Kurzbeschreibung

Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in der Verfassung der DDR festgeschrieben, und ihre Durchsetzung feiert die SED als große gesellschaftspolitische Errungenschaft. In ihrem Vortrag räumt die DDR-Justizministerin Hilde Benjamin 1958 allerdings ein, daß das Ideal der Gleichberechtigung noch nicht überall im Bewußtsein verankert ist. In einer Reihe wichtiger Rechtsbereiche, so im Familienrecht, im Ehegüterrecht und im Scheidungsrecht, sind die Bestimmungen des alten Bürgerlichen Gesetzbuches aber bereits dem Grundsatz der Gleichberechtigung so angepaßt worden, daß die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern beseitigt und die Vormundschaft für Kinder nicht automatisch dem Vater zugesprochen wird. Das von Hilde Benjamin angekündigte Familiengesetzbuch der DDR wird erst Ende 1965 verabschiedet.

DDR-Justizministerin Hilde Benjamin: „Wer bestimmt in der Familie?“ (1. Februar 1958)

  • Hilde Benjamin

Quelle

Die Gleichberechtigung der Frau in der Familie ist deshalb besonders schwierig zu verwirklichen, weil hier die hartnäckigsten Rückstände im Bewusstsein zu überwinden sind. Männer, die ein durchaus fortschrittliches Verhältnis zu ihrer Arbeit haben, die am sozialistischen Wettbewerb teilnehmen und gute Mitglieder sozialistischer Arbeitskollektive sind, führen sich in ihren vier Wänden häufig noch als die Haustyrannen auf, zu denen die Ausbeutergesellschaft den Mann entwickelt hat. Oft sind es die Männer, die eine Berufsarbeit ihrer Frau verhindern, die darauf bestehen, dass die Frau ins Haus gehört, die keine Unbequemlichkeit in Kauf nehmen wollen, die mit der Berufsarbeit der Frau verbunden wäre. Um eine wirklich echte Gleichberechtigung zu entwickeln, bedarf es noch einer großen Erziehungsarbeit durch die Gesellschaft, um auch hier dem sozialistischen Bewusstsein zum Durchbruch zu verhelfen.

Wir dürfen aber nicht verkennen, dass sich solche Hindernisse für die Durchsetzung der Gleichberechtigung auch aus der Haltung nicht weniger Frauen ergeben, die noch nicht verstanden haben, dass nur ihre Einbeziehung in die Produktion eine reale Gleichberechtigung gewährleisten kann. Noch immer sehen viele allein in der Hausarbeit ihr Ideal, und allzu oft kommt es noch vor, dass Frauen mit der Eheschließung eine vorher ausgeübte Berufstätigkeit aufgeben. Dass aber auch hier die Entwicklung im Sinne der Zunahme der Berufsarbeit der verheirateten Frauen voranschreitet, beweisen einige Zahlen: Im Jahre 1950 waren 14 Prozent der Frauen, die mit Mann und Kindern einen Haushalt führen, berufstätig; im Jahre 1956 waren es 18,3 Prozent.

Die Aufgabe, hier weitere Fortschritte in der Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins zu erzielen, haben neben der allgemeinen gesellschaftlichen Erziehung vor allem auch unsere Gesetze. Wir haben noch kein neues Familiengesetz. Das Bürgerliche Gesetzbuch aus dem Jahre 1900 ist in seiner Gesamtheit noch nicht aufgehoben. Die gesetzliche Grundlage der Gleichberechtigung der Frauen in der Familie geben der Artikel 30 unserer Verfassung und das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau. Dazu kommt die Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung von November 1955.

Die aus diesen Gesetzen folgenden Grundsätze haben die noch geltenden familienrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches abgelöst. Unter der entscheidenden Einwirkung der Rechtsprechung unserer Gerichte, an der insbesondere auch die Richterinnen und Schöffinnen beträchtlichen Anteil haben, ergaben sich daraus eine Reihe von Grundsätzen für die rechtliche Stellung der Frau in der Familie, die schon heute sicherstellen, dass im Familienrecht der DDR die Gleichberechtigung der Frau voll gewahrt ist. Wir arbeiten an einem Familiengesetzbuch, über das bereits vor zwei Jahren breit diskutiert wurde und in dem diese durch unsere Erfahrung bestätigten Grundsätze zusammengefasst werden. Die wichtigsten dieser Grundsätze sind folgende:

