Kurzbeschreibung

Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt (reg. 1626-61) überstand den Dreißigjährigen Krieg und einen erbitterten Erbfolgekonflikt. Laut dem Historiker Volker Press war er ein frommer Mann, der stolz darauf war, die Bibel nicht weniger als 47 Mal gelesen zu haben. Während eine calvinistische Dynastie Hessen-Kassel regierte, herrschte im Hessen-Darmstadt Georgs II. ein entschlossenes Luthertum. Georgs Ansichten lassen ihn als Patriarchen der alten Schule erkennen. In dem folgenden Dokument predigt er christliche Tugenden, prangert das Laster an und ermahnt zu Respekt vor dem römisch-deutschen Kaiser „in allen Dingen, die nicht wieder Gottes Ehr und Lehr, sodan die teutsche Libertät seind“, wobei Letzteres einen Bezug auf die Freiheiten der Territorialfürsten gegenüber dem (katholisch-habsburgischen) Kaiser darstellt. Doch Georg erwartete vom Kaiser, dass er „unser Vatterland teutscher Nation vor schädlicher anarchia behütet“.

Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, Politisches Testament (4. Juni 1660)

  • Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt

Quelle

Und demnach es ia nicht gnug ist, daß ein Regent gottsförchtig, fromm und der wahren Religion mit Mund und Hertzen zugethan seye, sondern auch von ihme erfordert würd, daß er in Krafft tragenden hohen obrigkeitlichen Ambts alß ein trewer LandsVatter und, wie die Heylige Schrifft dißfalls redet, Seugamme der christlichen Kirchen, seine ihm von Gott tewer anbefohlene Underthanen zum christlichen wahren Glauben und rechter Gottesfurcht führe und darbey erhalte. Alß bitten Wir zuforderst den Allerhöchsten von Grund Unsers Hertzens, Seine Allmacht wolle Unsere geliebte Söhne und deren Nachkommen, auch andere Unsere obbenante Successores bey der ietzo durch Gottes Gnad in Unserm Fürstenthumb und Landen in vollem Schwang und Übung gehenden wahren, allein seeligmachenden Religion ohngeänderter Augspurgischer Confession erhalten, sie darin durch die Krafft und Beystand des heyligen Geistes stärcken und befestigen. []

In allen Handlungen hat Unser Sohn und LandsErbe zu gedencken: Gott siehets; dessen Ehre und Wohlgefallen soll desselben einiger [einziger] Zweck sein. Unser Successor prüfe sein selbst aigen Werck, frage sich, wan es möglich, alle Abend selbst, was er den Tag über guts gehandelt habe. Alle weltliche Anschläge, Sinne und Gedancken modificire er mit dießer Clausul: sofern es Gott gefällig. Nichts gedencke er vorzunehmen, dessen er vorher nicht guten Grundt und Gewißheit habe, daß es recht und gut sey. Wann so gar wichtige Sachen vorfallen, wie in weltlichen Regierungen bey sorgfaltigen Regenten zumal bey dießen letzten Zeiten offtmahls zu beschehen pflegt, so halte er bey Gott, daß Seine Allmacht ihne auf dem rechten Weg laiten und sein Thun und Lassen segnen wolle, desto eiferiger mit dem lieben Gebet an und setze sein Vertrawen auf keinen Menschen, sondern auf Gott allein. Nechst fleißiger Anbefehlung aller Sachen in Gottes Hände brauche er die von Gott verordnete Mittel, daß er nemlich den Sachen in Gottesfurcht fleißig nachdencke, nach Gelegenheit der Umbstände die nechst Verwande und meist Interessirte (denen an Erhaltung und Wohlfahrt Unsers fürstlichen Hausses das meiste gelegen ist, und die es mit Seiner L[iebden] trewlich und gut mainen) umb Gutachten und Bedencken ersuche, seiner geheimen und anderer Rhäte consilia vernehme, die Rhäte nicht nur collegialiter, sondern auch etwa einen nach dem andern allein befrage, seine rationes dubitandi [Erwägungen] ihnen communicire, gute Rhatschläge nicht nur höre, sondern auch denselben folge, über deme, so mit gutem Bedacht beschlossen ist, standhafftig halte, keinem, der seinem besten Verstand und Befinden nach seine Mainung anzeigt, würisch [verwirrend, schlimm] begegne, damit sie nicht fortan schew gemacht und abgeschreckt werden, libere zu votiren [freimütig zu raten] und vor des Fürsten Schaden zu warnen. []

