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Es hatte schon amerikanische Tagesangriffe auf Dresden gegeben, einen im Oktober 1944 und einen im Januar 1945, der war schon etwas schwerer. Da wußte man also dann schon, Dresden kommt nicht so davon. Was und bevorstand, ahnten wir allerdings nicht.
Meine Flakhelferzeit lag hinter mir. Ich wartete auf meine Einberufung zum Wehrdienst. Ich war gerade 17 Jahre alt geworden. Ich hatte mir eine Planquadratkarte besorgt. Darauf konnte man ganz genau anhand eines Senders – wir nannten ihn „Flaksender“, aber es war in Wahrheit der Sender der Jagddivision in Döberitz, der die Luftlagemeldung verschlüsselt durchgab, die Einflüge verfolgen, und ich saß zu Hause an meinem Radio, hörte diesen Sender, hatte eine große Karte vor mir, hatte Pauspapier draufgespannt und zeichnete diese Einflüge alle mit. Der „Flaksender“ war nicht identisch mit dem Drahtfunk für die Zivilbevölkerung. Es gab eine sehr viel umfassendere Luftlage und im großen und ganzen wußte man schon, wenn man ihn abhörte, ob eine Gefahr naht oder nicht.
Und so war es auch am Abend des 13. Februar 1945, ausgerechnet Faschings-Dienstag. Es war erkennbar, daß bis weit nach Mitteldeutschland, über Leipzig hinaus, ein großer Einflug kam. Die Stadt war schon mit Flüchtlingen angefüllt. Besonders die Bahnhöfe. Ich schätze, daß vielleicht eine Million Menschen zu der Zeit in Dresden gewesen sind, also ungefähr 300.000 Flüchtlinge. Sie verteilten sich auf das ganze Stadtgebiet. Die Schutzraumsituation in Dresden war völlig ungenügend. Es gab überhaupt keinen einzigen öffentlichen großen Luftschutzbunker.
Dann kam also der Alarm am 13. Februar um ca. 21.40 Uhr. Ich hörte wieder den Flaksender Döberitz, er hieß „Horizont“. Und mir war klar, diesmal kommt es dick bei Alarm. Ich habe noch gesagt: „Es sieht ernst aus.“
Wir haben also auch noch einen Korb mit Wäsche genommen und alles, was wir so bereitgestellt hatten – ich hatte natürlich das sogenannte Luftschutzgepäck- und sind dann in den Keller runtergegangen. Unser privater Luftschutzkeller war sehr gut ausgebaut. Wir fühlten uns ziemlich sicher da unten. Der war richtig mit Stahlschotten und Gummiabdichtungen gegen Gas ausgerüstet und mit eingezogenen Stahlträgern und einem richtigen Luftschutzwart.
Ich hatte während der Zeit des ersten Angriffs die örtliche Luftschutzleitung im Drahtfunk gehört, und da war die letzte Meldung: „Achtung, Achtung, hier spricht die örtliche Luftschutzleitung, Bombenwürfe im Stadtgebiet. Volksgenossen, haltet Sand und Wasser bereit.“
Dann war es aus, und dann wurde die örtliche Luftschutzleitung nie mehr gehört, weil die Verbindungen unterbrochen waren.
Ich bin dann nach dem ersten Angriff sofort raus, weil auch unser Luftschutzwart rief: „Wir müssen Brandbomben suchen.“ Ich komme aus dem Keller raus, und es ist unvergeßlich: Der Nachthimmel ist rosa und rot beleuchtet, die davor stehenden Häuser sind schwarze Scherenschnitte und Kulissen, und über dem Ganzen wälzt sich in dem Abschnitt, den ich überblicken konnte, eine von unten her rot angeleuchtete Rauchwolke in der Luft. Ich habe dann diesen Hof verlassen, bin sofort auf das Dach der benachbarten Fabrik hinaufgestiegen, ging auf das Fabrikdach, und dann sah ich überhaupt erst, was los war, denn da hatte ich einen Blick auf die gesamte Stadt. Ich habe dann gesehen, daß die Stadt brannte von der Neustädter Seite. Da war eine chemische Fabrik, die übrigens, wie ich dann nach dem Krieg gesehen habe, extra als Giftgasfabrik in den englischen Unterlagen geführt wurde, was nicht stimmte, es war eine pharmazeutische Fabrik. Die Elbe konnte ich selbst nicht sehen, die lag etwas tiefer, und dann zog sich die brennende Fläche hin durch de ganze Innenstadt weit nach Osten und Süden. Dann sind wir in dieser Friedrichstraße, in der ich da wohnte, stadteinwärts gegangen, und es kamen Menschen aus der Stadt, völlig verstört, rußverschmiert und nasse Decken um den Kopf geschlungen, und wenn man die anhielt und sagte: „Wo kommen Sie her?“
„Ja, ich komme vom Postplatz, und ich komme vom Altmarkt, und ich komme aus der Annenstraße, und ich komme aus der Ringstraße, es brennt alles, die ganze Innenstadt.“
Von unserem Haus bis zum Beginn der Innenstadt sind es ungefähr fünfhundert Meter. Die waren wir dann gelaufen vielleicht tausend Meter oder zweitausend Meter. Durch die Flammen durch. Die kamen noch ganz gut raus, weil so ungefähr eine halbe Stunde bis eine Stunde nach dem Ende des ersten dieser beiden Nachtangriffe der Feuersturm sich noch nicht so entwickelt hatte. Also wir hörten immer: „Bei uns ist alles hin, alles brennt.“
