Kurzbeschreibung

Viele jüdische Wissenschaftler, die aus NS-Deutschland flohen, emigrierten in andere europäische Länder, nach Großbritannien und in die Vereinigten Staaten, darunter auch eine Gruppe von Physikern, die von einigen deutschen Uran- und Raketenexperimenten wussten. Zu dieser Gruppe von Physikern gehörte auch Albert Einstein, der sich seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in Amerika aufhielt. Die Gruppe wusste von den deutschen Versuchen, eine Reihe neuer Waffen zu bauen, darunter die Raketenprogramme V1 und V2 sowie Pläne zur Entwicklung einer Uran-Atombombe. Die V1- und V2-„Vergeltungs“-Raketensysteme waren frühe Marschflugkörper (die V2-Raketen waren gelenkte ballistische Raketen), die mit Hilfe eines Düsenantriebs Sprengstoff über eine große Reichweite verstreuen konnten. Da diese Physiker auch von den deutschen Atomprojekten wussten, beschlossen sie, die amerikanische Regierung über die potenzielle Gefahr zu informieren. Albert Einsteins internationales Renommee auf dem Gebiet der theoretischen Physik und seine persönliche Beziehung zu US-Präsident Franklin D. Roosevelt machten ihn zum idealen Verfasser für diesen Brief an Roosevelt, in dem er den Präsidenten vor der möglichen Verwendung von Uran zur Herstellung einer neuen Art von Bombe warnte. Obwohl Einsteins Brief am 2. August 1939 geschrieben wurde, erreichte er Roosevelt wegen des Kriegsausbruchs in Europa erst Mitte Oktober. Nach der Lektüre des Briefes wies Roosevelt seine Generäle an, in dieser Angelegenheit tätig zu werden, was schließlich zum Manhattan-Projekt führte, in dessen Rahmen die ersten Atombomben entwickelt wurden.

Brief Albert Einsteins an Präsident Roosevelt über die mögliche Entwicklung einer Atombombe (2. August 1939)

Quelle

Albert Einstein
Old Grove Rd.
Nassau Point
Peconic, Long Island

2. August 1939

F.D. Roosevelt,
President of the United States,
White House
Washington, D.C.

Sehr geehrter Herr Präsident,

Einige neuere Arbeiten von E. Fermi und L. Szilard, die mir in einem Manuskript mitgeteilt wurden, lassen mich erwarten, dass das Element Uran in unmittelbarer Zukunft zu einer neuen und wichtigen Energiequelle werden kann. Bestimmte Aspekte der entstandenen Situation scheinen Wachsamkeit und, wenn nötig, schnelles Handeln seitens der Regierung zu erfordern. Ich halte es daher für meine Pflicht, Ihnen die folgenden Fakten und Empfehlungen zur Kenntnis zu bringen:

Im Laufe der letzten vier Monate ist es durch die Arbeiten von Joliot in Frankreich sowie von Fermi und Szilard in Amerika wahrscheinlich geworden, dass es möglich sein könnte, in einer großen Masse Uran eine nukleare Kettenreaktion in Gang zu setzen, durch die große Mengen an Energie und neue radiumähnliche Elemente erzeugt würden. Nun scheint es fast sicher zu sein, dass dies in naher Zukunft möglich sein wird.

Dieses neue Phänomen würde auch zum Bau von Bomben führen, und es ist denkbar – wenn auch weit weniger sicher –, dass auf diese Weise extrem starke Bomben eines neuen Typs gebaut werden können. Eine einzige Bombe dieses Typs, die auf einem Schiff transportiert und in einem Hafen zur Explosion gebracht wird, könnte sehr wohl eine gesamte Stadt und einen Teil des umliegenden Gebiets zerstören. Für den Transport auf dem Luftweg könnten sich solche Bomben jedoch als zu schwer erweisen.

Die Vereinigten Staaten verfügen nur über sehr schlechte Uranerze in mäßigen Mengen. Es gibt einige gute Erze in Kanada und der ehemaligen Tschechoslowakei, während die wichtigste Uranquelle Belgisch-Kongo ist.

In Anbetracht dieser Situation mögen Sie es für wünschenswert erachten, dass ein ständiger Kontakt zwischen der Regierung und der Gruppe von Physikern, die in Amerika an Kettenreaktionen arbeiten, aufrechterhalten wird. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, könnte darin bestehen, dass Sie eine Person mit dieser Aufgabe betrauen, die Ihr Vertrauen genießt und die vielleicht inoffiziell tätig sein könnte. Seine Aufgabe könnte Folgendes umfassen:

a) an die Regierungsstellen heranzutreten, sie über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden zu halten und Empfehlungen für Maßnahmen der Regierung auszusprechen, wobei dem Problem der Sicherstellung der Versorgung der Vereinigten Staaten mit Uranerz besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist;

b) die experimentellen Arbeiten zu beschleunigen, die derzeit im Rahmen der Budgets der Universitätslaboratorien durchgeführt werden, indem er durch seine Kontakte zu Privatpersonen, die bereit sind, für diesen Zweck zu spenden, und vielleicht auch durch die Zusammenarbeit mit Industrielaboratorien, die über die erforderliche Ausrüstung verfügen, Mittel bereitstellt, falls solche Mittel erforderlich sind.

Soweit ich weiß, hat Deutschland den Verkauf von Uran aus den tschechoslowakischen Minen, die es übernommen hat, tatsächlich gestoppt. Daß Deutschland so früh gehandelt hat, ist vielleicht dadurch zu erklären, daß der Sohn des deutschen Staatssekretärs von Weizsäcker dem Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin angehört, wo einige der amerikanischen Arbeiten über Uran wiederholt werden.

Ihr

Albert Einstein

Quelle des englischen Originaltextes: Letter from Albert Einstein to Franklin Delano Roosevelt discussing the possibility of an atomic bomb and Germany’s interest in the same (August 2, 1939). Online verfügbar unter: http://www.fdrlibrary.marist.edu/archives/pdfs/docsworldwar.pdf

Übersetzung: aus dem Englischen ins Deutsche: Insa Kummer