Kurzbeschreibung

Die Kontrollratsdirektive 38 regelt im Oktober 1946 die konkrete Ausgestaltung der im Potsdamer Abkommen geforderten Entnazifizierung Deutschlands. Die Hauptverantwortung dafür wird den Zonenbefehlshabern übertragen. Sogenannte Spruchkammern sollen das Verhalten aller volljährigen Deutschen im „Dritten Reich“ durchleuchten und sie anschließend in eine von fünf Gruppen einordnen, die von Hauptschuldigen über Belastete, Minderbelastete und Mitläufer zu Entlasteten reichen. Die Direktive versucht, so genau wie möglich zu definieren, wer aufgrund welchen Verhaltens welcher Gruppe zuzuordnen ist und welche Sühnemaßnahmen sich daraus ergeben. Sie können von der Todesstrafe oder langen Haftstrafen für die Hauptschuldigen über Vermögenseinziehungen und Berufsverbote bis hin zu Gehaltskürzungen, Reisebeschränkungen oder Meldeauflagen reichen.

Kontrollratsdirektive Nr. 38 (12. Oktober 1946)

Quelle

Kontrollratsdirektive Nr. 38: Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen

Der Kontrollrat erläßt folgende Direktive:

Abschnitt I

1. Zweck.

Der Zweck dieser Direktive ist es, für ganz Deutschland gemeinsame Richtlinien zu schaffen betreffend:

(a) die Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen, welche das nationalsozialistische Regime gefördert und gestützt haben;

(b) die vollständige und endgültige Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus durch Gefangensetzung oder Tätigkeitsbeschränkung von bedeutenden Teilnehmern oder Anhängern dieser Lehren;

(c) die Internierung von Deutschen, welche, ohne bestimmter Verbrechen schuldig zu sein, als für die Ziele der Alliierten gefährlich zu betrachten sind, sowie die Kontrolle und Überwachung von Deutschen, die möglicherweise gefährlich werden können.

2. Verweisungen:

(a) Potsdamer Abkommen, Art. III, § 3 (I) a;

(b) Potsdamer Abkommen, Art. III, § 3 (III);

(c) Potsdamer Abkommen, Art. 111, §5;

(d) Direktive Nr. 24 des Kontrollrats;

(e) Kontrollratsgesetz Nr. 10, Art. II. § 3 und Art. III, § 1 und 2.

3. Das Problem und die allgemeinen Grundsätze.

Zwecks Durchführung der in Potsdam aufgestellten Grundsätze wird es für notwendig erachtet, Kriegsverbrecher und Personen, die möglicherweise gefährlich werden können, in fünf Hauptgruppen einzuteilen und einer jeden Gruppe angemessene Strafen und Sühnemaßnahmen festzusetzen. Wir sind der Ansicht, daß die Gruppeneinteilung und die Art der Strafen und der Sühnemaßnahmen in einem Übereinkommen einheitlich festgesetzt werden müssen, ohne aber dabei das freie Ermessen, das den Zonenbefehlshabern durch das Kontrollratsgesetz Nr. 10 eingeräumt wurde, einzuschränken.

4. Eine klare Definition der Alliierten Politik hinsichtlich Deutscher, die offensichtlich gefährlich sind oder möglicherweise gefährlich werden können, ist jetzt erforderlich, um eine einheitliche Behandlung in den verschiedenen Zonen hinsichtlich dieser Personen zu gewährleisten.

5. Gruppen und Sühnemaßnahmen

Die Zusammensetzung der Gruppen und der Sühnemaßnahmen wird im einzelnen in Abschnitt II dieser Direktive behandelt. Sie soll gemäß den nachstehenden allgemeinen Grundsätzen erfolgen:

(a) Ein Unterschied soll zwischen der Gefangensetzung von Kriegsverbrechern und ähnlichen Rechtsbrechern und der Internierung von Personen gemacht werden, die gefährlich werden und deshalb in Haft gehalten werden können, weil ihre Freiheit eine Gefahr für die Sache der Alliierten bedeuten würde.

(b) Die Zonenbefehlshaber können nach ihrem Ermessen eine Person bewährungsweise in eine niedrigere Gruppe versetzen; ausgenommen hiervon sollen Personen sein, die wegen ihrer Beteiligung an bestimmten Verbrechen als Hauptschuldige überführt worden sind.

