Kurzbeschreibung

Mustafa Kamal Atatürk (1881-1938) war ein türkischer Revolutionär und Gründer der Türkischen Republik nach dem Fall des Osmanischen Reiches im Jahr 1923. Während die Freundschaft und Bewunderung Adolf Hitlers und der NSDAP für Benito Mussolini gut dokumentiert ist, haben Historiker/innen erst in jüngster Zeit begonnen, die Faszination zu verstehen und zu erforschen, die Hitler und seine Anhänger für den türkischen Präsidenten hegten. Diese beiden auszugsweise wiedergegebenen Dokumente, zum einen ein von Atatürk selbst verfasster Aufsatz, der nach seinem Tod am 10. November 1938 im Hamburger Tageblatt veröffentlicht wurde, und zum anderen ein Auszug aus dem Nachruf derselben Zeitung auf den türkischen Staatsführer, zeigen diese weniger erforschte Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland auf. In Atatürks Essay kommt sein Glaube an die Bedeutung eines starken Führers zum Ausdruck. Er glaubte, dass ein Führer selbstlos sein und sich für das Wohlergehen seines Volkes und der Nation einsetzen sollte. Die Deutschen schienen Atatürks Wiederbelebung des türkischen Nationalbewusstseins und seine Bemühungen, die türkische Gesellschaft nach ethnischen Kategorien neu zu organisieren, zu bewundern. Unabhängig von Atatürks „Rasse“ scheint dieser Artikel viele der Aspekte hervorzuheben, welche die NSDAP und die deutsche Öffentlichkeit an ihrem eigenen Führer bewunderten.
Die kurze Passage aus Atatürks Nachruf fasst kompakt zusammen, wie die Nationalsozialisten Atatürk sahen. Man sollte sich an ihn wegen seines anregenden Geistes und seiner Schaffung eines „neuen nationalen Bewusstseins“ erinnern. Für die Nationalsozialisten war Atatürk eindeutig ein Führer, welcher der deutschen Bewunderung würdig war.

Bewunderung für Kamal Atatürk (1938)

Quelle

I. Führer und Volk
Von Kamal Atatürk

[]

Wer an sich selbst mehr denkt als an das Glück seines Landes und seiner Nation, der ist nur ein Mensch zweiten Ranges. Menschen, deren Höchstwerte sie selbst sind, und die da glauben, daß der Bestand ihres Landes und ihres Volkes auf ihrer eigenen Person beruht, können letzten Endes nicht zum Glück ihres Volkes beitragen. Nur wer ohne Rücksicht auf sich selbst und ohne Rücksicht auf die Menschen, die um ihn sind, für die Zukunft arbeitet, wird für sein Volk die breite Grundlage künftigen Glücks und künftigen Fortschritts aufbauen können. Denn es ist ein großer Irrtum, zu glauben, daß das Leben und der Fortschritt aufhören, nachdem man selbst aufgehört hat zu existieren.

Das alles gilt ohne jede Einschränkung für alle Völker und für alle Menschen. Da aber heutzutage alle Nationen der Welt irgendwie mit allen anderen in Verbindung stehen oder aber zum mindesten auf dem Wege dazu sind, genügt es nicht, nur an die Existenz und das Glück seines eigenen Volkes zu denken, als ob es allein in der Welt sei, sondern es ist nötig, seine Aufmerksamkeit dem Frieden und dem guten Gedeihen aller Völker und aller Nationen zu widmen. Denn schließlich kommt die Zufriedenheit auch der anderen Völker nur wieder dem eigenen Volk zugute. Es ist ganz falsch, zu glauben, daß nationales Selbstbewußtsein die Gefährdung oder Beeinträchtigung irgendeines anderen Volkes der Welt in sich schließt. Wenn nicht Frieden, Harmonie und gutes Einvernehmen zwischen freien Völkern bestehen, kann auch eine einzelne Nation nicht den Frieden sichern, wie sehr sie sich auch in dieser Richtung bemühen mag. Ich rate also dem Volk, das ich liebe, so zu denken.

