Kurzbeschreibung

Südamerika und insbesondere Argentinien wurden nach dem Krieg zu einem Zufluchtsort für Nazis, die aus Europa flohen; einige historische Dokumente legen nahe, dass 9.000 Nazis nach Südamerika flohen, von denen sich bis zu 5.000 in Argentinien niederließen, das in diesem Artikel als „Dorado“ für Nazis und von dem Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden Simon Wiesenthal als „Kap der letzten Hoffnung der Nazis“ bezeichnet wurde. Nazis flohen mithilfe hochrangiger Mitglieder der katholischen Kirche über so genannte „Rattenlinien“ nach Südamerika; Juan Perón, der Präsident Argentiniens, ordnete 1946 die Einrichtung einer Rattenlinie für prominente Nazis an und ermutigte sie, sich in Argentinien niederzulassen. Perón sympathisierte mit NS-Deutschland und den Nazis und warb auch aktiv Nazis mit wissenschaftlichem und technologischem Wissen an, von dem er glaubte, dass es für Argentinien nützlich sein könnte. Westdeutschland wusste bereits 1952, dass sich Eichmann in Argentinien versteckt hielt, hatte aber wenig Interesse daran, ihn aufzuspüren und vor Gericht zu stellen – die Regierung beschäftigte in vielen Regierungsämtern ehemalige Nazis und befürchtete, dass Eichmann im Falle einer strafrechtlichen Verfolgung das Ausmaß des Scheiterns der Entnazifizierung in Westdeutschland offenbaren würde; Ostdeutschland war sich dieser Bedenken bewusst und nutzte sie für seine Propaganda, wie dieser Artikel aus der ostdeutschen Zeitung Neue Zeit demonstriert.

Argentinien, ein „Dorado“ für NS-Verbrecher (11. Juni 1960)

Quelle

Furcht des bösen Gewissens

Mit auffallendem Eifer hat sich die argentinische Regierung des Falles Eichmann angenommen und von Israel ultimativ die Rückführung des bisher unter falschem Namen in Buenos Aires lebenden millionenfachen Judenmörders gefordert. Nun dürfte Argentinien, dessen Beziehungen zu Israel ganz normal waren, weniger an dem kleinen Firmenvertreter Eichmann gelegen sein als gewissen anderen Kreisen, die sowohl in Buenos Aires wie in Bonn ihre politische Heimat haben. Diese Leute können sich an den fünf Fingern abzählen, wer von Eichmann alles belastet werden würde, stände er vor einem Israelischen Gericht.

Was Argentinien angeht, so haben hier nach dem Kriege ein Dorado alle jene gefunden, die bei Hitler Rang und Namen hatten und sich den Kriegsverbrecherprozessen entziehen konnten. Die Verflechtung der argentinischen Industrie mit den westdeutschen Monopolfirmen gab den Nazis alle Möglichkeiten, ihre Haut zu retten und ihre schmutzige Ideologie in die Welt zu streuen. Bonn sorgte seinerseits für Unterstützung: Botschafter Junker, derzeitiger Pressechef der NSDAP für China war gerade der rechte Mann, den entflohene Nazis Trost und Beistand zu leisten. Und glaubte die Bonner Botschaft einen Kriegsverbrecher „nicht mehr in Gefahr“ so ermöglichte sie ihm die Rückkehr nach Westdeutschland.

Es dürfte daher nicht zufällig sein, dass Eichmann, der bis 1950 unbehelligt in Westdeutschland leben konnte, als Vertreter bei der Mercedes-Benz-Nierderlassung in Buenos Aires untertauchen konnte. Eichmanns Hintermänner fürchten jetzt nicht so sehr um ihren Schützling, sondern vielmehr um die Aufdeckung des weit verbreiteten Naziuntergrundnetzes in Argentinien und Enthüllungen über all jene Nazis, die in Bonn zu neuem Einfluss gelangten. Um auf Israel einen doppelten Druck auszuüben, muss Argentinien dazu herhalten, die Rückführung Eichmanns zu fordern, während Bonn sich direkt bemüht, die Auslieferung des Judenmörders zu erwirken. Ziemlich einstimmig erhebt daher auch die westdeutsche Presse am Freitag ihr Geschrei, Eichmann vor ein westdeutsches Gericht zu stellen – was Straffreiheit bedeuten würde.

Eine dritte Variante ist schließlich die Möglichkeit, Eichmann eines „plötzlichen und natürlichen Todes“ sterben zu lassen. Bonn hat dazu ein ganzes Heer von Agenten aufgeboten. Wie immer die Affäre Eichmann ausgeht, mit dem millionenfachen Mörder steht das ganze Bonner System unter Anklage, ein System, das den verbrechenbeladenen Nazis zu hohen Ämtern in Staat, Militär, Justiz, Polizei und Wirtschaft verhalf.

Quelle: „Furcht des bösen Gewissens“, Neue Zeit, Nr. 135, Sonnabend, 11. Juni 1960, S. 2.