF: Schließt eigentlich der Wandel im Verhältnis von SPD und SED auch einen Wandel der SPD zur DKP ein? Das wäre doch logisch gedacht.
Eppler: Darüber haben wir von Anfang an auch nachgedacht. Ich gestehe Ihnen, daß ich im Laufe des letzten Jahres meine Meinung in dieser Sache etwas geändert habe. ich habe ursprünglich gesagt, die SED ist eine der regierenden Parteien in Zentralosteuropa, also im Bereich des Warschauer Paktes. Wir sind eine der demokratischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland. Auf dieser Ebene haben wir das Papier gemacht, nicht mit irgendeiner kleinen Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Daran möchte ich natürlich festhalten. Aber es hat sich nun ein anderes Problem ergeben. Wenn wir der SED sagen, wo bleibt eigentlich bei euch der innere Dialog, in der DDR etwa mit den Kräften, die sich nicht zur SED bekennen, und zwar nicht nur die Blockfreien, sondern ich meine jetzt Kirchen oder Friedensgruppen oder Ökologiegruppen, was es da so gibt, dann bekommen wir gelegentlich die Gegenfrage: Wie haltet ihr es eigentlich mit der DKP? Das heißt, ist es nicht bei euch auch so, daß ihr Gruppen, in diesem Fall allerdings eine sehr kleine Gruppe, aus dem inneren Dialog ausklammert? Ich glaube, diese Gegenfrage ist nicht unberechtigt. Das habe ich nachgerade gelernt. Das heißt nicht, daß wir uns nun mit der DKP verbrüdern, daß wir irgendwelche Aktionsgemeinschaften machen. Es muß aber wohl heißen, daß wir die DKP nicht grundsätzlich aus dem inneren Dialog in unserer Republik ausklammern, weil wir sonst selber den Ansprüchen des Papiers nicht gerecht werden.
DLF: Würden Sie die Einschätzung teilen, Herr Dr. Eppler, daß das SPD/SED-Dokument in der DDR mehr diskutiert wird als in der Bundesrepublik, und zwar innerhalb wie außerhalb der SED, daß sich sogar bestimmte Erwartungen daran knüpfen, in der Bevölkerung zumindest, auch an der Basis der SED?
Eppler: Ich habe das fast schon als blamabel für einen Bundesbürger erlebt, mit welcher Leidenschaft dieses Papier in der DDR und, Sie sagen mit Recht: innerhalb und außerhalb der SED diskutiert worden ist und wie wenige Menschen in dieser Republik überhaupt Kenntnis davon genommen haben. Ich glaube, daß es in der DDR viel leichter wäre, dieses Papier zu einem entscheidenden innenpolitischen Thema zu machen, wenn es das bei uns auch wäre.
DLF: Sie haben das Dokument einmal einen Auftakt zum systemöffnenden Dialog genannt. Sehen Sie sich in dieser Erwartung bestätigt, oder haben die Erfahrungen seit der Unterzeichnung des Papiers nicht im Gegenteil demonstriert, daß ein Austragen ideologischer Gegensätze und politischer Meinungsverschiedenheiten mit der SED sehr schwierig ist und von ihr allzu schnell als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen wird?
Eppler: Die Formel vom systemöffnenden Dialog habe ich von Bundespräsident Richard von Weizsäcker übernommen, der übrigens unter Hinweis auf dieses Papier von einem system-öffnenden Dialog gesprochen hat. Wenn ich heute zurückblicke, muß ich sagen, wenn man das Wort „Anfang“ ganz dick unterstreicht, dann kann man von einem Anfang des system-öffnenden Dialogs sprechen, aber eben wirklich der erste Anfang.
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Quelle: „Beziehungen zwischen SPD und SED. Interview mit Erhard Eppler,“ Deutschland Archiv 21, Nr. 10 (1988), S. 1126–29. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Deutschland Archivs.