(c) In jeder Gruppe bleibt es im Ermessen der Zonenbefehlshaber, nötigenfalls Sühnemaßnahmen im Rahmen der in dieser Direktive gesetzten Grenzen abzuändern, um Einzelfällen gerecht zu werden.

(d) Die Einteilung aller Schuldigen sowie der Personen, die gefährlich werden können, die Festsetzung der Sühnemaßnahmen sowie die Nachprüfung der einzelnen Fälle ist von den Stellen durchzuführen, die von den Zonenbefehlshabern mit der verantwortlichen Anwendung dieser Direktive beauftragt werden.

(e) Die Zonenbefehlshaber und die Spruchkammern sollen berechtigt sein, Personen von einer Gruppe in eine andere einzureihen, sei es in eine niedrigere oder in eine höhere.

Die Zonenbefehlshaber können sich nach ihrem Ermessen für die Einreihung, Verhandlung und Nachprüfung deutscher Gerichte bedienen.

(f) Um zu verhindern, daß Personen, die unter diese Direktive fallen, sich den Folgen der Direktive durch Umzug in eine andere Zone entziehen, hat jeder Zonenbefehlshaber dafür zu sorgen, daß die anderen Zonen die von ihm angewendeten Methoden für die Ausstellung von Ausweispapieren eingruppierter Personen kennen und verstehen.

(g) Für die Durchführung dieser Direktive empfiehlt es sich, daß jeder Zonenbefehlshaber in seiner eigenen Zone Befehle oder Gesetze erläßt, die mit den Bestimmungen und Grundsätzen dieser Direktive übereinstimmen. Die Zonenbefehlshaber sollen untereinander Abschriften solcher Befehle und Gesetze austauschen.

(h) Vorausgesetzt, daß derartige Zonengesetze in ihrem wesentlichen Inhalt mit den hier niedergelegten Grundsätzen übereinstimmen, sind die Einzelheiten der Anwendung dem freien Ermessen der Zonenbefehlshaber überlassen, um den örtlichen Bedingungen ihrer Zone gerecht zu werden.

(i) In Berlin soll die Alliierte Kommandatura für die Durchführung der Grundsätze und Bestimmungen dieser Direktive verantwortlich sein und die zu diesem Zweck erforderlichen Verordnungen und Befehle erlassen. Das in dieser Direktive den Zonenbefehlshabern für die Durchführung eingeräumte freie Ermessen übt für Berlin die Alliierte Kommandatura aus.

(j) Abgesehen von den in Abschnitt II dieser Direktive bestimmten Gruppen und Sühnemaßnahmen sollen diejenigen Personen, die Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 10 begangen haben, nach den Bestimmungen und den in Gesetz Nr. 10 vorgeschriebenen Verfahrensregeln behandelt werden.

ABSCHNITT II

Artikel I.

Gruppen der Verantwortlichen.

Zur gerechten Beurteilung der Verantwortlichkeit und zur Heranziehung zu Sühnemaßnahmen (ausgenommen in dem unten folgenden Falle 5) werden folgende Gruppen gebildet:

l. Hauptschuldige;

2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer);

3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe);

4. Mitläufer;

5. Entlastete (Personen der vorstehenden Gruppen, welche vor einer Spruchkammer nachweisen können, daß sie nicht schuldig sind).

Artikel II.

Hauptschuldige.

Hauptschuldiger ist:

1. Wer aus politischen Beweggründen Verbrechen gegen Opfer oder Gegner des Nationalsozialismus begangen hat.

2. Wer in Deutschland oder in den besetzten Gebieten ausländische Zivilpersonen oder Kriegsgefangene völkerrechtswidrig behandelt hat.

3. Wer für Ausschreitungen, Plünderungen, Verschleppungen oder sonstige Gewalttaten verantwortlich ist, auch wenn diese Akte bei der Bekämpfung von Widerstandsbewegungen begangen worden sind.

4. Wer sich in einer führenden Stellung in der NSDAP, in einer ihrer Gliederungen oder angeschlossenen Verbände oder in irgendeiner anderen nationalsozialistischen oder militaristischen Organisation betätigt hat.

5. Wer sich in der Regierung des Reiches, der Länder oder in der Verwaltung der früher besetzten Gebiete in einer führenden Stellung, die nur von führenden Nationalsozialisten oder bedeutenden Anhängern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bekleidet werden konnte, betätigt hat.

