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Es gibt wohl kaum ein Thema, das die öffentlichen Diskussionen und auch die privaten Gespräche im Familien- und Freundeskreis oder am Arbeitsplatz zur Zeit stärker beschäftigt als die Frage, wo stehen wir heute in unserer wirtschaftlichen Entwicklung, und wie wird es weitergehen?
In dieser Lage erwarten Sie mit Recht vom Bundesminister für Wirtschaft ein offenes Wort zur Wirtschaftslage, ein Wort, das weder beschönigt noch dramatisiert. Wir stehen am Beginn dieses Jahres zweifellos in einer kritischen Phase unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Die jahrelang auf Hochtouren gelaufene deutsche Wirtschaft ist in den letzten Monaten in eine deutliche Abschwächung hineingeraten. Die Preisentwicklung hat sich zwar beruhigt, und die Zahlungsbilanz ist wieder im Gleichgewicht, dafür ist aber jetzt das Wachstum unserer Wirtschaft und, was besonders schwer wiegt, die Vollbeschäftigung gefährdet. Die erschwerten Finanzierungsmöglichkeiten und die Wirtschafts- und innenpolitische Unsicherheit des letzten Jahres haben die Investitionstätigkeit der Unternehmungen erheblich geschwächt. Auch der private Verbrauch, der lange Zeit hindurch Stütze der Konjunktur war, stagniert jetzt nahezu. Die gute Entwicklung der Auslandsnachfrage, also der Ausfuhr, kann hierzu höchstens ein gewisses Gegengewicht, keineswegs aber einen ausreichenden und auf Dauer wirksamen Ausgleich schaffen. Die Folgen dieser Entwicklung liegen auf der Hand. Auftragsmangel und wachsende Lagerbestände zwingen mehr und mehr Unternehmen dazu, ihre Produktion zu drosseln und zu Kurzarbeit überzugehen. Gleichzeitig werden Arbeitskräfte, auf die man verzichten zu können glaubt, entlassen.
Gewiss, aufs Ganze gesehen hat diese Entwicklung sich bis jetzt noch in einigermaßen erträglichen Grenzen gehalten. Der rasche Anstieg der Arbeitslosenzahlen in den letzten Wochen und Monaten und der deutliche Rückgang der Industrieproduktion haben aber den Ernst der Lage deutlich gemacht. Auch nach den Prognosen der verschiedenen wissenschaftlichen Institute müssen wir damit rechnen, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Monaten noch verschärft, wenn die Politik jetzt nicht rechtzeitig gegensteuert.
In dieser Situation des konjunkturellen Rückgangs sieht deshalb die Bundesregierung ihre wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe darin, möglichst bald einem neuen wirtschaftlichen Aufschwung, allerdings ohne spätere Überhitzungserscheinung, den Weg zu bahnen. Wir müssen schnell wieder heraus aus dem Konjunkturtal. Das ist gewiss nicht leicht. Früher verlorengegangenes Vertrauen kann auch in der Wirtschaft und gerade in der Wirtschaft nicht von heute auf morgen wiedergewonnen werden. Aber das konjunkturelle Auf und Ab in der Wirtschaft ist keineswegs ein Schicksal, dem wir uns einfach fügen müssten. Es ist das Ergebnis unserer eigenen Entschlüsse und unseres eigenen Handelns. Die Bundesregierung hat daher in der Regierungserklärung im Dezember ein wirtschaft- und finanzpolitisches Programm vorgelegt, mit dem die Wirtschaft ohne Gefährdung der Preisstabilität wieder zu neuer Initiative angeregt wird. Die Bundesregierung hofft dabei auf die Unterstützung durch alle für den Wirtschaftsablauf verantwortlichen autonomen Instanzen. Die kreditpolitischen Beschlüsse des Zentralbankrates in der vergangenen Woche haben gezeigt, dass mit der Unterstützung seitens der Deutschen Bundesbank Schritt für Schritt gerechnet werden kann. Die Bundesregierung ist aber bei ihrer Politik nicht zuletzt auch auf die Mitarbeit der Tarifpartner angewiesen; denn der Spielraum für die Expansionspolitik hängt entscheidend von den tarifpolitischen Entscheidungen und dem Verhalten der Unternehmer [sic. ab]. Mein erstes Gespräch kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember, mit den Vertretern der Gewerkschaften hat gezeigt, dass in der Beurteilung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage weitgehende Übereinstimmung besteht, und dass bei den Gewerkschaften die Bereitschaft zu einer freiwilligen und gemeinsamen Aktion der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände vorhanden ist. Heute, vor wenigen Stunden, hatte ich den Besuch des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. In diesem Gespräch herrschte völlige Einigkeit in der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation und über die erforderlichen konjunkturpolitischen Maßnahmen. Ich darf also sagen: die verschiedensten gesellschaftlichen Kräfte finden sich mehr und mehr zu einem gemeinsamen konjunkturgerechten Verhalten zusammen.
Bei der konzertierten Aktion, wie wir es nennen, der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände, wird die Bundesregierung, gestützt auf ihre große parlamentarische Mehrheit mit einer kraftvollen Wirtschafts- und Finanzpolitik vorangehen. Die konjunkturgerechte Gestaltung des Bundeshaushaltes 1967 und die Finanzplanung für die nächsten Jahre werden dabei eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die Sanierung des Kapitalmarktes und die baldige Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes. Die Voraussetzung dafür, dass es in unserer Wirtschaft bald wieder aufwärts geht, können wir aber nur dadurch schaffen, dass eine bewegliche und elastische Politik getrieben wird, die sich gleichermaßen an dem Wachstumsziel wie auch an dem Stabilitätsziel orientiert. Stabilität und Wachstum können und müssen gleichrangige Richtpunkte einer ausgewogenen und ausgeglichenen Wirtschaftspolitik sein. Das Ziel der Wirtschaftspolitik für 1967 heißt: Expansion oder Aufschwung nach Maß, nach dem Maß des Möglichen unserer Wirtschaft. Der neue Aufschwung, den wir einleiten wollen, muss unter der Kontrolle der Wirtschaftspolitik bleiben. Aber er darf auch nicht vor lauter Ängstlichkeit und Sorge um neue Gefahren verhindert werden.
Schauen wir zurück auf das Jahr 1966, so müssen wir feststellen, dass es ernstzunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten mit sich gebracht hat, die nicht zuletzt durch die politische Unsicherheit in den Herbstmonaten verschärft worden sind. Jetzt, nachdem die politische Krise überwunden und die Regierung entschlossen an die Arbeit gegangen ist, kann auch die Wirtschaft wieder mit größerer Zuversicht und mit Vertrauen in die Zukunft sehen. Die Stabilisierung der politischen Verhältnisse wird der Wirtschaft neue Impulse geben und dadurch beitragen, die augenblickliche Schwächeperiode bald zu überwinden. Das Jahr 1967 wird gewiss kein Jahr stärkeren Wirtschaftswachstums und kräftiger Wohlstandsmehrung sein. Aber ich bin dessen ganz sicher, es wird ein Jahr der wirtschaftlichen und finanziellen Konsolidierung und des Beginns einer neuen Aufwärtsentwicklung werden.
Ich wünsche Ihnen meine Damen und Herren einen schönen guten Abend!
Quelle: Prof. Dr. Karl Schiller, Bundesminister für Wirtschaft, „Zur wirtschaftspolitischen Situation“, Aufnahme des Bayerischen Rundfunks, 1. Januar 1967. © BR/Wirtschaftskommentar 1967; in Lizenz der BRmedia Service GmbH.