Alle Entscheidungen über die Gestaltung des gemeinschaftlichen Lebens in der Familie haben Mann und Frau gemeinsam zu treffen. Dabei gehen wir davon aus, dass die Frau das gleiche Recht auf Ausübung eines Berufes hat wie der Mann; es ist sogar die Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass zu Zwecken der Berufsausbildung die Frau unter Umständen für einige Zeit nicht zusammen mit dem Mann leben kann. Zu den gemeinsam zu entscheidenden Angelegenheiten gehört es auch, die Entscheidung über den Wohnort gemeinsam zu treffen. Es kann also nicht mehr die Rede davon sein, dass die Frau verpflichtet ist, dem Mann an den Wohnort zu folgen, den er gegen ihren Willen verändert hat. Zum Beispiel kann ein Mann, der ohne ernsthaften Grund und gegen den Willen der Frau den Wohnsitz der Familie verlegen will, weder verlangen, dass die Frau ihm folgt, noch womöglich einen Ehescheidungsgrund daraus herleiten, dass sie ihm nicht gefolgt ist. Ebenso gilt der Grundsatz der gemeinschaftlichen Entscheidung auch dann, wenn es sich um die Frage von Anschaffungen oder größeren Ausgaben handelt. []

Auch die Regelung des Familienunterhalts wird nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung getroffen. Hier zeigt es sich, dass den gleichen Rechten der Frau auch gleiche Pflichten entsprechen. Die herrschende Stellung des Mannes kam in der bürgerlichen Gesetzgebung auch darin zum Ausdruck, dass ihm die Hauptverantwortung für den Unterhalt der Familie übertragen war. Wir vertreten die Auffassung, dass diese Verpflichtung gleichmäßig zwischen den Ehegatten zu teilen ist. Natürlich kann die Ehefrau, die keinem Beruf nachgeht, nicht durch Geldleistungen zum Familienunterhalt beitragen; ihr Beitrag besteht hier in der Haushaltsführung und in der Sorge für die Kinder. Ist aber die Frau berufstätig, so steuert auch sie die entsprechenden Geldbeträge bei.

Ein wichtiges Gebiet, in dem sich die Gleichberechtigung in der Ehe besonders ausdrückt, ist das des sogenannten ehelichen Güterrechtes. Hier handelt es sich vor allem darum, zu regeln, wem die Anschaffungen und Ersparnisse gehören, die im Laufe einer Ehe gemacht wurden, wer darüber verfügen kann, und wie es damit im Falle der Scheidung zu halten ist. Hier gehen wir zur Zeit davon aus, dass grundsätzlich alles das, was ein Ehegatte an Besitz und Vermögenswerten in die Ehe gebracht hat, sein Eigentum bleibt und er deshalb auch allein darüber verfügen kann. Auch was jeder Ehegatte aus seinen Mitteln während der Ehe erwirbt, wird sein alleiniges Eigentum. Werden aber Anschaffungen von beiden Ehegatten gemeinsam gemacht und trägt jeder von seinem Verdienst dazu bei, so werden diese Sachen auch gemeinsames Eigentum.

Diese Lösung scheint zunächst einfach und überzeugend. Ihre Schwierigkeiten liegen jedoch darin, dass während der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, in der wir stehen, die Familien keineswegs ein einheitliches, sondern ein sehr verschiedenartiges Bild zeigen. Ich sagte, dass in 18,3 Prozent aller Familien die Frau berufstätig ist. Wie sieht es in den übrigen 81,7 Prozent aller Familien aus?

Es gibt Ehen, wo der Mann oder auch die Frau es besser finden, wenn die Frau „zu Hause“ bleibt und nicht berufstätig ist. - Es gibt Familien mit Kindern, in denen die Frau einen Beruf erlernt hat und bis zu ihrer Ehe berufstätig war, aber aus objektiven Gründen nicht in der Lage ist, neben der Versorgung ihrer Familie auch noch beruflich zu arbeiten. - Es gibt vor allem auch „alte“ Ehen wo die Frau entweder überhaupt keinen Beruf erlernt hat oder aber ihren Beruf seit ihrer Heirat jahrzehntelang nicht mehr ausgeübt hat.

In allen diesen Fällen hat der Mann allein eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, hat er allein aus seinen Mitteln Anschaffungen vorgenommen und gegebenenfalls Ersparnisse machen können. Wie ist hier die Stellung der Frau?

