Kurzbeschreibung

Die ausländischen Einschätzungen und Eindrücke vom nationalsozialistischen Deutschland waren unterschiedlich, von Frankreichs und Polens Unbehagen über die deutsche Wiederbewaffnung bis hin zum Misstrauen der Sowjetunion gegenüber Deutschlands zunehmend antikommunistischer Haltung. Die führenden Politiker Großbritanniens waren jedoch nach wie vor weitgehend von den deutschen Behauptungen überzeugt, den Frieden in Europa wahren zu wollen, und dass die deutsche Wiederbewaffnung rein defensiven Zwecken diente. Obwohl der britische Premierminister Neville Chamberlain oft für die fehlgeleitete Politik des Appeasement verantwortlich gemacht wird, war er in seiner Überzeugung, dass NS-Deutschland – und insbesondere Adolf Hitler – weiterhin dem Frieden verpflichtet war, keineswegs allein. 1936 besuchte David Lloyd George, der ehemalige britische Premierminister, der die Pariser Friedensvereinbarungen und den in Deutschland so verhassten Versailler Vertrag mitgestaltet hatte, Hitler. In seinem anschließenden Bericht, der im Londoner Daily Express veröffentlicht wurde, kommt seine ehrliche Überzeugung zum Ausdruck, dass Deutschland nicht nur ein reformiertes Land mit neuer Hoffnung und Würde sei, sondern dass Hitler mehr als nur eine öffentlich verehrte Führerfigur darstellte, sondern für das deutsche Volk nichts Geringeres als ein „Nationalheld“ war.

David Lloyd George, „Ich habe mit Hitler gesprochen“ (1936)

Quelle

Ich habe mit Hitler gesprochen

Von dem ehrenwerten DAVID LLOYD GEORGE

Ich bin soeben von einem Besuch in Deutschland zurückgekehrt. In so kurzer Zeit kann man sich nur Eindrücke verschaffen oder zumindest Eindrücke überprüfen, die man durch jahrelange Fernbeobachtung durch das Fernrohr der Presse und durch ständiges Nachfragen bei denen, welche die Dinge aus der Nähe gesehen haben, bereits im Kopf hat.

Ich habe nun den berühmten deutschen Führer gesehen und auch etwas von der großen Veränderung, die er bewirkt hat. Was auch immer man von seinen Methoden halten mag – und sie sind sicherlich nicht die eines parlamentarischen Landes –, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass er eine fantastische Veränderung im Geist der Menschen, in ihrer Einstellung zueinander und in ihren sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven erreicht hat.

Er hat in Nürnberg zu Recht behauptet, dass seine Bewegung in vier Jahren ein neues Deutschland geschaffen habe. Es ist nicht mehr das Deutschland des ersten Jahrzehnts nach dem Krieg – gebrochen, niedergeschlagen und gebeugt vor einem Gefühl der Besorgnis und der Wichtigkeit. Es ist jetzt voller Hoffnung und Zuversicht und von einem neuen Gefühl der Entschlossenheit erfüllt, sein eigenes Leben ohne Einmischung von außen zu führen.

Zum ersten Mal seit dem Krieg gibt es ein allgemeines Gefühl der Sicherheit. Die Menschen sind fröhlicher. Es herrscht ein größeres Gefühl allgemeiner Fröhlichkeit im ganzen Land. Es ist ein glücklicheres Deutschland. Ich habe es überall gesehen, und die Engländer, die ich während meiner Reise getroffen habe und die Deutschland gut kannten, waren sehr beeindruckt von der Veränderung.

Ein Mann hat dieses Wunder vollbracht. Er ist ein geborener Anführer von Menschen. Eine magnetische, dynamische Persönlichkeit mit einem klaren Ziel vor Augen, einem entschlossenen Willen und einem unerschrockenen Herzen. Er ist nicht nur dem Namen nach, sondern tatsächlich der Führer des Volkes. Er hat es vor potenziellen Feinden, von denen es umgeben war, in Sicherheit gebracht. Er bewahrt es auch vor der ständigen Angst vor dem Verhungern, die eine der ergreifenden Erinnerungen an die letzten Kriegsjahre und die ersten Jahre des Friedens ist.