Männer, die Führer ihrer Völker sind, wünschen natürlich vor allem für das Leben und Wohlbefinden, für die Macht und den Einfluß ihres eigenen Landes zu sorgen, aber sie sollten doch auch ein Auge haben für das Gedeihen der übrigen Völker. Was auch in der Welt geschieht, beweist uns immer wieder die Richtigkeit dieser Auffassung, denn wir können niemals wissen, ob nicht irgendein Ereignis in der weiten Welt, von dem wir glauben, daß es uns nicht berührt, eines Tages für uns von größter Bedeutung ist.

Die Türkei und ihre Freunde sind mächtig. Wir haben also keinen Grund, von irgendeiner Seite irgendetwas Böses zu befürchten und wir dürfen infolgedessen auch die ganze Welt mit den Augen des ruhigen Beobachtens betrachten. Keineswegs aber dürfen wir sagen: „Was geht mich die Schwierigkeit in diesem oder jenem Teil der Welt an?“ Im Gegenteil, wenn solche Schwierigkeiten bestehen, müssen wir ihnen dieselbe Aufmerksamkeit widmen als wenn wir selbst mitten darin steckten. Ganz gleich, wie weit entfernt uns irgendein Ereignis zu sein scheint, immer sollten wir uns an diesen Grundsatz halten. Auf diese Art nämlich bewahrt sich der Mensch und schützen sich Volk und Regierung vor engstirniger Selbstzufriedenheit und gefährlichem Eigennutz. Natürlich nimmt alles, was unser eigenes Volk betrifft, den ersten Rang ein und unsere eigenen nationalen Interessen gehen allen übrigen Interessen der Welt vor. Danach aber müssen wir uns auch für die Welt und ihre Gesamtheit interessieren.

Quelle: Kamal Atatürk, „Führer und Volk,“ Hamburger Tageblatt, 10. Dezember 1938, S. 1-2.

II. Vom Rebell zum „Vater der Türken“

Kamal Atatürk heute morgen gestorben – Parlamentssitzung Freitag, 11 Uhr

Ankara, 10. November.

Der türkische Staatspräsident Ghazi Mustapha Kamal Atatürk ist heute morgen um 9:05 Uhr in Istanbul gestorben. Der Präsident des Parlaments der Türkei hat gemäß der Verfassung das Amt des Staatspräsidenten einstweilen übernommen. Das Parlament wird am Freitag um 11 Uhr zusammentreten und den Nachfolger Atatürks wählen.

Nach den ersten Meldungen heute morgen, die von der zunehmenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes des türkischen Staatspräsidenten berichteten, wurde mit dem Ableben Atatürks türkischerseits heute gerechnet. Premierminister Bayar eilte aus Ankara ans Krankenbett des Staatspräsidenten und berief eine Versammlung der Führer der republikanischen Staatspartei. Die Umgebung des Palastes, in dem Atatürk mit dem Tode rang, wurde von der Polizei hermetisch abgesperrt.

Der Tod Kamal Atatürks nimmt der Türkei den Wegbereiter und Führer, dem allein sie ihren bedeutenden Aufstieg nach dem Weltkriege zu verdanken hat. Am 31. März dieses Jahres wurde zum ersten Male die amtliche Verlautbarung gemeldet, daß der türkische Staatspräsident erholungsbedürftig sei. Am 17. Oktober traf die erste Kunde von der Schwere der Erkrankung Atatürks ein. Der Staatspräsident verbrachte seitdem die letzten Wochen seines Lebens auf der Staatsjacht „Savarone“ und in dem Palast in Istanbul.

