Kurzbeschreibung

Der nach dem Besuch Helmut Schmidts in der DDR geplante Gegenbesuch Honeckers verzögerte sich aufgrund sowjetischer Einwände und wurde erst 1987 Wirklichkeit. Symbolisch war dies ein weiterer wichtiger Schritt in der De-facto-Anerkennung der DDR, während die konkreten politischen Ergebnisse, eingebettet in die üblichen offiziellen Stellungnahmen, auf Abkommen zur Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik, Umwelt- und Strahlenschutz beschränkt blieben.

Gemeinsames Kommuniqué von Erich Honecker und Helmut Kohl (8. September 1987)

  • Erich Honecker
  • Helmut Kohl

Quelle

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl stimmten darin überein, daß die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland angesichts einer sich aus der gemeinsamen Geschichte ergebenden Verantwortung besondere Anstrengungen für das friedliche Zusammenleben in Europa unternehmen müssen. Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, von deutschem Boden muß Frieden ausgehen.

Sie betonten, daß das Verhältnis der beiden Staaten zueinander ein stabilisierender Faktor für konstruktive Ost-West-Beziehungen bleiben muß. Von ihm sollten positive Impulse für friedliche Zusammenarbeit und Dialog in Europa und darüber hinaus ausgehen.

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl würdigten die Entwicklung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten seit dem Abschluß des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Dezember 1972. Sie betonten, daß dieser Vertrag zusammen mit den bisher getroffenen Vereinbarungen und Regelungen Grundlage und Rahmen für die Beziehungen zwischen beiden Staaten bildet. Sie bekräftigten ihre Gemeinsame Erklärung vom 12. März 1985.

Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten und unbeschadet der Unterschiede in den Auffassungen zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage, ist es die Absicht beider Staaten, im Sinne des Grundlagenvertrages normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu entwickeln und die Möglichkeiten des Vertrages weiter auszuschöpfen.

Es bestand Übereinstimmung, das Erreichte unter Beachtung des Grundsatzes zu bewahren und auszubauen, daß beide Staaten die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten respektieren. Verständigungswille und Realismus sollen Richtschnur für eine konstruktive, auf praktische Ergebnisse gerichtete Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten sein.

Beide Seiten würdigten die anhaltend positive Wirkung des Vierseitigen Abkommens vom 3. September 1971 auf die Lage im Zentrum Europas und die Ost-West-Beziehungen und bekräftigten die Notwendigkeit seiner strikten Einhaltung und vollen Anwendung.

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl behandelten eingehend Fragen des Reise- und Besucherverkehrs einschließlich der Reisen in dringenden Familienangelegenheiten. Sie würdigten die bisher erzielten Fortschritte und bekräftigten die Absicht, auf weitere Verbesserungen und Erleichterungen im Interesse der Menschen hinzuwirken. [] Sie begrüßten das Zustandekommen von Partnerschaften zwischen Städten in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland als einen wichtigen Beitrag zu Begegnungen zwischen den Bürgern - auch unter Einbeziehung kultureller Veranstaltungen – und damit zum Ausbau friedlicher Nachbarschaft zwischen beiden Staaten. Sie werden solche Bemühungen auch künftig unterstützen. []

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl erörterten humanitäre Fragen einschließlich der Familienzusammenführung und der Lösung von Härtefällen. Sie würdigten positive Ergebnisse und stimmten darin überein, entsprechende Bemühungen konstruktiv fortzusetzen. []

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl brachten zum Ausdruck, daß sie den Fragen des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen große Bedeutung beimessen. Sie werteten den Abschluß der Vereinbarung über die weitere Gestaltung der Beziehungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes als Ausdruck des Willens, die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu vertiefen. []

Sie begrüßten den Abschluß des Abkommens über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik und sind sich darin einig, auf dieser Grundlage die Beziehungen mit Kontakten zwischen Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen entsprechend den vereinbarten Projekten zum gegenseitigen Nutzen zu intensivieren.

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl unterstrichen die große Bedeutung einer umfassenden sachlichen Information durch Presse, Funk und Fernsehen für die weitere Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen. Dementsprechend gewähren beide Seiten Journalisten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit größtmögliche Unterstützung.

