Kurzbeschreibung

Die nationalsozialistische Auffassung vom Verhältnis des Menschen zur Natur beeinflusste eine Reihe von Umweltschutzmaßnahmen. Dazu gehörte auch die Einführung neuer Gesetze, die den Umgang mit Tieren in NS-Deutschland regelten. Das im November 1933 verabschiedete Tierschutzgesetz war das erste Gesetz auf Reichsebene, das ausdrücklich dem Schutz der Tiere diente. Das Gesetz benannte und verbot eine Reihe von Misshandlungen, darunter die Überforderung von Arbeitstieren, das Ausstellen, Filmen oder sonstige öffentliche Zurschaustellen von Tieren unter Bedingungen, die sich nachteilig auf ihre Gesundheit auswirken konnten, und sogar Einschränkungen wie das Verbot des Kupierens (Abschneiden) der Ohren oder Schwänze von Hunden nach dem Alter von zwei Wochen. Das Gesetz legte auch strenge Beschränkungen für Tierversuche fest und verbot alle Praktiken oder Experimente, die das Leben oder das Wohlergehen eines Tieres gefährden könnten. Obwohl das Gesetz selbst keine expliziten antisemitischen Aussagen oder Verbote enthielt, sprachen die Einschränkungen für Tierversuche die antisemitische Überzeugung an, dass die „jüdische“ experimentelle Wissenschaft einen Affront gegen die „natürlichen“ Gesetze darstellte, die das Verhältnis zwischen Mensch, Tier und Natur regeln. Insofern war das hier skizzierte Tierschutzgesetz auch ein wichtiger Teil einer größeren propagandistischen Anstrengung, eine kulturelle Verbindung zwischen dem Nationalsozialismus und der (deutschen) Natur herzustellen und zu pflegen.

Tierschutzgesetz (24. November 1933)

Quelle

Tierschutzgesetz. Vom 24. November 1933.

Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

Abschnitt I

Tierquälerei

§ 1
(1) Verboten ist, ein Tier unnötig zu quälen oder roh zu mißhandeln.
(2) Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht; unnötig ist das Quälen, soweit es keinem vernünftigen, berechtigten Zwecke dient. Ein Tier mißhandelt, wer ihm erhebliche Schmerzen verursacht; eine Mißhandlung ist roh, wenn sie einer gefühllosen Gesinnung entspringt.

Abschnitt II

Vorschriften zum Schutze der Tiere

§ 2
Verboten ist,
1. ein Tier in Haltung, Pflege oder Unterbringung oder bei der Beförderung derart zu vernachlässigen, daß es dadurch erhebliche Schmerzen oder erheblichen Schaden erleidet;
2. ein Tier unnötig zu Arbeitsleistungen zu verwenden, die offensichtlich seine Kräfte übersteigen, oder die ihm erhebliche Schmerzen bereiten, oder denen es infolge seines Zustandes nicht gewachsen ist;
3. ein Tier zu Abrichtungen, Filmaufnahmen, Schaustellungen oder ähnlichen Veranstaltungen zu verwenden, soweit sie mit erheblichen Schmerzen oder erheblichen Gesundheitsschädigungen für das Tier verbunden sind;
4. ein gebrechliches, krankes, abgetriebenes oder altes Haustier, für das das Weiterleben eine Qual bedeutet, zu einem anderen Zwecke als zur alsbaldigen schmerzlosen Tötung zu veräußern oder zu erwerben;
5. ein eigenes Haustier auszusetzen, um sich des Tieres zu entledigen;
6. Hunde auf Schärfe an lebenden Katzen, Füchsen oder an anderen Tieren abzurichten oder zu prüfen;
7. einem über zwei Wochen alten Hund die Ohren oder den Schwanz zu kürzen. Das Kürzen ist zulässig, wenn es unter Betäubung vorgenommen wird;
8. einem Pferd die Schweifrübe zu kürzen (kupieren). Das Kürzen ist zulässig, wenn es zur Behebung einer Untugend oder einer Erkrankung der Schweifrübe durch einen Tierarzt unter Betäubung vorgenommen wird;
9. an einem Tier in unsachgemäßer Weise oder ohne Betäubung einen schmerzhaften Eingriff vorzunehmen. Die Kastration ist als schmerzhafter Eingriff anzusehen bei Pferden, bei über drei Monate alten Rindern und Schweinen und bei geschlechtsreifen Schaf- und Ziegenböcken. Einer Betäubung bedarf es nicht, sofern der mit dem Eingriff verbundene Schmerz nur geringfügig ist oder bei gleichen oder ähnlichen Eingriffen am Menschen eine Betäubung im einzelnen Falle nach tierärztlichem Ermessen nicht durchführbar erscheint;
10. ein in einer Farm gehaltenes Pelztier anders als unter Betäubung oder sonst schmerzlos zu töten;
11. Geflügel durch Stopfen (Nudeln) zur Futteraufnahme zu zwingen;
12. lebenden Fröschen die Schenkel auszureißen oder abzutrennen.

