Kurzbeschreibung

Unter dem Dach der protestantischen Kirchen fingen ostdeutsche Jugendliche an, sich Fragen des Umweltschutzes zu widmen: Sie pflanzten Bäume, organisierten Diskussionsrunden mit offiziellen Organisationen und probierten alternative Lebensstile aus, um ein gesünderes und freieres Leben in jenen Nischen, die sich langsam innerhalb der SED-Diktatur auftaten, zu führen.

Interview mit einer Schweriner Umweltinitiative (1980)

Quelle

Es geht um mehr als Bäumepflanzen . . .

Frage: Ihr seid eine Gruppe Jugendlicher, die sich in der Vergangenheit besonders mit der Umweltproblematik befaßt hat und auch schon konkrete Aktionen in diese Richtung unternommen hat, vor einiger Zeit eine sogenannte Baumpflanzaktion, was habt Ihr da gemacht?

Antwort: Die Idee der Baumpflanzaktion entstand 1979, vorwiegend aus unserer Einstellung, also aus christlicher Mitverantwortung in Beziehung zur Umwelt. Wir haben uns daran gemacht, zusammen mit einem staatlichen Betrieb in Schwerin, dem VEB Grünanlagen, so eine Aktion vorzubereiten. Es ist einer der Betriebe, mit dem wir auch als kirchliche Jugendgruppe gute Kontakte aufbauen konnten. Im November 1979 kam es dann zur ersten Baumpflanzaktion in Schwerin. Wir pflanzten etwa 5.000 Sträucher und Bäume entlang einer neuen Straßenbahnlinie, die in den Industriekomplex bei Schwerin führt. Diese sehr kahlen Hänge wurden von uns grün gestaltet. Dabei war es unser Ziel – und das ist einer der Gedanken, aus denen auch diese Baumpflanzaktion entstand – nicht nur viel zu reden und zu schimpfen über den Umweltschutz, wie schlecht alles steht, sondern etwas dafür zu tun. Wir schimpfen nicht nur, daß so viele Bäume abgeholzt werden, daß so viele Bäume an Giften eingehen, so viele Pflanzen kaputtgehen, sondern wir pflanzen einfach neue.

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Frage: Welche Probleme?

Antwort: Zum Beispiel die Probleme der Abwasserbehandlung bzw. -beseitigung im Bezirk Schwerin, die dort eine spezielle Rolle spielen. Das ist ein großes Problem. Die Abwässer werden nicht alle gereinigt, sie werden unter großer Belastung der Umwelt abgegeben. Weiter haben wir uns befaßt mit der intensiven chemischen Düngung in der Landwirtschaft – inwieweit das Probleme für die nächsten Jahre mit sich bringt auch in bezug auf die Erträge oder in der Diskussion über die Monokultur, die es bei uns gibt. Das waren so einige Schwerpunkte.

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Am Sonntag darauf haben wir einen Gottesdienst mit einem Pastor unserer Stadt zusammen gestaltet. Ein sehr schöner Gottesdienst mit Spielszenen, viel Musik und danach der symbolischen Pflanzung eines Baumes, den wir vom VEB Grünanlagen geschenkt bekamen. Dieser Betrieb hat uns den Baum als Dankeschön überreicht, und wir haben vor der Kirche in Lankow, einem Stadtteil von Schwerin, diesen Baum gepflanzt und so ein Symbol des Lebens, der Erhaltung der Natur gesetzt. Diese erste Baumpflanzaktion hatte ein sehr positives Echo auch in anderen Teilen der DDR, und so entschlossen wir uns, eine zweite Baumpflanzaktion zu organisieren, die dann im März 1980 stattfand, diesmal schon mit etwa hundert Beteiligten, während es beim ersten Mal etwa 50 waren.

Frage: Wer ist dazugekommen?

Antwort: Es sind vor allem Jugendliche aus vielen anderen Städten gekommen, auch aus nichtkirchlichen Kreisen, also Jugendliche aus der Stadt, die wir kannten, die wir mitgebracht haben.

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Frage: Wo sind denn Eurer Meinung nach Maßnahmen in Richtung Umweltschutz am allernotwendigsten?

Antwort: Das wichtigste, um eine Voraussetzung für Maßnahmen zum Umweltschutz zu bringen, ist es erstmal, unter den Jugendlichen ein umweltförderndes Bewußtsein zu bilden, ein Bewußtsein, daß man sich der Umwelt gegenüber gerecht verhält, daß man verschiedene Bequemlichkeiten oder Sachen, die man im Alltag macht, die die Umwelt schädigen bzw. über die man sich gar nicht mehr aufregt, daß man diese Sachen einfach unterläßt. Ferner Aktionen wie z.B. diese Baumpflanzaktionen, mit denen man einfach Zeichen setzt, um Umwelt neu aufzubauen. Weiterhin ist vom Staat die Gesellschaft für Natur und Umwelt gegründet worden, vom Kulturbund aus, und über diese Vereinigung ist es also auch möglich, sich über gemachte Umweltfehler bzw. über Umweltprobleme, die bestehen, zu beschweren und zu versuchen, daß sie verhindert oder rückgängig gemacht werden.

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Frage: Gibt es über diese Thematik einen Dialog auch mit nicht-christlichen Jugendlichen, die beispielweise in der FDJ, der „Freien Deutschen Jugend“, organisiert sind?