Ich war vielleicht eine Stunde von zu Hause weggewesen, da bekam ich plötzlich unerklärliche Angst. Ich bin also wieder zurück in den Betrieb, und da standen jetzt viele Leute auf dem Hof herum, weil ja unser Haus erhalten war und dadurch auch etwas im Dunkeln lag, nur von der einen Seite von den Flammen beschienen war, und alles redete durcheinander. Dann rief irgend jemand: „Die kommen wieder, die kommen wieder!“
Und in diesem allgemeinen Durcheinander hörte ich dann tatsächlich wieder Alarmsirenen. Die Warnanlagen in der Stadt waren ausgefallen, aber die in den Dörfern ringsum, die hörte man. Und die kündigten den zweiten Angriff an. Da überfiel mich, und ich spreche sicher auch für die anderen aus unserer Familie oder aus dem Haus, wirkliche eine panische Angst. Wir haben gedacht, das kann doch nicht möglich sein. Das werden die doch nicht machen. Die werden doch jetzt nicht auf diese hell erleuchtete Stadt Bomben werfen, jetzt liegen wir ja wie auf dem Präsentierteller. Wir sind also in den Keller gegangen. Dann ging der zweite Angriff los, der sich genauso abspielte wie der erste.
Ja, dieser Angriff hinterließ – es kam auch die Übermüdung hinzu und die Anspannung – ein Gefühl völliger Ratlosigkeit, großer Furcht. Es gingen keine Sprengbomben in unmittelbarer Nähe nieder. Das Klatschen von Brandbomben hörten wir auch nicht. Wir haben also, als das Bombergedröhn zu Ende war, vielleicht noch fünf Minuten im Keller gewartet und sind dann rausgegangen. Das war allerdings nun überhaupt nicht mehr zu vergleichen mit dem, was man nach dem ersten Angriff gesehen hatte.
Ich bin wieder auf das Dach raufgestiegen, auf das Fabrikdach. Aber der Sog der Luft stadteinwärts, der dann in der Stadt den Feuersturm erzeugte, war bei uns, ungefähr 500 bis 1.000 Meter vom Feuersturm entfernt, noch so stark, daß ich von dem Dach gleich wieder runtergegangen bin. Es war ein unbeschreibliches Getöse in der Luft, nur vom Feuer, ein Donnern. Ich war fassungslos, wie ich diese Stadt verbrennen sah. Die Farbe des Feuers hatte sich auch geändert, sie war nicht mehr rosa und rot, sondern von einem wütenden Weiß und Gelb, und der Himmel, von dem sah man überhaupt nichts mehr. Es war nur noch ein einziges riesiges Wolkengebirge und dann dieses Dröhnen des Feuers und vereinzelt dazwischen immer noch Detonationen von Zeitzündern oder von Bomben, die vom Feuer erfaßt wurden.
Jedenfalls bin ich völlig zerschlagen wieder runtergegangen. Wir haben tatsächlich in unserem Haus keine Brandbomben gefunden. Aber wir haben, wie mit dem Lineal gezogen, neben diesem rasant beginnenden Feuersturm abgeschnitten gelegen. Die Briten haben ganz präzise gezielt. Schließlich haben wir gedacht, was soll schon werden, und sind tatsächlich vielleicht so gegen drei oder vier Uhr, - dieser zweite Angriff war von nachts halbzwei bis zwei Uhr – etwa gegen vier Uhr früh völlig übermüdet in den Kleidern aufs Bett gefallen und eingeschlafen.
Da wir im Betrieb eine eigene Stromversorgung hatten und auch eine eigene Wasserversorgung, hätten wir weiter arbeiten können. Und mein Vater, der dort Betriebsleiter war, stand am Morgen danach vor der Entscheidung: soll er weiterarbeiten oder nicht. Es war eine Fabrik, sie stellte Hefe her, also eine Nahrungsmittelfabrik, und er sagte, Nahrungsmittel sind ganz wichtig, und wir müssen hier weiterarbeiten. Und wir arbeiten jetzt weiter. Und die Arbeiter – ich weiß nicht, ob dem deutschen Arbeiter das jemand nachmacht -, die waren da. Das war das Erstaunliche. Die waren zum Teil in der Nacht gekommen zwischen den beiden Angriffen mit dem Fahrrad aus den Vororten und anderen Stadtvierteln. Es war kein so großer Betrieb, wir kannten uns also fast alle, und da sehe ich noch einen auf seinem Fahrrad da nachts angeradelt kommen im Feuerschein. Ich sage: „Herr Richter, was machen Sie denn hier?“
Und da sagt er: „Ich muss doch sehen, ob der Laden noch steht.“
Wenn man sich vorstellt, wie schlecht sie bezahlt wurden im allgemeinen, und trotzdem dieses Pflichtgefühl; „Ich muß doch sehen, ob mein Arbeitsplatz noch da ist oder ob ich her was helfen kann.“ Die Frühschicht war da, soweit die Leute nicht ausgebombt waren und daher mit sich beschäftigt.
