Kurzbeschreibung

In der Weimarer Republik hatte die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller, die bereits auf das Heilige Römische Reich zurückging, erheblich abgenommen. Am 16. Oktober 1929 hatte ein Reichstagsausschuss dem Widerruf des § 175 des Strafgesetzbuches zugestimmt, der gleichgeschlechtlichen Verkehr zwischen Männern verbot. Der Aufstieg des NS-Regimes verhinderte jedoch die Umsetzung des Widerrufs. Zudem wurde die Kriminalisierung der Homosexualität im Nationalsozialismus zum ideologischen Gebot. Laut NS-Ideologie war Homosexualität „widernatürlich“ und Homosexuelle entzogen sich ihrer nationalen Pflicht zur Familiengründung. Die Nationalsozialisten behaupteten, die „Volksseuche“ der Homosexualität breite sich immer weiter aus und bedinge den Verlust von dringend benötigtem Nachwuchs. Damit waren gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern keine Privatangelegenheit mehr, sondern als Volksverrat einzustufen.

Am 28. Juni 1935 revidierte das Justizministerium § 175. (Der Paragraf bestand seit 1871, vor Hitlers Machtübernahme hatte er jedoch nur vereinzelt und unregelmäßig Anwendung gefunden.) Die veränderte Version des § 175 dehnte die Verfolgung Homosexueller sowohl durch eine erweiterte Definition des Tatbestandes als auch das Verhängen härterer Strafen aus.

Himmler hielt die Verfolgung Homosexueller für so wichtig, dass er 1936 die Reichszentrale zur Bekämpfung von Abtreibung und Homosexualität gründete, die unter Leitung des Kriminalbeamten und SS-Mitglieds Josef Meisinger (1899–1947) Dateien über als homosexuell bestrafte oder verdächtigte Männer sammelte und darauf aufbauend deren Verfolgung leitete. Die Verschärfung des § 175 bedeutete die Verurteilung von insgesamt mehr als 50.000 Männern, die mit Kriegsbeginn zunehmend in Konzentrationslager verschleppt wurden, wo sie mit einem rosa Winkel gekennzeichnet weit unten in der Häftlingshierarchie standen. Im folgenden Vortrag Meisingers erklärt er die rassisch bedingte Notwendigkeit der verschärften Verfolgung von Homosexuellen, wobei er zwischen der Behandlung von Männern und Frauen unterschied, da die Gefahr weiblicher Homosexualität weitaus geringer sei.

Meisinger wurde 1939 nach Polen versetzt. Als stellvertretender Führer der Einsatzgruppe IV und danach als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Warschau veranlasste er die Ermordung tausender Polen. 1947 wurde er in Polen vor Gericht gestellt und zur Todesstrafe verurteilt.

Josef Meisinger über die „Bekämpfung der Homosexualität als politische Aufgabe“ (5./6. April 1937)

  • Josef Meisinger

Quelle

Bekämpfung der Abtreibung und Homosexualität als politische Aufgabe.
Vortrag Kriminalrat Meisingers, gehalten auf der Dienstversammlung der Medizinaldezernenten und –referenten am 5./6. April 1937 in Berlin [Auszug]

[] Da die Homosexuellen erfahrungsgemäß für den normalen Geschlechtsverkehr unbrauchbar werden, wirkt sich die Gleichgeschlechtlichkeit auch auf den Nachwuchs aus und wird zwangsläufig zu einem Geburtenrückgang führen. Die Folge davon ist eine Schwächung der allgemeinen Volkskraft, durch die nicht zuletzt die militärischen Belange eines Volkes gefährdet werden. Schließlich aber bildet die Homosexualität eine dauernde Gefahrenquelle für die Ordnung im Staatsleben. Abgesehen davon, daß die Gleichgeschlechtlichkeit selbst als strafbare Handlung gegen diese Ordnung verstößt, ist sie deshalb als besonders gefährlich zu betrachten, weil sie oftmals der Ausgangspunkt zu einer Reihe von weiteren Straftaten ist. So wie sie sehr häufig als Vorstufe zum Landesverrat in Erscheinung tritt, bildet sie auch in zahlreichen Fällen die Grundlage zur Erpressung. []

