Kurzbeschreibung

Am 21./22. April 1946 schließen sich in der sowjetischen Besatzungszone KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zusammen. Wilhelm Pieck (KPD) und Otto Grotewohl (SPD) übernehmen gemeinsam den Vorsitz. Dem unmittelbar nach Kriegsende verbreiteten Wunsch nach einer Überwindung der Spaltung der Arbeiterparteien hatte die KPD im Sommer 1945 zunächst eine Absage erteilt und in enger Zusammenarbeit mit der sowjetischen Besatzungsmacht ihren Parteiapparat etabliert. Angesicht des bald sichtbaren geringen politischen Rückhalts in der Bevölkerung ändert sich diese Position, und im Herbst 1945 beginnt eine Kampagne für den Zusammenschluss mit der SPD, die von den Sowjets massiv unterstützt wird. Obwohl die große Mehrheit der SPD-Anhänger nur eine enge Zusammenarbeit der beiden Parteien, aber keine Fusion befürwortet, gibt Grotewohl dem Druck der KPD schließlich nach und hofft, innerhalb der SED demokratische Prinzipien sichern zu können. Das Grundsatzprogramm der SED verspricht zwar die Abhaltung demokratischer Wahlen und die Sicherung individueller Freiheitsrechte, bekennt sich aber auch eindeutig zum Aufbau des Sozialismus und schließt die Anwendung revolutionärer Mittel zu diesem Zweck nicht aus.

Die Umstände der Zwangsvereinigung von KPD und SED in der Ostzone entziehen einem Zusammengehen der beiden Parteien im Westen den Boden und tragen indirekt zur Gründung der Bizone und der Vertiefung der politischen Teilung bei, da Briten und Amerikaner nun fürchten, dass eine gesamtdeutsche Regierung kommunistisch geprägt sein würde.

Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (21. April 1946)

Quelle

Zwölf Jahre faschistischer Diktatur, sechs Jahre Hitlerkrieg schleuderten das deutsche Volk in die furchtbarste wirtschaftliche, politische und sittliche Katastrophe seiner Geschichte.

Deutschland wurde in ein Trümmerfeld verwandelt.

Der Hitlerfaschismus war das Herrschaftsinstrument der wildesten reaktionären und imperialistischen Teile des Finanzkapitals, der Herren der Rüstungskonzerne, der Großbanken und des Großgrundbesitzes. Durch die Spaltung der Arbeiterklasse gelangte der Faschismus zur Macht. Mit grausamstem Terror vernichtete er alle demokratischen Rechte und Freiheiten und verwandelte Deutschland in ein Militärzuchthaus. Damit war der Weg für eine ungehemmte imperialistische Kriegspolitik frei. Der deutsche Imperialismus opferte seinen Weltmachtsansprüchen bedenkenlos das Leben und die Existenz von Millionen Arbeitern, Bauern, Gewerbetreibenden, Geistesarbeitern und vor allem der Jugend, er setzte Existenz und Zukunft der Nation aufs Spiel.

Wo ist der Ausweg aus der Katastrophe?

Militarismus und imperialistische Gewalt- und Kriegspolitik haben Deutschland zweimal in das größte nationale Unglück gestürzt.

Die Sicherung des Friedens, der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft und die Erhaltung der Einheit Deutschlands erfordern die Vernichtung der Überreste des Hitlerfaschismus und die Liquidierung des Militarismus und Imperialismus.

Niemals wieder darf die Reaktion zur Herrschaft gelangen.

Niemals wieder darf die Reaktion zur Herrschaft gelangen! Dazu ist die Einheit der Arbeiterbewegung und der Block aller antifaschistisch-demokratischen Parteien die wichtigste Voraussetzung.

Von allen Schichten des deutschen Volkes haben die Werktätigen das größte Leid, die größten Lasten getragen. Sie sind die große Mehrheit des Volkes. Auf ihren Schultern ruht in erster Linie die Last des Wiederaufbaues und der Wiedergutmachung.

Das schaffende Volk muß daher auch die Geschicke des neuen demokratischen Deutschlands bestimmen.

Die Arbeiterklasse wird alle demokratischen und fortschrittlichen Kreise des Volkes einen. Sie ist die konsequenteste demokratische Kraft und der entschiedenste Kämpfer gegen den Imperialismus. Sie ist die Kraft, die unser nationales Unglück überwinden wird. Die Arbeiterklasse allein hat ein großes geschichtliches Ziel: den Sozialismus.

Ihr gehört daher im Bunde mit den Werktätigen die Zukunft. Die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit lehren, daß die Arbeiterklasse nur dann die Führung im Aufbau der neuen, freien, unteilbaren deutschen Republik haben wird und zur Umgestaltung der gesamten politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Beziehungen, zum Aufbau des Sozialismus nur schreiten kann, wenn sie die Spaltung in ihren eigenen Reihen überwindet, die Sozialistische Einheitspartei schafft und das ganze werktätige Volk um sich sammelt.

