Kurzbeschreibung

Dieser Text gibt Einblick in die Sorgen eines Vaters, die zweifelsohne von anderen aristokratischen Eltern der Zeit geteilt wurden. Der Verfasser, ein westfälischer Adliger, wollte sicherstellen, dass seine Töchter zum Fleiß erzogen wurden und die Verpflichtungen des täglichen Lebens akzeptierten ohne diese als die alleinige Pflicht der bürgerlichen Schicht zu verachten. Kurz gesagt, ging es ihm darum, dass sie nicht nur die Vergnügungen und Privilegien des Lebens der Oberschicht kennenlernten. Der Text vermittelt ein gutes Bild der Fähigkeiten, welche zu erlernen von vielen Aristokratentöchtern erwartet wurde.

Anweisungen des westfälischen Adligen Christian Franz Dietrich von Fürstenberg in Bezug auf die Erziehung seiner Töchter (1743)

  • Christian Franz Dietrich von Fürstenberg

Quelle

Wegen der Mademoiselle, und der Weibsleuten Zucht

Facta revisione Thematum der kleinen Töchter

Ingressus, wie mit meinen Töchtern sei zu Werk zu gehen

So fange ich an, wie ich nun eine, die vorhin meinen Töchtern erteilten nützlichen Ermahnungen, wieder aufrühren wollte, wie ich mich, nach allem, wollte erkundigen, und sehen, wie es vor das künftige wäre einzurichten, und nachdem die Kinder größer würden, selbigen als successive mehrerer Willen würde gegeben.

Wie Kinder nicht auf einmal, sondern allgemach groß und ausgemustert werden

Nach dem, was ich am 5ten Aprilis 1741 entworfen hatte, wird den größeren Kindern vor und nach mehr Willen, und so wie sie größer werden, und wan sie die 20 Jahre erreichet, und passiret haben, in Thee, Caffee, Chocolade, Wein, Obst, merenden gegeben werden, wobei gleichwohl, wohl bleibet zu betrachten, wie die excessus im Wein, Caffee, und dergleichen Getränken schädlich, je tötlich seynd, worüber die exempla in unserem Hause gehabt haben.

Wegen der Jüchtereyen und Ergötzlichkeiten sind wir nicht auf die Welt gekommen

Wie wir wegen des Caffee-Trinkens etc. auf die Welt nicht gekommen sind, wie wir Menschen unsere Glückseligkeit, unser Vergnügen auf dieser Welt im Caffee-Trinken, im Wein, im Spielen, in der Gesellschaft, im Tanzen, in Üppigkeiten, in allerlei Lustbarkeiten, in einer affectation selbige Ergötzlichkeiten auch wohl Jüchtereien ohnsinnig nachzuhänken ohne selbige Freuden anmaßlich sich die Zeit lang werden zu lassen, selbiges Müßiggehen, auch wohl Jüchtereien, Fleuchtereyen, als etwas mehr adliges anzusehen, ein ruhiges, stilles, eingezogenes, beschäftiges niemalen müßiges vergnügtes Leben aber als wie etwas Bürgerliches in seinem Sinn zu verachten, nicht setzen müssen;

Wozu die Ergötzlichkeiten dienen müssen, und was eines jeden sein rechtes Geschäft auf dieser Welt sei

Die Lustbarkeiten, Ergötzlichkeiten sind bei des Menschen Leben, als wie das Gewürz bei den Speisen; es müßte einer zu Schande gehen, welcher sich mit lauter Gewürz wollte speisen und ernähren.

Wir sind auf die Welt kommen, nicht um zu hüpfen und zu tanzen, sondern nach der Lehre unseres Catechismi, um Gott zu ehren, und unserer Seelen Heil zu bewirken. Neben diesen dann hat auch ein jeder allerlei Sachen, jeder nach seinem Stand, zu erlernen, damit er in der Welt nicht übrig sei, und womit er, oder sie, sich die Tage seines Lebens müsse beschäftigen, und niemalen müsse müßig sein, und sich müßig erfunden werden.

Vor das weibliche Geschlecht, um nicht müßig zu sein will es heißen: bald bete, betrachte, und lese ich, bald stricke, sticke, nähe, spinne mit solcher Wechslung übend mich, den Himmel leicht gewinnen:

Man muß allezeit beschäftiget sein

Dieses wohl betrachtet, muß also ein junges Weibsbild sich von jung auf gewöhnen, allezeit beschäftigt, niemals müßig zu sein, allzeit beschäftigt zu sein lieben; den Müßiggang aber hassen, so wird sie allezeit in ihrem Gemüt vergnüget sein, so wird sie in allen Orten und wan sie auch in einer wilden Einöde wohnte, vergnügt sein.

Wie man Kinder nacheinander muß erziehen

Die ganz jungen Kinder lernen ihren Catechismus. Sie werden unterwiesen in der Andacht, und einem christlichen Wesen, sie werden unterwiesen im Lesen, Schreiben, verschiedenen Sprachen, Arbeiten, Rechnen, Haushalten. Sie werden auch unterwiesen im Tanzen, Spielen, einer anständigen Lebensart; es wird ihnen beigebracht, wie sie eingezogen, ehrbar, vorsichtig leben, sich zu einem jeden schicken, und keinem überlästig sein sollen.