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl würdigten das am 6. Mai 1986 abgeschlossene Kulturabkommen, das der Entwicklung der Kulturbeziehungen dient und zu einer deutlichen Zunahme des kulturellen Austausches geführt hat. Sie unterstrichen die Absicht, die Zusammenarbeit auf der Grundlage dieses Abkommens zielstrebig fortzusetzen und weitere Bereiche einzubeziehen. Die Vorhaben für 1988/89 sind im wesentlichen abgestimmt. []

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl stellten mit Befriedigung fest, daß sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten in den letzten Jahren insgesamt positiv entwickelt haben. Sie betrachten den Handel als wichtiges stabilisierendes Element der Gesamtbeziehungen und erklärten ihr Interesse, die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils unter Einschluß auch kleiner und mittlerer Unternehmen kontinuierlich auszubauen. Sie bekräftigten ihre Absicht, die Struktur des Handels weiter zu verbessern und verstärkt auf den Austausch von Investitionsgütern, insbesondere von Erzeugnissen des Maschinenbaus, der Elektrotechnik sowie auf dem Gebiete der Energie- und Umwelttechnik, hinzuwirken. Beide Seiten unterstrichen die Bedeutung der Zusammenarbeit auf dritten Märkten.

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Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl erörterten Fragen der internationalen Entwicklung. Im Bewußtsein, daß in beiden Staaten unterschiedliche gesellschaftliche Ordnungen bestehen und daß sie verschiedenen Bündnissen angehören, legten sie ihre Auffassungen zu Stand und Perspektiven der Ost-West-Beziehungen dar.

Sie bekundeten ihren Willen, im Rahmen ihrer Bündnisse für eine Politik des Abbaus von Spannungen und der Sicherung des Friedens zu wirken sowie für die Fortsetzung von Dialog und langfristig angelegter Zusammenarbeit einzutreten.

In dem gemeinsamen Bemühen, alle Gelegenheiten für einen immer breiter und konstruktiver angelegten Dialog, der sich mit dem Anliegen der Menschen in Ost und West befaßt, auszuschöpfen, und in der Überzeugung, daß ein langfristiger, stabiler und dauerhafter Zustand des Friedens in Europa nicht durch militärische Mittel allein erreicht werden kann, messen beide Seiten dem KSZE-Prozeß besonderen Wert bei. Dabei sind ausgewogene, greifbare Fortschritte in allen Bereichen der Schlußakte von Helsinki ein wichtiger Maßstab für den Willen zur Entspannung und für die Bereitschaft, durch Vertrauensbildung die Lösung von Sicherheitsfragen zu erleichtern. Beide Seiten setzten sich dafür ein, daß alle Prinzipien und Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki und des abschließenden Dokuments von Madrid volle Wirksamkeit erlangen – zum Wohl der Menschen und im Interesse der Zusammenarbeit der Staaten.

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl führten in diesem Zusammenhang einen offenen Meinungsaustausch über die Verwirklichung aller Menschenrechte. []

Sie hoben die große Bedeutung hervor, die im Rahmen des Ost-West-Dialogs Ergebnissen von Verhandlungen über wirksame Maßnahmen der Rüstungskontrolle und Abrüstung in allen Bereichen beizumessen ist. Solche Ergebnisse müssen, beruhend auf dem Prinzip der Gleichheit und Parität, ein stabiles Gleichgewicht der Kräfte auf möglichst niedrigem Niveau, verbunden mit dem Abbau von Ungleichgewichten, verwirklichen. Sie müssen wirksam verifizierbar sein. []

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl bekräftigten ihren Willen, zum Erfolg der Wiener Verhandlungen über die gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen und damit zusammenhängende Maßnahmen in Mitteleuropa beizutragen. []

Generalsekretär Honecker und Bundeskanzler Kohl bezeichneten ihren Meinungsaustausch als notwendig und förderlich für die weitere Entwicklung der Beziehungen. Sie sprachen sich für die Fortsetzung und Intensivierung der Kontakte auf hoher politischer und auf anderer Ebene aus.

Quelle: Gemeinsames Kommuniqué von Erich Honecker und Helmut Kohl, 8. September 1987, Neues Deutschland, 9. September 1987 (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung); abgedruckt in Ein Erfolg der Politik der Vernunft und des Realismus: Offizieller Besuch des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Erich Honecker, in der Bundesrepublik Deutschland vom 7. bis 11. September 1987. Berlin, 1987, S. 39 ff.