Die Vereinigung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Kommunistischen Partei Deutschlands ist daher das unaufschiebbare Gebot der Stunde! Von diesen Erwägungen ausgehend, wird die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands auf dem Boden folgender Grundsätze und Ziele gebildet:

I. Gegenwartsforderungen.

1. Bestrafung aller Kriegsschuldigen und Kriegsverbrecher, Beseitigung der Überreste des Hitlerregimes in Gesetzgebung und Verwaltung. Völlige Säuberung des gesamten öffentlichen Lebens, aller Ämter und Wirtschaftsleitungen von Faschisten und Reaktionären.

2. Beseitigung der kapitalistischen Monopole, Übergabe der Unternehmungen der Kriegsschuldigen, Faschisten und Kriegsinteressenten in die Hände der Selbstverwaltungsorgane.

3. Vernichtung des reaktionären Militarismus, Entmachtung der Großgrundbesitzer und Durchführung der demokratischen Bodenreform.

4. Aufbau der Selbstverwaltung auf der Grundlage demokratisch durchgeführter Wahlen. Leitung aller öffentlichen Einrichtungen und der Wirtschaft durch ehrliche Demokraten und bewährte Antifaschisten. Systematische Ausbildung befähigter Werktätiger als Beamte der Selbstverwaltungsorgane, als Lehrer, Volksrichter und Betriebsleiter unter besonderer Förderung der Frauen.

5. Überführung aller öffentlichen Betriebe, der Bodenschätze und Bergwerke, der Banken, Sparkassen und Versicherungsunternehmungen in die Hände der Gemeinden, Provinzen und Länder oder der gesamtdeutschen Regierung. Zusammenfassung der wirtschaftlichen Unternehmungen in Wirtschaftskammern unter gleichberechtigter Mitwirkung der Gewerkschaften und Genossenschaften. Stärkste Förderung des Genossenschaftswesens, Begrenzung der Unternehmergewinne und Schutz der Werktätigen vor kapitalistischer Ausbeutung.

6. Aufbau der Wirtschaft und Sicherung der Währung auf Grund von Wirtschaftsplänen. Planmäßige Förderung der Bedarfsgütererzeugung in Industrie und Handwerk unter Einschaltung der Privatinitiative. Stärkste Intensivierung und Förderung der Landwirtschaft. Wiederaufbau der zerstörten Städte und beschleunigte Wiederherstellung des Transports und der Sicherheit des Verkehrs. Schaffung der Grundlagen zur Wiedereingliederung Deutschlands in den internationalen Warenaustausch durch Ausfuhr von Bedarfsgütern und Einfuhr fehlender Rohstoffe und Lebensmittel, auch mit Hilfe internationaler Warenkredite. Neuaufbau des Kreditwesens durch öffentliche Kreditinstitute.

Arbeitsbeschaffung für alle Werktätigen. Sicherung des lebensnotwendigen Bedarfs der breiten Volksmassen an Nahrung, Kleidung und Heizung.

7. Demokratische Steuerreform. Vereinfachung des Steuerwesens durch straffe Zusammenfassung aller Steuerarten. Stärkere Berücksichtigung der sozialen Lage bei der Steuerbemessung. Die Reicheren sollen die größeren Kriegslasten tragen.

8. Sicherung der demokratischen Volksrechte. Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Bild und Schrift unter Wahrung der Sicherheit des demokratischen Staates gegenüber reaktionären Anschlägen, Gesinnungs- und Religionsfreiheit. Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied von Rasse und Geschlecht. Gleichberechtigung der Frau im öffentlichen Leben und Beruf. Staatlicher Schutz der Person. Demokratische Rechts- und Justizform.

9. Sicherung des Koalitions-, Streik- und Tarifrechtes. Anerkennung der Betriebsräte als gesetzmäßige Vertretung der Arbeiter und Angestellten im Betrieb. Gleichberechtigte Mitwirkung der Betriebsräte in allen Betriebs- und Produktionsfragen.

10. Achtstundentag als gesetzlicher Normalarbeitstag, Ausbau des gesetzlichen Arbeitsschutzes, besonders für Frauen und Jugendliche. Ausbau einer einheitlichen Sozialversicherung unter Einbeziehung aller Werktätigen. Neuordnung der Sozialfürsorge, des Mutter-, Kinder- und Jugendschutzgesetzes. Besondere Fürsorge für die Opfer des Faschismus, Betreuung der Umsiedler und Heimkehrer.

11. Demokratische Reform des gesamten Bildungs- und Erziehungswesens. Aufbau der Einheitsschule. Erziehung der Jugend im Geiste einer fortschrittlichen Demokratie, der Freundschaft unter den Völkern und einer wahren Humanität. Jeder Deutsche hat das Anrecht auf Bildung nach seinen Anlagen und Fähigkeiten. Trennung der Kirche von Staat und Schule. Kulturelle Erneuerung Deutschlands; Förderung von Literatur, Kunst und Wissenschaft.