Wie sich selbige bei den Ergötzlichkeiten und selbiger Abwechslungen haben zu verhalten

Gibt es nur etwas zu tanzen, gibt es etwas zu spielen, gibt es Gelegenheiten sich mit spazieren und sonsten anderen Zusammenkünften, assemblées zu erlustigen, so nimmt man sein Teil mit daran, wie auch andere Leute.

Ist selbiges vorbei, so betrübt man sich dessentwegen nicht, ja man ist wohl froh, daß es vorbei sei, man läßt sich deswegen die Zeit nicht lang werden, sondern man gibt sich gleich mit einem ganzen, mit einem guten, mit einem fröhlichen Herzen wiederum zu seinen gewöhnlichen Geschäften, beten, lesen, arbeiten, haushalten und vergnüget sich über alles in selbigen seinen gewöhnlichen Geschäften, als welche des Gemüts rechte Nahrung sein müssen.

Glückliche Kinder, welche also zum ora, et labora erzogen sind und es folgen

Die jungen Kinder, welche also unterwiesen sind, welche diese facte haben genommen, welche sich in ihrer beständigen occupation, um niemalen müßig zu sein erfreuen, in selbiger ihre Freude suchen, ein klein Spaß, als etwas vorbeigehendes ansehen, sich bei selbigen, auf eine kurze Zeit wohl sein lassen, aber an selbiges ihr Herz nicht hencken, werden allzeit glücklich sein.

Unglückliche Kinder welche es verachten, und den Müßiggang, den Üppigkeiten nachtrachten

Welche aber die Pferde hinter den Wagen spannen, den Müßiggang, die Trägheit, die Üppigkeiten, hüpfen und springen, als wie das Ziel ihres Lebens voraussetzen, ohne selbiges sich anmaßlich wollen grämen, die Zeit nicht wollen wissen zu vertreiben, beschäftiget zu sein, als etwas bürgerliches, als etwas Unanständiges wollten ansehen, selbige können nicht lang leben, selbige müssen vergehen, dan allzeit in Gesellschaften zu sein, ist unmöglich zu erhalten, wobei sich auch viele versündigen; dan wan auch dieses, nähmlich ein beständiges Jüchtern die Gesundheit übertragen wollte, wan man auch Kaiserinnen, Königinnen pp. wäre, wan man auch die Späße zum Ziel seines Lebens wollte setzen, so wäre gleichwohl nicht möglich, daß sich selbige also aufeinander folgeten, daß nicht viele Ruhetage, viele für solche Leute müßige, langwierige Wochen dazwischen sein müßten. In einer Stadt, auf dem Lande, bei einem Hofe, in seinem Hause, allerwegen ist gut leben, wan man sich weiß also zu beschäftigen, das man niemal müßig ist, ja man wird deren Unruhen in Städten, bei Höfen eher müd, als wie der guter Ruhe, welche man in seinem Hause genießet, wan man sich weiß zu beschäftigen. Die Unruhe, das Jüchtern verzehrt auch den Menschen und macht ihn früher sterben; die Ruhe aber nähret den Menschen, und machet ihn länger leben; was sind schon viele, so viel jünger als wie ich waren, gestorben, die, weil sie der Pracht und der Unruhe dieser Welt, unsinnig nachjagden, ich aber in meiner Ruhe lebe noch.

Warum man dieses anführe, nähmlich wegen den Verführern.

Man führet dieses nicht ohne Ursache also weitwendig an, dan obschon das vergnügte Leben eines Jeden darin bestehet, sich allezeit Wissen zu beschäftigen, niemals müßig zu sein, die Kinder selbiges auch hoffentlich begreifen, so pflegen sich doch bei sicheren Jahren Leute genug herbei zu machen, welche alle diese und jede application werden abraten, den Kindern selbiges anders werden wollen weiß machen, von nichts, als Müßiggehen, Jüchtern und Flüchtern werden sprechen, der Eltern und sonsten, welche es anders raten möchten, welche selbiges nicht leiden wollten, sich in den Weg legen müssen, nicht genug werden spotten können pp.

Absichten des Hauses

Das Gesinde der Freier

Knechten, und Mägden, Haußofficieren, hänget auch mehrerenteils der Magen dahin, nähmlich nach dem Flüchtern, desgleichen junge Mannsleute, welche Lust haben zu heiraten, den Weibsleuten nachzutrachten – obschon sie sonsten etwa selbiger junger Weibsleuten Glück nicht machen könnten, nur allein auf sich sehen – suchen selbige junge Weibsleute, auch zum Müßiggang, zum Jüchtern, zum Flüchtern zu bringen, dazu anzuführen, dan alsdann sind sie leichter zu verführen, zu überreden, indem der Müßiggang ein Kopfkissen des Teufels ist, welche also, als wie die Eltern und Instructoren der Jugend christlich, und nach ihrer Schuldigkeit wollten vorstehen, müssen selbiges verhindern;

Schuldigkeit der Eltern

die Kinder anführen zur Andacht, zu fleißiger Lesung guter Bücher, die Kinder anführen um fleißig, um gern zu arbeiten, um niemals müßig, um allezeit beschäftigt zu sein. Um zu erkennen, warum sie auf diese Welt sind gekommen, nähmlich um zu beten und um zu arbeiten, die Ergötzlichkeiten aber allein zwischen die Arbeit und die Freude zwischen die Sorgen müssen gesetzet werden.

