Kurzbeschreibung

Eine Woche nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik schließen in Warschau die Staaten Osteuropas mit der Sowjetunion ebenfalls ein Bündnis, den „Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“, im Westen kurz Warschauer Pakt genannt. Anders als bei der NATO, in der die Mitglieder sich als gleichberechtigte Partner verstanden, war das Kommando des Warschauer Pakts unter Kontrolle der Sowjetunion. Es sorgte auch dafür, dass die einzelnen Staaten kommunistisch und moskautreu blieben. Der DDR-Rundfunk hebt bei der Vertragsunterzeichnung vor allem hervor, dass der Warschauer Vertrag einen Beitrag zum Frieden in Europa leiste und die beiden deutschen Staaten der Wiedervereinigung einen Schritt näherbrächte. Am 15. Mai 1955 kehrt die DDR-Delegation aus Warschau zurück, dabei auch Ministerpräsident Otto Grotewohl. Er hat das Dokument für die DDR unterzeichnet und hält beim Empfang am Berliner Ostbahnhof eine Ansprache. Bei der folgenden Aufnahme handelt es sich um einen sogenannten Monitor-Mitschnitt, das heißt der in West-Berlin angesiedelte Sender RIAS hat die Sendung im DDR-Rundfunk aufgenommen und archiviert. In dem hier präsentierten Ausschnitt der Sendung ist der erste Teil der Rede Grotewohls über die Bedeutung des Warschauer Paktes zu hören.

Bericht im DDR-Rundfunk über die Gründung des Warschauer Paktes (15. Mai 1955)

Quelle

/Sprecherin:  Verehrte Hörerinnen und Hörer, heute Vormittag haben Zehntausende der Berliner Bevölkerung die Delegation der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, die an der Warschauer Konferenz europäischer Länder zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa teilnahm, bei ihrer Ankunft auf dem Ostbahnhof lebhaft begrüßt. Sie hören einen Bericht von dem herzlichen Empfang, den die Bevölkerung der Hauptstadt Deutschlands der Regierungsdelegation bereitet hat.

/Reporterin: Wir erwarten unsere Regierungsdelegation zurück. Noch ist alles auf dem mit vielen Blumen und Transparenten geschmückten Bahnsteig in spannender Erwartung, liebe Hörer. Ein Musikchor und eine Ehrenkompanie der deutschen Volkspolizei sind zur Begrüßung angetreten. Zum Empfang der Regierungsdelegation haben sich eingefunden: der amtierende Präsident der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, Hermann Matern, der amtierende Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik, Heinrich Rau, Frau Dr. Hilde Benjamin, Minister der Justiz, und weitere Vertreter der Regierung. Ferner kann ich erkennen Vertreter des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Vertreter des diplomatischen Korps, Vertreter der Parteien und Massenorganisationen. Und nun, meine lieben Hörer, ist es so weit: Der Sonderzug Warschau-Berlin läuft in die Bahnhofshalle ein.

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Die Delegation hat auf der Ehrentribüne Platz genommen und wird hier von vielen Tausenden Berlinern herzlich begrüßt. Otto Grotewohl hat einen wunderbaren Tulpenstrauß im Arm, und er winkt herzlich hinüber zu den vielen, vielen Berlinern, die mit Fahnen und Transparenten hierher zum Ostbahnhof gekommen sind. 

/[Rufe aus der Menge]: Hurra, Hurra!

/Reporterin: Und nun wird der Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik, Otto Grotewohl, zu den Berlinern sprechen.

/Grotewohl: Liebe Freunde, liebe Genossen, die Delegation der Deutschen Demokratischen Republik zur Warschauer Konferenz dankt herzlich für den Empfang, den Sie uns hier in Berlin, in der Hauptstadt Deutschlands bereitet haben. Als wir abgereist sind, haben wir die Versicherung abgegeben, dass die Delegation die Interessen der Deutschen Demokratischen Republik und die nationalen Interessen des ganzen deutschen Volkes im Vertragswerk von Warschau wahren und vertreten wird.

Ich kann Ihnen heute mitteilen, dass die Delegation diese Versicherung erfüllt hat. Wir haben auf der Konferenz für die nationalen Interessen des ganzen deutschen Volkes gesprochen und erklärt, die Delegation der Deutschen Demokratischen Republik hält es für ihre Pflicht, bei der Unterzeichnung des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigem Beistand und der Schaffung eines Vereinten Kommandos folgende Erklärung abzugeben:

Im Hinblick auf das Ziel des Vertrages, den Frieden und die Sicherheit in Europa zu gewährleisten, sieht die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in dem Vertrag eine große Unterstützung des deutschen Volkes in seinem Streben nach friedlicher und demokratischer Wiedervereinigung Deutschlands. Die Deutsche Demokratische Republik sieht nach wie vor die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage als ihre und des ganzen deutschen Volkes Hauptaufgabe an und wird alles tun, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu beschleunigen.

Bei der Unterzeichnung des vorliegenden Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand geht die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik davon aus, dass das wiedervereinigte Deutschland von den Verpflichtungen frei sein wird, die ein Teil Deutschlands in militärpolitischen Verträgen und Abkommen, die vor der Wiedervereinigung abgeschlossen wurden, eingegangen ist.

Während Adenauer nach dem Abschluss der Pariser Verträge die Souveränität Westdeutschlands auf 50 Jahre an die imperialistischen Westmächte verkauft und die Entscheidung über die Wiedervereinigung Deutschlands in die Hände fremder Interventen gelegt hat, bedeutet der Warschauer Vertrag mit Einschluss unserer Erklärung einen weiteren Schritt auf dem Wege zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands. Er stärkt und ermuntert die patriotischen Kräfte in Westdeutschland in ihrem Kampf um die Lösung der deutschen Frage auf friedlichem und demokratischem Wege erfolgreich weiterzuschreiten. Im Gegensatz zu den Pariser Verträgen, die Westdeutschland den Weg zur friedlichen und demokratischen Wiedervereinigung erschweren, gibt der Warschauer Vertrag der Deutschen Demokratischen Republik die volle Freiheit, ungehindert über die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands zu verhandeln und alle dazu weiteren notwendigen Maßnahmen zu treffen.

/[Applaus]

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