Kurzbeschreibung

Durch dieses Edikt nahm die städtische Selbstverwaltung seitens der besitzenden männlichen Stadtbewohner eine dem 19. Jahrhundert gemäße liberale Form an. Es brach mit den früheren Vorstellungen der Repräsentation durch Kaufmannsgilden und zunftgebundene Gewerbe, schloss jedoch auch die lohnabhängige Klasse ohne Hausbesitz sowie Frauen aus. Meist behielt die Zentralregierung die Kontrolle über die städtische Polizeiverwaltung inne. Doch die nach dieser Verordnung gebildeten Stadträte wurden wirksame Ausbildungsstätten liberaler Politik und Selbstverwaltung.

König Friedrich Wilhelm III. und seine Minister Stein und Schrötter, „Ordnung für sämtliche Städte der Preußischen Monarchie“ (19. November 1808)

Quelle

Ordnung für sämtliche Städte der Preußischen Monarchie

Wir, Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, etc., etc.

Thun kund und fügen hiemit zu wissen:

Der besonders in neuern Zeiten sichtbar gewordene Mangel an angemessenen Bestimmungen in Absicht des städtischen Gemeinwesens und der Vertretung der Stadt-Gemeine, das jetzt nach Klassen und Zünften sich theilende Interesse der Bürger und das dringend sich äußernde Bedürfniß einer wirksamern Theilnahme der Bürgerschaft an der Verwaltung des Gemeinwesens, überzeugen Uns von der Nothwendigkeit, den Städten eine selbstständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeine einen festen Vereinigungs-Punkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine thätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Theilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten. []

Tit. I. Von der obersten Aufsicht des Staats über die Städte.

§ 1. Dem Staat und den von solchem angeordneten Behörden, bleibt das oberste Aufsichtsrecht über die Städte, ihre Verfassung und ihr Vermögen, insoweit nicht in der gegenwärtigen Ordnung auf eine Theilnahme an der Verwaltung ausdrücklich Verzicht geleistet ist, vorbehalten. []

§ 2. Diese oberste Aufsicht übt der Staat dadurch aus, daß er die gedruckten Rechnungsextrakte oder die öffentlich darzulegenden Rechnungen der Städte über die Verwaltung ihres Gemeinvermögens einsieht, die Beschwerden einzelner Bürger oder ganzer Abtheilungen über das Gemeinwesen entscheidet, neue Statuten bestätigt und zu den Wahlen der Magistratsmitglieder die Genehmigung ertheilt.

Tit. II. Von den Städten im Allgemeinen.

§ 3. Das Stadtrecht, so wie überhaupt der Umfang der Städte erstreckt sich auch auf die Vorstädte.

§ 4. Zum städtischen Polizei- und Gemeinebezirk gehören daher alle Einwohner und sämmtliche Grundstücke der Stadt und der Vorstädte.

§ 5. Die Einwohner jeder Stadt bestehen nur aus zwei Klassen, aus Bürgern oder aus Schutzverwandten oder aus Einwohnern, die das Bürgerrecht gewonnen und solchen, die dasselbe nicht erlangt haben.

Einwohner sind alle diejenigen, welche im Gemeinebezirk ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben.

§ 6. Beide, sowohl Bürger als Schutzverwandte, werden in allen Angelegenheiten, die auf das allgemeine Interesse der Stadt Bezug haben, nach dieser Ordnung und den Verfassungen der Stadt beurtheilt.

§ 7. Der Unterschied, welcher bisher zwischen mittelbaren und unmittelbaren Städten statt fand, soll in allen Beziehungen auf städtische Angelegenheiten künftig aufhören.

§ 8. Den Gutsherren wird nicht gestattet, über mittelbare Städte, dieser Ordnung zuwiderlaufende Rechte und Befugnisse auszuüben.

§ 9. Sämmtliche Städte sollen nach der Zahl ihrer Einwohner, in der Zukunft in große, mittlere und kleine eingetheilt werden.

