Kurzbeschreibung

In dieser Denkschrift legt Karl vom und zum Stein (1757-1831), der kurzzeitig (1807-08) während der Ära der preußischen Reformen als Staatsminister gedient hatte und dessen Ideen reformerische Kreise durchdrungen hatten, die für ihn zentrale Forderung der Selbstverwaltung dar. Eigentumsbesitzer aller sozialen Schichten sollten in die örtliche Verwaltung eingebunden werden, insbesondere durch ein neuartiges System repräsentativer Organe (von Stein „Stände“ genannt) auf Bezirks- und Provinzebene. Letztlich griff die preußische Regierung mit der Einberufung von Provinzialständen 1823 jedoch die Tradition der landständischen Verfassungen des Ancien Regime wieder auf, welche dem Landadel erhebliche Privilegien sicherten.

Karl Freiherr vom und zum Stein, Nassauer Denkschrift zur Staatsreform in Preußen (Juni 1807)

  • Karl vom und zum Stein

Quelle



Der Aufsatz d[e] d[ato] B[erlin 27.] April 1806 bewies die Notwendigkeit der Aufhebung des Kabinetts und der Bildung eines Staatsrats oder einer unmittelbar unter dem Könige arbeitenden, mit anerkannter und nicht erschlichener Verantwortlichkeit versehenen obersten Behörde, die der endliche Vereinigungspunkt der verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung ist.

Hat man die Bildung eines solchen Staatsrats beschlossen, so entsteht die Frage, ob die einzelnen Departements-Ministerien in ihrer bisherigen Verfassung beibehalten werden können, und um diese zu beantworten, muß man den Verteilungsgrund der Geschäfte unter die verschiedenen Staatsbehörden, ihre innere Einrichtung und ihr Verhältnis gegen die Provinzial-Behörden untersuchen und prüfen.

Zum Verteilungsgrund der Verwaltungszweige unter die Ministerial-Behörden hat man teils Sachen, teils Bezirke oder Provinzen angenommen. []

Die neuern und auf richtigen Grundsätzen beruhenden Verordnungen legen dem Justiz-Ministerio sämtliche Rechtssachen, der Finanz- und Polizeibehörde aber sämtliche Finanz- und Polizeisachen bei, und die Ausdehnung dieser Verfassung auf die ganze Monarchie ist nach meiner Einsicht ratsam. []

[Ich halte] es für ratsam, den Wirkungskreis des General-Direktorii nach Geschäften und nicht nach Bezirken zu verteilen. Es zerfällt alsdann in zwei Hauptabteilungen:

I. Verwaltung des öffentlichen Einkommens,

II. Verwaltung der obersten Staatspolizei.


Die erste Hauptabteilung zerlegt sich in vier Unterabschnitte:

1. Domänen und Forsten,

2. Abgaben, direkte und indirekte Abgaben,

3. Administration, Post, Lotterie, Bank, Seehandlung, Münze, Bergwerke, Salz,

4. Staatskassenwesen, Staatsbuchhalterei und Hauptkasse.

Die andere Hauptabteilung [umfaßt] die ganze innere Landespolizei, sie betreffe die allgemeine Sicherheit oder Armenwesen, Gesundheit, Erhaltung der Lebensbedürfnisse, Unterrichtsanstalten, die Gewerbe der Landwirtschaft, der Handwerke, Fabriken, Handel, öffentliche Anlagen, als Kanäle, Wege, das Persönliche der Provinzial-Behörden und Korporationen, deren Bildung, Verfassung usw.

Diese Hauptabteilung würde in vier Unterabteilungen sich zerlegen, und zwar:

1. eine Sektion oder Departement für öffentliche Sicherheit, Armenwesen, Erhaltung der Lebensbedürfnisse, Aufsicht auf die Bildung und Zusammensetzung der ländlichen, städtischen und ständischen Korporationen und die administrativen Organisationen;

2. eine Sektion für die Gewerbepolizei, sie betreffe Landwirtschaft oder Handwerkerei, Fabriken, Handel, Wege, Kanäle;

3. eine Sektion für das Medizinalwesen;

4. eine für den öffentlichen Unterricht, Lehranstalten der wissenschaftlichen Künste und der Elementar-Kenntnisse.
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Die veränderte Verfassung der obersten Behörden würde auch eine Umbildung der Provinzial-Behörden erfordern.