Würde man auch hier dabei bleiben, dass jedem das gehört, was mit seinen Mitteln angeschafft ist, so wäre im Falle der Scheidung alles vorhandene Vermögen Eigentum des Mannes; die Frau würde leer ausgehen. Um hier Ungerechtigkeiten zu vermeiden, hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichts auf der Grundlage des verfassungsmäßigen Gleichberechtigungsgrundsatzes den sogenannten Ausgleichsanspruch entwickelt. Danach hat die Frau einen Anspruch auf einen Teil des während der Ehe vom Mann erworbenen Vermögens, dessen Höhe vom Gericht zu bestimmen ist und bis zur Hälfte dieses Vermögens gehen kann.

Wenn auch die rechtliche Regelung der Ehescheidung nicht unmittelbar eine Frage der Gleichberechtigung ist, so gibt es auch da wichtige Zusammenhänge. Denn solange die Frau nicht wirtschaftlich unabhängig ist, wird sie bei einer Scheidung in der Regel wirtschaftlich und besonders die ältere Frau, auch menschlich wesentlich schwerer getroffen als der Mann.

Wir gehen davon aus, dass der sozialistische Staat in der Ehe die unterste und wichtigste Einheit in der Gesellschaft sieht und schätzt; Inhalt des sich entwickelnden sozialistischen Bewusstseins ist auch eine neue Ehemoral, die leichtfertig Ehescheidungen ablehnt. Wir können feststellen, dass die Statistik über die Ehescheidungen in der DDR beweist, dass sich die Ehe zunehmend festigt. Seit dem Jahr 1950 geht die Zahl der Ehescheidungen ständig zurück. Gerade weil die sozialistische Gesellschaft Ehen braucht, die den Ehegatten selbst, die vor allem aber auch den Kindern eine fortschrittliche Entwicklung verbürgen, lässt er die Scheidung einer Ehe nur unter einer einzigen Bedingung zu: nur dann nämlich, wenn die Ehe so tiefgehend und unheilbar zerrüttet ist, dass sie jeden Sinn verloren hat und es aussichtslos ist, dass sie jemals wieder die Aufgabe einer richtigen Ehe wird erfüllen können. Ist das der Fall, dann ist der Staat nicht mehr an der Aufrechterhaltung der Ehe interessiert; dann soll diese Auflösung aber auch wirklich eine „reinliche Scheidung“ sein.

Eine solche „reinliche“ Scheidung aber ist nur dann möglich, wenn die Frau nach der Scheidung nicht materiell vom Mann abhängig bleibt, sondern sich ihren Unterhalt selbst verdienen kann. Wir dürfen auch nicht daran vorbeigehen, dass eine Belastung des Mannes, im besonderen wenn er eine neue Familie gegründet hat, mit Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau sein Interesse an der Arbeit und damit seine aktive Teilnahme am Aufbau des Sozialismus beeinträchtigen kann, so dass wir auch von dieser Seite her die Frage genau prüfen müssen, wann und unter welchen Voraussetzungen eine geschiedene Frau einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Mann haben soll.

Wir haben deshalb als rechtlichen Grundsatz aufgestellt: Mit der Scheidung einer Ehe sind auch alle materiellen Beziehungen zwischen den Ehegatten gelöst. Damit eine Frau, die bisher oder während ihrer Ehe nicht berufstätig gewesen ist, sich ihre wirtschaftliche Selbständigkeit verschaffen kann, zum Beispiel noch eine Berufsausbildung erwerben, kann für die Dauer von 2 Jahren eine Unterhaltspflicht des Mannes festgelegt werden.

Wir dürfen jedoch nicht daran vorbeigehen, dass mit dieser Grundregel nicht alle Fragen, die unter unseren heutigen Bedingungen die Scheidung einer Ehe in bezug auf den Unterhalt einer geschiedenen Frau aufwirft, gelöst sind. Wir müssen die Widersprüche sehen, die auch hier noch vorhanden sind und müssen versuchen, sie durch eine elastische gesetzliche Regelung zu lösen. Soll die Frau, die bisher keinen Beruf ausgeübt hat und die auch keinen Beruf mehr erlernen oder keinen Beruf mehr ausüben kann, einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Mann haben ist sehr verwandt mit der Frage, inwieweit eine solche Frau an dem Erwerb des Mannes beteiligt sein soll. Wir haben deshalb von dieser Grundregel eine Ausnahme zugelassen: Wo die Frau wegen ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes oder weil sie kleine Kinder zu versorgen hat, nicht wirtschaftlich selbständig werden kann, ist der Mann verpflichtet, auch über zwei Jahre hinaus Unterhalt zu gewähren.

