Kurzbeschreibung

Hier legt Friedrich eine Version der Theorie des Gesellschaftsvertrags dar, in der monarchische Macht vor der Zivilgesellschaft gerechtfertigt wird und durch ihre Bewahrung des Rechts, Verteidigung des Königreichs und andere Dienste im Gegensatz zum Republikanismus steht. Diese Seiten enthalten seine berühmte Bestimmung des Königs als “den ersten Diener des Staates”. Der Aufsatz legt nahe, dass der „absolutistische Herrscher“ regieren sollte, „als ob“ er seine Handlungen gegenüber „dem Volk“ zu verantworten habe.

Friedrich II. („der Große”), „Regierungsformen und Herrscherpflichten” (1777)

Quelle

Regierungsformen und Herrscherpflichten

Wir haben gesehen, daß die Bürger einem ihresgleichen immer nur darum den Vorrang vor allen zugestanden, weil sie Gegendienste von ihm erwarteten. Diese Dienste bestehen im Aufrechterhalten der Gesetze, in unbestechlicher Pflege der Gerechtigkeit, in kraftvollstem Widerstand gegen die Sittenverderbnis, im Verteidigen des Staates gegen seine Feinde.

Der Staatslenker muß sein Augenmerk auf die Bodennutzung gerichtet halten, er muß für reichliche Beschaffung von Lebensmitteln Sorge tragen, muß Handel und Gewerbe fördern. Er gleicht einer ständigen Schildwache, die über die Nachbarn und das Verhalten der Feinde zu wachen hat. Von ihm wird verlangt, daß er mit weitblickender Klugheit zur rechten Zeit Verbindungen anknüpfe und Bundesgenossen wähle, wie sie den Interessen seines Gemeinwesens am zuträglichsten sind. Man erkennt aus dieser kurzen Übersicht, welche Fülle besonderer Kenntnisse jeder einzelne dieser Gegenstände erfordert. Und damit muß sich noch ein gründliches Studium der Landesbeschaffenheit und eine genaue Erkenntnis des Nationalgeistes verbinden. Denn der Herrscher macht sich ebenso schuldig, wenn er aus Unkenntnis fehlt, wie wenn er es aus böser Absicht tun würde: das eine Mal sind es Fehler aus Trägheit, das andere Mal Gebrechen des Herzens; allein das Übel, das dem Gemeinwesen erwächst, ist beide Male dasselbe.

Die Fürsten, die Herrscher, die Könige sind also nicht etwa deshalb mit der höchsten Macht bekleidet worden, damit sie ungestraft in Ausschweifung und Luxus aufgehen könnten. Sie sind nicht zu dem Zweck über ihre Mitbürger erhoben worden, daß ihr Stolz in eitel Repräsentation sich brüste und der schlichten Sitten, der Armut, des Elends verächtlich spotte. Sie stehen keineswegs an der Spitze des Staates, um in ihrer Umgebung einen Schwarm von Nichtstuern zu unterhalten, die durch ihren Müßiggang und ihr unnützes Wesen alle Laster fördern.

Schlechte Verwaltung kann bei monarchischer Regierung auf sehr verschiedene Ursachen zurückgeführt werden, die ihre Wurzel im Charakter des Herrschers haben. So wird ein Fürst, der den Frauen ergeben ist, sich von seinen Mätressen und Günstlingen regieren lassen. Die mißbrauchen ihre Macht über des Fürsten Sinn und bedienen sich ihres Einflusses, um Ungerechtigkeiten zu begehen, Menschen ohne sittlichen Halt zu begünstigen, Ämter zu verschachern und ähnlicher Schändlichkeiten mehr zu verüben.