6. Wer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft außerordentliche politische, wirtschaftliche, propagandistische oder sonstige Unterstützung gewährt hat oder wer aus dieser Zusammenarbeit für sich oder andere erheblichen Nutzen gezogen hat.

7. Wer in der Gestapo, dem SD, der SS, der Geheimen Feld- oder Grenzpolizei für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft aktiv tätig war.

8. Wer sich in einem Konzentrations-, Arbeits-, Internierungslager, in einer Heil- oder Pflegeanstalt an Tötungen, Folterungen oder sonstigen Grausamkeiten in irgendeiner Form beteiligt hat.

9. Wer aus Eigennutz oder Gewinnsucht aktiv mit der Gestapo, dem SD, der SS oder mit ähnlichen Organisationen zusammengearbeitet hat, indem er Gegner der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft denunzierte oder sonst zu ihrer Verfolgung beitrug.

10. Jedes Mitglied des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, als solches gekennzeichnet.

11. In Abschnitt I des Anhangs „A" ist ein Verzeichnis der Personengruppen enthalten, welche in Anbetracht der ihnen zur Last gelegten Verbrechen, wie sie in den Ziffern 1 bis 10 dieses Artikels näher bezeichnet sind, und in Anbetracht der von ihnen besetzten Stellen sorgfältig zu prüfen sind und welche, falls die Ergebnisse der Untersuchung eine Anklage notwendig machen, als Hauptschuldige vor ein Gericht zu stellen und im Falle der Schuld zu bestrafen sind.

Artikel III.

Belastete.

A. Aktivisten.

I. Aktivist ist:

1. Wer durch seine Stellung oder Tätigkeit die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wesentlich gefördert hat;

2. Wer seine Stellung, seinen Einfluß und seine Beziehungen zur Ausübung von Zwang, Drohung, Gewalttätigkeiten, Unterdrückung oder sonst ungerechten Maßnahmen ausgenutzt hat;

3. Wer sich als überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, insbesondere ihrer Rassenlehre, offen bekannt hat.

II. Aktivist ist insbesondere, soweit er nicht Hauptschuldiger ist:

1. Wer durch Wort oder Tat, insbesondere öffentlich durch Reden oder Schriften oder freiwillige Zuwendungen aus eigenem oder fremden Vermögen oder durch Einsetzen seines persönlichen Ansehens oder seiner Machtstellung im politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben wesentlich zur Begründung, Stärkung und Erhaltung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beigetragen hat;

2. Wer durch nationalsozialistische Lehre oder Erziehung die Jugend an Geist und Seele vergiftet hat;

3. Wer zur Stärkung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unter Mißachtung anerkannter sittlicher Grundsätze das Familien- und Eheleben untergraben hat;

4. Wer im Dienste des Nationalsozialismus ungesetzlicherweise in die Rechtspflege eingegriffen oder sein Amt als Richter oder Staatsanwalt politisch mißbraucht hat;

5. Wer im Dienste des Nationalsozialismus hetzerisch oder gewalttätig gegen Kirchen, Religionsgemeinschaften oder weltanschauliche Vereinigungen aufgetreten ist;

6. Wer im Dienste des Nationalsozialismus Werte der Kunst oder Wissenschaft verhöhnt, beschädigt oder zerstört hat;

7. Wer sich führend oder aktiv an der Zerschlagung der Gewerkschaften, der Unterdrückung der Arbeiterschaft und der mißbräuchlichen Verwendung der Gewerkschaftsvermögen beteiligt hat;

8. Wer als Provokateur, Spitzel oder Denunziant die Einleitung eines Verfahrens zum Schaden eines anderen wegen seiner Rasse, Religion oder seiner politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder wegen Zuwiderhandlungen gegen nationalsozialistische Anordnungen herbeigeführt oder herbeizuführen versucht hat;

9. Wer seine Stellung oder seine Macht unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zur Begehung von Straftaten, insbesondere Erpressungen, Unterschlagungen oder Betrügereien ausgenutzt hat;

10. Wer durch Wort oder Tat eine gehässige Haltung gegenüber Gegnern der NSDAP in Deutschland oder im Ausland gegen Kriegsgefangene, die Bevölkerung der ehemals besetzten Gebiete, gegen ausländische Zivilarbeiter, Häftlinge oder ähnliche Personen eingenommen hat;

11. Wer die Versetzung zum Frontdienst von Personen wegen ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus begünstigt hat.

