Quelle
I. Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935
Der Reichstag hat einstimmig das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird.
§ 1.
(1) Staatsangehöriger ist, wer dem Schutzverband des
Deutschen Reiches angehört und ihm dafür besonders verpflichtet
ist.
(2) Die Staatsangehörigkeit wird nach den Vorschriften
des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes erworben.§
2.
(1) Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen
oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß
er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich
zu dienen.
(2) Das Reichsbürgerrecht wird durch Verleihung
des Reichsbürgerbriefes erworben.
(3) Der Reichsbürger ist
der alleinige Träger der vollen politischen Rechte nach Maßgabe
der Gesetze.§ 3.
Der Reichsminister des Innern erläßt im
Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers die zur
Durchführung und Ergänzung des Gesetzes erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften.
Nürnberg, 15. September 1935.
Der Führer und Reichkanzler
Adolf Hitler
Der Reichminister des Innern
Frick
II. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935
Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1146) wird folgendes verordnet:
§ 1.
(1) Bis zum Erlaß weiterer Vorschriften über den
Reichsbürgerbrief gelten vorläufig als Reichsbürger die
Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes, die beim
Inkrafttreten des Reichsbürgergesetzes das Reichstagswahlrecht
besessen haben, oder denen der Reichsminister des Innern im
Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers das vorläufige
Reichsbürgerrecht verleiht.
(2) Der Reichsminister des Innern
kann im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers das
vorläufige Reichsbürgerrecht entziehen.§ 2.
(1) Die
Vorschriften des § 1 gelten auch für die staatsangehörigen
jüdischen Mischlinge.
(2) Jüdischer Mischling ist, wer von
einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen
abstammt, sofern er nicht nach § 5 Abs. 2 als Jude gilt. Als
volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der
jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.§ 3.
Nur der
Reichsbürger kann als Träger der vollen politischen Rechte das
Stimmrecht in politischen Angelegenheiten ausüben und ein
öffentliches Amt bekleiden. Der Reichsminister des Innern oder die
von ihm ermächtigte Stelle kann für die Übergangszeit Ausnahmen
für die Zulassung zu öffentlichen Ämtern gestatten. Die
Angelegenheiten der Religionsgesellschaften werden nicht
berührt.
§ 4.
(1) Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein. Ihm steht
ein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten nicht zu; er kann
ein öffentliches Amt nicht bekleiden.
(2) Jüdische Beamte
treten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand. Wenn
diese Beamten im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich
oder für seine Verbündeten gekämpft haben, erhalten sie bis zur
Erreichung der Altersgrenze als Ruhegehalt die vollen zuletzt
bezogenen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge; sie steigen jedoch
nicht in Dienstaltersstufen auf. Nach Erreichung der Altersgrenze
wird ihr Ruhegehalt nach den letzten ruhegehaltsfähigen
Dienstbezügen neu berechnet.
(3) Die Angelegenheiten der
Religionsgesellschaften werden nicht berührt.
(4) Das
Dienstverhältnis der Lehrer an öffentlichen jüdischen Schulen
bleibt bis zur Neuregelung des jüdischen Schulwesens unberührt.§
5.
(1) Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach
volljüdischen Großeltern abstammt. § 2 Abs. 2 Satz 2 findet
Anwendung.
(2) Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen
Großeltern abstammende staatsangehörige Mischling,
(a) der
beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft
angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird,
(b) der
beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich
danach mit einem solchen verheiratet,
(c) der aus einer Ehe
mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt, die nach dem
Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und
der deutschen Ehre vom 15. September 1935
(Reichsgesetzblatt I S. 1146)
geschlossen ist,
(d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit
einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt und nach dem 31. Juli
1936 außerehelich geboren wird.§ 6.
(1) Soweit in
Reichsgesetzen oder in Anordnungen der Nationalsozialistischen
Deutschen Arbeiterpartei und ihrer Gliederungen Anforderungen an
die Reinheit des Blutes gestellt werden, die über § 5 hinausgehen,
bleiben sie unberührt.
(2) Sonstige Anforderungen an die
Reinheit des Blutes, die über § 5 hinausgehen, dürfen nur mit
Zustimmung des Reichsministers des Innern und des Stellvertreters
des Führers gestellt werden. Soweit Anforderungen dieser Art
bereits bestehen, fallen sie am 1. Januar 1936 weg, wenn sie nicht
von dem Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem
Stellvertreter des Führers zugelassen werden. Der Antrag auf
Zulassung ist bei dem Reichsminister des Innern zu stellen.§
7.
Der Führer und Reichskanzler kann Befreiungen von den
Vorschriften der Ausführungsverordnungen erteilen.
Berlin, den 14. November 1935.
Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler
Der Reichsminister des Innern
Frick
Der Stellvertreter des Führers
R. Heß, Reichsminister ohne
Geschäftsbereich
Quellen: Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, Reichsgesetzblatt, 1935, Teil I, S. 1146ff (https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&size=45&page=1288); erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, Reichsgesetzblatt, 1935, Teil I, S. 1333 (https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&size=45&page=1479); beide Texte sind abgedruckt in Paul Meier-Benneckenstein, Hrsg., Dokumente der deutschen Politik, Band 3: Deutschlands Weg zur Freiheit 1935, bearbeitet von Axel Friedrichs. Berlin, 1937, S. 153–54, 157–58.