Kurzbeschreibung

Seit der Reichsgründung 1871 galten homosexuelle Handlungen zwischen Männern als „widernatürlich“ und waren nach § 175 des Reichsstrafgesetzbuchs verboten. Die Legalität homosexueller Handlungen von Frauen war in diesem Gesetz jedoch nicht klar definiert. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten gerieten homosexuelle Männer zunehmend ins Visier des Regimes, und bekannte Schwulenbars und -clubs wurden durchsucht und geschlossen. Homosexuelle Frauen wurden dagegen nicht auf dieselbe systematische Weise verfolgt wie Männer. Der folgende Auszug stammt aus der offiziellen Stellungnahme des Regimes zum Status lesbischer Frauen in Deutschland. Hier wird das Verständnis des Regimes von Geschlecht, Sexualität und Fortpflanzung angewandt, um dessen Position zu rechtfertigen. Es wurde davon ausgegangen, dass eine lesbische Frau langfristig Kinder für das Reich gebären und ihr „unnatürliches“ Verhalten aufgeben würde.

Entscheidung des Reichsjustizministeriums gegen die Verfolgung lesbischer Frauen (18. Juni 1942)

Quelle

Berlin, den 18. Juni 1942
Der Reichsminister der Justiz
917C Norweg./2-IIIa21263/42

An
den Herrn Reichskommissar für die besetzten
norwegischen Gebiete
in Oslo

Betrifft: Widernatürliche Unzucht zwischen Frauen

Auf das Schreiben vom 27. Mai 1942
– I R Just 5 Tgb. Nr. 7812 –

Nach dem bisherigen Ergebnis der Beratungen der amtlichen Strafrechts­kommission des Reichs ist nicht beabsichtigt, die widernatürliche Un­zucht zwischen Frauen unter Strafe zu stellen.

Die Gründe für die Straflosigkeit sind im wesentlichen folgende:

Die gleichgeschlechtliche Betätigung zwischen Frauen ist – abgesehen von Dirnenkreisen – nicht so verbreitet wie bei Männern und entzieht sich angesichts der innigeren Umgangsformen des gesellschaftlichen Verkehrs zwischen Frauen mehr der Beobachtung der Öffentlichkeit. Die damit verbundene größere Schwierigkeit der Feststellung solcher Handlungen würde die Gefahr unberechtigter Anzeigen und Untersuchungen in sich tragen. Der wichtige Grund für die Strafbarkeit der Unzucht zwischen Männern, der in der Verfälschung des öffentlichen Lebens durch die Schaffung von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen liegt, trifft bei Frauen wegen ihrer weniger maßgebenden Stellung in staatlichen und öffentlichen Ämtern nicht zu. Endlich sind auch Frauen, die sich einem widernatürlichen Verkehr hingeben, nicht in dem Maße wie homosexuelle Männer für immer als Zeugungsfaktoren verloren, da sie sich erfahrungsgemäß oft später wieder einem normalen Verkehr zuwenden.

Im Auftrag
gez. Dr. Schäfer

Quelle: Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung. Herausgegeben von Günter Grau. Mit einem Beitrag von Claudia Schoppmann. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1993, S. 114–15.