Über 700.000 Menschen starben in diesen dunklen Jahren an Hunger. Man kann die Auswirkungen noch heute am Körperbau derjenigen sehen, die in diese trostlose Welt hineingeboren wurden. Die Tatsache, dass Hitler sein Land von der Angst vor einer Wiederholung dieser Zeit der Verzweiflung, des Elends und der Erniedrigung befreit hat, hat ihm im modernen Deutschland eine unangefochtene Autorität verliehen.

An seiner Beliebtheit, vor allem bei der deutschen Jugend, kann es keinen Zweifel geben. Die Alten vertrauen ihm, die Jungen vergöttern ihn. Es ist nicht die Bewunderung, die man einem populären Führer entgegenbringt. Es ist die Verehrung eines Nationalhelden, der sein Land aus völliger Verzweiflung und Erniedrigung gerettet hat.

Es stimmt, dass öffentliche Kritik an der Regierung in jeder Form verboten ist. Das heißt aber nicht, dass es keine Kritik gibt. Ich habe die Reden prominenter Nazi-Redner gehört, die frei verurteilt wurden. Aber kein Wort der Kritik oder der Missbilligung habe ich über Hitler gehört. Er ist so immun gegen Kritik wie ein König in einer Monarchie. Er ist etwas mehr. Er ist der George Washington Deutschlands – der Mann, der seinem Land die Unabhängigkeit von allen Unterdrückern erkämpft hat.

Für diejenigen, die nicht gesehen und gespürt haben, wie Hitler das Herz und den Verstand Deutschlands beherrscht, mag diese Beschreibung extravagant erscheinen. Dennoch ist es die nackte Wahrheit. Dieses große Volk wird besser arbeiten, mehr opfern und, wenn nötig, mit größerer Entschlossenheit kämpfen, weil Hitler es dazu auffordert. Wer diese zentrale Tatsache nicht begreift, kann die heutigen Möglichkeiten des modernen Deutschlands nicht beurteilen.

Andererseits können diejenigen, die sich vorstellen, dass Deutschland zu seinem alten imperialistischen Temperament zurückgekehrt ist, den Charakter des Wandels nicht verstehen. Die Vorstellung von einem Deutschland, das Europa mit der Drohung einschüchtert, seine unbesiegbare Armee könne über die Grenzen marschieren, ist nicht Teil der neuen Vision.

Was Hitler in Nürnberg gesagt hat, ist wahr. Die Deutschen werden jedem Eindringling in ihr eigenes Land bis zum Tode widerstehen, aber sie haben nicht mehr den Wunsch, selbst in irgendein anderes Land einzufallen. Die Führer des modernen Deutschlands wissen nur zu gut, dass Europa ein zu gewaltiges Gebilde ist, als dass es von einer einzigen Nation überrannt und niedergetrampelt werden könnte, wie mächtig ihre Waffen auch sein mögen. Diese Lektion haben sie im Krieg gelernt.

Hitler hat während des gesamten Krieges in den eigenen Reihen gekämpft und weiß aus eigener Erfahrung, was Krieg bedeutet. Er weiß auch nur zu gut, dass ein Aggressor heute noch schlechtere Chancen hat als damals. Das damalige Österreich würde heute im Wesentlichen den Idealen von 1914 feindlich gegenüberstehen.

Die Deutschen machen sich keine Illusionen über Italien. Sie sind sich auch bewusst, dass die russische Armee in jeder Hinsicht weitaus leistungsfähiger ist als 1914. Die Errichtung einer deutschen Hegemonie in Europa, die das Ziel und der Traum des alten Vorkriegsmilitarismus war, ist nicht einmal am Horizont des Nationalsozialismus zu sehen.

Quelle des englischen Originaltextes: The Daily Express (London), 17. November 1936.

Übersetzung: Insa Kummer