Man muß sich nicht lassen cantzlern. Vor dem Schmeicheln muß man sich hüten

Man muß sich von Knechten und Mägden, auch seinen Haußofficieren – wan man so weit in der Welt gekommen ist, daß man derselbigen hat – nicht regieren lassen; dieses muß den Menschen aber, auf das andere extremum nicht machen verfallen, daß man, nachdem sich die Gelegenheiten fügen, mit einem jeden nicht vernünftig zu Rat gehen, eine Sache überlegen wolle.

Es müssen sich also die Kinder hier wohl in acht nehmen, durch das Flimmern und nach dem Maul sprechen des Gesindes, nicht lassen schlechter Dingen einnehmen, denen aber, welche ihrer Erziehung von den Eltern vorgesetzet sind, müssen die Kinder völlig trauen.

Die Kinder müssen nicht plaudern

Die Kinder müssen von dem einen zu dem andern – welches ein gewöhnlicher Fehler der Weibsleute ist, und in welchem viele Sünden stecken können – nicht tragen gehen, nicht spietig sein, vor der Zeit nicht klug sein wollen, sich gewöhnen über Vieles her zu sehen, vieles still zu schweigen, zum flaren, zum antragen, zum praat halten, zum beständigen plaudern und niemalen still zu schweigen sich nicht anführen lassen, dan welcher einen Kitzel von vielen plaudern hat, muß viel wissen, oder vieles lügen, und das letztere ist insgemein wahr.

Wegen Ausmustern. Geld rechnen

Mit der Einkunft vom Rhein werde ich die ältesten Kinder, etwas mehr ausmustern zur Tafel ziehen; wie gehet es bei denselbigen mit dem rechnen? Es wird ihnen Geld gegeben werden zu berechnen, es ist die Frage, wie selbige sei anzufangen, auch ist vielleicht, mit meiner Frau zu überlegen, woher die Kinder Geld machen sollen.

Gebährden der Kinder

Die Kinder müssen nicht verzwicket sein, sondern sich lassen, als wie sie sind.

Wegen des Schreibens und Componirens

Mit dem Schreiben und Charakter meiner Töchter geht es nicht recht. Quaeritur, ob der P. Plaudus, oder der Dingerkus solle eine Vorschrift geben? Die Briefe müssen auch auf unterschiedliche inhalten und nicht allein auf einen Inhalt gemacht werden.

Es müssen auch mit der Zeit sowohl deutsche als wie französische Briefe geschrieben werden.

Wegen der Marie-Elisabeth und anderer Kinder-Mägden

Mit der Mademoiselle zu reden wegen der Maria Elisabeth, wie selbige nicht, vor ein, zwei Kinder, sondern vor alle Kinder sei, wie selbige nunmehr nicht eine Kammermagd, sondern die erste Kindermagd sei. Quaeritur, was sie vor ein Lohn habe? Welches ihr billig sollte reduziert werden, sonst hat sie davor zu danken, und desto fleißiger aufzuwarten, hierüber findet sich in einliegenden quart foliis volantibus etwas notieret, wie auch wegen Austeilung der Kleider meiner Töchter. Cesquels feulles volants ich hiervon dann könnte weglegen, und in ein pro memoria pro me könnte einlegen, mit der Zeit verordnen, die Kinder selbsten, über ihre Kleider; mit der Zeit disponiret man, bei Söhnen, und Töchtern auf eine andere Weise, über die, etwas mehr, kostbare Kleider, als dasselbige, gleich dem Gesinde zum Raub sollte wollen gelassen werden.

Wegen der Zahl der Mägde

Bei Abgang der Wilhelmina sind zwei Mägde, als wie, die Maria Elisabeth und die französische Elisabeth genug vor vier Töchter.

Bei Abgang der Bernhardina wird ein anderes Stubenmensch allda sein müssen, wovor meine Frau wird sorgen. Die beiden Ammen müssen auch mit der Zeit ein krumpen, und je weniger das die Weibsleute beieinander sind, je ruhiger ist es. Wan die Töchter dann endlich 21 Jahre pp alt sind, so kann man einer jeden ihre eigene Magd zulegen.

Ita finio am 29.ten Januar 1743

Quelle: Archiv der Grafen von Fürstenberg-Stammheim, Opladen, Nr. 23/10m; abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700-1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 181–86.

Anweisungen des westfälischen Adligen Christian Franz Dietrich von Fürstenberg in Bezug auf die Erziehung seiner Töchter (1743), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-3625> [04.11.2024].