Quelle
Die Abteilung Organisation des Zentralsekretariats der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Bemerkungen zum Umsiedlerproblem
Berlin, 24. Februar 1949
Die Berichte der Kommission über die Lage der Umsiedler geben ein Bild dieses Problems für die gesamte Ostzone. Es ist klar, daß aufgrund der ideologischen und organisatorischen Schwäche eines Teils unserer Parteieinheiten die Umsiedler noch nicht überall gleichberechtigt in der neuen Heimat aufgenommen werden.
Große Teile der Mitglieder und der Funktionäre unserer Partei haben in der Frage der Ostgrenze eine schwankende Haltung eingenommen. Dies war mit der Ursache, daß die Umsiedler dem Kampf um ihre Gleichberechtigung ausgewichen sind. Diese Bevölkerungsgruppe beteiligte sich ungenügend an der Kommunalpolitik auch in unserer Partei, sodaß bei den Gemeindewahlen 1946 zum großen Teil Alteinwohner, oft sogar in großer Zahl, Gewerbetreibende, Hausbesitzer, Großbauern usw. in die Gemeindeverwaltung gewählt wurden. Diese Alteinwohner aus den Mittelschichten verhindern meistens aus „privatem Interesse“ die Durchführung des Wohnraumgesetzes Nr. 18 (Alliierter Kontrollrat). Ohne besondere Schwierigkeiten gelingt es ihnen seit 3 Jahren, das Wohnraumgesetz zu sabotieren, da auch ein Teil unserer Parteifunktionäre zu große Räume bewohnen. Alle diese Kommunalangestellten und Gemeindevertreter (auch unsere Genossen) müßten nun bei einer gerechten Wohnraumverteilung bei sich selbst anfangen Wohnraum einzusparen. Gehen unsere Genossen nicht mit gutem Beispiel voran, kann es von Indifferenten nicht gefordert werden.
Der Arbeitseinsatz von Fachkräften unter den Umsiedlern kann erst nach Lösung des Wohnungsproblems gesteuert werden. Die Lenkung dieser Fachkräfte ist im Interesse des Zweijahrplanes dringend erforderlich. Es gibt qualifizierte Hütten-, Walz-, Metallarbeiter und Techniker, die in Dörfern oder Landstädten weniger wichtige Arbeit verrichten, während es in der Industrie an Kräften mangelt.
Wir schlagen vor:
1. Verstärkte Aufklärung über unsere Stellung zur Oder-Neisse-Linie als Friedensgrenze.
2. Durchführung des Wohnraumgesetzes Nr. 18
a) durch neue Anweisung an alle Gemeinde- und Wohnungsämter
b) durch Beschlußfassung über konkrete Maßnahmen unserer Parteieinheiten.
3. Solidaritätstage für Befehl 209 (Bau von Neubauernhäusern) und bei verstärktem Wohnungsausbau in allen Städten der Zone. Es beteiligen sich alle Parteien, Massenorganisationen und die Verwaltungen.
4. Bau von Arbeitersiedlungen durch alle volkseigenen Betriebe
a) durch Baubetriebe,
b) durch Aktivisteneinsatz.
5. Neubau von Wohnhäusern durch Initiative der Kommunalen Verwaltung.
Es ist nicht nur Aufgabe des Wohnungsamtes, freien Wohnraum zu verteilen, sondern auch den Wohnungsbau zu fördern.
6. Lenkung aller Fachkräfte und sonstigen Arbeitskräfte durch das Arbeitsamt in Zusammenarbeit mit dem Wohnungsamt.
7. Keine Diskussionen mehr über das „Umsiedlerproblem“, sondern nur noch Diskussion über unsere Arbeit und Sozialpolitik.
Der Begriff „Umsiedler“ muß schnellstens verschwinden. Alle Genossen sind darauf aufmerksam zu machen, daß nur noch vom sozialen Gesichtspunkt aus gehandelt und gesprochen werden sollte.
Unter dem Begriff Umsiedler oder Flüchtlinge verbergen sich oft Klassenfeinde, die unter dieser Tarnung alte Machtpositionen zu gewinnen versuchen.
gez. Schäfer
Quelle: SAPMO-Barch, DY 30/IV, 2/5/243; abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 2/2: 1945–1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr. 250, S. 566–67.