Kurzbeschreibung

Um das Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft anzukurbeln, revidierte der SED-Vorsitzende Walter Ulbricht die erste Phase seines „neuen ökonomischen Systems“, das marktwirtschaftliche Anreize in die Planwirtschaft einführte, und verlangte, dessen Weiterentwicklung auf der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ aufzubauen.

Walter Ulbricht äußert sich zum „neuen ökonomischen System“ der DDR (16. Dezember 1965)

  • Walter Ulbricht

Quelle

Liebe Genossinnen und Genossen!

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Daß wir imstande sind, die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung auch richtig auszunutzen und anzuwenden, das zeigt die Ausarbeitung und Entwicklung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung, das wir 1963 beschlossen und eingeführt und seither auch weiterentwickelt haben.

Das neue ökonomische System der Planung und Leitung ist unser Instrument, mit dessen Hilfe wir die Aufgaben des umfassenden Aufbaus des Sozialismus und der technischen Revolution in der Deutschen Demokratischen Republik lösen und den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus mit dem vollständigen Sieg des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik vollenden.

Mit dem neuen ökonomischen System der Planung und Leitung schaffen wir auf der Grundlage der ökonomischen Gesetze des Sozialismus das eigentliche ökonomische System des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik. Es ist das ökonomische System des hochentwickelten sozialistischen Industriestaates mit moderner intensiver Landwirtschaft. Es ist das ökonomische System eines sozialistischen Staates, der die unerhörten Belastungen der imperialistischen Vergangenheit, insbesondere des faschistischen Weltkrieges und der Spaltung des Landes, im wesentlichen gemeistert hat.

Es ist eine ideologische Aufgabe ersten Ranges, sicherzustellen, daß alle die Tragweite dieser qualitativen Veränderung in unserer Wirtschaft und Gesellschaft begreifen. Das Begreifen dieser qualitativen Veränderung und wie sie sich zum neuen ökonomischen System der Planung und Leitung verhalten, ist ein Kriterium für die Reife der leitenden Kader, und das nicht nur in der Wirtschaft. Die wichtigste Schlußfolgerung lautet: Partei ergreifen für das Neue und lernen! Beides hängt aufs engste zusammen. Das sollte kein Genosse in verantwortlicher Funktion vergessen. Nur wer Partei ergreift und lernt, wird den neuen Anforderungen gerecht werden.

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Seit dem VI. Parteitag sind fast drei Jahre, seit der Wirtschaftskonferenz fast zweieinhalb Jahre vergangen. Am Ende des Jahres 1963 hatten wir die ersten Erfahrungen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung ausgewertet und die Aufgaben für 1964 bestimmt. Ende 1964 haben wir im Zentralkomitee sehr umfassend die Probleme und Aufgaben für 1965 dargelegt. Nun wollen wir auf dieser Tagung die Zwischenbilanz der ersten Etappe des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung ziehen und die Probleme und Aufgaben für die nächsten Jahre – aber insbesondere für das Planjahr 1966 – festlegen.

Die Ergebnisse der Durchführung des Planes im Jahre 1965 erhärten die Wahrheit, daß sich das neue ökonomische System der Planung und Leitung bewährt. Sie bestätigen aber auch, daß wir 1966 und in den folgenden Jahren noch wichtige wissenschaftliche und organisatorische Probleme meistern müssen. Das wichtigste Ergebnis des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung war und ist: Die schöpferische Initiative der Werktätigen und die Qualität der Führungstätigkeit in den Betrieben, in den Vereinigungen Volkseigener Betriebe, in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, den volkseigenen Gütern, den Landwirtschaftsräten und den staatlichen Organen sind wesentlich gewachsen.

Die guten Ergebnisse von 1964, als die sozialistische Industrie erstmalig seit vielen Jahren neben dem Produktionsplan auch den Gewinnplan erfüllte und die Landwirtschaft eine bedeutende Steigerung des Marktaufkommens erreichte, sind im Jahre 1965 weiter fortgesetzt worden.

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Wir haben Erfolge erzielt, weil wir den Grundsatz „Was der Gesellschaft nutzt, muß auch für den Betrieb und die Werktätigen vorteilhaft sein“ immer besser beachtet haben. Indem wir die Initiative der Belegschaften und der Leiter materiell richtig stimulierten und auch die politisch-ideologische Arbeit in der Wirtschaft verbesserten, ist die Haupttriebkraft der sozialistischen Produktion wirksamer geworden. In der Industrie nimmt das in sich geschlossene System ökonomischer Hebel Gestalt an, obwohl es dabei – das darf keinesfalls verschwiegen werden – noch eine ganze Reihe offener Probleme gibt.

