Kurzbeschreibung

Kurz nach ihrer Machtübernahme leitete die nationalsozialistische Regierung eine tiefgreifende und radikale Reform des Staatsapparates ein, die als Gleichschaltung bezeichnet wird. Einer der ersten Schritte in diesem Prozess war die Konsolidierung der deutschen Stadt-, Landes- und Bundespolizei, um sowohl die politische Autorität über die Polizei zu behaupten als auch die Staatsmacht auszubauen. 1934 wurde Heinrich Himmler zum Chef aller Polizeikräfte außerhalb Preußens ernannt (die preußische Staatspolizei fiel unter die Zuständigkeit des preußischen Innenministeriums und unterstand damit Hermann Göring). 1936 wurde Himmler schließlich Chef der Reichspolizei.

Ein wesentliches Element in diesem Prozess war die Neufassung des deutschen Rechts. Die Nationalsozialisten versuchten, den Begriff des kodifizierten Rechts neu zu fassen. Die Nazis begriffen das Recht als ein System höherer Tugenden und Prinzipien, das das Volk lenkte und schützte, und nicht als eine lange Reihe von streng definierten konventionellen Rechtsordnungen. In seiner Rede vor dem Ausschuss für Polizeirecht der Akademie für Deutsches Recht vom Oktober 1936 beschrieb Himmler diese konzeptionelle Verlagerung und argumentierte dabei, dass Deutsche Recht einer höheren Autorität verpflichtet sei, nämlich einem Bewusstsein dafür, was rechtens sei statt etablierter rechtlicher Konventionen. Anstatt Verbrechen mit einer bestimmten strafbaren Handlung in Verbindung zu bringen, suchten die nationalsozialistischen Führer nach einem subjektiveren Rechtskodex, der Begriffe wie rassische Herkunft, Gesinnung und allgemeine Einstellungen betonte, von denen angenommen wurde, dass sie Merkmale bestimmter Personengruppen und nicht lediglich von Einzelpersonen waren.

Bericht über die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Polizeirecht der Akademie für Deutsches Recht (11. Oktober 1936)

Quelle

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Als wir Nationalsozialisten im Jahre 1933 an die Macht kamen, erhielt ein Teil von uns die Aufgabe, die Polizei zu übernehmen. Ich kann hier aus eigenem Erleben und eigener Erfahrung sprechen: Ich habe in München im März 1933 die Polizei als Polizeipräsident von München und später von München und Nürnberg übernommen. Wir Nationalsozialisten fanden damals eine Polizei vor, die ursprünglich als stur gehorchendes Machtinstrument eines absolutistischen Staates ins Leben gerufen worden war, die sich aus dieser Zeit die Unbeliebtheit und den Haß der Bevölkerung als größtes und gewaltigstes Erbe mitgebracht hatte, die aber die Machtvollkommenheit der Polizei des absolutistischen Staates verloren hatte. Sie hieß noch „Machtapparat”, war aber in Wirklichkeit keiner mehr; sie war ein hilfsbedürftiges, an allen Ecken und Enden eingeschnürtes Gebilde. Überall mußten sich die Beamten vorsehen, daß sie nicht bei der Verhaftung eines Verbrechers selbst hereinfielen und der Verbrecher leer ausging. Wir Nationalsozialisten haben uns dann – es mag absonderlich klingen, wenn ich das in der Akademie für Deutsches Recht sage, aber Sie werden das verstehen – nicht ohne Recht, das wir in uns trugen, wohl aber ohne Gesetz an die Arbeit gemacht. Ich habe mich dabei von vornherein auf den Standpunkt gestellt, ob ein Paragraph unserem Handeln entgegensteht, ist mir völlig gleichgültig; ich tue zur Erfüllung meiner Aufgaben grundsätzlich das, was ich nach meinem Gewissen in meiner Arbeit für Führer und Volk verantworten kann und dem gesunden Menschenverstand entspricht. Ob die anderen Leute über die „Brechung der Gesetze” jammerten, war in diesen Monaten und Jahren, in denen es um Leben oder Sterben des deutschen Volkes ging, gänzlich gleichgültig. Das Ausland – nicht am wenigsten genährt durch zahlreiche Kräfte des Inlandes – sprach natürlich von einem rechtlosen Zustand in der Polizei und damit im Staate. Rechtlos nannten sie ihn, weil er nicht dem entsprach, was sie unter Recht verstanden. In Wahrheit legten wir durch unsere Arbeit die Grundlagen zu einem neuen Recht, dem Lebensrecht des deutschen Volkes.

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Wir müssen in Deutschland allmählich dazu kommen, daß man bestimmte Dinge tut und bestimmte Dinge nicht tut, daß sich der Volksgenosse selber erzieht. Um das zu erreichen, müssen wir die Polizei von zu vielen Entscheidungen entlasten, ohne aber den schleppenden Weg der normalen Justiz zu gehen. Man könnte da eine alte Einrichtung, die in unserem Volk bereits vor Jahrhunderten bestand, dann aber abgeschafft wurde, nämlich an die Einrichtung des Friedensrichters, des Sühnegerichts denken. Der Friedensrichter konnte ohne geschriebenes Gesetz als ehrenhafter, im Leben stehender Mann nach Recht und gesundem Menschenverstand richten. Das sind einige Gedanken, die ich mir als Chef der deutschen Polizei über die deutsche Polizei selbst, ihre Organisation, ihre Bildung menschenmäßiger Art und ihre Aufgaben gemacht habe. Ihre Aufgabe wird es nun sein, meine Herren, dafür zu sorgen, daß dieses Recht in wenigen Grundbegriffen verankert wird. Die Grundbegriffe müssen allerdings auf diesem Wege gefunden werden. Denn was wir tun, das ist lediglich die Wiederinkraftsetzung des ältesten Rechtes unseres Volkes. Wir schaffen hier nichts Neues, sondern müssen versuchen, wieder dort anzuknüpfen, wo der Faden unseligerweise vor Jahrhunderten abgerissen wurde. Die Rechte paßten immer auf jede Zeit, nur die Grundbegriffe müssen in Ordnung sein und müssen dem Blut und dem aus dem Blut entsprungenen Geist und Körper unseres Volkes entsprechen. Glückt es Ihnen, dieses Recht zu formulieren und in Sätze zu fassen, nicht in Paragraphen niederzulegen, sondern in weise und kluge Sätze, die selbst dem einfachsten, juristisch nicht gebildeten Menschen einleuchten, dann werden Sie ein großes Werk getan haben, das dann eins der ganz großen Werke der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung sein wird, genau so, wie der Schöpfung des Erbhofgesetzes eins der maßgebendsten und größten Werke der Bewegung war, weil es eine Rechtsschöpfung urältester Art ist, und genau so, wie – das darf ich hier vielleicht gleich mit anschließen – die Schaffung eines nationalsozialistischen Staatsrechts eine der dringendsten Aufgaben sein wird.

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Quelle: Hans Frank, et al., Hrsg. Grundfragen der deutschen Polizei. Bericht über die konstituierende Sitzung des Ausschusses für Polizeirecht der Akademie für Deutsches Recht am 11. Oktober 1936. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1936, S. 11–16.