Die Einrichtung der Provinzial-Verwaltung hatte im preußischen Staate sehr verschiedene Formen, in vielen Teilen desselben und zwar in den deutschen Provinzen waren neben den Kammern Stände oder Korporationen von gewissen Klassen der Eigentümer, andere, namentlich Schlesien und Neupreußen, wurden ausschließend von Landes-Kollegien verwaltet. Einige Stände hatten einen tätigen Anteil an der Landesverwaltung, sie wurden über Gesetze und Provinzial-Verfassung zu Rate gezogen, sie verwilligten Abgaben zu Provinzial-Bedürfnissen, sie übten eine gewisse Kontrolle über Geldverwendung und Geschäftsführung der Landes-Kollegien und hatten eine regelmäßig organisierte Verfassung. Dieses war der Fall im Clevischen, Märkischen, der Kurmark und Pommern. In anderen Provinzen waren ihnen die Hauptzweige der Staatsverwaltung übertragen, z. B. dem Administrations-Kollegio in Ostfriesland, oder nur einzelne, z. B. die Feuer-Sozietät, das Armenwesen, oder sie waren selbst Mitglieder der Landes-Kollegien, z. B. im Geldrischen.


Bei dieser großen Verschiedenheit der Provinzial-Verfassungen entsteht die Frage, welche derselben den Vorzug vor den anderen verdiene.

In die aus besoldeten Beamten bestehenden Landes-Kollegia drängt sich leicht und gewöhnlich ein Mietlingsgeist ein, ein Leben in Formen und Dienst-Mechanismus, eine Unkunde des Bezirks, den man verwaltet, eine Gleichgültigkeit, oft eine lächerliche Abneigung gegen denselben, eine Furcht vor Veränderungen und Neuerungen, die die Arbeit vermehren, womit die bessern Mitglieder überladen sind und der die geringhaltigeren sich entziehen. Ist der Eigentümer von aller Teilnahme an der Provinzial-Verwaltung ausgeschlossen, so bleibt das Band, das ihn an sein Vaterland bindet, unbenutzt; die Kenntnisse, welche ihm seine Verhältnisse zu seinen Gütern und Mitbürgern verschaffen, unfruchtbar; seine Wünsche um Verbesserungen, die er einsieht, um Abstellung von Mißbräuchen, die ihn drücken, verhallen oder werden unterdrückt, und seine Muße und Kräfte, die er dem Staat unter gewissen Bestimmungen gern widmen würde, werden auf Genüsse aller Art verwandt oder in Müßiggang aufgerieben. Es ist wirklich ungereimt zu sehen, daß der Besitzer eines Grundeigentums oder anderen Eigentums von mehreren Tonnen Goldes eines Einflusses auf die Angelegenheiten seiner Provinz beraubt ist, den ein fremder, des Landes unkundiger, durch nichts mit ihm in Verbindung stehender Beamter ohnbenutzt besitzt.

Man tötet also, indem man den Eigentümer von aller Teilnahme an der Verwaltung entfernt, den Gemeingeist und den Geist der Monarchie, man nährt den Unwillen gegen die Regierung, man vervielfältigt die Beamtenstellen und verteuert die Kosten der Verwaltung, weil man nun die Gehälter den Bedürfnissen und dem Stand der Beamten, die allein von der Besoldung leben wollen, angemessen bestimmen muß. Die Erfahrung beweist die Richtigkeit dieser Bemerkung, und wollte man z. B. die wichtigen Verrichtungen der Landräte besoldeten Offizianten aus der Klasse der Nicht-Eigentümer übertragen, so würde gewiß der den Landräten anvertraute Verwaltungszweig verteuert. []

Auch meine Diensterfahrung überzeugt mich innig und lebhaft von der Vortrefflichkeit zweckmäßig gebildeter Stände, und ich sehe sie als ein kräftiges Mittel an, die Regierung durch die Kenntnisse und das Ansehen aller gebildeten Klassen zu verstärken, sie alle durch Überzeugung, Teilnahme und Mitwirkung bei den National-Angelegenheiten an den Staat zu knüpfen, den Kräften der Nation eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das Gemeinnützige zu geben, sie vom müßigen sinnlichen Genuß oder von leeren Hirngespinsten der Metaphysik, oder von Verfolgung bloß eigennütziger Zwecke abzulenken und ein gut gebildetes Organ der öffentlichen Meinung zu erhalten, die man jetzt aus Äußerungen einzelner Männer oder einzelner Gesellschaften vergeblich zu erraten bemüht ist.

