Kurzbeschreibung

In Ostdeutschland sah die SED in der Jugend sowohl eine Grundlage als auch eine Bedrohung für die Zukunft der DDR, da sie sowohl die Hoffnung auf den Fortbestand des sozialistischen Staates als auch die Angst vor seiner Zerstörung verkörperte. Die Partei versuchte, die Jugendlichen und ihre Freizeit durch die Organisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) zu kontrollieren, indem sie Aktivitäten, Konzerte und Veranstaltungen organisierte, wurde aber oft durch die Popularität von Subkulturen unterminiert, die in der Regel auf aus dem Westen importierten populären Trends beruhten. Die „Unkontrollierbarkeit“ der deutschen Jugend führte zu Frustration und Wut bei vielen älteren Menschen in der DDR, die der Meinung waren, dass die ostdeutsche Jugend nicht ausreichend dankbar für die Opfer war, die sie als Generation gebracht hatten. Doch wie dieser Beitrag aus der DDR-Zeitung Neue Zeit andeutet, beschwor der DEFA-Film Berlin – Ecke Schönhauser die ältere Generation und das Regime, zu versuchen, die Jugend zu verstehen und sie dort abzuholen, wo sie sich befand – anstatt sie als die Zukunft oder den Untergang der sozialistischen Utopie darzustellen, die sie aufzubauen hofften, sollten sie sie als Menschen verstehen und die Ursachen für ihre Aufsässigkeit, ihr Misstrauen und ihre Unverschämtheit angehen.

Berlin – Ecke Schönhauser – ein DEFA-Film von jungen Menschen“ (1957)

Quelle

Die sich auf der Straße treffen . . .

„Berlin – Ecke Schönhauser . . .“ – ein DEFA-Film von jungen Menschen

Ein Film von jungen Menschen, von denen, die die Gedankenlosigkeit immer wieder „Halbstarke“ nennt. Ein Film von denen, die abends an den Ecken stehen und nicht zu wissen scheinen, was sie mit sich selbst anfangen sollen. Ein Film aus unserer Gegenwart! „Berlin Ecke Schönhauser . . .“

An dieser Ecke treffen sie sich, Dieter, Karl-Heinz, Kohle und noch ein paar andere. Und das Mädchen Angela.

Hochbahn, Autos, Straßenbahnen. Es ist Abend, es wird Nacht. Leuchtreklamen, irgendwo hallende Schritte, irgendwo ein Fetzen Musik. Sie stehen und warten. Warten worauf?

Es gibt die Arbeit, und es gibt den Wunsch, ohne Arbeit zu Geld zu kommen. Es gibt heiße Musik bei den Tanzabenden im Pratergarten und Eltern, denen man nur im Wege ist. Es gibt das Mißtrauen, das man der Welt der Erwachsenen und besonders der Polizei gegenüber hat und es gibt das, was man „Abhauen“ nennt: den Weg ins Westberliner Flüchtlingslager. Es gibt auch die Liebe, eine Liebe der unsentimentalen Zärtlichkeit.

Und da sind Irrtümer, Verlockungen und Gefahren. Man kann, ehe man es selbst denkt, zum Verbrecher werden: Karl-Heinz. Man kann sinnlos sterben, weil man einen Trick aus einem Gangsterfilm nachahmen will: Kohle. Man kann viele Fehler begehen, bevor man nach bitteren Erfahrungen den Weg zurück und zu sich selbst findet: Dieter. Dieter, auf den Angela wartet . . .

Wolfgang Kohlhaas, der Autor dieses neuen DEFA-Films, hat es sich nicht leicht gemacht. Er verzichtete von vornherein auf Idealisierungen: Seht welch eine prächtige Jugend wir haben! Er wählte auch nicht den bequemen Weg der Anklage: Pfui über die Undankbaren, für die doch so viel getan wird! Er sucht vielmehr nach den Gründen, warum viele junge Menschen so sind: aufsässig, mißtrauisch, unverschämt.

Da war der Krieg, in dem die Väter fielen. Da sind Eltern, denen ihre Kinder erschreckend gleichgültig sind. Da ist der Westen als die große Lockung der Charakterschwachen. Da gibt es auch verständnislose Funktionäre . . . Wolfgang Kohlhaas tut dabei manchmal fast zu viel des Guten; er packt Probleme in den Film hinein, die seine Handlung unnötig komplizieren. Er bemüht sich überhaupt zu sehr, manches ganz genau zu erklären. Er verbraucht viel Spannung, die zur Handlung nur im losen Zusammenhang steht: Wenn zum Beispiel schon am Anfang bewiesen werden soll, daß Dieter eben doch ein ordentlicher Kerl ist, bedarf es dazu gleich eines Bombenblindgängers, der auf einer Baustelle explodiert: ein dramaturgisch vollkommen unnötiger Lärm. Aber großartig ist, wie er Dialoge baut; sie sind verblüffend echt, schnoddrig und respektlos. Und genauso großartig ist, wie er die Psychologie der jungen Menschen trifft.

Ebenso nüchtern-realistisch wie das Buch ist die Regie Gerhard Kleins. In vielen Passagen gelingt ihm, unterstützt von der Kameraführung Wolf Göthes und der Musik Günter Klücks eine atmosphärisch dichte Milieudarstellung. Mit sparsamsten Mitteln, auf jegliches „bedeutsames" Pathos verzichtend, gibt er manchen Szenen eine beklemmende innere Spannung, gibt er anderen Szenen eine ganz unromantische Verhaltenheit des Gefühls. Nur weniges, das, was auch vom Drehbuch her nicht geglückt ist, gerät ihm konventionell und blaß. Vortrefflich die Darsteller der jungen Menschen: Ekkehard Schall als der in sich verschlossene Dieter, Ilse Pagé, ein neues Gesicht, als die traurig-unzufriedene Angela, Harry Engel als der weichlich-haltlose Karl-Heinz, Ernst Schwill als der dumm-gutmütige und etwas aufgeregte Kohle sie alle haben jene Lässigkeit, die einer der Kennzeichen der jungen Menschen von heute ist und unter der Unsicherheit und Neugier auf das Leben sich verstecken, sie sind gut geführt von ihrem Regisseur in Bewegung, Sprechweise und Gestik überzeugend echte Typen der Großstadtjugend. Von den anderen Schauspielern verdient vor allem Raimund Schelcher Erwähnung, sein VP-Kommissar ist angenehm wenig schneidig, sondern sehr ruhig-väterlich.

„Berlin Ecke Schönhauser ...“ Dieser Film ist ein Plädoyer für eine Jugend, die manchmal so ganz anders ist, als die Erwachsenen von ihr erwarten und wünschen, die manchmal auch wirklich unerfreulich ist und mit wenigen Ausnahmen – doch viel besser als ihr Ruf. Man muß sie nur zu verstehen versuchen.

Quelle: H.U., „Die sich auf der Straße treffen . . . ‚Berlin – Ecke Schönhauser . . .‘ – ein DEFA-Film von jungen Menschen“, Neue Zeit, Nr. 204, 3. September 1957, S. 4.