III. Aktivist ist auch, wer nach dem 8. Mai 1945 durch Propaganda für den Nationalsozialismus oder Militarismus oder durch Erfindung und Verbreitung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes oder den Frieden der Welt gefährdet hat oder möglicherweise noch gefährdet.

B. Militaristen

I. Militarist ist:

1. Wer das Leben des deutschen Volkes auf eine Politik der militärischen Gewalt hinzulenken versucht hat;

2. Wer für die Beherrschung fremder Völker, ihre Ausbeutung und Verschleppung eingetreten oder verantwortlich ist;

3. Wer die Aufrüstung für diese Ziele gefördert hat.

II. Militarist ist insbesondere, soweit er nicht Hauptschuldiger ist:

1. Wer durch Wort oder Tat militaristische Lehren oder Programme aufgestellt oder verbreitet hat oder in einer Organisation (mit Ausnahme der Wehrmacht), die der Förderung militaristischer Ideen diente, aktiv tätig war;

2. Wer vor 1935 die planmäßige Ausbildung der Jugend für den Krieg organisiert oder an einer solchen Organisation teilgenommen hat;

3. Wer in befehlender Stellung für sinnlose Zerstörungen von Städten und Dörfern nach dem Einmarsch in Deutschland verantwortlich ist;

4. Wer ohne Rücksicht auf seinen Dienstgrad als Angehöriger der Wehrmacht, des Reichsarbeitsdienstes, der Organisation Todt (OT) oder Transportgruppe Speer seine Dienstgewalt dazu mißbraucht hat, persönliche Vorteile zu erlangen oder seine Untergebenen brutal zu mißhandeln;

5. Wer auf Grund seiner Ausbildung und früheren Tätigkeit im Generalstab oder in anderer Weise nach der Ansicht des (zuständigen) Zonenbefehlshabers zur Förderung des Militarismus beigetragen hat und wer von dem Zonenbefehlshaber als möglicherweise den Zielen der Alliierten gefährlich erachtet wird.

C. Nutznießer.

I. Nutznießer ist:

Wer unter Ausnutzung seiner politischen Stellung oder seiner Beziehungen aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, der Aufrüstung oder aus dem Kriege für sich selbst oder andere persönliche oder wirtschaftliche Vorteile erlangt oder herausgeschlagen hat.

II. Nutznießer ist insbesondere, soweit er nicht Hauptschuldiger ist:

1. Wer ausschließlich auf Grund seiner Zugehörigkeit zur NSDAP ein Amt oder eine Stellung erhalten hat oder bevorzugt befördert worden ist;

2. Wer erhebliche Zuwendungen von der NSDAP oder von ihren Gliederungen oder angeschlossenen Verbänden erhalten hat;

3. Wer mittelbar oder unmittelbar auf Kosten der politisch, religiös oder rassisch Verfolgten, insbesondere mittels Enteignungen, Zwangsverkäufen und aller sonstigen ähnlichen Rechtsgeschäfte Vorteile für sich selbst oder für andere erlangt oder erstrebt hat;

4. Wer bei der Aufrüstung oder in Kriegsgeschäften unangemessen hohen Gewinn erzielt hat;

5. Wer sich im Zusammenhang mit der Verwaltung ehemals besetzter Gebiete in ungerechtfertigter Weise bereichert hat.

D. In Abschnitt II des Anhangs „A" ist ein Verzeichnis der Personengruppen enthalten, welche in Anbetracht der ihnen zur Last gelegten Verbrechen, wie sie in den Absätzen A, B und C dieses Artikels näher bezeichnet sind, sorgfältig zu prüfen und, falls die Ergebnisse der Untersuchung eine Anklage notwendig machen, als Mitschuldige vor ein Gericht zu stellen und im Falle der Schuld zu bestrafen sind.

Artikel IV.

Minderbelastete (Bewährungsgruppe).

I. Minderbelastet ist:

1. Wer an sich zur Gruppe der Belasteten gehört, jedoch wegen besonderer Umstände einer milderen Beurteilung würdig erscheint und nach seiner Persönlichkeit erwarten läßt, daß er nach einer Bewährungsfrist seine Pflichten als Bürger eines friedlichen demokratischen Staates erfüllen wird. Dies bezieht sich auch auf ehemalige Angehörige der Wehrmacht.