§ 10. Es werden unter den großen Städten diejenigen, welche mit Ausschluß des Militairs, Zehntausend Seelen und drüber haben, – unter mittlern Städten diejenigen, welche ohne Militair, Dreitausend Fünfhundert, allein noch nicht Zehntausend Seelen enthalten, – und unter kleinen Städten diejenigen verstanden, welche, das Militair ungerechnet, noch nicht Dreitausend Fünfhundert Seelen zählen. []

Tit. III. Von den Bürgern und dem Bürgerrechte.

§ 14. Ein Bürger oder Mitglied einer Stadtgemeine ist der, welcher in einer Stadt das Bürgerrecht besitzt.

§ 15. Das Bürgerrecht besteht in der Befugniß, städtische Gewerbe zu treiben und Grundstücke im städtischen Polizeibezirk der Stadt zu besitzen. Wenn der Bürger stimmfähig ist, erhält er zugleich das Recht, an der Wahl der Stadtverordneten Theil zu nehmen, zu öffentlichen Stadtämtern wahlfähig zu seyn, und in deren Besitze die damit verbundene Theilnahme an der öffentlichen Verwaltung, nebst Ehrenrechten zu genießen. []

§ 19. Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönliche Verhältnisse machen bei Gewinnung des Bürgerrechts keinen Unterschied. Auch hergebrachte Vorzüge der Bürgerkinder und besondere Arten von Verpflichtungen der Unverheiratheten etc. hören völlig auf, Kantonnisten, Soldaten, Minderjährigen und Juden kann das Bürgerrecht aber nur unter den vorschriftsmäßigen Bedingungen zugestanden werden. []

§ 25. Jeder, der Bürger werden will, ist verbunden, dem Magistrat den Bürgereid zu leisten und muß sich darin verpflichten, diese Ordnung aufrecht zu erhalten und das Beste der Stadt nach seinen Kräften zu befördern.

§ 26. Einem jeden Bürger liegt die Verpflichtung ob, zu den städtischen Bedürfnissen aus seinem Vermögen und mit seinen Kräften die nöthigen Beiträge zu leisten und überhaupt alle städtische Lasten verhältnißmäßig [zu] tragen.

§ 27. Er ist schuldig, öffentliche Stadtämter, sobald er dazu berufen wird, zu übernehmen und sich den Aufträgen zu unterziehen, die ihm zum Besten des Gemeinwesens der Stadt gemacht werden. []

Tit. V. Von den Stadtgemeinen.

§ 46. Der Inbegriff sämmtlicher Bürger der Stadt, macht die Stadtgemeine oder die Bürgerschaft aus. Alle diejenigen, welche in der Bürgerrolle eingetragen stehen, sind also als Mitglieder der Stadtgemeine zu betrachten.

§ 47. Der Magistrat des Orts ist der Vorsteher der Stadt, dessen Befehlen die Stadtgemeine unterworfen ist. Seine Mitglieder und die Subjekte zu den öffentlichen Stadtämtern, wählt und präsentirt die Bürgerschaft.

§ 48. Die Bürgerschaft selbst wird in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens, durch Stadtverordnete vertreten. Sie ist befugt, dieselbe aus ihrer Mitte zu wählen. []

§ 50. In diesem Statut, welches der Magistrat des Orts entwirft und worüber die Stadtverordneten sich erklären, soll zugleich näher bestimmt werden, welche Gewerbe von den Schutzverwandten der Stadt betrieben werden können und welche das Bürgerrecht voraussetzen. []

§ 55. Die zu gemeinsamen oder öffentlichen Zwecken bestimmten, der Stadt zugehörigen Anstalten und Stiftungen, stehen mit ihrem Vermögen unter der Aufsicht der Stadtgemeine.

§ 56. Dieselbe ist indessen verbunden, alles dasjenige, was zur Befriedigung des öffentlichen Bedürfnisses der Stadt erfordert wird und aus dem Gemeine-Einkommen nicht bestritten werden kann, auf die Stadteinwohner zu vertheilen und aufzubringen. []

Tit. VI. Von den Stadtverordneten. Abschnitt I. Von der Wahl und dem Wechsel derselben.