Ich stand im Hof, und plötzlich höre ich doch schon wieder eine Sirene. Aber es war tatsächlich so. Ich habe dann gerufen: „Irgendwo hier gehen wieder Sirenen los!“
Und mit den Sirenen hörte man dann auch schon das Motorengedröhn wieder. Dann sind wir in den Keller gestürzt, und dann ging es ziemlich schnell. Das Motorengeräusch wurde laut und lauter, und der Tagesangriff begann. Das war der von der 8. Amerikanischen Luftflotte, und der setzte nun genau bei uns ein. Er sollte den großen Verschiebebahnhof treffen. Dieser Güterbahnhof war vollgepackt mit Versorgungszügen mit Nachschubgütern. Daher sind wir voll in einen Bombenteppich reingekommen. Unser Wohnhaus, das war ein stabiles, dreigeschossiges, einzeln stehendes Haus, und an jeder Ecke ist da eine Sprengbombe gefallen. Wir verdanken es wirklich nur diesem Luftschutzkeller, der so gut war, daß wir da unten nicht umgekommen sind durch diesen Luftdruck oder Luftsog. Wir waren vielleicht etwa hundert Menschen. Trotzdem gab es keine Panik. Wir waren schon ganz apathisch und demoralisiert durch die Nacht. Wir haben einfach dagesessen. Dieser und besonders betreffende Bombenabwurf, der rollte näher, und in dem Moment erlosch auch das Licht, und der ganze Keller war voll Staub. Beim Näherrollen des Bombenteppichs hatte ich mich auf den Fußboden geworfen und hatte in Hockstellung den Kopf zwischen die Beine genommen. Durch den Keller ging ein Luftdruck, richtig so, als hätte man in den Keller einen Überdruck gepreßt, der aber sofort auch wieder entwich. Und dann schrie jemand kurz auf, aber sonst war es still, und dann kam auch gleich die Stimme des Luftschutzwarts: „Ruhe, Ruhe, es ist nichts passiert.“
Sofort ging eine Taschenlampe an. Man sah wieder was, und das war wesentlich. Ich weiß nicht, ob nicht, wenn es dunkel geblieben wäre, die Leute doch plötzlich aufgesprungen wären und einer dann geschrien hätte: „Ich will raus!“
Dadurch, daß diese Taschenlampe anging, trat sofort Beruhigung ein, obwohl es so gekracht hatte, daß ich erst dachte, das ganze Haus liegt auf dem Keller drauf. Das Ganze dauerte ungefähr 15 Minuten, und dann haben wir wieder nur lauschen können, ob es ruhig wird draußen. Es wurde auch wieder still, und dieser Kontrast war besonders stark, ganz totenstill. Das war die größte Angst, immer, daß man in so einer Höhle drin sitzt und denkt, es ist nichts passiert, aber nicht mitkriegt, daß es oben drüber schon längst brennt. Und man kommt dann nicht mehr raus. Diese Angst war viel größer als die Angst, jetzt eventuell noch in eine Nachzüglerbombe zu kommen.
Als dieser zweite Angriff stattfand und ich auf dem Fußboden kauerte, da habe ich immer gedacht oder vor mich hingeredet. Ich habe gesagt: „Diese Schweine, diese Hunde, diese Feiglinge, diese Mistkerle“, irgend so was. Aber das war kein Haß, der sich jetzt direkt gegen einen dieser Flieger gerichtet hätte. Und das hat es auch hinterher selten gegeben. Es hat keine direkten großen Haßausbrüche gegeben.
Es ist mir auch nicht bekannt, daß in Dresden danach Übergriffe gegen alliierte Kriegsgefangene gewesen wären. Denn die britischen Kriegsgefangenen sind bereits am 15. Februar, direkt nach den Angriffen, in die Stadt geführt worden. Ich habe sie selber bereits am 15., also am nächstfolgenden Tage in der Stadt gesehen, wo sie überall Trümmer beiseiteräumen bzw. Leichen herausziehen mußten. Da war kaum Bewachung dabei, da stand irgend so ein Soldat mit einem uralten Gewehr daneben, und die Engländer bewegten sch höchst langsam und höchst unwillig, und die ganzen ausgebombten und betroffenen Leute standen ringsum. Ich habe an keiner Stelle gesehen, daß einer hingegangen wäre, einen bespuckt hätte oder einen Stein auf ihn geworfen hätte oder sonst etwas. Es war vielleicht zuviel gewesen; Apathie. Und der Schock war zu groß, um jetzt sein persönliches Gefühl an einem Gefangenen auszulassen, von dem man ja wußte, daß er vielleicht schon seit vier Jahren hier in Deutschland als Gefangener war.
Quelle: Johannes Steinhoff, Peter Pechel und Dennis Showalter, Hrsg., Deutsche im Zweiten Weltkrieg. Zeitzeugen sprechen. München: Schneekluth 1989, S. 324–29.