Kurzbeschreibung

In diesem kurzen Aufsatz beschreibt Reinhard Heydrich (1904–1942) eine angebliche Verschwörung, die heimlich versucht, sowohl den Staat als auch die nationalsozialistische Bewegung generell zu untergraben. Er benennt diese vermeintlichen inneren Feinde – „den getarnten Feind“ – nie spezifisch und stützt sich stattdessen auf provokante Sprache und den Gebrauch des passivs, um ihre Aktivitäten nebulös zu beschreiben. Diese Strategie, mit vager Sprache auf Feinde zu verweisen, war ein Schlüsselelement von Heydrichs Versuchen (und denen der NSDAP allgemein), die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es nicht nur eine breit angelegte, mächtige Verschwörung gab, sondern auch eine ständige existenzielle Bedrohung für die nationalsozialistische Bewegung und für die Sicherheit der Volksgemeinschaft selbst.

Die Kategorie innerer Feind schloss eine immer größere Liste von sogenannten Feinden ein: Juden, Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Zeugen Jehovas, Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen, „Asoziale“, etc. Es ist wichtig zu beachten, dass Heydrich sich nicht nur auf konspirative Elemente bezieht, die aktiv versucht hätten, die Regierung zu untergraben, sondern auch auf Elemente der Bevölkerung, die aufgrund von „persönlichen Schwächen“ unbewusst beeinflusst werden könnten, um den Staat zu untergraben. Diese zweite Kategorie – wiederum bewusst vage gehalten – stand im Mittelpunkt des inneren feindlichen Leitmotivs des Dritten Reiches. Personen, die in diese Kategorie eingestuft wurden, waren vielleicht nicht schuldig an einem bewusst verschwörerischen Verhalten, aber sie schwächten den Staat dennoch.

Reinhard Heydrich, „Der getarnte Gegner“ (22. Mai 1935)

Quelle

III. Der getarnte Gegner

Im Gegensatz zum sichtbaren Gegner ist der getarnte Gegner nicht organisatorisch faßbar. Er arbeitet illegal, wir können ihn vielleicht den unsichtbaren Apparat der schon bezeichneten großen Gegner nennen. Sein Ziel ist, die Einheit der Führung in Staat und Partei zu zerstören, um die Erreichung der weltanschaulichen Aufgaben des Nationalsozialismus unmöglich zu machen. Das Volk soll der Führung gegenüber zurückhaltend und unsicher werden, die Führer sollen nervös werden und sich gegenseitig mißtrauen.

Zu diesem Zwecke besteht ein Netz von Querverbindungen zu fast allen Stellen des Staatsapparates, des öffentlichen Lebens und der Bewegung. Dieses Kanalsystem unterrichtet einerseits den Gegner über die ihm bevorstehende Gefahr. Er erfährt so rechtzeitig alle vorbereiteten staatlichen Maßnahmen, Anordnungen und Gesetze. Das gleiche Kanalsystem dient aber andererseits der Aufgabe, die für den Gegner wichtigen Gegenmaßnahmen vorzubereiten.

Die Organe dieses Kanalsystems arbeiten zum Teil bewußt verräterisch, zum Teil werden ihre persönlichen Schwächen unbewußt mißbraucht.

Die Hauptstützen dieser gegnerischen bewußt verräterischen Arbeit sind einige im Staatsapparat verbliebene feindliche Elemente, die sich, einhundertzehnprozentig gebärdend, sofort gleichschalteten. An ihnen ging das Beamtengesetz vorüber. Im Glauben an die Echtheit ihrer im Brustton der Überzeugung abgegebenen Treueerklärungen wurden sie als Fachleute in ihren Stellungen belassen.

Während wir Nationalsozialisten unter Bürokratie im guten Sinne den Begriff der vollendeten Exaktheit des hervorragenden und reibungslosen Arbeitens eines Geschäfts- und Verwaltungsapparates verstehen, mißbrauchen viele seelenlosen und feindlichen Elemente die gleiche Bürokratie zum Hindern, Hemmen und Abbiegen unserer nationalsozialistischen Aufgaben.

Die Verzweigung dieses Netzes ist ungeheuerlich. Eine lückenlose Aufzählung ist hier unmöglich. Erkennen kann der Laie die Verzweigungen nur an der Auswirkung:

Hier werden Versuche gemacht, gesetzgebende Maßnahmen abzudrehen.