§3
Die Einfuhr kupierter Pferde ist verboten. Der Reichsminister des Innern kann in besonders begründeten Fällen Ausnahmen zulassen.

§ 4
Die Verwendung von Einhufern unter Tag ist nur mit Genehmigung der zuständigen Landesbehörde gestattet.

Abschnitt III

Versuche an lebenden Tieren

§5
Verboten ist, Eingriffe oder Behandlungen, die mit erheblichen Schmerzen oder Schädigungen verbunden sind, an lebenden Tieren zu Versuchszwecken vorzunehmen, soweit nicht die Vorschriften der §§ 6 bis 8 etwas anderes bestimmen.

§ 6
(1) Der Reichsminister des Innern kann auf Vorschlag der zuständigen Reichs- oder Landesbehörden bestimmen wissenschaftlich geleiteten Institutionen oder Laboratorien die Erlaubnis zur Vornahme wissenschaftlicher Versuche an lebenden Tieren erteilen, sofern der wissenschaftliche Leiter über die erforderliche fachmännische Ausbildung und Zuverlässigkeit verfügt, geeignete Einrichtungen für die Vornahme der Tierversuche vorhanden sind und Gewähr für gute Wartung und Unterbringung der Versuchstiere gegeben ist.
(2) Der Reichsminister des Innern kann die Erteilung der Erlaubnis anderen obersten Reichsbehörden überlassen.
(3) Die Erlaubnis kann jederzeit ohne Entschädigung zurückgezogen werden.

§ 7
Bei Ausführung der Tierversuche (§5) sind folgende Vorschriften zu beobachten:
1. Die Versuche dürfen nur unter voller Verantwortung des wissenschaftlichen Leiters oder des von ihm besonders ermächtigten Stellvertreters ausgeführt werden.
2. Die Versuche dürfen nur von wissenschaftlich hierzu vorgebildeten Personen oder unter deren Leitung und nur unter Vermeidung jeder für den Zweck entbehrlichen Schmerzerregung vorgenommen werden.
3. Versuche zu Forschungszwecken sind nur dann zu unternehmen, wenn sie einen bestimmten, bisher von der Wissenschaft noch nicht bestätigten Erfolg erwarten lassen oder soweit sie zur Klärung bisher ungelöster Fragen dienen.
4. Die Versuche sind, sofern nicht nach dem Urteil des wissenschaftlichen Leiters der Zweck des Versuchs dies unbedingt ausschließt oder der mit dem Eingriff verbundene Schmerz geringfügiger ist als die mit einer Betäubung verbundene Beeinträchtigung des Wohlbefindens des Versuchstieres, nur unter Betäubung vorzunehmen.
An demselben unbetäubten Tier darf nicht mehr als ein schwerer operativer oder schmerzhafter unblutiger Versuch ausgeführt werden.
Tiere, die nach Beendigung schwerer, insbesondere mit operativen Eingriffen verbundener Versuche unter erheblichen Schmerzen zu leiden haben, sind, sofern dies nach dem Urteil des wissenschaftlichen Leiters mit dem Zweck des Versuches vereinbar ist, alsbald schmerzlos zu töten.
5. Versuche an Pferden, Hunden, Katzen oder Affen dürfen nur dann ausgeführt werden, wenn durch Versuche an anderen Tieren der beabsichtige Zweck nicht erreicht werden kann.
6. Es dürfen nicht mehr Tiere verwendet werden, als zur Klärung der betreffenden Frage notwendig ist.
7. Tierversuche zu Lehrzwecken sind nur dann gestattet, wenn andere Lehrmittel, z. B. Bild, Modell, Präparat, Film, nicht ausreichen.
8. Ü؜ber die Art der verwendeten Tiere, den Zweck, die Durchführung und das Ergebnis der Versuche sind Aufzeichnungen zu machen.