Ich möchte hier noch auf ein Problem eingehen, das die Frauen bei uns sehr beschäftigt hat. Ich meine die Erscheinung, dass in einer Reihe von Fällen Männer nach jahrzehntelanger Ehe unter fadenscheinigen Vorwänden Scheidung von ihrer gealterten Frau verlangen. Man behauptet besonders gern, die Frau sei ideologisch nicht mitgewachsen, sie hemme durch ihre Zurückgebliebenheit die Entwicklung des Mannes. Diese Missachtung der Frau, die jahrzehntelang ihrem Mann zur Seite gestanden hat, die sich in der langjährigen Sorge um Haushalt und Erziehung der Kinder verbraucht hat, die nicht mehr in der Lage ist, ihre ihr heute gegebene Gleichberechtigung zu nutzen und ein selbständiger Mensch zu werden, bedeutet eine schwere Verletzung des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Frau. Das Oberste Gericht hat in einer Richtlinie ausgesprochen, dass die Voraussetzungen dafür, ob eine solche langjährige Ehe zu scheiden ist, besonders streng zu prüfen sind, und dass in der Regel davon auszugehen ist, dass solche alten Ehen nur bei außerordentlich schwerwiegenden Gründen geschieden werden können.

Wenn sich die Gleichberechtigung der Frau in der Familie darin zeigt, dass sie in allen Familienangelegenheiten mit gleichem Gewicht wie der Mann mitzubestimmen hat, so gilt das vor allem auch bei den für eine Frau ja besonders wichtigen Fragen, wie die Kinder zu erziehen und zu versorgen sind. Das war bekanntlich nicht immer so; das Bürgerliche Gesetzbuch gab auch in diesen Fragen dem Manne das letzte Entscheidungsrecht. Die im Bürgerlichen Gesetzbuch erwähnte „elterliche Gewalt“ über minderjährige Kinder war in Wahrheit eine väterliche Gewalt. Wir haben nicht nur aus der elterlichen „Gewalt“ die elterliche Sorge gemacht, sondern vor allem die Beziehungen zu den Kindern, diese „elterliche Sorge“, zu Beziehungen gemacht, in der beide Elternteile wirklich gleiche Rechte haben.

Diese neue Rechtsstellung, die die Frau im Verhältnis zu den Kindern besitzt, zeigt sich weiter sehr deutlich, wenn der Mann stirbt oder wenn die Ehegatten geschieden werden. Im Falle des Todes des Mannes und der Wiederverheiratung der Frau war es für das frühere Recht charakteristisch, dass die Frau die sogenannte elterliche Gewalt verlor, das heißt, sie war nicht mehr die gesetzliche Vertreterin des Kindes, sondern dieses musste seinen Vormund erhalten. Starb aber die Frau und der Mann heiratete wieder, so blieb er selbstverständlich der gesetzliche Vertreter.

Noch schwerwiegender wirkte sich im bürgerlichen Recht die Minderberechtigung der Frau dann aus, wenn die Ehegatten geschieden waren. Dann konnte zwar, besonders bei kleineren Kindern, die Sorge für die Person des Kindes der Mutter übertragen werden, aber der gesetzliche Vertreter des Kindes blieb immer der Vater. Die Arbeit und die Sorge mit den Kindern wurden also der Frau ruhig überlassen; kam es aber zu einer wichtigen Entscheidung, etwa über die Frage des Abschlusses eines Lehrvertrages für das Kind, dann trat der geschiedene Ehemann in Erscheinung und hatte das letzte Wort.

Nach unserem Recht wird derjenige Elternteil, dem nach der Scheidung die Sorge für das Kind übertragen wird, in vollem Umfange und allein für das Kind verantwortlich.

In der Deutschen Demokratischen Republik geben der Staat und die Regierung unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands den Frauen nicht nur auf jedem Gebiet die gleichen Rechte wie den Männern, sie geben den Frauen auch die Möglichkeit, von diesen Rechten Gebrauch zu machen.

Quelle: Neues Deutschland, 1. Februar 1958; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hrsg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949–1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/ 180.