Dort wird versucht, die Finanzierung für die für Bewegung und Staat lebenswichtigen Aufgabengebiete zu drosseln.

Auf den Hochschulen wird versucht, durch „rein wissenschaftliche und sachliche“ Behandlung

nationalsozialistisches Gedankengut zugunsten des Liberalismus zu verbiegen.

In der Vorgeschichtsforschung wird versucht, einseitigen, unvölkischen Elementen die Führung der Ausgrabungen in die Hände zu spielen, damit weiterhin die Behauptung von der „Kulturlosigkeit“ unserer Ahnen ungefährdet aufrechterhalten werden kann.

Durch den Versuch einer antinationalsozialistischen Personalpolitik wird angestrebt, wichtige Schlüsselstellungen im Staat wieder in die Hände zu bekommen, falls ein nationalsozialistisches Gesetz durchgeht, die Ausführung sabotiert und durch Ausführungsbestimmungen Hintertüren geöffnet werden können. Bei den nationalsozialistisch gut gesinnten Männern wird durch gesellschaftliche Verflechtungen (Einladungen, Klubs usw.) der Versuch gemacht, auch auf sie Einfluß zu gewinnen. Den heißen Willen nationalsozialistischer Vorgesetzter, die deutsche Gesetzgebung und die deutsche Verwaltung dem Wesen und dem Empfinden des Volkes anzupassen, verdrehen sie in der Ausführung und versuchen damit, diese nationalsozialistischen Männer in Gegensatz zur Bewegung zu bringen.

Um eine Maßnahme des Führers oder eines seiner Beauftragten abzubiegen, oder um unbequeme und gefährliche Organisationen der Bewegung und des Staates zu Fall zu bringen, dient ihnen das Mittel der systematischen Gerüchtebildung und Pressehetze. Über Tausende von Kanälen wird den maßgebenden Stellen eingeflüstert, welche „Gefahren“ der Politik des Führers angeblich durch diese Maßnahmen oder diese Organisationen drohen, gleichzeitig setzt eine Beschwerdewelle ein. Die Vielseitigkeit dieser Beschwerden läßt oft blitzartig das Kanalsystem des Gegners erkennen.

Auf Kommando meist einer der freimaurerischen Schweizer oder „deutschen“ Emigrantenzeitungen wird der Angriff durch eine systematische Artikelserie der übelsten Lügen vervollständigt. Im gleichen Augenblick wird nun der Apparat zur Ausnutzung der Charakterschwächen der einzelnen Menschen in Bewegung gesetzt. Der Mensch neigt nur zu leicht dazu, unwahren und unglaubhaften Gerüchten mehr als sachlichen Tatsachen Glauben zu schenken. In Kenntnis dieser Schwächen und der Klatschsucht der Menschen werden die Gerüchte an Persönlichkeiten herangetragen, die bestimmte Sympathie oder Antipathie für diese Organisationen haben und damit von sich aus wieder in positivem oder negativem Sinne für die weitere Verbreitung sorgen.

Nur zu schnell ist eine vorgefaßte Meinung erzeugt, die dann den Boden für die Erfüllung der

Augenblicksziele der Gegner bildet.

So wird allmählich versucht, das Gefüge des Staates zu zersetzen und einen Keil zwischen Führung und Gefolgschaft zu treiben. In der Unterstreichung der noch nicht erfüllten Aufgaben sollen die Taten und Leistungen der ersten zwei Jahre vergessen gemacht werden und dem Führer und seinen Getreuen allmählich der Boden jeder positiven Arbeit, das Vertrauen des Volkes, entzogen werden.

Wir müssen diese Arbeit und Taktik des Gegners sehen, um ihr begegnen zu können.

Wie der Gegner die Lage in Deutschland sehen will und welcher Weg ihm als für ihn richtig erscheint, mag nachfolgender Satz aus einem gegnerischen Geheimbericht zeigen: „Die Lage in Deutschland steht im Zeichen des Versuchs der Gleichschaltung der NSDAP, durch Bürokratie und andere heimliche Gegner des Nationalsozialismus.“

Quelle: Reinhard Heydrich, „Der getarnte Gegner,“ Das Schwarze Korps, 22. Mai 1935, S. 36; abgedruckt in Reinhard Heydrich, Wandlungen unseres Kampfes. München-Berlin: Verlag Frz. Eher Nachf. GmbH., 1936, S. 7–8.