§ 8
Den Vorschriften, der §§ 5 bis 7 unterliegen nicht Tierversuche für Belange der Rechtspflege sowie Impfungen und Blutentnahmen an lebenden Tieren zum Zwecke der Erkennung von Krankheiten der Menschen oder Tiere oder zur Gewinnung oder Prüfung (Wertbestimmung) von Seren oder Impfstoffen nach bereits erprobten oder staatlich anerkannten Verfahren. Doch sind auch diese Tiere alsbald schmerzlos zu töten, wenn sie unter erheblichen Schmerzen zu leiden haben und die Tötung mit dem Zwecke des Versuchs vereinbart ist.

Abschnitt IV

Strafbestimmungen

§ 9
(1) Wer ein Tier unnötig quält oder roh mißhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.
(2) Wer, abgesehen von den Fällen den Abs. 1, ohne die erforderliche Erlaubnis einen Versuch an lebenden Tieren (§ 5) vornimmt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.
(3) Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Reichsmark oder mit Haft wird, soweit die Tat nicht schon unter die Strafdrohung der Abt. 1, 2 fällt, bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig
1. einem der Verbote der §§ 2 bis 4 zuwiderhandelt;
2. einer Vorschrift des § 7 zuwiderhandelt;
3. einer vom Reichsminister des Innern oder von einer Landesregierung nach § 14 erlassenen Vorschrift zum Schutze der Tiere zuwiderhandelt;
4. es unterläßt, Kinder oder andere Personen, die seiner Aufsicht unterstehen und zu seiner Hausgemeinschaft gehören, von einer Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften dieses Gesetzes abzuhalten.

§ 10
(1) Neben der wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung auf Grund von § 9 erkannten Strafe kann auf Einziehung oder auf Tötung des Tieres erkannt werden, wenn es dem Verurteilten gehört. Statt der Einziehung kann angeordnet werden, daß das Tier auf Kosten des Verurteilten bis zur Dauer von drei Monaten anderweit untergebracht und verpflegt wird.
(2) Kann keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so kann auf Einziehung oder Tötung des Tieres selbständig erkannt werden, wenn im übrigen die Voraussetzungen hierfür vorliegen.

§ 11
(1) Ist jemand wiederholt wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung auf Grund von § 9 rechtskräftig verurteilt worden, so kann ihm die zuständige Landesbehörde die Haltung von bestimmten Tieren oder die berufsmäßige Beschäftigung oder den Handel mit ihnen auf Zeit oder Dauer untersagen.
(2) Nach Ablauf eines Jahres seit der Rechtskraft der Untersagungsanordnung kann die zuständige Landesbehörde die Anordnung wieder aufheben,
(3) In der Haltung, Pflege oder Unterbringung schuldhaft erheblich vernachlässigte Tiere können durch die zuständige Landesbehörde ihrem Besitzer fortgenommen und so lange anderweit pfleglich untergebracht werden, bis die Gewähr für eine einwandfreie Tierhaltung vorhanden ist. Die Kosten dieser Unterbringung sind dem Schuldigen aufzuerlegen.

§ 12
Ist in einem Strafverfahren zweifelhaft, ob die Tat unter ein Verbot des § 2 Nr. 1 oder 2 fällt, so sollen hierüber in einem möglichst frühen Abschnitt des Verfahrens der beamtete Tierarzt und, soweit es sich um landwirtschaftliche Betriebe handelt, der Reichsnährstand gehört werden.

Abschnitt V

Schlußbestimmungen

§ 13
Unter Betäubung im Sinne dieses Gesetzes sind alle Verfahren zu verstehen, die allgemein schmerzlos machen oder örtlich die Schmerzempfindung ausschalten.

§ 14
Der Reichsminister des Innern kann zur Durchführung und Ergänzung dieses Gesetzes Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen. Soweit er von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch macht, können die Landesregierungen die erforderlichen Durchführungsvorschriften erlassen.

§ 15
Dieses Gesetz tritt am 1. Februar 1934 in Kraft mit Ausnahme des § 2 Nr. 8 und 11 und des § 3, für die der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft den Zeitpunkt des Inkrafttretens festsetzt.

Die §§ 145b und 360 Nr. 13 des Strafgesetzbuches treten am 1. Februar 1934 außer Kraft.

Die Bestimmungen des Vogelschutzgesetzes vom 30. Mai 1908 (Reichsgesetzbl. S. 314) bleiben unberührt.

Berlin, den 24. November 1933.

Quelle: Reichsgesetzblatt 1933, Nr. 132, Berlin, 25. November 1933, S. 987–89. Online verfügbar unter: https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1933&page=1112&size=45