Sobald der Fürst aus Nichtstuerei das Steuer des Staates Mietlingshänden überläßt – sagen wir: seinen Ministern – so wird der eine es nach rechts drehen, der andere nach links, niemand wird nach einheitlichem Plan arbeiten. Jeder Minister wird die Einrichtungen, die er vorfindet, mögen sie noch so gut sein, umstürzen wollen, um ein Schöpfer neuer Dinge zu werden und seine launenhaften Einfälle zu verwirklichen – oft zum Schaden des Gemeinwohls. []

Die Menschen verwachsen innerlich mit dem, was ihnen gehört. Der Staat gehört den Ministern nicht; sein Wohlergehen liegt ihnen also nicht wahrhaft am Herzen. Alles wird vielmehr lässig, mit einer Art stoischen Gleichmuts vollführt. Dies muß den Verfall der Rechtspflege, der Finanzen und des Heerwesens zur Folge haben. So entartet das monarchische Regiment tatsächlich zu einem aristokratischen, darin Minister und Generale nach Gutdünken schalten. Von einem einheitlichen System ist dann nichts mehr zu spüren. Jeder folgt seinen Sondergedanken, und der Mittelpunkt, der Einheitspunkt, ist verloren.

Gleichwie alle Werkteile einer Uhr vereint auf denselben Zweck, die Zeitmessung, hinwirken, so sollte auch das Getriebe der Regierung derartig angeordnet sein, daß all die einzelnen Teile der Verwaltung gleichmäßig zum besten Gedeihen des Staatsganzen zusammenwirkten; denn dieses Hauptziel darf niemals aus dem Auge gelassen werden. Ferner bringt das persönliche Interesse der Minister und Generale es gemeiniglich mit sich, daß sie in allem einander entgegenarbeiten und manches Mal die Ausführung des besten Beschlusses verhindern, bloß weil nicht sie selber ihn angeregt haben.

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Ich wiederhole also: der Herrscher repräsentiert den Staat; er und sein Volk bilden bloß einen einzigen Körper, der nur insoweit glücklich sein kann, als Eintracht die einzelnen Glieder zusammenhält. Der Fürst ist für den Staat, den er regiert, dasselbe, was das Haupt für den Körper ist: er muß für die Allgemeinheit sehen, denken und handeln, um ihr jeglichen wünschenswerten Vorteil zu verschaffen. Soll die monarchische Regierung sich der republikanischen überlegen zeigen, so ist die Richtschnur für den Herrscher gegeben: er muß tätig und rein von Charakter sein und all seine Kräfte zusammennehmen, um die Aufgabe zu erfüllen, die ihm vorgezeichnet ward. Die Vorstellung, die ich mir von seinen Pflichten mache, ist folgende.

Er muß sich sorgsam und eingehend über Stärke und Schwäche seines Landes unterrichten, und zwar ebensogut im Hinblick auf die Geldquellen wie auf die Bevölkerungsmenge, die Finanzen, den Handel, die Gesetze und den Geist der Nation, die er regieren soll. []

Wenn die Gesetze gut sein sollen, so müssen sie klar ausgedrückt sein, damit keine Rechtsverdrehung sie nach Belieben deuten kann, um den Sinn zu umgehen und regellos, nach Gutdünken über das Geschick der Bürger zu entscheiden. Das Verfahren soll so kurz wie irgend möglich sein, um die Parteien nicht zugrunde zu richten. Sie dürfen nicht genötigt werden, sich in unnütze Ausgaben zu stürzen, um das zu erlangen, was die Justiz ihnen von Rechts wegen schuldig ist. Dieser Teil der Regierungsgeschäfte kann nicht genugsam überwacht werden, damit der Begehrlichkeit der Richter und dem maßlosen Eigennutz der Advokaten jede erdenkliche Schranke gesetzt werde. Alle Beamten werden zur Pflichterfüllung angehalten durch Visitationen, die man von Zeit zu Zeit in den Provinzen vornimmt. Jeder, der sich geschädigt glaubt, wagt alsdann, seine Klagen bei der Kommission vorzubringen; die Pflichtvergessenen sind streng zu strafen. Vielleicht ist es überflüssig, hinzuzufügen, daß die Strafe niemals schwerer als das Vergehen sein, Gewalt nie an die Stelle der Gesetze treten darf und ein Herrscher lieber zu nachsichtig als zu streng sein soll. []

