Kurzbeschreibung

Vor der „Bauernbefreiung“ des frühen 19. Jahrhunderts stand jeder Dorfbauer rechtlich als Untertan unter dem Feudalherren. Bei diesem handelte es sich gewöhnlich um einen landbesitzenden Adligen, dem der ländliche Zuständigkeitsbereich anvertraut worden war, doch oft auch um einen Verwalter (bürgerlich oder adlig) eines großflächigen landwirtschaftlichen Krongutes. Auch Städte verwalteten gelegentlich dörfliche Untertanen. Die Titel, die solche Dorfbewohner über die Grundstücke besaßen, die sie bestellten, variierten, doch in der Praxis waren sie meist erblich. Die den Grundherren geschuldeten Renten konnten in Bargeld oder Sachleistungen, als Arbeitsdienste oder Kombination derselben geleistet werden. Streitfragen betrafen die Besitztitel der Dorfbewohner, die persönliche Mobilität und die Arbeitspflichten gegenüber ihren Feudalherren sowie die Versuchungen seitens der Gutsbesitzer, Bauernland in ihre eigenen feudalherrschaftlichen Güter einzuhegen. Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (1794) zeigt die Widersprüche, wenn untertänige Dorfbewohner einerseits als „freie Bürger des Staates“ angesehen wurden und andererseits als feudalherrschaftliche Pächter, die durch unzählige langjährige grundherrschaftliche Machtbefugnisse gebunden waren, die in einige Fällen einer Leibeigenschaft gleichkamen (wenngleich das Gesetzbuch ebenso wie das Gewohnheitsrecht zuvor der feudalherrschaftlichen Willkür deutliche Grenzen setzte).

Die Rechtsstellung untertäniger Dorfbewohner in Preußen, wie es sich im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten spiegelt (1794)

Quelle

Siebenter Titel. Vom Bauerstande

Erster Abschnitt. Vom Bauerstande überhaupt

Wer Bauer sey.

§ 1. Unter dem Bauerstande sind alle Bewohner des platten Landes begriffen, welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaues und der Landwirthschaft beschäftigen; in so fern sie nicht durch adliche Geburt, Amt, oder besondre Rechte, von diesem Stande ausgenommen sind.

§ 2. Wer zum Bauerstande gehört, darf, ohne Erlaubniß des Staats, weder selbst ein bürgerliches Gewerbe treiben, noch seine Kinder dazu widmen. []

§ 3. Welche Arten der Gewerbe, außer dem Ackerbaue und der Landwirthschaft, auch ohne besondere Erlaubniß, auf dem Lande getrieben werden dürfen, ist im folgenden Titel bestimmt.

[]

Allgemeine Rechte und Pflichten des Bauerstandes.

§ 8. Ein jeder Landmann ist die Cultur seines Grundstücks, auch zur Unterstützung der gemeinen Nothdurft, wirthschaftlich zu betreiben schuldig. []

§ 14. Die Anzahl der bäuerlichen Besitzungen auf dem Lande soll weder durch Einziehung der Stellen, und der dazu gehörigen Realitäten, noch durch das Zusammenschlagen derselben vermindert werden. []

Zweyter Abschnitt. Von Dorfgemeinen

Rechte und Pflichten der Dorfgemeinen.

§ 18. Die Besitzer der in einem Dorfe oder in dessen Feldmark gelegenen bäuerlichen Grundstücke, machen zusammen die Dorfgemeine aus.

§ 19. Dorfgemeinen haben die Rechte der öffentlichen Corporationen. []

§ 20. Nur die angesessenen Wirthe nehmen, als Mitglieder der Gemeinen, an den Berathschlagungen derselben Theil. []

Rechte der einzelnen Mitglieder.

§ 28. Alle Glieder der Dorfgemeinen sind zur Nutzung der Gemeingründe durch Hütung, Holzung u. s. w. berechtigt; in so fern ihnen nicht ausdrückliche Gesetze oder Verträge entgegen stehen.

§ 29. Sie nehmen an den gemeinschaftlichen Nutzungen nach eben dem Maaßstabe Theil, nach welchem sie die gemeinen Lasten zu tragen schuldig sind.