2. Wer an sich zur Gruppe der Mitläufer gehört, jedoch wegen seines Verhaltens und seiner Persönlichkeit sich erst bewähren soll.

II. Minderbelastet ist insbesondere:

1. Wer nach dem 1. Januar 1919 geboren ist, nicht zur Gruppe der Hauptschuldigen gehört; jedoch als Belasteter erscheint, ohne aber ein verwerfliches oder brutales Verhalten gezeigt zu haben und nach seiner Persönlichkeit eine Bewährung erwarten läßt.

2. Wer ohne Hauptschuldiger zu sein, zwar als Belasteter erscheint, sich aber frühzeitig vom Nationalsozialismus und seinen Methoden unzweideutig und offenkundig abgewandt hat.

3. Im Abschnitt III des Anhanges „A" ist ein Verzeichnis der Personengruppen enthalten, welche sorgfältig zu prüfen und, falls Beweise für ihre Schuld nach den Bestimmungen der Absätze I und II dieses Artikels vorhanden sind, als Mitbelastete anzuklagen und im Falle der Schuld zu bestrafen sind.

Artikel V.

Mitläufer.

I. Mitläufer ist:

Wer nur als nomineller Parteigänger an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft teilgenommen oder sie unterstützt hat.

II. Demgemäß ist insbesondere als Mitläufer zu betrachten:

1. Wer als Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen - ausgenommen HJ und BDM - lediglich Mitgliedsbeiträge bezahlt, an Versammlungen, deren Besuch obligatorisch war, teilgenommen oder unbedeutende oder laufende Obliegenheiten, wie sie allen Mitgliedern vorgeschrieben waren, wahrgenommen hat;

3. Wer, ohne Hauptschuldiger, Belasteter oder Minderbelasteter zu sein, Anwärter der NSDAP, aber noch nicht endgültig als Mitglied aufgenommen war;

3. Wer, nach Ansicht des Zonenbefehlshabers, als früherer Angehöriger der Wehrmacht auf Grund seiner Fähigkeiten die Ziele der Alliierten gefährden könnte.

Artikel VI.

Entlastete.

Entlasteter ist:

Wer trotz seiner formellen Mitgliedschaft oder Anwartschaft oder eines anderen äußeren Merkmals sich nicht nur passiv verhalten, sondern auch aktiv nach besten Kräften der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Widerstand geleistet und dadurch Nachteile erlitten hat.

Artikel VII.

Sühnemaßnahmen.

Nach dem Grade der Verantwortlichkeit sind die die Sühnemaßnahmen (Artikel VIII bis XI) in gerechter und billiger Weise zu verhängen, um die Ausschaltung des Nationalsozialismus und Militarismus aus dem Leben des deutschen Volkes und die Wiedergutmachung des verursachten Schadens zu erzielen.

Artikel VIII.

Sühnemaßnahmen gegen Hauptschuldige.

I. Gegen Hauptschuldige, die bestimmte Kriegsverbrechen begangen haben, sind folgende Sühnemaßnahmen zu verhängen:

(a) Todesstrafe;

(b) Zuchthaus oder Gefängnis auf Lebenszeit oder für die Dauer von 5 bis 15 Jahren;

(c) Zusätzlich können alle im Absatz II dieses Artikels aufgeführten Sühnemaßnahmen verhängt werden.

II. Die folgenden Sühnemaßnahmen können gegen sonstige Hauptschuldige verhängt werden:

(a) Gefängnis oder Internierung bis zu 10 Jahren; Internierung nach dem 8. Mai 1945 kann angerechnet werden; körperlich Behinderte sind entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu besonderen Arbeiten heranzuziehen;

(b) Ihr Vermögen kann eingezogen werden. Es ist ihnen jedoch der unter Berücksichtigung der Familienverhältnisse und ihrer Erwerbsfähigkeit zum notdürftigen Lebensunterhalt erforderliche Betrag zu belassen;

(c) Unfähigkeit, ein öffentliches Amt einschließlich des Notariats und der Rechtsanwaltschaft zu bekleiden;

(d) Verlust ihrer Rechtsansprüche auf eine aus öffentlichen Mitteln zahlbare Pension oder Zuwendung;

(e) Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts und des Rechts, sich irgendwie politisch zu betätigen oder Mitglied einer politischen Partei zu sein;

(f) Verbot der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder in einer wirtschaftlichen oder beruflichen Vereinigung;

