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[…] Als ich mit [meinem alten Mitarbeiter] Schneider in das brennende Gebäude eindrang, mussten wir, obwohl wir noch wenig Publikum vorfanden, schon über die prallen Schläuche der Berliner Feuerwehren hinwegsteigen. Es waren auch schon Beamte meiner Abteilung dabei, Marinus van der Lubbe zu vernehmen. Mit nacktem, verschmiertem und schwitzendem Oberkörper sass er, schwer atmend, vor ihnen. Wie nach einer gewaltigen Arbeit flog sein keuchender Atem. Ein wilder Triumph lag in den brennenden Augen des blassen, ausgemergelten jungen Gesichtes. Ich saß ihm noch einige Male in dieser Nacht im Polizeipräsidium gegenüber und hörte seinen wirren Erzählungen zu. Ich las die kommunistischen Flugzettel, die er in seiner Hosentasche bei sich trug. Sie waren von der Art, wie sie in diesen Tagen überall öffentlich verteilt wurden, und ich versuchte aus den primitiven Schriftzeichen seines Tagebuches seinen Irrfahrten bis auf den Balkan hinunter zu folgen.
Die freimütigen Geständnisse des Marinus van der Lubbe konnten mich gar nicht auf den Gedanken bringen, dass ein solcher Feuermichel, der sich so ausgezeichnet auf seine Narrheit verstand, Gehilfen brauchte. Warum sollte nicht ein Streichholz genügen, die feuerempfindliche kalte Pracht des Plenarsaales, die alten Polstermöbel und schweren Gardinen und den strohtrockenen hölzernen Prunk der Vertäfelungen in Flammen zu setzen? Nun hatte dieser Spezialist einen ganzen Rucksack voller Anzündemittel verwendet. Er war so emsig tätig gewesen, dass er einige Dutzend Brandherde angelegt hatte. Mit einem Anzündemittel, die «Fleißige Hausfrau», hatte er den Plenarsaal in Flammen gesetzt. Dann war er mit seinem brennenden Hemd, das er in der Rechten wie eine Fackel schwang, durch die großen Korridore gerast, um unter den alten Ledersofas neue Feuerchen anzulegen. Während dieses hektischen Treibens war er von Hausbeamten des Reichstags überwältigt worden.
Er nahm auch ohne weiteres die Schuld für einige kleinere Brandstiftungen in Berlin auf sich, deren Rätsel die Kriminalpolizei beschäftigt hatte. So sprach einiges dafür, dass ihm allerdings kommunistische Brandstifter, die ihn in Neukölln und im Berliner Rathaus schon unterstützt hatten, auch im Reichstag geholfen haben könnten. In diese Richtung hatten die untersuchenden Beamten ihre Nachforschungen gelenkt; doch nun hatten sich inzwischen ganz andere Dinge ereignet.
Kurz nach meinem Eintreffen im brennenden Reichstag hatte sich die nationalsozialistische Prominenz eingefunden. In ihren großen Wagen kamen Hitler mit Goebbels angefahren; Göring, Frick und Helldorf fanden sich ein; Daluege, der Chef der Polizei, fehlte unter ihnen.
Ein Chefadjutant Hitlers stöberte mich im Labyrinth der nun von Feuerwehrmännern und Polizisten belebten Gänge auf. Er überbrachte mir den Befehl Görings, mich sofort in der hohen Runde einzufinden. Auf einem in dem Plenarsaal vorspringenden Balkon waren Hitler und seine Getreuen versammelt. Hitler hatte sich mit beiden Armen auf die steinerne Brüstung des Balkons gestützt und starrte schweigend in das rote Flammenmeer. Die ersten Ausbrüche lagen hinter ihm. Als ich eintrat, schritt Göring auf mich zu. In seiner Stimme lag das ganze schicksalsschwere Pathos der dramatischen Stunde: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden!“
Göring konnte nicht fortfahren, Hitler wandte sich zu der Versammlung. Nun sah ich, dass sein Gesicht flammend rot war vor Erregung und von der Hitze, die sich in der Kuppel sammelte. Als ob er bersten wollte, schrie er in so unbeherrschter Weise, wie ich es bisher nicht an ihm erlebt hatte: „Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“
Ich berichtete von dem Ergebnis der ersten Vernehmungen des Marinus van der Lubbe, — dass es sich meiner Meinung nach um einen Verrückten handelte. Doch da kam ich bei Hitler an den Richtigen; er höhnte über meinen Kinderglauben: „Das ist eine ganz raffinierte, von lange her vorbereitete Sache. Das haben sich diese Verbrecher sehr schön ausgedacht; aber nicht wahr, meine Parteigenossen, sie haben sich verrechnet! Diese Untermenschen ahnen ja gar nicht, wie das Volk auf unserer Seite steht. In ihren Mauselöchern, aus denen sie jetzt herauskommen wollen, hören sie ja nichts von dem Jauchzen der Massen“, so ging es weiter.
Ich bat Göring auf die Seite; doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. Höchster Alarmzustand der Polizei, rücksichtsloser Gebrauch der Schusswaffe, und was es der großen soldatischen Alarmbefehle in einem solchen Fall noch geben mochte. Ich rekapitulierte, dass in seinem Namen ein Polizeifunkspruch an alle Polizeibehörden hinausgehen werde, der den Alarmzustand der Polizei und die Verhaftung derjenigen kommunistischen Funktionäre anordne, die für eine Festnahme im Falle eines Parteiverbotes schon seit längerer Zeit vorgesehen seien. Göring hörte nicht zu. „Es darf uns kein kommunistischer und kein sozialdemokratischer Landesverräter entrinnen“, waren seine letzten Worte. Als ich wieder vor Schneider stand, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen:
„Das ist ein Narrenhaus, Schneider, aber im übrigen ist es soweit; alle kommunistischen und sozialdemokratischen Funktionäre sollen festgesetzt werden, große Razzien, Alarmzustand und alles, was dazu gehört!“
Schneider vergaß die Sozialdemokraten, als er Görings Befehl als Polizeifunkspruch weitergab. Als ich nach Mitternacht in den „Alex“ zurückkehrte, schwärmte es dort wie in einem Bienenhaus. Die alarmierten Einsatzbereitschaften der Schutzpolizei standen im Stahlhelm und mit umgehängten Karabinern in langen Reihen in den großen Durchfahrten des Erdgeschosses. Während Einsatzwagen anrollten und truppweise Kriminalisten, mit seit Jahr und Tag fertigen Registern in der Hand, sich mit uniformierten Beamten auf die Rampen schwangen, rollten schon die ersten Wagen mit den aus dem Schlaf geholten erstaunten Arrestanten vor dem Eingang des Hauses wieder an. […]
Quelle: Rudolf Diels, Lucifer ante portas: ... es spricht der erste Chef der Gestapo. Zürich, 1949, S. 142–44.