Kurzbeschreibung

Im August 1947 wurde Indien in zwei Staaten geteilt: Indien und Pakistan. Die Teilung entstand aus der Furcht der Muslime vor einer Hindu-Herrschaft in einem neuen indischen Staat und aus der Forderung der Muslimliga, dass die Muslime in Indien einen eigenen Staat brauchten. Die Teilung löste ein massives Aufflammen sektiererischer Gewalt sowie eine gewaltige Bevölkerungsbewegung aus: Zwischen 14 und 16 Millionen Menschen wurden vertrieben, und zwischen 200.000 und 2 Millionen Menschen starben infolge der Teilung. Das enorme Ausmaß der Migration sowie die entsetzliche Gewalt, die infolge der Teilung auftrat, überraschte viele; dieser Artikel des westdeutschen Magazins Der Spiegel beschreibt die Unruhen und das Blutvergießen als Indiens „Weg durch die Hölle“. Nur wenige Menschen verstanden wirklich, wie die Teilung umgesetzt werden würde, und sahen mit Entsetzen zu, wie Hunderttausende von Menschen getötet (oft durch die Hand anderer Mitglieder ihrer Gemeinschaft) oder vertrieben wurden. Die schmerzhaften Folgen der Teilung beeinträchtigen die Beziehungen zwischen Pakistan und Indien bis heute, und die Feindseligkeit und das Misstrauen zwischen den beiden Ländern sitzen tief.

Bericht über die Teilung Indiens (4. Oktober 1947)

Quelle

Notruf der großen Seele: Indiens Weg durch die Hölle

Mahatma Gandhis Geburtstag war kein Festtag. An seinem 78. Geburtstag, dem 2. Oktober, gingen die Wellen der Unruhe in Indien noch zu hoch. Zwar haben die amtlichen Stellen erklärt, der Höhepunkt der Unruhen und Blutvergießen sei überwunden. Aber Ruhe ist in dem Land, das unter so harten Geburtswehen seine Freiheit erringt, noch nicht eingekehrt.

Die Teilung Indiens hat schwerste religiöse Kämpfe heraufbeschworen, die mit allem Fanatismus durchgeführt wurden. Die Regierungen von Pakistan und Indien glaubten, das blutige Morden durch einen Austausch der Minoritäten zu verhindern. Theoretisch war alles geklärt. Der Austausch von vier Millionen Hindus und Moslems war bestens arrangiert. Aber der religiöse Fanatismus flammte doppelt auf und warf alle Berechnungen über den Haufen.

Hauptschauplatz der Tragödie war der Pandschab, die Nordwest-Provinz. Flüchtlingskolonnen, die aus diesem Vulkan entkommen wollten, wurden von Horden, die oft nach Tausenden zählten, angegriffen. Rasende beider Religionen mordeten ohne Unterschied Männer, Frauen und Kinder.

Auch der Versuch, die Minderheiten auf dem Schienenweg zu evakuieren, scheiterte. Ein mit 4500 Moslemflüchtlingen überfüllter Zug nach Pakistan wurde bei Amritsar von bewaffneten Sikhs überfallen und die Insassen niedergemacht. Als Moslemtruppen die tausende Leichen später aus dem Zug nehmen mußten, revanchierten sie sich. Aus einem Gegenzug wurden 340 Hinduflüchtlinge gemordet, 400 verwundet.

Mahatma Gandhi, der alte Rufer im Streit, mußte diesmal seine Stimme gegen das eigne Volk erheben. Ein Krieg Indiens gegen Pakistan sei unvermeidlich, wenn es nicht gelingen würde, die religiösen Gegensätze zu beseitigen. Seine Worte erregten Aufsehen. Alles, was Gandhi sagt, wird vom indischen Volk als Offenbarung aufgenommen. „Gandhi ist die Wahrheit“. Das ist der oft gehörte Ausspruch.

Auch in der übrigen Welt werden Gandhis Worte auf die Goldwaage gelegt. Aber man hatte schlecht gewogen. Die „Große Seele“ (das ist die Übersetzung des Wortes Mahatma), so hieß es, habe zum Krieg aufgerufen. Der Mahatma hatte nur vermittelnd seine warnende Stimme erhoben.

Die Regierung in Neu-Delhi erhob gleichfalls ihre Stimme. Man ersuchte die britische Regierung, dem neuen Dominion Pakistan zu helfen. Und zwar handele es sich, wie der „Observer“ kommentiert, um mehr als eine militärische Hilfe.

Die Überfälle auf Flüchtlingsgruppen haben aufgehört. Dafür wird der Pandschab jetzt von Überschwemmungen heimgesucht. Weitere Tausende flüchten aus dem so lange ersehnten Paradies der Freiheit, das zur Hölle wurde. Von der Umsiedlungsaktion im Pandschab werden inzwischen, wie von offizieller Seite erklärt wird, mehr als 8 Millionen Menschen betroffen.

Man befürchtet gleichzeitig eine Wirtschaftskrise größten Ausmaßes. Die aus Pakistan in das indische Dominion zurückflutenden Kapitalien werden von Wirtschaftskreisen auf 1 Milliarde Rupien (300 Millionen Dollar) geschätzt.

Quelle: „Notruf der großen Seele: Indiens Weg durch die Hölle“, Der Spiegel, 4. Oktober 1947, S. 10. Online verfügbar unter: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41122103.html

Bericht über die Teilung Indiens (4. Oktober 1947), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/die-besatzungszeit-und-die-entstehung-zweier-staaten-1945-1961/ghdi:document-5225> [24.04.2024].