12. Herstellung der Einheit Deutschlands als antifaschistische, parlamentarisch-demokratische Republik, Bildung einer Zentralregierung durch die antifaschistisch-demokratischen Parteien.

13. Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung der durch das Hitlerregime den anderen Völkern zugefügten Schäden. Sicherung eines durchschnittlichen europäischen Lebensstandards für das deutsche Volk im Sinne der Potsdamer Konferenz der drei Großmächte.

14. Schärfster Kampf gegen Rassenhetze und jedwede Hetze gegen andere Völker. Friedliches und gutnachbarliches Zusammenleben mit den anderen Nationen.

II. Der Kampf um den Sozialismus.

Mit der Verwirklichung der Gegenwartsforderungen ist jedoch das System der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung nicht beseitigt und die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise nicht aufgehoben, der Frieden nicht endgültig gesichert.

Das Ziel der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist die Befreiung von jeder Ausbeutung und Unterdrückung, von Wirtschaftskrisen, Armut, Arbeitslosigkeit und imperialistischer Kriegsdrohung. Dieses Ziel, die Lösung der nationalen und sozialen Lebensfragen unseres Volkes, kann nur durch den Sozialismus erreicht werden.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kämpft für die Verwandlung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum, für die Verwandlung der kapitalistischen Warenproduktion in eine sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion. In der bürgerlichen Gesellschaft ist die Arbeiterklasse die ausgebeutete und unterdrückte Klasse. Sie kann sich von Ausbeutung und Unterdrückung nur befreien, indem sie zugleich die ganze Gesellschaft für immer von Ausbeutung und Unterdrückung befreit und die sozialistische Gesellschaft errichtet. Der Sozialismus sichert allen Nationen, allen Menschen die freie Ausübung ihrer Rechte und die Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Erst mit dem Sozialismus tritt die Menschheit in das Reich der Freiheit und des allgemeinen Wohlergehens ein.

Die grundlegende Voraussetzung zur Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse. Dabei verbündet sie sich mit den übrigen Werktätigen.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kämpft um diesen neuen Staat auf dem Boden der demokratischen Republik.

Die gegenwärtige besondere Lage in Deutschland, die mit der Zerbrechung des reaktionären staatlichen Gewaltapparates und dem Aufbau eines demokratischen Staates auf neuer wirtschaftlicher Grundlage entstanden ist, schließt die Möglichkeit ein, die reaktionären Kräfte daran zu hindern, mit den Mitteln der Gewalt und des Bürgerkrieges der endgültigen Befreiung der Arbeiterklasse in den Weg zu treten. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands erstrebt den demokratischen Weg zum Sozialismus; sie wird aber zu revolutionären Mitteln greifen, wenn die kapitalistische Klasse den Boden der Demokratie verläßt.

III. Das Wesen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.

Die geschichtliche Aufgabe der geeinten Arbeiterbewegung ist es, den Kampf der Arbeiterklasse und des schaffenden Volkes bewußt und einheitlich zu gestalten. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands hat die Gegenwartsbestrebungen der Arbeiterklasse in die Richtung des Kampfes um den Sozialismus zu lenken, die Arbeiterklasse und das gesamte schaffende Volk bei der Erfüllung dieser ihrer historischen Mission zu führen.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kann ihren Kampf nur erfolgreich führen, wenn sie die besten und fortgeschrittensten Kräfte der Werktätigen vereint und durch die Vertretung ihrer Interessen zur Partei des schaffenden Volkes wird.

Diese Kampforganisation beruht auf dem demokratischen Beschlußrecht ihrer Mitglieder, der demokratischen Wahl aller Parteileitungen und der Bindung aller Mitglieder, Abgeordneten, Beauftragten und Leitungen der Partei an die demokratisch gefaßten Beschlüsse.

Die Interessen der Werktätigen sind in allen Ländern mit kapitalistischer Produktionsweise gleich. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands erklärt sich daher eins mit den klassenbewußten Arbeitern aller Länder. Sie fühlt sich solidarisch mit den friedliebenden und demokratischen Völkern der ganzen Welt.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kämpft als unabhängige Partei in ihrem Lande für die wahren nationalen Interessen ihres Volkes. Als deutsche sozialistische Partei ist sie die fortschrittlichste und beste nationale Kraft, die mit aller Kraft, die mit aller Energie gegen alle partikularistischen Tendenzen für die wirtschaftliche, kulturelle und politische Einheit Deutschlands eintritt.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands wird sich nach diesen Grundsätzen und Forderungen ein Programm geben, das vom Parteivorstand der Mitgliederschaft vorzulegen und vom nächsten ordentlichen Parteitag zu beschließen ist.

Die Einheit der sozialistischen Bewegung ist die beste Gewähr für die Einheit Deutschlands! Sie wird den Sieg des Sozialismus sichern! Der Sozialismus ist das Banner der Zukunft! In diesem Zeichen werden wir siegen!

Quelle: Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (21. April 1946); abgedruckt in Wilhelm Mommsen, Hrsg., Deutsche Parteiprogramme. München: Olzog, 1960, S. 754–59.