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Eine Welt ohne Militär – das wäre eine Alternative
Als im Frühjahr 1981 drei kirchliche Mitarbeiter aus Dresden einen Text formulierten, der die Einführung eines zivilen Wehrersatzdienstes in der DDR forderte, war ihnen wohl kaum bewußt, daß sie damit den Anstoß zur zahlenmäßig und politisch bedeutendsten Friedensinitiative in der DDR nach den Auseinandersetzungen um den Wehrunterricht gaben. Dabei war ihre Forderung durchaus nicht neu, immer wieder hatten junge Wehrpflichtige in Briefen und Eingaben die Regelung des waffenlosen Wehrdienstes in der NVA als unzureichend kritisiert.
Erst im März hatte sich die Leitung der provinzsächsischen Landeskirche mit einem Brief Naumburger Studenten beschäftigt, „der in der Frage nach konkreten Schritten zur Förderung des Friedens auch die Möglichkeit eines zivilen Wehrersatzdienstes angesprochen hatte. Dieser Brief war an die Konferenz der Kirchenleitung weitergegeben worden“.
Die Dresdener Initiative unterschied sich jedoch insofern von ähnlichen Vorstößen in den sechziger und siebziger Jahren, als sie von vornherein auf eine breite innerkirchliche Öffentlichkeit zielte. Eingaben einzelner oder kleiner Gruppen waren bis dahin immer bei den staatlichen Behörden oder der Kirchenleitung gestrandet, ohne daß sie etwas Greifbares bewirkt hätten. Die Initiative „Sozialer Friedensdienst“, aus der bald das gängige Kürzel SoFd wurde, war dagegen so angelegt, daß sie von vielen durch ihre Unterschrift unterstützt werden konnte, ohne aber eine solche Unterschriftensammlung zu sein, die in der DDR genehmigungspflichtig ist. Zudem richtete sie sich nicht an die Kirchenleitungen oder an staatliche Organe, sondern sollte den im Herbst tagenden Synoden zugesandt werden, die das Anliegen aufnehmen und an die Regierung weiterleiten sollten.
In kurzer Zeit ging der Text aus Dresden überall in der DDR herum. Auf Veranstaltungen und Gemeindeabenden der Jungen Gemeinden und der Studentengemeinden wurde er verlesen, diskutiert und unterschrieben. Die meisten Exemplare des Aufrufes wurden mit Schreibmaschine vervielfältigt. Im Juni 1981 kursierte der Vorschlag auf den öffentlichen Kirchentagen in Görlitz, Stralsund und Dessau, bei einer „Fragestunde mit kirchlichen Persönlichkeiten“ forderten Jugendliche die Kirchenvertreter zur Stellungnahme auf. Obwohl sich in erster Linie jüngere Leute an der Initiative beteiligten, stieß der Vorschlag im Kirchenraum auf allgemeine Zustimmung. Das stark protestantisch, fast pietistisch gefärbte Grundverständnis des Aufrufes, das in dieser Form wohl nur im sächsischen Teil der DDR entstehen konnte, ließ kaum ein christlich vertretbares Argument zu, das Anliegen abzulehnen.
Kennzeichen für das Konzept ist, daß nicht der Gewissensschutz des einzelnen im Vordergrund steht, sondern die Erkenntnis einer gesellschaftlichen Aufgabe. Frieden soll nicht nur verlangt, sondern durch „zeichenhafte“ persönliche Opfer schon heute eingeübt und denen Hilfe gegeben werden, die sie im christlichen Verständnis am dringendsten brauchen. „Bei dem jetzigen Vorschlag“, schrieb die provinzsächsische Kirchenleitung im November 1981, „sind zwei Dinge als besonders wichtig hervorzuheben:
a) Der Zusammenhang von Friedenszeugnis und
Friedensdienst
b) der Zusammenhang von Abrüstung und
Verantwortung für die sozial Schwachen.“
Die Beschränkung auf machbar scheinende Vorschläge, die nicht von vornherein als aussichtslos gelten, haben bewirkt, daß das Papier in der kirchlichen Öffentlichkeit eine breite Resonanz fand und von der Kirchenleitung sogar zum Verhandlungsgegenstand zwischen Staat und Kirche gemacht wurde. Dieser „Realismus“ hat den Autoren allerdings auch Kritik von Mitstreitern eingebracht.
Ein Mitarbeiter eines Ostberliner Friedenskreises meinte: „Ich hab da nicht unterschrieben, weil ich manches einfach anders sehe. Zum Beispiel die Kasernierung – ich habe selber eineinhalb Jahre meines Lebens in so einem Bau zugebracht und weiß, was das bedeutet. Gerade damit will man die Leute kleinkriegen, daß man sie aus ihren sozialen Bindungen herausreißt und ihnen jeden Kontakt zur Außenwelt verbietet. Das macht einen fertig, das ist ein wesentlicher Teil der eigentlichen Gewaltstruktur. Ob ich da nun die Kaserne heize oder Kranke pflege, ist für mich nicht so wesentlich“. Und ein Totalverweigerer erklärte: „Ich lehne diese Fremdbestimmung ab. Soziales Handeln läßt sich nicht verordnen. Ich muß es jederzeit praktizieren.“
Im Sommer 1981 versuchten Anhänger der Initiative mehrfach, die Forderungen in die Diskussion mit Staatsvertretern einzubringen. Gelegenheit dazu boten vor allem die Wählerversammlungen im Juni des Jahres, die wie immer im Vorfeld der Volkskammerwahlen veranstaltet wurden. Zwar haben solche Versammlungen keinen Einfluß auf Entscheidungen, und das Interesse an ihnen ist gemeinhin genauso gering wie an dem übrigen entleerten politischen Ritual, doch zuweilen können sie mit kritischen Fragen durchaus durcheinandergebracht werden. Ein Betroffener erzählt von einer solchen Versammlung.
„Von den 25 Jugendlichen waren außer mir überhaupt nur drei erschienen. Auch die Volkskammer-Kandidatin, die sich eigentlich vorstellen sollte, war nicht da, so daß wir nur mit einer Abgeordneten vom Stadtbezirk, dem Wohngebietsparteisekretär und dem Wohngebietsvorsitzenden, einem Berufsoffizier, diskutieren konnten. Nachdem eine Stunde lang über schlechte Straßen und Wegbeleuchtung debattiert worden war, über miese Brötchen und schlechte Wurst in der Kaufhalle, begann ich mit meinen Problemen:
1. Gesetzliche Regelung für Jugendliche unter 18 Jahren, die Bausoldat werden wollen und in der Schule und der Berufsausbildung trotzdem an der vormilitärischen Ausbildung teilnehmen müssen.
2. Mitarbeitermangel im Gesundheits- und Sozialwesen einschließlich Altenbetreuung und der Vorschlag zur Einführung eines sozialen Friedensdienstes, also ziviler Wehrersatzdienst.
3. Wie kann man Kandidaten aufstellen zur Wahl, die meine eigenen Interessen vertreten?“
[…]
Quelle: „Eine Welt ohne Militär – das wäre eine Alternative“, Frankfurter Rundschau, 7. Dezember 1982, S. 14. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.