§ 69. Die Vertretung der Stadtgemeine oder Bürgerschaft durch Stadtverordnete ist nothwendig, weil jene aus zu vielen Mitgliedern bestehn, als daß ihre Stimmen über öffentliche Angelegenheiten, jedesmal einzeln vernommen werden könnten.

Deshalb soll in jeder Stadt, nach deren Größe, der Wichtigkeit der Gewerbe und dem Umfange der Angelegenheiten des Gemeinwesens, eine angemessene Repräsentation der Bürgerschaft bestellt werden und künftig bestehen. []

§ 73. Die Wahl der Stadtverordneten nach Ordnungen, Zünften und Korporationen in den Bürgerschaften, wird dagegen hierdurch völlig aufgehoben. Es nehmen an den Wahlen alle stimmfähige Bürger Antheil und es wirkt jeder lediglich als Mitglied der Stadtgemeine ohne alle Beziehung auf Zünfte, Stand, Korporation und Sekte.

§ 74. Das Stimmrecht zur Wahl der Stadtverordneten und Stellvertreter, steht zwar in der Regel jedem Bürger zu; jedoch sind als Ausnahmen, folgende davon ausgeschlossen:

a) Diejenigen, welche nach den §§ 20. und 22. im IIIten Titel unfähig seyn würden, das Bürgerrecht zu erlangen, wenn sie solches nicht schon besäßen,

b) Magistratsmitglieder, während der Dauer ihres Amts,

c) Bürger weiblichen Geschlechts,

d) Unangesessene Bürger – in großen Städten, deren reines Einkommen noch nicht 200 Rthlr. – und in mittlern und kleinen Städten, deren reines Einkommen noch nicht 150 Rthlr. jährlich beträgt, und

e) Personen, welchen als Strafe das Stimmrecht entzogen ist. []

Tit. VII. Von den Magistraturen und Bezirksvorstehern.

§ 140. In jeder Stadt darf für den ganzen Polizeibezirk derselben, nur Ein Magistrat seyn. An Orten, wo mehrere Magistraturen jetzt bestehen, werden solche in einem Magistrat vereinigt. Auch für Pfälzer- und französische Kolonien können besondere Magistraturen nirgends weiter statt finden.

§ 141. Das Magistratskollegium soll überall aber nur aus Mitgliedern der Bürgerschaft bestehen, die das Vertrauen derselben genießen.

Jeder mit Gemeinsinn erfüllte Bürger wird, auch ohne Vortheile für seine Person dabei zu beabsichtigen, dieses ehrenvolle Amt gern übernehmen.

Zur Verminderung der Administrationskosten können daher nur diejenigen Magistratsmitglieder für ihre Amtsführung entschädigt werden, welche ihre Zeit derselben ganz zu widmen haben.

§ 142. Das Magistratskollegium soll in kleinen Städten einen besoldeten Bürgermeister, und

einen besoldeten Rathsmann, der zugleich Kämmerer ist, außerdem aber nach Maaßgabe des Bedürfnisses vier bis sechs unbesoldete Rathsmänner enthalten. []

§ 152. Sämmtliche Mitglieder der Magisträte, mit Ausschluß des Oberbürgermeisters, werden Namens der Stadtgemeine von den Stadtverordneten erwählt, und von der Provinzialpolizeibehörde bestätigt. []

Tit. VIII. Von der Geschäftsorganisation und dem Verhältniß der Behörden gegen einander.

§ 166. Dem Staate bleibt vorbehalten, in den Städten eigene Polizeibehörden anzuordnen, oder die Ausübung der Polizei dem Magistrat zu übertragen, der sie sodann vermöge Auftrags ausübt. So wie die besonderen Polizeibehörden, welche in den Städten angeordnet werden, unter den obern Polizeibehörden stehen, so steht auch der Magistrat, welcher die Polizei vermöge Auftrags erhält, unter diesen höhern Behörden, rücksichtlich alles dessen, was auf die Polizeiübung Bezug hat. Die Magisträte werden in dieser Hinsicht als Behörden des Staats betrachtet. Der Magistrat muß die Ausübung der Polizei, so weit sie ihm übertragen wird, unweigerlich übernehmen, und die ganze Bürgerschaft in diesem Fall sowohl, als auch dann, wenn die Polizei durch eine eigene Behörde verwaltet wird, die Polizeiausübung, so weit es gefordert wird, unterstützen.

