Quelle
Tierschutzgesetz. Vom 24. November 1933.
Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
Abschnitt I
Tierquälerei
§ 1
(1) Verboten ist, ein Tier unnötig zu quälen oder roh
zu mißhandeln.
(2) Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde
oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden
verursacht; unnötig ist das Quälen, soweit es keinem vernünftigen,
berechtigten Zwecke dient. Ein Tier mißhandelt, wer ihm erhebliche
Schmerzen verursacht; eine Mißhandlung ist roh, wenn sie einer
gefühllosen Gesinnung entspringt.
Abschnitt II
Vorschriften zum Schutze der Tiere
§ 2
Verboten ist,
1. ein Tier in Haltung, Pflege oder
Unterbringung oder bei der Beförderung derart zu vernachlässigen,
daß es dadurch erhebliche Schmerzen oder erheblichen Schaden
erleidet;
2. ein Tier unnötig zu Arbeitsleistungen zu
verwenden, die offensichtlich seine Kräfte übersteigen, oder die
ihm erhebliche Schmerzen bereiten, oder denen es infolge seines
Zustandes nicht gewachsen ist;
3. ein Tier zu Abrichtungen,
Filmaufnahmen, Schaustellungen oder ähnlichen Veranstaltungen zu
verwenden, soweit sie mit erheblichen Schmerzen oder erheblichen
Gesundheitsschädigungen für das Tier verbunden sind;
4. ein
gebrechliches, krankes, abgetriebenes oder altes Haustier, für das
das Weiterleben eine Qual bedeutet, zu einem anderen Zwecke als
zur alsbaldigen schmerzlosen Tötung zu veräußern oder zu
erwerben;
5. ein eigenes Haustier auszusetzen, um sich des
Tieres zu entledigen;
6. Hunde auf Schärfe an lebenden
Katzen, Füchsen oder an anderen Tieren abzurichten oder zu
prüfen;
7. einem über zwei Wochen alten Hund die Ohren oder
den Schwanz zu kürzen. Das Kürzen ist zulässig, wenn es unter
Betäubung vorgenommen wird;
8. einem Pferd die Schweifrübe zu
kürzen (kupieren). Das Kürzen ist zulässig, wenn es zur Behebung
einer Untugend oder einer Erkrankung der Schweifrübe durch einen
Tierarzt unter Betäubung vorgenommen wird;
9. an einem Tier
in unsachgemäßer Weise oder ohne Betäubung einen schmerzhaften
Eingriff vorzunehmen. Die Kastration ist als schmerzhafter
Eingriff anzusehen bei Pferden, bei über drei Monate alten Rindern
und Schweinen und bei geschlechtsreifen Schaf- und Ziegenböcken.
Einer Betäubung bedarf es nicht, sofern der mit dem Eingriff
verbundene Schmerz nur geringfügig ist oder bei gleichen oder
ähnlichen Eingriffen am Menschen eine Betäubung im einzelnen Falle
nach tierärztlichem Ermessen nicht durchführbar
erscheint;
10. ein in einer Farm gehaltenes Pelztier anders
als unter Betäubung oder sonst schmerzlos zu töten;
11.
Geflügel durch Stopfen (Nudeln) zur Futteraufnahme zu
zwingen;
12. lebenden Fröschen die Schenkel auszureißen oder
abzutrennen.
§3
Die Einfuhr kupierter Pferde ist verboten. Der
Reichsminister des Innern kann in besonders begründeten Fällen
Ausnahmen zulassen.
§ 4
Die Verwendung von Einhufern unter Tag ist nur mit
Genehmigung der zuständigen Landesbehörde gestattet.
Abschnitt III
Versuche an lebenden Tieren
§5
Verboten ist, Eingriffe oder Behandlungen, die mit
erheblichen Schmerzen oder Schädigungen verbunden sind, an
lebenden Tieren zu Versuchszwecken vorzunehmen, soweit nicht die
Vorschriften der §§ 6 bis 8 etwas anderes bestimmen.
