Quelle
Im Mai 1950 versammelten sich 60 000 Vertriebene aus den früheren deutschen Ostgebieten in Hamburg. Marion Gräfin Dönhoff, selbst Ostpreußin, berichtete mit viel Pathos.
Vor 700 Jahren haben sich die ersten Deutschen in den Hansestädten Bremen und Lübeck zusammengefunden, um in den deutschen Osten zu ziehen und die Gebiete jenseits der Weichsel zu kolonisieren. Tapfer und hoffnungsvoll zogen sie damals aus und haben sich in unermüdlicher, jahrhundertelanger Arbeit eine neue Heimat geschaffen.
Enterbt, vertrieben, verfolgt sind sie zurückgekehrt, die letzten Nachfahren jener Pioniere, und haben sich in diesen Tagen in Hamburg versammelt zu einem großen Treffen, an dem 60 000 Ostflüchtlinge teilnehmen. Wohl nie ist das Gebet, mit dem der gemeinsame Gottesdienst eingeleitet wurde, Gib uns unsere Heimat wieder, mit mehr Inbrunst gesprochen worden, nie sind die Gedanken so vieler heimwehkranker, wurzelloser Menschen sehnsuchtvoller über den Eisernen Vorhang gezogen als in diesen Tagen, in denen so viele Erinnerungen wieder wach werden.
Aber das Schicksal hat diese Menschen nicht zerbrochen, einstimmig haben sie erklärt, daß es ihnen nicht um Zuflucht in fremden Ländern und überseeischen Gebieten geht und daß sie lieber in ihren engen Elendsquartieren ausharren wollen, bis ihnen das Recht auf ihre Heimat wieder zugestanden wird. Nicht mit Waffen wollen sie die Heimat zurückerobern, sondern, wie Bürgermeister Brauer es ausdrückte, durch die Kraft der Idee, daß Freiheit und Recht stärker sind als Terror und Gewalt.
Quelle: Marion Gräfin Dönhoff, „Heimat im Osten“, Die Zeit, 18. Mai 1950