Hat man sich von dieser Wahrheit überzeugt, daß die Teilnahme der Eigentümer an der Provinzial-Verwaltung von den wohltätigsten Folgen sei, so muß man nun seine Aufmerksamkeit richten auf die Bestimmung der Geschäfte, die ihnen übertragen werden sollen, und auf die Form der Organisation sowohl der Kommunal- als der Provinzial-Behörden.


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An die Stelle der Bureaukratie muß nicht eine auf kümmerlichen und schwachen Fundamenten beruhende Herrschaft weniger Gutsbesitzer errichtet werden, sondern es kommt die Teilnahme an der Verwaltung der Provinzial-Angelegenheiten sämtlichen Besitzern eines bedeutenden Eigentums jeder Art zu, damit sie alle mit gleichen Verpflichtungen und Befugnissen an den Staat gebunden sind. Auf den Kreistagen erscheinen daher die adligen Gutsbesitzer und Deputierten, so aus den übrigen städtischen und bäuerlichen Kommunitäten gewählt sind; wahlfähig zu den Stellen von Landtags-Deputierten sind aber nur Besitzer eines Eigentums, so eine bedeutende schuldenfreie Rente einträgt.

Die inneren Angelegenheiten der Provinz werden auf den aus den Deputierten der Kreise bestehenden Landtagen verhandelt; hieher gehören z. B. das Provinzial-Gesetzbuch, Milderung und Bestimmung der bäuerlichen Verfassung, innere Polizei, Unterrichts-, Armen-Anstalten, Landesverbesserungen durch Gemeinheitsteilung, Abtrocknung, Wege, Wasserbau usw., endlich Verwilligung der zur Ausführung dieser Entwürfe erforderlichen Gelder aus Provinzial-Fonds. Der Landtag schlägt Deputierte vor, aus denen der König eine verhältnismäßige Anzahl wählt, die als Mitglieder der Kammer-Kollegien die Provinzial-Angelegenheiten bearbeiten, und ziehe ich diese Verbindung der Übertragung gewisser Geschäftszweige an ein besonderes landschaftliches Kollegium vor, weil auf diese Art die zwischen verschiedenen konkurrierenden Behörden notwendigen Reibungen vermieden, Eintracht und ein gemeinschaftlicher Geist erhalten wird. []

Ersparung an Verwaltungskosten ist aber der weniger bedeutende Gewinn, der erhalten wird durch die vorgeschlagene Teilnahme der Eigentümer an der Provinzial-Verwaltung, sondern weit wichtiger ist die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre.

Der Formenkram und Dienst-Mechanismus in den Kollegien wird durch Aufnahme von Menschen aus dem Gewirre des praktischen Lebens zertrümmert, und an seine Stelle tritt ein lebendiger, fortstrebender, schaffender Geist und ein aus der Fülle der Natur genommener Reichtum von Ansichten und Gefühlen.

Es wird aber so wenig an einer hinlänglichen Zahl geschäftsfähiger Männer in der Klasse der Eigentümer fehlen, als daß die Regierung Ursache hat, durch ihre Zuziehung für die Erhaltung der inneren Ruhe besorgt zu sein. Die Anzahl der gebildeten und verständigen Männer ist in allen Klassen der Einwohner in den alten Provinzen des preußischen Staates so groß, daß es an geschäftsfähigen, mit praktischen Kenntnissen ausgerüsteten Männern, die mit Erfolg dem ihnen angewiesenen Geschäftskreis vorstehen werden, nicht fehlen kann. []

Quelle: Freiherr vom Stein: Briefe und amtliche Schriften. Bearbeitet von Erich Botzenhart. Neu herausgegeben von Walther Hubatsch. Bd. 2. Tl. 1. Neu bearbeitet von Peter G. Thielen. Stuttgart: Kohlhammer,1959, S. 382, 386, 389-95. Abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789-1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 136-44.