Dies sind im allgemeinen die Pflichten, die ein Fürst erfüllen muß. Damit er niemals von ihnen abirre, muß er sich oft ins Gedächtnis zurückrufen, daß er ein Mensch ist wie der geringste seiner Untertanen. Wenn er der erste Richter, der erste Feldherr, der erste Finanzbeamte, der erste Minister der Gemeinschaft ist, so soll er das nicht sein, um zu repräsentieren, sondern um seine Pflichten zu erfüllen. Er ist nur der erste Diener des Staates, ist verpflichtet, mit Redlichkeit, mit überlegener Einsicht und vollkommener Uneigennützigkeit zu handeln, als sollte er jeden Augenblick seinen Mitbürgern Rechenschaft über seine Verwaltung ablegen. Er macht sich also schuldig, wenn er das Geld des Volkes, den Ertrag der Steuern in Luxus, Festgepränge oder Ausschweifungen vergeudet – er, dem es obliegt, über die guten Sitten, die Hüterinnen der Gesetze, zu wachen und die Volkserziehung zu vervollkommnen, nicht aber sie durch schlechte Beispiele noch zu verderben.

Die Reinhaltung der guten Sitten ist eines der wichtigsten Ziele. Dazu kann der Herrscher viel beitragen, wenn er solche, die sich tüchtig erweisen, auszeichnet und belohnt, während er denen, die in ihrer Verkommenheit über ihren schlechten Lebenswandel nicht mehr erröten, seine Verachtung kundgibt. Der Fürst soll jede ehrlose Handlung vernehmlich mißbilligen und den Unverbesserlichen jede Auszeichnung verweigern.

Noch ein bedeutsamer Punkt darf nicht außer acht gelassen werden; seine Vernachlässigung brächte den guten Sitten einen nicht wieder gutzumachenden Schaden. Das geschieht nämlich, wenn der Fürst Personen allzusehr auszeichnet, die kein Verdienst haben, aber große Reichtümer besitzen. So übel angebrachte Ehrenbezeugungen bestärken die Allgemeinheit in dem volkstümlichen Vorurteil, reich sein genüge, um angesehen zu sein. Eigennutz und Begehrlichkeit sprengen dann die Fessel, die sie noch hielt. Jeder will Reichtümer anhäufen. Sie zu erwerben, werden die rechtswidrigsten Mittel angewandt. Die Korruption greift um sich, schlägt Wurzeln und wird allgemein. Die Talente, die sittenreinen Leute werden mißachtet, und die Welt ehrt nur die Bastarde des Midas, die mit ihrem reichlichen Geldausgeben, ihrem Prunk sie blenden.

Um zu verhindern, daß die nationale Sittlichkeit so scheußlich entarte, muß der Fürst ohne Unterlaß darauf bedacht sein, nur das persönliche Verdienst auszuzeichnen und dem üppigen Reichtum ohne Sitte und Tugend nur Verachtung zu zeigen.

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Quelle: Die Werke Friedrichs des Großen. Bd. 7: Antimachiavell und Testamente. Hrsg. Berthold Volz. Deutsch von Eberhard König, Friedrich v. Oppeln-Bronikowski, Willy Rath. Berlin: Hobbing, 1913, S. 225–37; abgedruckt in Helmut Neuhaus, Hrsg. Zeitalter des Absolutismus 1648–1789. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 5. Stuttgart: P. Reclam, 1997, S. 231–37.

Quelle des französischen Originaltextes: Œuvres de Frédéroc le Grand. Hrsg. Johann David Erdmann Preuß. Band 8. Berlin, 1848, S. 198–201, 208–10.