§ 167. Da die Ortspolizei jeder Stadt hauptsächlich für die Sicherheit und das Wohl der städtischen Einwohner thätig ist, so liegt der Stadtgemeine auch ob, die Kosten, welche die Erhaltung des nöthigen Polizeipersonals und die, nach der Disposition der Polizeibehörde, erforderlichen Anstalten nothwendig machen, aufzubringen. Ob der Magistrat oder eine andere Behörde die Polizei ausübt, macht dabei keinen Unterschied. []

§ 178. Die Geschäfte, welche der Magistrat allein zu treiben hat, werden folgende seyn:

a) die Besetzung der Magistratsstellen, Bezirksvorsteher- und Bürgerämter, nach der Wahl der Stadtverordneten, imgleichen die Wahl und Ansetzung der Unterbedienten;

b) alle die städtische Verwaltung betreffende Generalien und die auf den Antrag der einzelnen Deputationen und Kommissionen zu ertheilenden Bestimmungen in Spezialien;

c) alle Beschwerdesachen, sie mögen die Beeinträchtigung einzelner Einwohner der Stadt, die Verwaltung oder die verzögerte Abmachung betreffen;

d) die Annahme der Bürger, Führung der Bürgerrollen, Verzeichnung der Grundstückserwerber und Ertheilung der Gewerbs-Konzessionen.

Letztere kann aber da, wo der Magistrat nicht zugleich, vermöge Auftrags, die Polizeiverwaltung hat, nur nach geschehener Einwilligung der Polizeibehörde erfolgen.

e) Handlungs-, Strohm-, Schiffahrts-, Manufaktur- und Fabriken-Angelegenheiten;

f) die Kontrolle der öffentlichen Kassen, die Einforderung und Prüfung der Etats, das Rechnungswesen und die Bestimmung der zu den städtischen Bedürfnissen erforderlichen Beiträge der Bürgerschaft.

Außerdem liegt aber dem Magistrat die Aufsicht auf die Geschäftsführung sämmtlicher Deputationen und Kommissionen und die Kontrolle derselben ob. Besonders ist das Magistratspräsidium verbunden, sich darum genau zu bekümmern und die Geschäftsführung zu revidiren.

§ 179. Zur Geschäftsverwaltung in Deputationen und Kommissionen sind geeignet:

a) die kirchlichen Angelegenheiten.

Jede Kirche erhält einen Obervorsteher aus dem Magistrat und zwei Kirchenvorsteher aus der Gemeine, welche die Externa besorgen.

b) Schulsachen.

Die Organisation der Behörde zur Besorgung der innern Angelegenheiten, wird besondern Bestimmungen vorbehalten.

Die äußern Angelegenheiten besorgt ein Magistratsmitglied als Ober-Vorsteher mit den nöthigen Vorstehern aus der Bürgerschaft.

In großen und mittlern Städten, wo gelehrte Schulen bestehen, erhalten diese ihr besonderes Vorsteheramt und die übrigen Schulen nach angemessenen Abtheilungen, ebenfalls dergleichen.

c) Das Armenwesen wird von einer Deputation geleitet. []

Das ganze Armenwesen wird also den Händen der Bürgerschaft, ihrem Gemeinsinn und der Wohlthätigkeit der Stadt-einwohner anvertraut. Der Magistrat bleibt aber als Vollstrecker der Polizeianordnungen verpflichtet, darauf zu wachen, daß die Straßenbettelei abgestellt werde.

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Quelle: Sammlung der für die Königlichen Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810. Berlin, 1822. (Nachdr. Bad Feilnbach 1985.) S. 324–27, 330–33, 342–50; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789-1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 155–65.

König Friedrich Wilhelm III. und seine Minister Stein und Schrötter, „Ordnung für sämtliche Städte der Preußischen Monarchie“ (19. November 1808), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-3553> [12.07.2024].