(g) Verbot auf die Dauer von mindestens 10 Jahren nach ihrer Freilassung:

i) In einem freien Beruf oder selbständig in irgendeinem gewerblichen Betriebe tätig zu sein, sich an einem solchen zu beteiligen oder dessen Aufsicht oder Kontrolle auszuüben;

ii) In nichtselbständiger Stellung anders als in gewöhnlicher Arbeit beschäftigt zu werden;

iii) Als Lehrer, Prediger, Schriftsteller, Redakteur oder Rundfunk-Kommentator tätig zu sein;

(h) Sie unterliegen Wohnraum- und Aufenthaltsbeschränkungen und können zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden;

(i) Sie verlieren alle ihnen erteilten Approbationen, Konzessionen und Vorrechte sowie das Recht, ein Kraftfahrzeug zu halten.

Artikel IX.

Sühnemaßnahmen gegen Belastete.

1. Sie können auf die Dauer bis zu 10 Jahren in einem Gefängnis oder in einem Lager interniert werden, um Wiedergutmachungs- und Wiederaufbauarbeiten zu verrichten. Internierung aus politischen Gründen nach dem 8. Mai 1945 kann angerechnet werden.

2. Ihr Vermögen kann als Beitrag zur Wiedergutmachung ganz oder teilweise eingezogen werden. Bei teilweiser Einziehung des Vermögens sind insbesondere die Sachwerte einzuziehen. Die notwendigen Gebrauchsgegenstände sind ihnen zu belassen.

3. Sie dürfen kein öffentliches Amt einschließlich Notariat und Anwaltschaft bekleiden.

4. Sie verlieren alle Rechtsansprüche auf eine aus öffentlichen Mitteln zahlbare Pension oder Zuwendung.

5. Sie verlieren das aktive und passive Wahlrecht, das Recht, sich irgendwie politisch zu betätigen oder Mitglied einer politischen Partei zu sein.

6. Sie dürfen weder Mitglieder einer Gewerkschaft noch einer wirtschaftlichen oder beruflichen Vereinigung sein.

7. Es ist ihnen auf die Dauer von mindestens fünf Jahren nach ihrer Freilassung untersagt:

(a) In einem freien Beruf oder selbständig in irgendeinem gewerblichen Betriebe tätig zu sein, sich an einem solchen zu beteiligen oder dessen Aufsicht oder Kontrolle auszuüben.

(b) In nicht selbständiger Stellung anders als in gewöhnlicher Arbeit beschäftigt zu sein.

(c) Als Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunk-Kommentator tätig zu sein.

8. Sie unterliegen Wohnraum- und Aufenthaltsbeschränkungen.

9. Sie verlieren alle ihnen erteilten Approbationen; Konzessionen und Vorrechte sowie das Recht, ein Kraftfahrzeug zu halten.

10. Nach Ermessen der Zonenbefehlshaber können in die Zonengesetze Sühnemaßnahmen aufgenommen werden, die es den Belasteten untersagen, eine Zone ohne Genehmigung zu verlassen.

Artikel X.

Sühnemaßnahmen gegen Minderbelastete.

Wer nach dem Spruch einer Kammer in die Gruppe der Minderbelasteten einzureihen ist, kann einer Bewährungszeit unterworfen werden. Diese Bewährungszeit soll mindestens zwei und in der Regel nicht mehr als drei Jahre betragen. Von dem Verhalten während der Bewährungszeit hängt es ab, welcher Gruppe der Betroffene endgültig zugewiesen wird. Während der Bewährungszeit sind die folgenden Sühnemaßnahmen anwendbar:

1. Es ist den Minderbelasteten während der Bewährungszeit untersagt:

(a) Ein Unternehmen als Inhaber, Beteiligter, Leiter oder Bevollmächtigter zu führen oder es zu beaufsichtigen oder zu kontrollieren, ein Unternehmen oder eine Beteiligung daran ganz oder teilweise zu erwerben;

(b) Als Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunk-Kommentator tätig zu sein.

2. Ist der Minderbelastete zur Zeit der Einreihung in die Bewährungsgruppe an einem Unternehmen als Inhaber oder Gesellschafter beteiligt, so kann seine Beteiligung an dem Unternehmen gesperrt werden.

3. Der Begriff „Unternehmen" im Sinne der Paragraphen 1 (a) und 2 dieses Artikels umfaßt nicht notwendigerweise Kleinbetriebe, insbesondere Handwerksbetriebe, Einzelhandelsgeschäfte, Bauernhöfe und ähnliche Betriebe mit weniger als 20 Arbeitnehmern.