Will man die Gefahr, die die Homosexualität in sich birgt, richtig erkennen, so kann man sie heute nicht mehr allein unter dem engen kriminellen Gesichtswinkel betrachten, wie das früher geschehen ist. Infolge ihrer heutigen ungeheuren Verbreitung hat sie sich vielmehr zu einer Erscheinung herausgebildet, die für den Bestand von Volk und Staat von weittragendster Bedeutung ist. Damit hat aber die Homosexualität die Grenzen einer rein kriminalistischen Betrachtungsweise überschritten und ist zu einem Problem von politischer Bedeutung geworden. Unter diesen Umständen kann es nicht Aufgabe der Polizei sein, die Homosexualität wissenschaftlich zu untersuchen. Sie kann höchstens die wissenschaftlichen Feststellungen bei ihrer Arbeit so weit als möglich beachten. Ihre Aufgabe besteht darin, die Bewegung der Homosexualität und ihre schädlichen Auswirkungen festzustellen, um damit die durch diese Erscheinung drohende Gefahr für Volk und Staat abzuwenden. Der Polizei wird auch nicht gesagt: Du darfst diesen Dieb nicht festnehmen, denn er könnte die Kleptomanie erworben haben. Ebenso wenig fragen wir – nachdem wir nun einmal den Homosexuellen als Staatsfeind erkannt haben – als Polizei und noch viel weniger als Politische Polizei danach, ob er sein Laster erworben hat oder ob es ihm angeboren ist. Ich darf hier einschalten, daß die bisherigen Erfahrungen einwandfrei gezeigt haben, daß es sich nur bei einem verschwindend kleinen Teil der Homosexuellen um wirklich homosexuelle Veranlagung handelt, daß vielmehr der weitaus größte Teil sich zu irgendeinem Zeitpunkt sehr normal betätigt hat und dann lediglich aus Übersättigung an den Lebensgenüssen oder verschiedenen anderen Faktoren – Angst vor Geschlechtskrankheiten und dergleichen – sich auf dieses Gebiet begeben hat. Ich darf auch erwähnen, daß durch straffe Zucht und Ordnung und geregelte Arbeitsweise ein großer Teil der bei den Behörden bereits in Erscheinung getretenen Homosexuellen zu nützlichen Gliedern der Volksgemeinschaft erzogen werden konnten.

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Homosexuellen darf ich hier auf eine gerade in der letzten Zeit häufig aufgetauchte Frage kurz eingehen, und das ist die Bekämpfung der lesbischen Liebe. Unseres Erachtens ist hier die Gefahr für den Bestand des Volkes absolut nicht so groß wie bei den Homosexuellen. Es liegen hier vollkommen andere Voraussetzungen vor. Erstens darf man nicht vergessen, daß wir in Deutschland von jeher mehr weibliche als männliche Personen hatten, zweitens, daß wir im Kriege 2 Millionen Männer verloren haben, und drittens, daß von den vorhandenen männlichen Personen wieder einige Millionen als Homosexuelle an und für sich ausscheiden. Die Tatsache, daß sich ein erheblicher Teil des weiblichen Geschlechts in einem gewissen sexuellen Notstand befindet, ist nicht zu leugnen. Der größte Teil der sich lesbisch betätigenden Mädchen ist aber – wenigstens nach unseren Erfahrungen, soweit überhaupt Ermittlungen in vertraulicher und taktvoller Weise angestellt werden konnten – alles andere als anormal veranlagt. Erhalten diese Mädchen Gelegenheit, der ihnen von der Natur bestimmten Aufgabe nachzukommen, so werden sie bestimmt nicht versagen. Es spielen bei der lesbischen Betätigung noch manche andere Faktoren mit, z. B. Mangel an männlichem Bekanntenkreis, strenge Erziehung und dergleichen. Um wirklich von einer lesbischen Betätigung sprechen zu können, ist von ausschlaggebender Bedeutung die Frage, worauf die Willensvorstellung bei der Ausübung der sexuellen Handlung gerichtet war. Es besteht Grund zu der Annahme, daß bei dem überwiegenden Teil die Vorstellung auf den normalen Verkehr gerichtet war. Beweis dafür sind die bei vielen Frauen gefundenen Onanierapparate und nicht zuletzt die immer wieder verwendete Kerze.

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Quelle: „Bekämpfung der Abtreibung und der Homosexualität als politische Aufgabe“, Landeshauptarchiv Schwerin, 5.12–7/1 Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinalangelegenheiten, Nr. 9674, fol. 34 u. fol. 35–37; abgedruckt in Günter Grau, Hrsg., Homosexualität in der NS-Zeit: Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung. 2. Bearb. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2004, S. 151–53.