§ 6
(1) Der Reichsminister des Innern kann auf Vorschlag
der zuständigen Reichs- oder Landesbehörden bestimmen
wissenschaftlich geleiteten Institutionen oder Laboratorien die
Erlaubnis zur Vornahme wissenschaftlicher Versuche an lebenden
Tieren erteilen, sofern der wissenschaftliche Leiter über die
erforderliche fachmännische Ausbildung und Zuverlässigkeit
verfügt, geeignete Einrichtungen für die Vornahme der Tierversuche
vorhanden sind und Gewähr für gute Wartung und Unterbringung der
Versuchstiere gegeben ist.
(2) Der Reichsminister des Innern
kann die Erteilung der Erlaubnis anderen obersten Reichsbehörden
überlassen.
(3) Die Erlaubnis kann jederzeit ohne
Entschädigung zurückgezogen werden.
§ 7
Bei Ausführung der Tierversuche (§5) sind folgende
Vorschriften zu beobachten:
1. Die Versuche dürfen nur unter
voller Verantwortung des wissenschaftlichen Leiters oder des von
ihm besonders ermächtigten Stellvertreters ausgeführt
werden.
2. Die Versuche dürfen nur von wissenschaftlich
hierzu vorgebildeten Personen oder unter deren Leitung und nur
unter Vermeidung jeder für den Zweck entbehrlichen Schmerzerregung
vorgenommen werden.
3. Versuche zu Forschungszwecken sind nur
dann zu unternehmen, wenn sie einen bestimmten, bisher von der
Wissenschaft noch nicht bestätigten Erfolg erwarten lassen oder
soweit sie zur Klärung bisher ungelöster Fragen dienen.
4.
Die Versuche sind, sofern nicht nach dem Urteil des
wissenschaftlichen Leiters der Zweck des Versuchs dies unbedingt
ausschließt oder der mit dem Eingriff verbundene Schmerz
geringfügiger ist als die mit einer Betäubung verbundene
Beeinträchtigung des Wohlbefindens des Versuchstieres, nur unter
Betäubung vorzunehmen.
An demselben unbetäubten Tier darf
nicht mehr als ein schwerer operativer oder schmerzhafter
unblutiger Versuch ausgeführt werden.
Tiere, die nach
Beendigung schwerer, insbesondere mit operativen Eingriffen
verbundener Versuche unter erheblichen Schmerzen zu leiden haben,
sind, sofern dies nach dem Urteil des wissenschaftlichen Leiters
mit dem Zweck des Versuches vereinbar ist, alsbald schmerzlos zu
töten.
5. Versuche an Pferden, Hunden, Katzen oder Affen
dürfen nur dann ausgeführt werden, wenn durch Versuche an anderen
Tieren der beabsichtige Zweck nicht erreicht werden kann.
6.
Es dürfen nicht mehr Tiere verwendet werden, als zur Klärung der
betreffenden Frage notwendig ist.
7. Tierversuche zu
Lehrzwecken sind nur dann gestattet, wenn andere Lehrmittel, z. B.
Bild, Modell, Präparat, Film, nicht ausreichen.
8. Über die
Art der verwendeten Tiere, den Zweck, die Durchführung und das
Ergebnis der Versuche sind Aufzeichnungen zu machen.
§ 8
Den Vorschriften, der §§ 5 bis 7 unterliegen nicht
Tierversuche für Belange der Rechtspflege sowie Impfungen und
Blutentnahmen an lebenden Tieren zum Zwecke der Erkennung von
Krankheiten der Menschen oder Tiere oder zur Gewinnung oder
Prüfung (Wertbestimmung) von Seren oder Impfstoffen nach bereits
erprobten oder staatlich anerkannten Verfahren. Doch sind auch
diese Tiere alsbald schmerzlos zu töten, wenn sie unter
erheblichen Schmerzen zu leiden haben und die Tötung mit dem
Zwecke des Versuchs vereinbart ist.
Abschnitt IV
Strafbestimmungen
§ 9
(1) Wer ein Tier unnötig quält oder roh mißhandelt,
wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit
einer dieser Strafen bestraft.
(2) Wer, abgesehen von den
Fällen den Abs. 1, ohne die erforderliche Erlaubnis einen Versuch
an lebenden Tieren (§ 5) vornimmt, wird mit Gefängnis bis zu sechs
Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen
bestraft.