*

In welcher Gesinnung das Lebenswerk Kamal Atatürks gebaut wurde, in krassem Gegensatz zu dem, wie frühere Herrscher der Türkei lebten und wirkten, zeigt ein Ausspruch von ihm: „Erwartet der Blumenzüchter etwas von seinen Blumen? Derjenige, der Menschen formt, müßte dieselbe geistige Einstellung haben, wie der Blumenzüchter. Nur wer so denkt und arbeitet, kann seinem Lande, seinem Volk und dessen Zukunft Nutzen bringen . . Ein egozentrischer Mensch, der das Land und das Volk, dem er angehört, nur unter dem Gesichtspunkt der eigenen Existenz ansieht, gehört nicht zu denen, die ihrem Volk dienen.“

Als Sohn eines armen Zollbeamten in Saloniki trat Mustafa Kamal Hasleireri im Jahre 1881 ins Leben. Es war schon eine Konzession an seine Begabung, daß er überhaupt eine Kadettenanstalt und dann die Kriegsakademie in Istanbul besuche durfte, in der seine Lehrer – darunter viele Deutsche – bereits seine hervorragende militärische Begabung erkannten. Unbeugsame Energie, tiefe nationale Begeisterung, gepaart mit kühlem Verstande und genialer Organisationskraft, lassen ihn schon neben Enver Pascha während der jungtürkischen Bewegung hervortreten. Um 1910 herum hört man bereits von diesem „Mustafa Kamal“. Er erstrebt für sein Vaterland vor allem die Lösung aus den Banden europäischer Ausbeutung und Bevormundung, in der die Türkei durch das schlaffe und willkürliche Regime der letzten Herrscher geraten war.

Bei Ausbruch des Weltkrieges war Kamal – wie er sich jetzt in reintürkischer Form nennt – bereits Oberst und Generalstabschef von Mahmut Schewket Pascha im damals noch türkischen Saloniki. In Palästina hat er alsdann Truppen befehligt. Mit dem Jahre 1918 und den furchtbaren Bedingungen des Vertrages von Sèvres, – der türkischerseits nie ratifiziert wurde – erwuchs in ihm der Plan einer diktatorischen Regierung zur Rettung des erschöpften und besiegten Landes. Mit der Elite des türkischen Heeres rüstete Kamal Pascha neu den organisierten Widerstand im Herzen Anatoliens. Er wird vom Sultan Mohamed IV. aus dem Heer gestoßen und stellt sich auf die eigenen Füße, gestärkt durch die Begeisterung seiner Anhänger. Es entsteht eine Gegenregierung in Ankara. Kamal beruft am 23. Oktober 1920 die Nationalversammlung und setzt schließlich den Sultan einfach ab. Sultanat und Kalifat, die jahrhundertlange geistliche Oberherrschaft des Türkenherrschers werden zerstört. Am 29. Oktober 1923 wurde in Ankara die türkische Republik ausgerufen. Der neue Geist hatte gesiegt.

1923 begann die Präsidentschaft des „Ghazi“, des Helden, zugleich eine Aufbauarbeit, von deren Umfang man nur einen Begriff hat, wenn man die Zerrüttung und die Verlotterung aller Verhältnisse kennt. Vom Wegebau bis zum Aufbau der Industrie, von der Erziehungsform bis zur Heeresreform, von der Erklärung Ankaras zur Hauptstadt bis zum glänzenden Neubau der Stadt nach den Plänen des deutschen Architekten Jansen – alles dieses mußte geschaffen werden. Schleier, Harem und Vielehe werden abgeschafft; die türkische Frau, erstaunlich regsam und intelligent, tritt auf den Plan zu eifrig geförderter Mitarbeit. Die türkisch-arabischen Schriftzeichen werden durch die lateinischen ersetzt.

Ein Wille aus Granit und eine unerschöpfliche Arbeitskraft waren das Fundament dieses Wirkens. Der Geist Kamal Atatürks, auf unzähligen Gebieten produktiv oder anregend, hatte ein neues nationalbewußtes und rastlos tätiges Staatswesen geschaffen.

Quelle: „Vom Rebell zum ‚Vater der Türken‘“, Hamburger Tageblatt, 10. November 1938, S. 2.