4. Vermögenswerte, deren Erwerb auf Ausnutzung politischer Beziehungen oder besonderer nationalsozialistischer Maßnahmen wie Arisierung und Aufrüstung beruhen, sind einzuziehen.

5. Für die Dauer der Bewährung können zusätzlich einzelne der im Artikel XI bezeichneten Sühnemaßnahmen in gerechter Auswahl und Anpassung verhängt werden, insbesondere:

(a) Beschränkungen in der Ausübung eines freien Berufes und Verbot der Ausbildung von Lehrlingen;

(b) Bei Beamten: Kürzung des Ruhegehalts, Versetzung in den Ruhestand oder in ein Amt mit geringerem Rang oder in eine andere Dienststelle unter Kürzung der Bezüge, Rückgängigmachung einer Beförderung, Überführung aus dem Beamtenverhältnis in ein Angestelltenverhältnis.

6. Internierung in einem Arbeitslager oder Einziehung des gesamten Vermögens sind nicht anzuordnen.

7. Nach dem Ermessen der Zonenbefehlshaber können in die Zonengesetze Sühnemaßnahmen aufgenommen werden, die es den Minderbelasteten untersagen, eine Zone ohne Genehmigung zu verlassen.

8. Nach dem Ermessen der Zonenbefehlshaber können Sühnemaßnahmen in die Zonengesetze aufgenommen werden, welche den Minderbelasteten die Wählbarkeit und das Recht zu politischer Betätigung jeglicher Art sowie das Recht, Mitglieder von politischen Parteien zu sein, absprechen; auch kann ihnen das Wahlrecht entzogen werden.

9. Sie können angehalten werden, sich an ihrem Wohnort regelmäßig bei der Polizei zu melden.

Artikel XI.

Sühnemaßnahmen gegen Mitläufer.

Die folgenden Sühnemaßnahmen gegen Mitläufer können nach dem Ermessen der Zonenbefehlshaber verhängt werden:

1. Sie können angehalten werden, sich an ihrem Wohnort regelmäßig bei der Polizei zu melden;

2. Sie dürfen weder eine Zone noch Deutschland ohne Genehmigung verlassen;

3. Zivilpersonen dieser Gruppe sind bei keiner Wahl wählbar, sie können aber wählen.

4. Bei Beamten kann zusätzlich Versetzung in den Ruhestand oder in ein Amt mit geringerem Rang oder an eine andere Dienststelle, gegebenenfalls unter Kürzung der Bezüge oder Rückgängigmachung einer während der Zugehörigkeit zur NSDAP erlangten Beförderung, angeordnet werden. Bei Personen der Wirtschaft einschließlich Land- und Forstwirtschaft können entsprechende Maßnahmen angeordnet werden.

5. Mitläufern kann die Zahlung einmaliger oder laufender Beiträge zu einem Wiedergutmachungsfond auferlegt werden. Bei der Bemessung sind die Dauer der Mitgliedschaft, die Höhe der Beiträge und sonstigen Zuwendungen sowie die Vermögens-, Erwerbs- und Familienverhältnisse und andere wichtige Umstände zu berücksichtigen.

Artikel XII.

Entlastete Personen.

Gegen Personen, welche von einer Kammer als entlastet erklärt werden, dürfen keine Sühnemaßnahmen verhängt werden.

Artikel XIII.

Personen der vorstehend in Artikel II bis VI bezeichneten Gruppen, welche bestimmter Kriegsverbrechen oder sonstiger Vergehen schuldig sind, können ungeachtet ihrer gemäß dieser Direktive vorgenommenen Eingruppierung strafrechtlich verfolgt werden. Die Verhängung von Sühnemaßnahmen auf Grund dieser Direktive schließt eine strafrechtliche Verfolgung wegen des gleichen Vergehens nicht aus.

Ausgefertigt in Berlin am 12. Oktober 1946.

(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieser Direktive sind von R. Noiret, Divisionsgeneral, P. A. Kurochkin, Generaloberst, Lucius D. Clay, Generalleutnant, und G. W. E. J. Erskine, Generalmajor, unterzeichnet.)

Quelle: Kontrollratsdirektive Nr. 38 (12. Oktober 1946), Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 11, 31. Oktober 1946, S. 184.