Bey seinem so hohen und wichtigen Ambt befleißige er sich der Nüchternheit. Dann das Heylige Wortt beschreibt Unß die glaubige Menschen, bey denen der Seegen Gottes geblieben ist, in nüchternem Wandel. Wer zum Wein Lust hat, würd nimmer weiß, kein Unweißer aber ist tüchtig zur Regirung. Und was kann doch ein Regent vor schrecklichen Jammer anrichten, wan er dem Trunck zu sehr ergeben ist: seiner Gemahlin und Kindern ihren besten zeitlichen Schatz benehmen, seine Geschwisterte ihres Trosts entsetzen, seine Kirchen, Schulen, Cantzley, angewandte Rhäte und Diener, Land und Leuthe ihres Vorstehers berauben, den gemeinen Nutzen seines Beschützers, sein aigen Vatterland des Vatters, ia auch sich selbst seines Lebens und fürstlichen Rhums priviren [berauben]. Es seind auch Exempel vorhanden, daß Gott, auß gerechtem Zorn, etwa von hohen Haubtern Hand abgethan, daß sie im Trunck gefallen und fast sichtbarlich in ihren Sünden dahin gefahren.

Vor Hurerey und Unzucht warnen Wir Unsere sambtliche gelibte Kinder, zumahl auch Unsern lieben Sohn und Lands Erben, den künfftigen Regenten, trewlich. Er selbst soll nicht allein vor seine Person keusch und züchtig sein, sondern auch im gantzen Land die Tugend der Keuschheit hägen und das Laster der Unzucht strafen, in christlicher Betrachtung, wie nach Außweißung geist- und weltlicher Historien gantz[e] Königreich, Fürstenthumb, Graf- und Herrschafften darüber zu Grund gangen, und daß fast kein Laster gefunden würd, dem Gott mit Wasser, Fewer, Hunger und Schwerd so grausam und schröcklich abgelohnt als eben die Sünde der Unzucht.

Die Röm: Kay: May: alß seine und aller Stände des Heyligen Reichs vorgesetzte Obrigkeit soll er in großen Ehren und Würden haben und sich gegen Ihre May: alles gebührlich[en] und schuldigen Gehorsambs in allen Dingen, die nicht wieder Gottes Ehr und Lehr, sodan die teutsche Libertät seind (dergleichen von Ihrer Kay: May: alß einem allerlöblichsten Kayßer und Oberhaubt doch gar nicht zu vermuthen), erweißen. Er, Unser Sohn und Lands Erb, soll sich billich fort und fort bearbeiten, bemühen und befleißigen, den Römischen Kayßer alß den Gesalbten des Herrn von gantzem Hertzen zu veneriren [verehren] und Gott Dank sagen, daß Seine Allmacht unser Vatterland teutscher Nation vor schädlicher anarchia behütet und Unß mit einem christlichen und verständigen Oberhaubt gesegnet hat. []

Mehrgemelter Unser Sohn und Successor soll iedermann gern dienen und sich bemühen, viel nützliches und guts außzurichten, einen ieden Tag vor verlohren halten, an dem er nichts rechtschaffenes außgerichtet, soll sich befleißigen, dem Vatterland eine Seule, unserm Hauß eine Ehr, allen Unsern fürstlichen Verwandten und Angehörigen ein Trost, ihm selbst eine Ruhe, den Rhäten und Dienern ein gütiger, frommer und erkandlicher Vatter, den Underthanen ein Cron und Schutz, männiglich ein Zuflucht zu sein.

Quelle: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit. Herausgegeben von Heinz Duchhardt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1987, S. 43–76; abgedruckt in Helmut Neuhaus, Hrsg. Zeitalter des Absolutismus 1648–1789. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 5. Stuttgart: P. Reclam, 1997, S. 192–96.

Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, Politisches Testament (4. Juni 1660), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-3522> [13.07.2024].