(3) Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig
Reichsmark oder mit Haft wird, soweit die Tat nicht schon unter
die Strafdrohung der Abt. 1, 2 fällt, bestraft, wer vorsätzlich
oder fahrlässig
1. einem der Verbote der §§ 2 bis 4
zuwiderhandelt;
2. einer Vorschrift des § 7
zuwiderhandelt;
3. einer vom Reichsminister des Innern oder
von einer Landesregierung nach § 14 erlassenen Vorschrift zum
Schutze der Tiere zuwiderhandelt;
4. es unterläßt, Kinder
oder andere Personen, die seiner Aufsicht unterstehen und zu
seiner Hausgemeinschaft gehören, von einer Zuwiderhandlung gegen
die Vorschriften dieses Gesetzes abzuhalten.
§ 10
(1) Neben der wegen einer vorsätzlichen
Zuwiderhandlung auf Grund von § 9 erkannten Strafe kann auf
Einziehung oder auf Tötung des Tieres erkannt werden, wenn es dem
Verurteilten gehört. Statt der Einziehung kann angeordnet werden,
daß das Tier auf Kosten des Verurteilten bis zur Dauer von drei
Monaten anderweit untergebracht und verpflegt wird.
(2) Kann
keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so kann
auf Einziehung oder Tötung des Tieres selbständig erkannt werden,
wenn im übrigen die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
§ 11
(1) Ist jemand wiederholt wegen einer vorsätzlichen
Zuwiderhandlung auf Grund von § 9 rechtskräftig verurteilt worden,
so kann ihm die zuständige Landesbehörde die Haltung von
bestimmten Tieren oder die berufsmäßige Beschäftigung oder den
Handel mit ihnen auf Zeit oder Dauer untersagen.
(2) Nach
Ablauf eines Jahres seit der Rechtskraft der Untersagungsanordnung
kann die zuständige Landesbehörde die Anordnung wieder
aufheben,
(3) In der Haltung, Pflege oder Unterbringung
schuldhaft erheblich vernachlässigte Tiere können durch die
zuständige Landesbehörde ihrem Besitzer fortgenommen und so lange
anderweit pfleglich untergebracht werden, bis die Gewähr für eine
einwandfreie Tierhaltung vorhanden ist. Die Kosten dieser
Unterbringung sind dem Schuldigen aufzuerlegen.
§ 12
Ist in einem Strafverfahren zweifelhaft, ob die Tat
unter ein Verbot des § 2 Nr. 1 oder 2 fällt, so sollen hierüber in
einem möglichst frühen Abschnitt des Verfahrens der beamtete
Tierarzt und, soweit es sich um landwirtschaftliche Betriebe
handelt, der Reichsnährstand gehört werden.
Abschnitt V
Schlußbestimmungen
§ 13
Unter Betäubung im Sinne dieses Gesetzes sind alle
Verfahren zu verstehen, die allgemein schmerzlos machen oder
örtlich die Schmerzempfindung ausschalten.
§ 14
Der Reichsminister des Innern kann zur Durchführung
und Ergänzung dieses Gesetzes Rechts- und Verwaltungsvorschriften
erlassen. Soweit er von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch macht,
können die Landesregierungen die erforderlichen
Durchführungsvorschriften erlassen.
§ 15
Dieses Gesetz tritt am 1. Februar 1934 in Kraft mit
Ausnahme des § 2 Nr. 8 und 11 und des § 3, für die der
Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister
für Ernährung und Landwirtschaft den Zeitpunkt des Inkrafttretens
festsetzt.
Die §§ 145b und 360 Nr. 13 des Strafgesetzbuches treten am 1. Februar 1934 außer Kraft.
Die Bestimmungen des Vogelschutzgesetzes vom 30. Mai 1908 (Reichsgesetzbl. S. 314) bleiben unberührt.
Berlin, den 24. November 1933.
Quelle: Reichsgesetzblatt 1933, Nr. 132, Berlin, 25. November 1933, S. 987–89. Online verfügbar unter: https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1933&page=1112&size=45