Kurzbeschreibung

Während des Kalten Krieges schickten die Westdeutschen Pakete mit begehrten Lebensmitteln wie Schokolade und Kaffee an Freunde und Verwandte auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Diese Gewohnheit half, die emotionalen Verbindungen über die Grenze hinweg aufrechtzuerhalten und bezeugte zugleich den steigenden Wohlstand in der Bundesrepublik.

Westpaket (22. März 1970)

Quelle

Liebe Frau Anneliese,

Am Donnerstag kam Ihr schönes Paket an, und ich danke Ihnen ganz herzlich dafür. Wieder so ein schönes warmes Betttuch, und das Nachthemd! So ein schönes habe ich lange nicht gehabt, und freue mich schon, wenn die wärmeren Tage bez. Nächte kommen, und ich es tragen kann. Ja, es scheint wirklich wenigstens der Anfang des Frühlings zu sein, und man ist froh und dankbar über die länger werdenden Tage, und die gelegentlichen Sonnenstrahlen. Im Garten allerdings ist noch nicht viel zu merken, noch kein Anzeichen der Schneeglöckchen, die Oberschicht des Schnees schmilzt langsam dahin, aber darunter ist noch alles hart und fest gefroren. Man möchte aber nicht ganz hoffnungslos sein. Und ich freue mich auch sehr über den übrigen Inhalt, der uns gut schmecken wird. - Wie mag es Ihnen gehen? Ich denke oft an Sie und Oskar und Ihre Söhne, es ist gut, zu denke, daß die jungen Menschen bei Ihnen mit etwas mehr Hoffnung groß werden können. Hier geht es für die Jugendlichen immer schlimmer. Von der Tochter des katholischen Arztes schrieb ich Ihnen wohl schon. Gestern kam ein Mitglied einer meiner Gruppen zu mir, (er wollte etwas übersetzt haben) Er hat einen etwas [sic] 12 jährigen Sohn, der in die Christenlehre geht. Die Klassenlehrerin, ein Fräulein N., fragte in der Klasse wer denn in die solche Lehre gehe. Er meldete sich. Sie ließ ihn aufstehen und fragte ihn ob er denn an Gott glaube, Ja. Und dein Vater auch? Ja, mein Vater und meine Mutter auch. Und Frl B. sagte der Klasse, daß es eben früher sehr viele dumme Menschen gegeben habe, und es seien noch nicht aIle ausgestorben, das ist alles Aberglaube. Lacht ihn nur immer tüchtig aus, daß er so dumm ist. Sie können sich denken, wie schwer so etwas für ein Kind ist. Früher hätte ich dem Vater geraten zum Sup. zu gehen, aber der neue ist keine Kampfnatur, und da hat das auch nicht viel Sinn. Mein angeheirateter Neffe, der Pfarrer spricht jetzt schon, so weit es geht, mit seinem kleinen Johannes der aber erst vier Jahre alt wird, aber man muss die Kinder beizeiten vorbereiten. Es ist erschütternd, daß die Jugendlichen gar nicht merken, was sie entbehren. Wenn auch die intelligenteren unter ihnen nicht alles für bare Münze nehmen, so können sie sich doch kein Bild davon machen, was möglich sein müßte. Der Geschichtsunterricht fängt mit 1848 an und in der Literatur gibt es fast nur noch ein oder zwei Sachen von Goethe, sehr viele Übersetzungen aus dem Russischen, und Proben der jetzt lebenden oder gerade erst gestorbenen, kommunistisch schreibenden Dichter möchte man sie fast nicht nennen.

Heute schäme ich mich wieder einmal. Denn leider gehe ich zur Wahl, wenn ich auch alles durchstreiche. Aber ich muss gehen, der Knüppel liegt beim Hund ich muss ja das Geld zum Lebensunterhalt verdienen, und man hat mir gesagt daß man mir die Bewilligung entzieht, falls ich nicht gehe. Mein Mann ist konsequenter und mutiger als ich und geht schon seit Jahren nicht. Ich muss auch aus dem anderen Grunde gehen, daß ich gern meine Nichte in Neumünster im Sommer besuchen möchte, ehe ich zu alt für die lange und anstrengende Reise bin. Und ich bekomme ja keine Genehmigung wenn ich nicht zur sogenannten Wahl gehe, die gar keine ist. Es stehen einige ganz anständige Menschen mit auf der Liste, aber sie können ja nichts erreichen, wir müssen uns alle der Knute beugen. Man schämt sich in Grund und Boden. – Es scheinen sehr viele Briefe und Pakete aus dem Westen jetzt nicht mehr anzukommen, die Nichte meines Mannes, Frau B., schrieb an gemeinsame Bekannte hier, was denn mit uns los sei, sie bekäme keine Antwort auf Briefe, aber wir haben gar keine erhalten. Allerdings, von ihnen ist, so viel ich sehen kann, alles angekommen. Zu Ostern werden wir ganz allein sein, meine Schwester fährt mit Michael und Matthias nach Leipzig und Waldheim. In L. wird Gottfrieds zweite Tochter getauft, Barbara, und in Waldheim will Matthias, der etwas länger frei hat, im Garten helfen, er hat ja einige[s] über diese Dinge gelernt. Gottfried hat noch immer nichts für wenn sein Vertrag abläuft. Da er, wie ich wohl schon schrieb, nichts politisch Positives nachweisen kann. Ich mache mit groß[e] Sorgen über ihn. Auch den beiden Jüngsten stellt man jetzt mehr nach als früher, es soll eben gerade unter den etwas begabteren jungen Menschen ga[n]z gündliche kommunistische Arbeit geleistet werden. Man kann wirklich nur sagen, Gott helfe uns. Und ich danke nochmals sehr, sehr für Alles. Ganz wunderbar ist auch die schnell waschbare Schürze, ein herrliches Geschenk und eine große Hilfe.

Yours with love
Marie P.

Quelle: Brief von Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. [bzw. seine Frau] nach Meckenheim am 22. März 1970, Briefsammlung, Museumsstiftung Post und Telekommunikation. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Online verfügbar unter: https://www.briefsammlung.de/post-von-drueben/brief.html?action=detail&what=letter&id=1280&le_keyword=Besuche

Brief von Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. [bzw. seine Frau] nach Meckenheim (22. März 1970)

Quelle: Brief von Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. [bzw. seine Frau] nach Meckenheim am 22. März 1970, Briefsammlung, Museumsstiftung Post und Telekommunikation. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Online verfügbar unter: https://www.briefsammlung.de/post-von-drueben/brief.html?action=detail&what=letter&id=1280&le_keyword=Besuche

Westpaket (22. März 1970), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/zwei-deutsche-staaten-1961-1989/ghdi:document-5030> [26.04.2024].