Kurzbeschreibung

In der sowjetischen Besatzungszone ist es die offizielle Politik der SED, die Umsiedler schnell in die ostdeutsche Gesellschaft zu integrieren. Dazu werden ihnen nach offizieller Lesart von staatlicher Seite alle nötigen Hilfen gewährt. Dieser sudetendeutsche Flüchtling hält die offiziellen Maßnahmen aber für unzureichend und hinsichtlich der Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen für zu wenig differenziert.

Ein sudetendeutscher Flüchtling an die Landesregierung Sachsen, Abt. Umsiedler (8. Januar 1949)

Quelle

Gestatten Sie mir folgende Zeilen:

Als sudetendeutscher Flüchtling erhielt ich anlässlich Weihnachten von vielen Bekannten Briefe, so auch aus Bayern und Hessen. Da steht nun, dass sich dort Vertriebene - nicht Umsiedler - zusammengeschlossen haben, um ihren Schaden zu reklamieren.

Ich wollte nun einmal anfragen, ob dies in der sowj. Zone auch der Fall ist. Mit nur 30 kg Gepäck aus der Heimat ausgewiesen und nach wochenlangem ruhelosen Umhergetriebenwerden endlich hier gelandet, war es uns trotz größten Anstrengungen nicht möglich, wieder Grund zu fassen. Das uns gebliebene wenige Ersparte wurde uns genau so entwertet, wie allen, die noch ihre ganze Habe ihr Eigen nennen, so daß wir ein zweites Mal als nackte Bettler dastehen.

Die Aktion „Neue Heimat - Neues Leben“ war eine große Pleite oder nur Propaganda. Wir brauchen keine Seidenhandschuhe, Hosenträger und so weiter, sondern Betten, Schuhe, Mäntel, Kleider, Wäsche und Geschirr. Bekam jemand etwas derartiges, so sass der bestimmt mit in den Ämtern.

Wer kümmert sich um ältere Leute, die dem Jahrgang nach nicht mehr arbeitspflichtig sind, also schwer eine gut entlohnte Beschäftigung finden, gesundheitlich aber nicht derart hin sind, um fürsorgeunterstützt zu werden. Oder alten ehem. Geschäftsleuten, die in keiner Sozialversicherung versichert waren. Keiner dieser heimat-, erwerbs- und geldlos gewordenen alten Menschen findet irgendwo Hilfe und Unterstützung. Wo bleibt hier die Solidarität des Volkes?

Man sagt, wir sollten mit den Tschechen zusammenarbeiten. Ganz abgesehen davon, dass uns diese gar keine Gelegenheit gaben, müsste jeder aufrechte unparteiliche Deutsche begreifen, dass wir mit Leuten, die uns um unser in schwerer Arbeit erworbenes Hab und Gut brachten, uns körperlich und seelisch mit Füßen traten, nicht ohne Groll nebeneinander weiterleben können. Es wird so viel über Verbrechen an der Menschlichkeit geschrieben und gesprochen. Nach dem, was wir schuldlos, besonders die Kinder, Frauen und Greise, von dem tschechischen Volke erleiden mussten, gehörte dies genau so vor ein internationales Gericht. Dass das von den Tsch[echen]so laut beschrieene Dulden und Schäden durch den Krieg nicht im wahren Maße stimmt, kann der beurteilen, der das Land und die Menschen sah. Die geringfügigen Zerstörungen und Einbußen an Menschen haben sich die Tschechen durch ihre eigene Übereiltheit zuzuschreiben, sie konnten das Ende nicht um wenige Tage abwarten.

Es wäre also nicht nur die Bitte aller Sudetendeutschen, sondern ich spreche für alle Ostvertriebenen, uns wenigstens zu einem tragbaren Teile eines Lastenausgleiches zu verhelfen.

Mit größtem Interesse erwarten wir sogenannten Umsiedler nun alle Ihre Stellungnahme im Rundfunk oder Tagespresse und hoffen, dass uns auf unsere Bitte Erwiderung gegeben wird.

Ein Unglücklicher von vielen Hunderttausenden.

Quelle: Sächs HStA, LRS, MdI 303; abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 2/2, 1945–1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr. 245b, S. 558–59.