§ 30. Auf Gemeinweiden mag jeder Dorfseinwohner so viel Vieh treiben, als zur gehörigen Bestellung seiner Wirthschaft von ihm gehalten werden muß.

§ 31. Wo zwischen den angesessenen Wirthen, und den übrigen Dorfseinwohnern, oder auch zwischen den verschiedenen Classen der erstern, gewisse Verhältnisse in Ansehung der Nutzungen und der gemeinen Lasten, durch Verträge oder hergebrachte Gewohnheit festgesetzt sind, hat es dabey auch ferner sein Bewenden.

§ 32. Bey erfolgender Theilung der Gemeingründe, muß ein gleiches Verhältniß, wie bey der Nutzung, beobachtet werden. []

Dritter Abschnitt. Von unterthänigen Landbewohnern, und ihrem Verhältnisse gegen ihre Herrschaften

Einleitung.

§ 87. Die Verhältnisse der Gutsunterthanen auf dem Lande gegen ihre Gutsherrschaften sollen, nach der Verschiedenheit der Provinzen, in den Provinzial-Gesetzbüchern gehörig bestimmt, und dabey die bisherigen Provinzial-Gesetze und darauf beruhende wohlhergebrachten Verfassungen lediglich zum Grunde gelegt werden. []

Allgemeine Pflichten der Gutsherrschaften.

§ 122. Eine jede Gutsherrschaft ist schuldig, sich ihrer Unterthanen in vorkommenden Nothfällen werkthätig anzunehmen.

§ 123. Sie muß denjenigen unter ihnen, welche noch nicht angesessen sind, zum Erwerbe ihres Unterhalts, so viel an ihr liegt, Gelegenheit verschaffen.

§ 124. Kann sie dieses nicht: so muß sie ihnen, auf gebührendes Ansuchen, erlauben, ihr Brot auswärts zu verdienen, und ihnen dazu die erforderliche Kundschaft ertheilen.

§ 125. Der Gutsherrschaft liegt besonders ob: für eine gute und christliche Erziehung der Kinder ihrer Unterthanen zu sorgen. []

Allgemeine Pflichten der Unterthanen.

§ 133. Unterthanen sind ihrer Herrschaft Treue, Ehrfurcht, und Gehorsam schuldig.

§ 134. Sie sind derselben zu Diensten und Abgaben, nach den unten näher folgenden Bestimmungen, verpflichtet. []

Vierter Abschnitt. Von den persönlichen Pflichten und Rechten der Unterthanen

Persönliche Freyheit der Unterthanen.

§ 147. Unterthanen werden, außer der Beziehung auf das Gut, zu welchem sie geschlagen sind, in ihren Geschäften und Verhandlungen als freye Bürger des Staats angesehen. []

Dingliche Rechte der Herrschaft auf dieselben.

§ 150. Sie dürfen das Gut, zu welchem sie geschlagen sind, ohne Bewilligung ihrer Grundherrschaft nicht verlassen.

§ 151. Sie können aber auch von der Herrschaft, ohne das Gut, zu welchem sie gehören, nicht verkauft, vertauscht, oder sonst an einen Andern wider ihren Willen abgetreten werden. []

Heirathen.

§ 161. Unterthanen sind bey ihrer vorhabenden Heirath die herrschaftliche Genehmigung nachzusuchen verbunden.

§ 162. Die Herrschaft aber kann ihnen die Erlaubniß ohne gesetzmäßige Ursache nicht versagen. []

Gesindedienste der Unterthanenkinder.

§ 185. Die Kinder aller Unterthanen, welche in fremde Dienste gehen wollen, müssen sich zuvor der Herrschaft zum Dienen anbieten. []

Züchtigungsrecht der Herrschaft.

§ 227. Faules, unordentliches, und widerspenstiges Gesinde, kann die Herrschaft durch mäßige Züchtigungen zu seiner Pflicht anhalten; auch dieses Recht ihren Pächtern und Wirthschaftsbeamten übertragen.

