Quelle
Einstellung der Jugend zur Partei
I. Die Einstellung der Jugend zur Partei zeigt sich alljährlich besonders deutlich bei den Aufnahmefeiern. Die hier vorliegenden Meldungen über die Parteiaufnahme der Jahrgänge 1924 und 1925 berichten im allgemeinen von einer positiven Einstellung der Jugendlichen zur Aufnahme in die Partei:
[…]
Aus fast allen Reichsgebieten liegen aber auch Berichte vor, nach denen bei einer nicht geringen Anzahl Jugendlicher die Einstellung zur Parteiaufnahme zu wünschen übrig läßt. Im einzelnen werden hierzu folgende Beobachtungen gemacht:
1. Gleichgültigkeit und mangelnde innere Bereitschaft
Von zahlreichen Jugendlichen sei die Aufnahme in die Partei durchaus nicht als ein besonders erstrebenswertes Ziel, sondern als eben „zum guten Ton“ gehörend, ja als „notwendiges Übel“ angesehen worden.
„Vielfach wurde von den Jugendlichen die Ansicht vertreten, daß die Parteizugehörigkeit eben zum guten Ton gehöre und darüber hinaus ein gutes Sprungbrett in beruflicher Hinsicht sei.“
[…] „Die Jugendlichen, bei deren Beruf eine Abhängigkeit nicht vorliegt, legen auf ihre Überführung in die NSDAP kaum Wert.“ „Bei den Jugendlichen ist eine ziemlich gleichgültige Einstellung der Partei gegenüber zu beobachten. Nur der kleinste Teil habe in der Parteiaufnahme eine Auszeichnung gesehen. Der weitaus größte Teil sehe vielmehr in der Zugehörigkeit zur Partei eine Notwendigkeit, der man sich eben fügt. So äußerte ein junger Parteigenosse: ‚Will man was erreichen im Leben, so muß man doch Pg. sein, andernfalls ist man doch nicht hundertprozentig!‘ “
„Vielfach glauben die Jugendlichen, sie müßten nun in jedem Fall zu den Erwachsenen gezählt werden. Die Äußerungen eines 18-jährigen, ‚ein Parteigenosse muß zu allem zugelassen werden und muß auch über alles urteilen dürfen‘ entspreche der Einstellung vieler Jugendlicher. Vereinzelt sei die Übernahme in die Partei von Jugendlichen im Hinblick darauf begrüßt worden, daß sie ‚nun endlich vom HJ-Dienst loskämen‘, sie hofften, in der Partei nicht so zur Mitarbeit herangezogen zu werden.“ […]
„Charakteristischer Ausspruch von Jugendlichen: ‚Mir ist es ganz egal, ob ich in die Partei aufgenommen werde oder nicht, es ist ja doch alles Krampf.‘ “
In zahlreichen Berichten wird auch darauf hingewiesen, daß dem geringen Interesse an der Partei ein wesentlich stärkeres Interesse an der Wehrmacht gegenüberstünde.
„Die meisten Jungen und Mädel haben gar kein Interesse daran, Mitglied der NSDAP zu werden. Alle Aufrüttelungsversuche der zuständigen Stellen sind vergeblich gewesen. Für die Jungen ist die Wehrmacht heute Trumpf und nicht die Partei.“
„Man führt dort gleichzeitig als Beispiel den Vergleich an, daß heute viele Jungen Offiziere werden wollen, weil der Offizier ein die Jugend ansprechendes Vorbild, ein erstrebenswertes Ziel ist. Die Aufgaben, die der Blockleiter und der Ortsgruppenleiter in ihren Bereichen zu leisten haben, üben auf die Jugendlichen wenig Reiz aus; ersichtlich stachele sie nichts an, hier ‚dabei sein zu wollen‘, wie etwa ein Junge bei einem besonders ausgezeichneten Truppenteil oder auch bei einer erfolgreichen Fußballmannschaft ‚dabei sein wolle‘.“
[…]
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Mehrzahl der Angehörigen der Jahrgänge 1924 und 1925 sich positiv zur Parteiaufnahme stellte. Die Zahl der Jugendlichen, die der Parteiaufnahme gleichgültig gegenüberstehe oder sie ablehne ist jedoch so groß, daß sie nicht übersehen werden darf. […]
II. In den Berichten wird immer wieder darauf hingewiesen, daß ein wesentlicher Teil der Gründe für diese Haltung eines Teils der Jugendlichen nicht bei den Jugendlichen selbst läge. Diese Stimmen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
1. Die heute in der HJ stehenden Jugendlichen erleben die Partei bereits als geschichtliche Tatsache. Sie seien an sie nicht mehr durch ein politisches Kampferlebnis gebunden, das ihnen deutlich mache, daß die Partei den heutigen Staat erkämpft und damit das Recht erworben habe, an diesen Staat und seine Menschen Forderungen zu stellen und den weltanschaulichen Führungsanspruch zu erheben. Für viele dieser Jugendlichen sei der Führer nicht Repräsentant der Partei, sondern in erster Linie Führer des Staates und vor allem Oberster Befehlshaber der Wehrmacht. Sie hätten daher keine Hemmungen, auch an die Partei wie an jede andere Einrichtung des Staates kritisch heranzutreten. Der Partei gegenüber fehle ihnen ein organisch gewachsenes Treueverhältnis, aus dem heraus die alten Parteigenossen tätig seien. Diese würden zwar auch Fehler in der Partei erkennen und dennoch in treuer Gefolgschaft zur Partei stehen. Diese Jugendlichen jedoch leiteten aus der Erkenntnis angeblicher Fehler und Mängel das Recht ab, der Partei den Rücken zu kehren.
[…]
3. Die Zurückhaltung gegenüber der Partei finde schließlich weitere Nahrung aus der ungelösten Frage: Partei – Kirche. Da noch ein großer Teil der Jugend und vor allem deren Elternhaus kirchlich gebunden sei, würden Äußerungen gegen einen „ihnen bisher heiligen Glauben“ von Parteigenossen, Hoheitsträgern und HJ-Führern abstoßend wirken. Dies sei z. Zt. besonders deshalb der Fall, weil durch die gegenwärtige Kriegslage auch die Jugend teilweise feststelle, daß sich die Kirche sehr eingehend z. B. um die Angehörigen Gefallener kümmere, auf Fragen des Lebens und der Gegenwart klare Antworten von den Geistlichen zu bekommen seien. Darüber hinaus wirken besonders stark Gerüchte über angeblich positive Äußerungen führender Persönlichkeiten, ausgezeichneter Soldaten usw. zugunsten der Kirche.
Quelle: Heinz Boberach, Hrsg., Meldungen aus dem Reich. Die geheime Lageberichte des Sicherheitsdienstes des SS 1938–1945. Bd. 14, Herrsching, 1984, S. 5603–07.