Wir haben in der ersten Etappe des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung eine Reihe administrativer Elemente in der Planung überwunden, die die Betriebe auf Ziele orientierten, die mit den Interessen der Gesellschaft nicht voll in Einklang standen. Das geschah zum Beispiel durch die Kennziffer Bruttoproduktion, mit der die Leistungen der Betriebe abgerechnet wurden und die auch der Prämiierung zugrunde lag. Weiter wurden in der ersten Etappe die Vereinigungen Volkseigener Betriebe zu ökonomischen Führungsorganen der Industriezweige entwickelt, wodurch Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit der Leiter und der Belegschaften in starkem Maße gefördert wurden. Die Mehrzahl der Vereinigungen Volkseigener Betriebe hat in den letzten beiden Jahren gute Fortschritte bei der Anwendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung gemacht. Sorgen bereiten noch 15 bis 18 zurückbleibende Vereinigungen Volkseigener Betriebe, bei denen die Umstellung auf den Arbeitsstil des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung noch nicht gelungen ist.

Wichtige Bestandteile des in sich geschlossenen Systems der ökonomischen Hebel wurden nicht nur ausgearbeitet, sondern in Funktion gesetzt. Der Gewinn wurde als Maßstab der Leistung der Betriebe und der Vereinigungen Volkseigener Betriebe hervorgehoben. Die Umbewertung der Grundmittel wurde abgeschlossen. Im Jahre 1964 wurde die erste Etappe der Industriepreisreform in der Grundstoffindustrie durchgeführt, und in diesem Jahr erfolgte die zweite Etappe, in der neue Preise für Grundstoffe der Chemie, Baumaterialien und mineralische Rohstoffe, Holz, Nichteisenmetalle, Textilrohstoffe und andere Erzeugnisse eingeführt wurden. Umbewertung der Grundmittel wie Industriepreisreform gaben den Vereinigungen Volkseigener Betriebe und den Werktätigen einen starken Ansporn, exakt zu rechnen und eine höhere Rentabilität zu realisieren. Zugleich wurden damit die Grundlagen für das Wirken der persönlichen materiellen Interessiertheit verbessert. Mit dem neuen Vertragsgesetz, der neuen Investitionsverordnung und den Änderungen auf dem Gebiet der Materialwirtschaft wurden weitere wichtige Voraussetzungen dafür geschaffen, um Vereinigungen Volkseigener Betriebe und Betriebe mit ökonomischen Mitteln darauf zu orientieren, im Interesse der Volkswirtschaft zu arbeiten.

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Worin besteht die zweite Etappe des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung?

Die zweite Etappe der Durchführung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung umfaßt den Zeitraum, in dem wir den umfassenden Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik fortsetzen. In diesem Zeitraum wird der Perspektivplan bis 1970 durchgeführt, der die Kräfte darauf konzentriert, die wissenschaftlich-technische Revolution erfolgreich zu verwirklichen.

Das geschieht nicht um der Technik selbst willen, sondern es ist ein objektives Erfordernis der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche. Ohne die Lösung dieser Aufgaben kann unser Staat seiner nationalen Mission nicht gerecht werden. Um den Nutzeffekt der Volkswirtschaft zu erhöhen und den Lebensstandard zu heben – die wichtigsten Ziele der Arbeit der Werktätigen –, ist es notwendig, die wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse produktiv anzuwenden und das höchste Niveau hinsichtlich der Produktion und Rentabilität bei den volkswirtschaftlich entscheidenden Erzeugnissen zu erreichen.

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Der Perspektiv- und Jahresplanung eine neue Qualität zu geben, die neuen Erkenntnisse der ökonomischen Wissenschaften, besonders der Theorie der Volkswirtschaftsplanung, in die Praxis der Planungsorgane zu überführen – das ist das Hauptkettenglied der weiteren Entwicklung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung, das ist das wichtigste Kennzeichen der bevorstehenden zweiten Etappe der Durchführung des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung.

Das objektive Interesse der Gesellschaft, der Bürger unserer Republik, in ihrer Gesamtheit, besteht darin, gemeinsam einen höchstmöglichen Zuwachs an Nationaleinkommen zu schaffen und seine zweckmäßigste Verwendung zu sichern.

Je höher dieser Zuwachs an Nationaleinkommen, desto höher war der Nutzeffekt der Arbeit des Volkes.

Aus dem Zuwachs an Nationaleinkommen allein kommen die Mittel für den Zuwachs an Investitionen für die erweiterte Reproduktion und die Mittel für die Hebung des Lebensstandards der Werktätigen.

Vor den Planungsorganen, insbesondere vor der Staatlichen Plankommission, steht das Problem, die Variante für die Durchführung der technischen Revolution zu berechnen, die einen optimalen Zuwachs an Nationaleinkommen sichert, die also die Quelle für die Weiterführung der technischen Revolution erschließt.

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Quelle: Walter Ulbricht, Zum Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung. Berlin (Ost): Dietz, 1966, S. 668–76.