Antwort: Ja, das ergibt sich ganz zwangsläufig. Viele von uns sind auch in der FDJ. Dort werden sie dazu aufgefordert, darüber zu reden. Aber nicht nur dort, denn es ist ja auch so, daß nicht schon alle junge Christen ein Umweltbewußtsein haben. Wir müssen auch weiter sozusagen in unseren eigenen Reihen darüber sprechen, was für Probleme bestehen, und auch dort ein offenes Ohr dafür schaffen. In den FDJ-Gruppen, die wir kennen, ist es zwar möglich, darüber zu reden, aber es ist nicht möglich, konkrete Taten folgen zu lassen, weil das Bewußtsein einfach noch nicht da ist. Auch an unserer Schule wird von staatlicher Seite so argumentiert, daß die Jugendlichen eben die Notwendigkeiten des Aufbaus einer Wirtschaft der maximalen Produktionsziffern eher einsehen bzw. dieses über die Erhaltung der Umwelt stellen müssen.

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Frage: Auf der Synode der mecklenburgischen Landeskirche im Frühjahr 1980 wurde u.a. auch über die Umweltproblematik diskutiert. Dabei hieß es in einer Entschließung, daß es auch notwendig sei, in der DDR über die Chancen und Gefahren der friedlichen Nutzung der Atomenergie zu sprechen. Ist die Atomkraft ein Thema in Euren Gruppen?

Antwort: Ja, es ist ein Thema, über das sehr viel spekuliert wird, aber leider sehr wenig Sachkenntnis existiert, weil keine wissenschaftliche Erklärung bis jetzt unter die Jugend gebracht ist. Einigen von uns ist bekannt, welche Bücher drüben in der BRD z.B. dazu vorhanden sind, aus denen man sich unter Jugendlichen eine Meinung bilden kann, was eigentlich die Gefahren sind, worin sie bestehen. Bei uns hingegen ist da eine große Unklarheit bei vielen, vielen Leuten. So kann man nicht einfach sagen, wir sind gegen Atomkraft oder wir sind dafür. Die meisten sind dafür oder viele sind dafür, weil einfach die Energie da sein muß – das ist eine ganz einfache Argumentation. Manche kirchlichen Vertreter blicken der Sache mit Sorge entgegen. Und es gibt auch Jugendliche in der DDR, die die Atomkraft zur Zeit ablehnen oder im augenblicklichen Stadium ablehnen, wo es sich herumspricht, daß eben verschiedene Kraftwerke den Sicherheitsanforderungen nicht genügen. Zum Beispiel hat das neue Kraftwerk, das jetzt an der Elbe gebaut wird, zur Zeit einen Baustop. Warum, daß weiß niemand, da wird auch nirgends etwas offizielles darüber gesagt vom Staat. Und so kommt eine Gerüchtemacherei unter der Jugend zu Fragen der Atomkraft auf. Wir stehen der ganzen Sache mit Sorge gegenüber, und es wird darüber diskutiert. Aber das wichtigste ist eben, es fehlt an Informationen, wo eigentlich die Gefahren liegen oder was das Problem der Atomkraft ist und welche Auswirkungen das auf uns hat.

Frage: Eine andere Frage ist die des sogenannten alternativen Lebensstils, die ja auch im direkten Zusammenhang mit der Umweltproblematik und der Zukunft steht. Inwieweit wird dies von Euch aufgegriffen?

Antwort: Das ist auch ein Gebiet, mit dem wir uns zwar befassen, sich aber insgesamt nur sehr wenige Jugendliche auseinandersetzen. Unsere Vorstellungen vom alternativen Leben – die sind geprägt durch ein umweltbewußtes Leben in erster Linie. Wir wissen sehr genau Bescheid über die Alternativbewegung in der BRD und kennen auch Jugendliche bzw. junge Erwachsene, die in der DDR so etwas versuchen, haben aber die Feststellung gemacht, daß diese Menschen in der DDR in die große Isolation gegangen sind.

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Frage: Wie ist die Reaktion auf Eure Aktion in Richtung Umweltschutz von seiten der staatlichen Behörden – wird sie begrüßt, wird sie beargwöhnt?

Antwort: Was wir nicht wollen, daß muß man nochmal deutlich sagen: wir wollen nicht so etwas Vergleichbares werden wie die Grünen Listen in der Bundesrepublik oder in diese Richtung arbeiten. Dennoch ist sehr kritisch geguckt worden zuerst. Für uns stand im Mittelpunkt nicht die politische Herausforderung an der Staat, etwas für den Umweltschutz zu tun, und darum ist es bisher zu keinen größeren Konflikten zwischen staatlichen Institutionen und uns gekommen. Wir sind nun selber auch eine selbsttragende Gruppe gewesen, also ohne hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter. So mußten wir solche Fragen auch unter uns klären bzw. wir hatten die Hilfe der Kirche. Die Kirche stand hinter uns in diesen Aktionen, aber letztlich haben wir das selbst vorbereitet und uns selber engagiert und mußten dann auch die Konsequenzen selber tragen.

Quelle: „Es geht um mehr als Bäumepflanzen. Interview mit einer Schweriner Umweltinitiative“, Kirche im Sozialismus, 1980, Nr. 5–6.