Kurzbeschreibung

Innerhalb eines Jahres gewährt die Bundesregierung der DDR-Regierung zwei Milliardenkredite. Staatsminister Phillip Jenninger erklärt hier, dass sie Teil einer „Revitalisierung“ der Deutschlandpolitik seien und nennt die Gegenleistungen der DDR-Regierung, vor allem im Reise- und Besucherverkehr.

Milliardenkredite und humanitäre Erleichterungen (25. Juli 1984)

  • Phillip Jenninger

Quelle

Erklärung zur Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen von Staatsminister Dr. Philipp Jenninger

Die Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Helmut Kohl hat vom ersten Tag an besonderes Gewicht auf die Deutschlandpolitik gelegt. Die tragenden Grundsätze dieser Politik sind in den Regierungserklärungen vom Oktober 1982 und vom Mai 1983 niedergelegt. Wir haben von Anfang an gesagt, daß es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR prinzipielle Unterschiede gibt, die nicht verwischt werden sollen. Aber wir haben auch gesagt, daß wir Prinzipientreue und Festigkeit in den Grundsätzen und in den Rechtspositionen mit Flexibilität und mit neuen Ideen verbinden wollen, insbesondere dort, wo es um praktische Fortschritte geht, die den Menschen im geteilten Deutschland zugute kommen.

Wir stimmen mit Generalsekretär Honecker darin überein, daß es gilt, das Machbare zu machen. Gerade weil es den Grunddissens in der deutschen Frage gibt, ist ein stabiles und berechenbares Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland wichtig. Beide können einen entscheidenden Beitrag für die Stabilität in Europa leisten. Ich möchte dabei betonen, daß unsere Politik gegenüber der DDR Teil einer umfassenderen, die Sowjetunion und die übrigen Staaten des Warschauer Pakts einbeziehenden Gesamtpolitik ist. Es gibt keine wie immer gearteten deutschen „Sonderwege“ – weder für uns noch für die DDR. Beide Staaten sind und bleiben verläßliche Glieder ihrer jeweiligen Bündnisse. Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten im Herzen Europas und an der Trennungslinie zwischen Ost und West entspricht gleichwohl dem Interesse aller europäischen Völker.

Die Position der Bundesregierung ist ganz eindeutig: Friedenspolitik bedingt die Freundschaft mit dem Westen und die Verständigung mit dem Osten. Wir setzen auf Dialog und Zusammenarbeit. Wir meinen es ernst, wenn wir von einer „Verantwortungsgemeinschaft“ und von einer „Koalition der Vernunft“ sprechen – wobei diese Begriffe selbstverständlich nicht auf Fragen der Rüstung verengt werden dürfen, sondern vor allem weitere Erleichterungen für die Menschen beinhalten müssen. Denn das ist und bleibt unserer Aufgabe: es kommt darauf an, die Lasten der Teilung für die Menschen in Deutschland erträglicher zu machen.

Die bisherige Bilanz der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung weist eine ganze Reihe von Fortschritten auf. Die innerdeutschen Beziehungen haben sich seit dem Regierungswechsel 1982 positiv entwickelt.

Bei dem im Sommer vergangenen Jahres von den Banken gewährten und von der Bundesregierung garantierten Milliardenkredit an die DDR haben wir nicht umsonst von „Vertrauen gegen Vertrauen“ gesprochen. Wir haben von Anfang an gesagt, daß es sich hierbei nicht um ein „Geschäft“ im üblichen Sinne handelte. Die „Philosophie“ des Kredits war eine andere. Es war ein Anstoß, um in die innerdeutschen Beziehungen auf breiter Front Bewegung zu bringen und einen Prozeß in Gang zu setzen, den ich als Revitalisierung unseres Verhältnisses zur DDR bezeichnen möchte. In diesem Sinne ist unser Signal mit dem Kredit mit einer ganzen Reihe positiver Gegensignale beantwortet worden.

Die DDR hat uns wissen lassen, daß sie die Familienzusammenführungen auch in Zukunft fortsetzen will. Die Bundesregierung kann davon ausgehen, daß noch im Laufe dieses Jahres mehrere tausend Deutsche aus der DDR zu uns übersiedeln können. Auch das ist ein Zeichen konstruktiver Zusammenarbeit.

Ich darf Sie davon in Kenntnis setzen, daß die Deutsche Bank über ihre Tochtergesellschaft in Luxemburg der Deutschen Außenhandelsbank AG in Ost-Berlin einen Eurokredit in Höhe von 950 Millionen DM (Laufzeit fünf Jahre) zu marktüblichen Konditionen zur Verfügung gestellt hat. Die Deutsche Bank wird andere deutsche Kreditinstitute einladen, sich über ihre im Euromarkt tätigen Tochterbanken an diesem Kredit zu beteiligen.

