Quelle
Furcht des bösen Gewissens
Mit auffallendem Eifer hat sich die argentinische Regierung des Falles Eichmann angenommen und von Israel ultimativ die Rückführung des bisher unter falschem Namen in Buenos Aires lebenden millionenfachen Judenmörders gefordert. Nun dürfte Argentinien, dessen Beziehungen zu Israel ganz normal waren, weniger an dem kleinen Firmenvertreter Eichmann gelegen sein als gewissen anderen Kreisen, die sowohl in Buenos Aires wie in Bonn ihre politische Heimat haben. Diese Leute können sich an den fünf Fingern abzählen, wer von Eichmann alles belastet werden würde, stände er vor einem Israelischen Gericht.
Was Argentinien angeht, so haben hier nach dem Kriege ein Dorado alle jene gefunden, die bei Hitler Rang und Namen hatten und sich den Kriegsverbrecherprozessen entziehen konnten. Die Verflechtung der argentinischen Industrie mit den westdeutschen Monopolfirmen gab den Nazis alle Möglichkeiten, ihre Haut zu retten und ihre schmutzige Ideologie in die Welt zu streuen. Bonn sorgte seinerseits für Unterstützung: Botschafter Junker, derzeitiger Pressechef der NSDAP für China war gerade der rechte Mann, den entflohene Nazis Trost und Beistand zu leisten. Und glaubte die Bonner Botschaft einen Kriegsverbrecher „nicht mehr in Gefahr“ so ermöglichte sie ihm die Rückkehr nach Westdeutschland.
Es dürfte daher nicht zufällig sein, dass Eichmann, der bis 1950 unbehelligt in Westdeutschland leben konnte, als Vertreter bei der Mercedes-Benz-Nierderlassung in Buenos Aires untertauchen konnte. Eichmanns Hintermänner fürchten jetzt nicht so sehr um ihren Schützling, sondern vielmehr um die Aufdeckung des weit verbreiteten Naziuntergrundnetzes in Argentinien und Enthüllungen über all jene Nazis, die in Bonn zu neuem Einfluss gelangten. Um auf Israel einen doppelten Druck auszuüben, muss Argentinien dazu herhalten, die Rückführung Eichmanns zu fordern, während Bonn sich direkt bemüht, die Auslieferung des Judenmörders zu erwirken. Ziemlich einstimmig erhebt daher auch die westdeutsche Presse am Freitag ihr Geschrei, Eichmann vor ein westdeutsches Gericht zu stellen – was Straffreiheit bedeuten würde.
Eine dritte Variante ist schließlich die Möglichkeit, Eichmann eines „plötzlichen und natürlichen Todes“ sterben zu lassen. Bonn hat dazu ein ganzes Heer von Agenten aufgeboten. Wie immer die Affäre Eichmann ausgeht, mit dem millionenfachen Mörder steht das ganze Bonner System unter Anklage, ein System, das den verbrechenbeladenen Nazis zu hohen Ämtern in Staat, Militär, Justiz, Polizei und Wirtschaft verhalf.
Quelle: „Furcht des bösen Gewissens“, Neue Zeit, Nr. 135, Sonnabend, 11. Juni 1960, S. 2.