§ 228. Eine gleiche Befugniß steht der Herrschaft in Ansehung des Gesindes der Unterthanen zu, wenn dasselbe von diesen zum Hofedienste geschickt wird, und sich dabey faul, unordentlich, oder widerspenstig bezeiget.

§ 229. Bey solchen Züchtigungen aber muß nicht die Gesundheit, vielweniger das Leben des Gesindes in Gefahr gesetzt werden. []

§ 232. Auch angesessene Wirthe, und deren Weiber, kann die Herrschaft durch Gefängnißstrafe oder Strafarbeit zu ihrer Pflicht anhalten, wenn dieselben, bey Leistung unstreitiger Dienste, sich der Widersetzlichkeit, beharrlichen Faulheit, vorsetzlichen Vernachläßigung, oder eines andern dergleichen Vergehens schuldig machen. []

Fünfter Abschnitt. Von den Rechten und Pflichten der Unterthanen in Ansehung ihres Vermögens

Grundsatz.

§ 240. Unterthanen können, gleich andern Bürgern des Staats, freyes Vermögen erwerben und besitzen. []

Rechte der Unterthanen auf ihre Grundstücke:

1) wenn sie Eigenthümer sind.

§ 246. In der Regel, und wo das Gegentheil nach Provinzialgesetzen und Verfassungen, oder sonst, nicht erhellet, sind angesessene Unterthanen als würkliche Eigenthümer ihrer Stellen und Güter anzusehn, und in vorkommenden Fällen zu beurtheilen.

a) Bey Verfügungen unter Lebendigen;

§ 247. Sie können aber dieselben ohne herrschaftlichen Consens weder veräußern, noch durch Tausch, oder andre Abtrennung einzelner unbeweglicher Pertinenzstücke schwächen.

§ 248. Eben so wenig können sie, ohne diesen Consens, Dienstbarkeits- oder andre fortwährende Lasten ihren Gütern auflegen.

§ 249. Auch zu Verpfändungen ist die Einwilligung der Herrschaft nothwendig.

§ 250. Diese Einwilligung kann die Herrschaft so weit, als die zu versichernde Summe die Hälfte des im Hypothekenbuche eingetragenen Werths nicht übersteigt, nicht versagen. []

Sechster Abschnitt. Von den Diensten der Unterthanen

Wozu die Dienste geleistet werden müssen.

§ 308. Die Dienste, welche die Unterthanen ihrer Herrschaft zu leisten haben, sind eigentlich zur Bewirthschaftung und Benutzung der herrschaftlichen Grundstücke bestimmt. []

§ 311. In der Regel sind die zu Diensten verpflichtete Unterthanen alle Arten von Fuhren und Handarbeiten, welche zur landwirthschaftlichen Benutzung des herrschaftlichen Guts erfordert werden, zu verrichten schuldig.

§ 312. Dagegen können ihnen andre Arbeiten, besonders solche, die eine auf dem Lande nicht gewöhnliche Fabrication oder Handlung zur Absicht haben, im Hofedienste nicht zugemuthet werden.

§ 313. Wo jedoch schon zur Zeit der Publication dieses Gesetzbuchs, Unterthanen auch solche Dienste, vermöge vorhandener Verträge, oder einer seit rechtsverjährter Zeit wohlhergebrachten Verfassung, haben leisten müssen, hat es auch ferner dabey sein Bewenden.

Möglichste Festsetzung gemessener Dienste.

§ 314. Alle Arten der Hofedienste sollen künftig, so viel als möglich, nach Zeit, Ort, Maaß, oder Gewicht, bestimmt werden.

§ 315. Bey Bestimmung der ungemessenen Dienste ist sowohl auf die Nothdurft des Guts, zu dessen Cultur die Unterthanen angesetzt sind, als auf deren eigne Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. []

§ 319. Bey Festsetzung und Vertheilung der Dienste ist darauf zu sehen, daß den Unterthanen die nöthige Zeit zur Bestellung ihrer eignen Wirthschaften, und zum Erwerbe ihrer Nothdurft übrig bleibe.

Quelle: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Textausgabe. Hrsg. Hans Hattenhauer. Frankfurt am Main/Berlin: Metzner, 1970, S. 433–44; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg., Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789-1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 307–13.