Die Bundesregierung hat dem Vertrag zwischen der Deutschen Bank und der Deutschen Außenhandelsbank zugestimmt und eine Garantie für den Kredit übernommen. Belastungen für den Bundeshaushalt oder für den Steuerzahler entstehen nicht. Der Garantiefall wird nicht eintreten; entsprechende Sicherheiten seitens der DDR sind gewährleistet.

Die Bundesregierung betrachtet ihre Entscheidung vom heutigen Tage als einen wichtigen Beitrag zur Vertiefung und Verstetigung von Dialog und Zusammenarbeit und zur Verbesserung der Beziehungen zur DDR. Und ich füge hinzu: diese Entscheidung hat die volle Unterstützung der beiden Koalitionsfraktionen.

Die DDR hat uns wissen lassen, daß sie eine Reihe von Maßnahmen beschlossen hat und in Kraft setzen wird. Diese Maßnahmen hat die DDR in eigener Souveränität beschlossen:

[Es folgt eine Liste der Maßnahmen]

[]

Die Bundesregierung bewertet diese Maßnahmen der DDR sehr positiv. Sie beweisen, daß die beiderseitigen Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen weitergehen und daß diese Bemühungen zum Nutzen der Menschen in beiden Staaten Ergebnisse bringen. Die jetzt von der DDR beschlossenen Maßnahmen dienen der Verbesserung und der Erleichterung des Reiseverkehrs in beiden Richtungen einschließlich des grenznahen Verkehrs und des Berliner Reise- und Besucherverkehrs. Die Bundesregierung begrüßt insbesondere, daß die DDR den Mindestumtausch für die Rentner auf 15,– DM reduziert hat. Sie hat damit unserem Anliegen entsprochen, den Mindestumtausch wenigstens für diese sozial Schwächeren wieder zu senken. Im Blick auf die Altersstruktur ist dies für Berlin (West) von ganz besonderer Bedeutung. Hervorheben möchte ich auch die Verlängerung der Aufenthaltsdauer für die Einreise in grenznahe Kreise der DDR auf 2 Tage, d. h. bis 24.00 Uhr des auf die Einreise folgenden Tages. In Kombination mit der Ausdehnung der Einreisegenehmigung auf mehr als 3 Kreise in der DDR im grenznahen Verkehr ergeben sich daraus in Zukunft viel mehr Möglichkeiten, um menschliche Kontakte über die Grenze hinweg zu knüpfen und zu vertiefen.

Die Reduzierung des Mindestumtausches für alle Reisenden bleibt ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Auch im grenznahen Verkehr, im Reiseverkehr in die DDR allgemein, im Berliner Reise- und Besucherverkehr und im Blick auf Reisemöglichkeiten und mehr Freizügigkeit für DDR-Bewohner insbesondere im arbeitsfähigen Alter bleiben Wünsche offen.

Die Bundesregierung wird auch weiterhin beharrlich für Verbesserungen und Erleichterungen des Reiseverkehrs eintreten, zumal wir davon überzeugt sind, daß mehr Freizügigkeit im Reiseverkehr letztlich auch im wohlverstandenen Interesse der DDR selbst liegt; denn sehr viele Menschen im anderen Teil Deutschlands wollen gar nicht unbedingt ausreisen, sondern vor allen Dingen reisen.

Die Bundesregierung wird ihren bisherigen Kurs fortsetzen, d. h. Dialog mit der DDR in allen Fragen des bilateralen Verhältnisses, aber auch in aktuellen internationalen Fragen, insbesondere in der multilateralen Ost-West-Politik, an der beide Seiten in Deutschland beteiligt sind. Wir bleiben dabei: unsere Deutschlandpolitik ist zugleich europäische Friedenspolitik.

Im Grundlagenvertrag ist als Ziel die Herstellung „gutnachbarlicher“ Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland formuliert. Wir nehmen diese Forderung sehr ernst und wir werden auch weiterhin mit aller Kraft auf ihre Verwirklichung hinarbeiten. Die letzten eindreiviertel Jahre haben uns auf diesem Weg ein gutes Stück vorangebracht.

Wer ja sagt zur Einheit der Nation und wer diesen geschichtlichen Auftrag ernst nimmt, der muß das Menschenmögliche tun, damit die Menschen in Deutschland zueinander kommen können. Wir tun dies.

Quelle: Erklärung zur Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen von Staatsminister Dr. Philipp Jenninger. Pressemitteilung, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn, vom 25. Juli 1984.